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soziologie heute August 2016

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Von der Herkunft österreichisches<br />

Bürgertum, mit Verwandten, die<br />

Rechtsanwalt und Juwelier, Schuldirektorin<br />

und hoher Eisenbahn-Beamter<br />

waren, mit dem Haus der Mutter<br />

in der Salzburger Getreidegasse und<br />

einer väterlichen Tischlerei hätte ich<br />

– wäre die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg<br />

stillegestanden – wohl eine<br />

Laufbahn als Geschäftsmann eingeschlagen.<br />

Als MÖBELHÄNDLER etwa,<br />

denn die Tischlerei hätte mein älterer<br />

Bruder Fritz übernommen, der, 1911<br />

geboren, schon beim Vater in die Lehre<br />

ging, als ich 1926 zur Welt kam.<br />

Doch da war schon die „gute alte<br />

Zeit“ zerbrochen.<br />

Mein Vater kam aus dem Ersten Weltkrieg<br />

als Alkoholiker zurück und die<br />

Wirtschaftskrise vernichtete seinen<br />

Tischlereibetrieb. Er verdingte sich<br />

in einer Firma. Die Ehe meiner Eltern<br />

zerbrach. Fritz wurde arbeitslos<br />

und „ging auf die Walz als ziehender<br />

Handwerksbursch“ in Deutschland.<br />

Meine drei Schwestern hatten auf<br />

dem großbürgerlichen Heiratsmarkt<br />

keine Chancen mehr und „gingen in<br />

Dienst“, wurden im Gastgewerbe berufstätig.<br />

Kurz, ich wuchs in einem<br />

dramatisch verarmten Milieu heran.<br />

Jedoch das katholische bürgerliche<br />

Regime des Österreich zwischen Hitler<br />

und Mussolini fi ng mich vor dem<br />

sozialen Absturz auf: 1936 wurde ich<br />

als begabtes Kind in die Bundeserziehungsanstalt<br />

(BEA Breitensee) in<br />

Wien aufgenommen. Ich lernte stolz<br />

Latein und sang tief berührt Kirchenlieder<br />

in der Marianischen Kongregation.<br />

Wäre die Zeit stillgestanden,<br />

lag für einen religiös berührten und<br />

familiär wie berufl ich desorientierten<br />

jungen Menschen eine klerikale Laufbahn<br />

nahe. Ich wäre gern PRIESTER<br />

geworden, am liebsten gleich Missionar.<br />

Doch da war schon der katholische<br />

Ständestaat Österreich „heimgeholt<br />

ins Reich.“<br />

Mein Bruder Fritz, der vor der Arbeitslosigkeit<br />

schon vorher in der<br />

paramilitärischen „Österreichischen<br />

Legion“ des deutschen NS-Regimes<br />

Asyl gefunden hatte, konnte uns wieder<br />

offen besuchen, dann schon in<br />

einer schwarzen SS-Uniform – aber<br />

nicht sehr glücklich. Auch ihm war,<br />

wie uns allen, klar: „die Zeit ist nicht<br />

mehr gut“, die Zeichen an der Wand<br />

verkünden Gewalt und Krieg, Grausamkeit.<br />

Die katholische BEA wurde eine<br />

Nazi-NAPOLA (Nationalpolitische<br />

Erziehungs-Anstalt) zur Dressur von<br />

Rassenkämpfern – ich fl og als untauglich<br />

hinaus. Meine Mutter war<br />

schon zu meiner Schwester Hilde<br />

nach Maria Enzersdorf gezogen –<br />

auch meinetwegen. Zuerst noch in<br />

einigen Schul-Internaten, schließlich<br />

bei ihr schlug ich mich bis zur<br />

„Kriegsmatura“ durch. Es war Krieg,<br />

von meinem dreizehnten bis zu meinem<br />

neunzehnten Lebensjahr. Der<br />

Unterricht war elend, viele Lehrer<br />

waren eingerückt zum „Wehrdienst“,<br />

andere verrückt vor Fanatismus und<br />

Angst. Mit sechzehn holte man uns<br />

Schüler zur Heimat-FLAK, an die Kanonen<br />

