soziologie heute August 2016
Das erste und einzige illustrierte soziologische Fachmagazin im deutschen Sprachraum. Wollen Sie mehr über Soziologie erfahren? www.soziologie-heute.at
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„Eine Festung der Engstirnigkeit…<br />
Benutzbarkeit wird zum Kriterium…<br />
Was nicht ins Bild passt, wird ausgesperrt.<br />
Die großen Vernachlässiger.<br />
Die Kurvenanpassung mit<br />
Korrekturgliedern. Das Denken mit<br />
unverrückbaren Ausgangspunkten,<br />
und von da an wird immer ein wenig<br />
geschwindelt. Die Naturverwüstung<br />
kommt in zweiter Linie, zuerst die<br />
Menschenverwüstung, Verkarstung<br />
des Bewusstseins. Erfolg als Kriterium<br />
für Richtigkeit.“ 1<br />
I. In meinem (subjekt)wissenschaftlichen<br />
Verständnis von Wissenschaft<br />
im allgemeinen und Sozialwissenschaft<br />
im besonderen geht es – so<br />
Werner Hofmann (1968) zum Allgemeinen<br />
– zunächst formal um<br />
„methodische (d.h. systematische<br />
und kritische) Weise der Erkenntnissuche“<br />
und inhaltlich „ihrem allgemeinen<br />
Inhalt nach gerichtet: 1.<br />
auf das Erscheinungsbild der Wirklichkeit<br />
(als sammelnde, beschreibende,<br />
klassifi zierende Tätigkeit,<br />
als Morphologie, Typologe usw.); 2.<br />
als theoretische Arbeit auf Zusammenhang,<br />
Bedeutung, Sinngehalt<br />
der Erscheinungen, auf wesentliche<br />
Grundsachverhalte, auf Gesetze der<br />
Wirklichkeit. Die Erschließung des<br />
Erfahrungsbildes der Welt arbeitet<br />
der theoretischen Deutung vor; sie<br />
begründet deren empirische Natur<br />
und die Überprüfbarkeit ihrer Ergebnisse.<br />
Die Theorie aber stiftet<br />
erst die Ordnung des Erfahrungsbildes;<br />
sie erst gibt der empirischen<br />
Analyse ihren Sinn und nimmt die<br />
Erscheinungssicht vor der bloßen<br />
Form der Dinge in Hut. In diesem<br />
dialektischen Widerspiel von Erfassung<br />
und Deutung der Wirklichkeit<br />
ist konstitutiv für Wissenschaft die<br />
Theorie. Nicht immer verlangt das<br />
Verständnis von Wirklichkeit nach<br />
Theorie; doch erst mit der Theorie<br />
hebt Wissenschaft an.“ 2<br />
Genauer und zum Besonderen eines<br />
sozialwissenschaftlichen Kernbereichs<br />
und seines Handlungssinnverstehens<br />
mit Theodor Geiger<br />
(1949): „Die Soziologie kann sich<br />
nicht mit dem bloßen Registrieren<br />
menschlicher Handlungsweisen begnügen,<br />
sondern muss auch versuchen,<br />
die ihnen zugrundeliegenden<br />
subjektiven Prozesse aufzudecken<br />
und zu beschreiben.“ 3<br />
Damit ist ein wesentlicher Aspekt eines<br />
Anspruchsrahmens offengelegt.<br />
Geiger und Hofmann folgend, geht<br />
es hier um SoWiSiff, um öffentlich<br />
als Sozialwissenschaftler geltende<br />
und mit entsprechenden Stellen,<br />
Mitteln und Titeln versorgte Akademiker,<br />
die als pars-pro-toto, Teil des<br />
Ganzen, und seit Mitte des ersten<br />
Jahrzehnts im 21. Jahrhundert zunehmend<br />
fürs Ganze stehen und<br />
speziell um die, wissenschaftlich bewertet,<br />
ephemeren Texte eines USamerikanischen<br />
Modesoziologen:<br />
Professor Richard Floridas Creative<br />
Class 4 .<br />
II. Wenn sich „die Nachgeborenen“<br />
mit dem ersten Jahrzehnt des 21.<br />
Jahrhunderts und seinen PromiSo-<br />
