soziologie heute August 2016
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Wien:<br />
Solidarität mit den Opfern des Terroran-<br />
schlags in Paris im November 2015<br />
(Foto: Christian Michelides, wikimedia commons)<br />
der muslimischen Gemeinschaften<br />
voranzutreiben, braucht es auch<br />
verstärkter Anstrengungen für einen<br />
freien, offenen Dialog. Friedensreligionen<br />
stehen nicht per se - sie müssen<br />
auch dazu gemacht werden.<br />
Wie wird man eigentlich Terrorist?<br />
Motive und Beweggründe<br />
(Auszug aus: Hofer, B./Schneider, F: Die Terrorfalle -<br />
gibt es einen Ausweg? Easy Media, 2006)<br />
Die Beweggründe für Terroristen sind unterschiedlich<br />
und präsentieren sich oft als ein<br />
komplexes Gebilde aus sozialen, persönlichen,<br />
politischen, ökonomischen und religiösen Faktoren.<br />
Nur in seltenen Fällen ist ein Motiv alleine<br />
ausschlaggebend für die Entscheidung, terroristisch<br />
aktiv zu werden. Hinzu kommt noch<br />
der historische und der geografische Faktor.<br />
Für die Motive ist es mitunter ein Unterschied,<br />
in welcher Zeitepoche und in welchem geografischen<br />
Umfeld agiert wird, auch wenn letzteres<br />
in jüngster Zeit immer mehr relativiert wird.<br />
Dies gilt sowohl für das Christentum<br />
als auch für den Islam.<br />
Angst macht aber nicht nur der islamistische<br />
Terror. Berichte über<br />
bislang eher unauffällig lebende,<br />
labile Menschen, die sich zurückziehen,<br />
manchmal gar langfristig auf<br />
„ihren großen Tag“ hinarbeiten, um<br />
es schließlich allen zu zeigen: Ich<br />
nehme euch das, was euch lieb und<br />
teuer ist. Eure Kinder, eure Zukunft,<br />
eure Lebensgewohnheiten, eure<br />
Unbeschwertheit und Sicherheit, ja<br />
auch eure Ignoranz.<br />
Lernen mit der Unsicherheit<br />
zu leben?<br />
Müssen wir wirklich lernen, mit<br />
ständiger Unsicherheit zu leben?<br />
Oder haben wir diesen Lernschritt<br />
bereits hinter uns gelassen, weil<br />
uns die nun schon fast täglich vor<br />
Augen geführen Gewalttaten, die<br />
Berichte über kollektive Bedrohungen<br />
und Terrorakte, Umwelt- und<br />
Klimabedrohungen, Vulkanausbrüche,<br />
Amokläufe, Pandemien usf.<br />
zunehmend abstumpfen? Haben<br />
wir aus der Geschichte gelernt, aus<br />
den Erfahrungen mit Völkerwanderungen,<br />
Pest, Kolonialisierungen,<br />
Eroberungen, Religionskriegen, den<br />
beiden Weltkriegen, Revolutionen,<br />
Wirtschaftskrisen usf.? Oder fi nden<br />
wir uns wieder einmal im Soge historischer<br />
Wellenbewegungen, des<br />
arabischen Ländern vorwiegend als Kollektiv.<br />
Kränkungen, Benachteiligungen oder mangelnde<br />
Achtung vor der islamischen Welt werden<br />
als persönliche Kränkungen wahrgenommen,<br />
unabhängig davon, ob diese tatsächlich erfolgt<br />
sind oder nur als solche empfunden werden.<br />
Am Beispiel der Migranten lässt sich dies vielleicht<br />
am ehesten verdeutlichen. Während die<br />
erste Generation noch damit zufrieden war, einen<br />
Arbeitsplatz und eine Wohnung zu haben<br />
und Vergleiche mit ihrem ursprünglichen Heimatland<br />
anstellte, sieht sich die zweite Generation<br />
mit einer Situation konfrontiert, die nicht<br />
den von der Mehrheitsgesellschaft vermittelten<br />
Werten und Normen entspricht. Aufgrund ihrer<br />
Herkunft fühlt sich diese zweite Generation<br />
im Vergleich mit der Mehrheitsbevölkerung<br />
hinsichtlich Arbeitsplatz, Schulbildung und<br />
Einkommen benachteiligt und ausgegrenzt.<br />
Verstärkt wird diese Ansicht zudem durch die<br />
bipolare Medienberichterstattung - einerseits<br />
die oftmals negativ gefärbte Darstellung des<br />
Islam in den westlichen Medien, andererseits<br />
durch die verstärkte Zuwendung zu Medien aus<br />
eben diesen Ländern. Die Folge ist eine Verinden<br />
Familienmitglieder ein mitentscheidendes<br />
Motiv darstellt. Es ist vor allem die westlich-liberale<br />
Industrie- und Informationsgesellschaft,<br />
welche in den Alltag einfl ießt und in der eher<br />
traditionell geprägten Welt des Islam zu einer<br />
Art Abwehrrefl ex führt. Der im Überfl uss lebende<br />
„Westen“ mit seinen Verbündeten wird als<br />
Hegemonialmacht wahrgenommen, welche<br />
versucht, den Muslimen ihre Art und Weise der<br />
Wirtschaft und der Politik aufzudrängen.<br />
Persönliche Motive<br />
Persönliche Motive können insbesondere<br />
durch Erlebnisse und Erfahrungen geprägt<br />
sein, wie z.B. die Benachteiligung, Herabsetzung<br />
oder Erniedrigung von einem selbst, Familienmitgliedern<br />
oder dem nahen persönlichen<br />
Umfeld. Aber auch der Verlust von Familienoder<br />
Clanmitgliedern kann eine Triebfeder für<br />
die Entscheidung zum Terroristen sein.<br />
Soziale Motive<br />
Zum Unterschied von den westlichen Gesellschaften,<br />
wo der Individualismus vorherrschend<br />
ist, versteht sich die Gesellschaft in den<br />
Legistischer Rahmen<br />
Was hält unsere Gese<br />
Soziale<br />
Beziehungen<br />
Auf- und Niedergangs von Kulturen,<br />
Gesellschaftsformen, Stabilität und<br />
Instabilität, Ordnung und Chaos?<br />
Welche Lehren haben wir gezogen<br />
aus den Werken eines Oswald<br />
Spengler, George Orwell, Aldous<br />
Huxley, Thomas Mann, Stefan<br />
Zweig, Heinrich Böll und unzähliger<br />
anderer? 5<br />
Was hält unsere Gesellschaft<br />
eigentlich zusammen?<br />
Schon Robert K. Merton betonte:<br />
„Nur wenn das kulturelle Wertsystem<br />
bestimmte gemeinsame Er-<br />
Ökonomische Motive<br />
Gerade bei Selbstmordattentätern der Hamas<br />
oder dem islamistischen Jihad winken den Familien<br />
der Attentäter fi nanzielle Vergünstigungen,<br />
was bei der oft weit verbreiteten Armut<br />
- beispielsweise in den Palästinensergebieten -<br />
und der meist großen Anzahl der zu versorgen-<br />
Emotion<br />
Verbunde<br />
Intakt<br />
solidaris<br />
Gemeinw<br />
Staa<br />
14 <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> <strong>August</strong> <strong>2016</strong>