gegen die Luftangriffe. Mit<br />

siebzehn wurden wir eingezogen zu<br />

Arbeits- und Wehrdienst.<br />

Ich entkam dem allen durch vorgetäuschte<br />

Krankheit, zunehmend besser<br />

geübt in Schläue, medizinischer<br />

Simulation und Yogi-Tricks. Ich lernte<br />

für mich viel Englisch und Russisch,<br />

auch in Kontakten mit Kriegsgefangenen<br />

und Flüchtlingen. Meine Idee<br />

war, nach dem Krieg zum Studium<br />

auszuwandern, nach Amerika oder<br />

auch nach Russland, dessen Kultur<br />

und Literatur mich ebenso beeindruckten<br />

wie die englischen Klassiker.<br />

Ich wollte eigentlich nicht in<br />

einem Volk bleiben, das zu solcher<br />

Unmenschlichkeit fähig ist – denn<br />

man wusste, wenn auch nicht im vollen<br />

Umfang, von dem brutalen Morden<br />

im rassistischen Wahn.<br />

Wir fühlten uns auch in der Familie<br />

betroffen. Mein Bruder Fritz, der sich<br />

in einer bedrückenden Aussprache<br />

bei uns als tief enttäuscht von der<br />

feigen Tötung Wehrloser eröffnete,<br />

fi el bald darauf im Russlandfeldzug<br />

an vorderster Front. Meine Idee wurde<br />

immer fi xer, aus dieser verrückt<br />

gewordenen Gesellschaft zu emigrieren<br />

– und vielleicht in den Siegerstaaten<br />

DEUTSCH-DOLMETSCH zu<br />

werden. Auf den Toiletten der Kasernen<br />

las ich „verbotene“ Bücher.<br />

Noch 1944 wurde ich durch eine<br />

vorgetäuschte Epilepsie als „wehruntauglich“<br />

aus der Wehrmacht<br />

entlassen. In dem Klima des tiefen<br />

Misstrauens auch unter Nachbarn<br />

machte ich mich – schon im Chaos<br />

des Zusammenbruchs des „ewigen<br />

Reichs“ – auf, gegen Westen. In<br />

Oberbayern begrüßte ich im Frühjahr<br />

1945 die amerikanischen Panzertruppen<br />

und erbettelte mir einige<br />

Taschenbücher. Diese las ich dann,<br />

neben dem händischen Butter-Rühren<br />

bei dem Bauern, bei dem ich Zufl<br />

ucht gefunden hatte und Heimat für<br />

mehr als ein Jahr.<br />

Ich lernte dort Kühe melken, mit der<br />

Sense mähen und Heu machen, Holz<br />

fällen und Brot backen – und eine<br />

vorindustrielle Landkultur, misstrauisch<br />

gegen mein Bücherlesen und<br />

gegen alle Dogmatik, rechts, links<br />

oder religiös. Das nahm mich gefangen:<br />

„back to the roots.“ Es stand für<br />

mich fest, dass ich LANDWIRT werden<br />

wollte. Der einfachste Weg, eine<br />

junge Hoferbin zu umgarnen, hätte<br />

sich fast angeboten – aber die kulturelle<br />

Barriere war zu groß. So kehrte<br />

ich nach Wien zurück und studierte,<br />

zusammen mit einem Jung-Bauern<br />

aus Laxenburg an der Hochschule<br />

für Bodenkultur. Auf seinem Hof lebend,<br />

molk ich am Morgen die Kühe,<br />

bevor ich mit dem Rad zu den Vorlesungen<br />

und Prüfungen fuhr.<br />

Als ich das Diplom als Agrar-Ingenieur<br />

bekam, war ich schon Guts-Adjunkt<br />

auf dem „Gutenhof“, auch in Rad-<br />

Distanz südlich von Wien, und auch<br />

schon verheiratet – und gemeinsam<br />

mit meinem Schwiegervater im Gemeinderat<br />

und Funktionär der SPÖ<br />

– ich als Vertreter der Landarbeiter<br />

auf dem Gutshof. Es schien erreicht.<br />

Vor der Reihe der burgenländischen<br />

<strong>August</strong> <strong>2016</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 33

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