Wis beschäftigen, werden sie auf<br />
Florida als nicht nur in Ganzdeutschland,<br />
sondern weltweit bekannten<br />
Namen stoßen. Ob diese Nachgeborenen<br />
ihn für bedeutsam genug<br />
halten werden, um sich mit seinen<br />
publizistischen Einlassungen ideologiekritisch<br />
auseinanderzusetzen,<br />
mag bezweifelt werden …<br />
Floridas These (von) der Kreativen<br />
Klasse (creative class) soll als „Wirtschaftstheorie“,<br />
so zusammenfassend<br />
das verbreitetste deutschsprachige<br />
Netzlexikon, erkannt haben,<br />
„dass die kreativen Köpfe einer Gesellschaft<br />
und die von ihnen ausgehenden<br />
Innovationen entscheidend<br />
für das ökonomische Wachstum<br />
von Regionen sind. Zugehörige der<br />
Kreativen Klasse sind in allen Bereichen<br />
der Arbeitswelt zu fi nden, entscheidend<br />
ist ihr „kreativer Output“<br />
und die daraus entstehenden Innovationen.“<br />
5<br />
Und weiter: „Florida geht davon aus,<br />
dass kreativer Output der wichtigste<br />
Faktor für Wirtschaftswachstum ist.<br />
[...] Fest steht, dass jeder Mensch<br />
ein kreatives Potential hat, jedoch<br />
muss er auch innerhalb eines Systems<br />
leben, das diese Kreativität<br />
fördert und zur Entfaltung bringt.<br />
(Florida. 2002. S. 56-57). Lange<br />
Zeit gingen die Innovationen von<br />
wenigen Einzelnen aus, die große<br />
Masse der Menschen arbeitete,<br />
ohne über ihre Arbeit nachzudenken.<br />
Dies traf besonders auf die<br />
Zeit der fordistischen Wirtschaftsordnung<br />
zu. Entstanden im frühen<br />
zwanzigsten Jahrhundert, teilte sie<br />
Wertschöpfungsprozesse in einzelne<br />
vordefi nierte Schritte ein. Das<br />
Fließband wurde zum Herzschlag<br />
der Produktion (Florida. 2002. S.<br />
62-66). Jedoch wurde dieses System<br />
ungefähr seit den achtziger<br />
Jahren großen Veränderungen unterworfen,<br />
ausgehend unter anderem<br />
von japanischen Unternehmen<br />
wie Toyota, welche erkannten, dass<br />
die Arbeiter einer Fabrik weit wichtiger<br />
für den Wertschöpfungsprozess<br />
waren als die benutzten Maschinen.<br />
Durch die härter gewordene globale<br />
Konkurrenz, gestiegenen Zeitdruck,<br />
durch kürzere Produktzyklen sowie<br />
die einhergehende Erkenntnis,<br />
dass diese Wirtschaftsordnung mit<br />
ihren vertikalen Organisationen<br />
und Hierarchien zu starr war, um<br />
diese Herausforderungen wirksam<br />
und erfolgreich zu bewältigen, entwickelten<br />
sich neue Formen der<br />
Wirtschaftsordnung. Flexibilisierung<br />
von Unternehmen, u.a. durch das<br />
Abfl achen von Hierarchien, größere<br />
Verantwortungsbereiche für Angestellte,<br />
Partizipation aller Beteiligten<br />
des Produktionskreises am Innovations-<br />
und Problemlösungsprozess.<br />
Dies führte zu tiefgreifenden Veränderungen<br />
in der Arbeitswelt. Arbeitende,<br />
die früher kein Teil des Innovationsprozesses<br />
waren, wurden<br />
nun mit eingebunden, ihr kreatives<br />
Potenzial genutzt. Durch diese Entwicklung<br />
wuchs die Zahl der „Kreativen“<br />
in der Wirtschaft beständig. In<br />
den USA beispielsweise betrug der<br />
Anteil der kreativen Klasse an den<br />
Beschäftigten etwa 10 % im Jahr<br />
1900, und vergrößerte sich nach<br />
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