E_1929_Zeitung_Nr.051
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Eine Interessante Aussprache.<br />
Besprechung der bernischen PolizeJdirektion<br />
mit dem Vorstand des Kantonalverbandes<br />
des A.C.S. Bern.<br />
Die versteckten Kontrollen und einige andere<br />
Angelegenheiten.<br />
Letzten Donnerstag fand eine Besprechung des<br />
Vorstandes de3 A. C. S. mit den bernischen Polizeibehörden<br />
statt. Hauptpunkt der Besprechung waren<br />
die versteckten Kontrollen. Unter dem Präsidium<br />
von Regierungsrat Stauffer und in Anwesenheit der<br />
Herren Raaflaub, Sekretär des Polizeidepartements,<br />
Wiesmann, kantonaler Automobilexperte, Polizeikommandant<br />
Krebs und Hauptmann Borer, Chef der<br />
Kantonspolizei, begannen die Verhandlungen mit<br />
den Vertretern der Automobilisten: Herrn Dr.<br />
Mende, Präsident des A. G. S. Bern und des Kantonalverbandea,<br />
Oberst Marbach, Christen und Herren;<br />
von der Sektion Seeland Herr Spychiger, von<br />
Les Rangiers die Herren Peter, Bussy, u. Dr. Carnat,<br />
von der Sektion Emmental Fürsprecher Schnell.<br />
Die Unterhandlungen dauerten mehr als 3ü Stunden.<br />
Der Standpunkt der Automobilisten ist unsern<br />
Lesern genügend bekannt und der Standpunkt der<br />
Behörden aus den Interviews mit den Herren Stauffer<br />
und Borer, welche wir vor acht Monaten in der<br />
A.-R. veröffentlichten.<br />
Der Standpunkt der Strassenbenützer<br />
wurde von Herrn Dr. Mende und Oberst Marbach<br />
vertreten, deren Ausführungen durch die übrigen<br />
Delegierten ergänzt wurden. Die versteckten Kontrollen,<br />
welche nach dem Boykott von 1924 aufgegeben<br />
worden waren, sind seit 2 Jahren zuerst durch<br />
die Gemeinden, dann durch den Kanton wieder eingeführt<br />
worden. Sie sind ein unwürdiges Mittel. Die<br />
Behörden erklären sie für unerlässlich. Aber warum<br />
geht es denn in Luzern, in Genf und in andern<br />
Kantonen ohne diese Kontrollen? Der Zweck einer<br />
nützlichen Kontrolle ist die Erziehung der Strassenbenützer.<br />
Dies ist besser als Bussen. Es scheint,<br />
dass das Bussensystem hauptsächlich aua finanziellen<br />
Gründen vom Staate beibehalten wird.<br />
Dazu kommt, dass die Kontrollen nicht etwa an<br />
gefährlichen Orten, sondern meistens an geradlinigen<br />
Strecken ausgeübt werden, mit Vorliebe beim<br />
Ausgang aus Ortschaften, wo der Automobilist in<br />
Versuchung kommt, etwas schneller zu fahren. Zudem<br />
ist die Vorschrift von 30 km Maximalgeschwindigkeit<br />
rückständig, verglichen mit den technischen<br />
Portschritten im Automobilbau, insbesondere der<br />
Vierradbremse, welche ein sicheres und rasches<br />
Anhalten erlaubt.<br />
Die Polizisten, welche man zu diesen Kontrollen<br />
verwendet, sind oft unerfahren und wenig zuverlässig.<br />
Das Kontrollsystem weist auch beträchtliche<br />
Mängel auf und Fehlergrenzen bis zu 30 Prozent<br />
sind nichts Aussergewöhnliches, wie der Fall von<br />
Frauenkappelen bewiesen hat. Der Angeschuldigte<br />
erhält erst viel später Kenntnis von seiner Uebertretung<br />
und kann daher keinen Gegenbeweis antreten.<br />
Zudem sind Irrtümer in der Kontrollnummer<br />
nicht ausgeschlossen.<br />
Angesichts der geringen Erfolge, welche die Geschwindigkeitskontrollen<br />
und bei dem kleinen Einfluss,<br />
den die Geschwindigkeit auf die Verursachung<br />
von Unfällen hat (die Statistik weist nach, dass<br />
nur in 10 bis 15 Prozent aller Fälle die Geschwindigkeit<br />
der ausschlaggebende Faktor ist), kann man<br />
AUTOMOBIL-REVUE<br />
sich fragen, ob diese Vorschriften nicht überhaupt<br />
unzeitgemäss sind. Die Kontrolle wäre viel nützlicher,<br />
wenn sie sich auf andere Verstösse gegen<br />
die Fahrvorschriften beziehen würde, wie unrichtiges<br />
Ueberholen, Schneiden einer Kurve, auf der<br />
falschen Seite fahren etc. Der Referent kommt zum<br />
Schluss, dass die versteckte Kontrolle keine andere<br />
Wirkung hat, als den Kanton Bern dem Boykott<br />
auszusetzen zum Schaden unserer Hotellerie und<br />
unseres Gewerbes. Eine Kontrolle im Sinne der<br />
Unterweisung und Erziehung zum vernünftigen<br />
Fahren könnte gute Dienste leisten. Sie müsste sich<br />
aber auf alle Strassenbenützer ausdehnen, auch auf<br />
Pferdefuhrwerke, Radfahrer und Fussgänger..<br />
Antwort der Behörden.<br />
Der Vertreter der Polizei protestierte gegen die<br />
Ansicht, welche den geheimen Kontrollen einen fiskalischen<br />
Zweck zuschreibt. Die Polizisten erhalten<br />
keine Prämie für ihre Anzeigen, und die Rolle der<br />
Polizei beschränkt sich darauf, die Uebertretungen<br />
den Gerichten anzuzeigen. Die Gerichte sprechen<br />
die Busse aus, und zwar nach, den Gesetzen und<br />
nicht nach den Finanzbedürfnissen des Staates. Es<br />
ist eine Folge der Gewaltentrennung, dass der Vollzug<br />
der Bussen verspätet stattfindet. Man darf<br />
nicht vergessen, dass die Wiederaufnahme der versteckten<br />
Kontrolle bedingt wurde durch die wachsende<br />
Zahl der Unfälle, welche von 1200 im Jahre<br />
1927 auf 200O im Jahre 1928 gestiegen sind. Seit<br />
einem Jahr konnte diese steigende Unfallkurve angehalten<br />
werden. Der Hinweis auf andere Länder<br />
ist nicht massgebend für uns, denn unsere engen<br />
und stark gewundenen Strassen verlangen eine<br />
schärfere Kontrolle. 90% • unserer Automobilisten<br />
"wissen nicht, dass man die Fährt der Strasse anpassen<br />
muss. (? Red.) Die Geschwindigkeitsüberschreitungen<br />
sind in unserem, Kanton die Ursache<br />
von 30% aller Unfälle, gegen 8% im Kanton Genf<br />
z. B. Polizeikommandant Krebs wie Hauptmann<br />
Borer hatten geglaubt, die versteckten Kontrollen<br />
aufgeben zu können. Aber angesichts der Erfolglosigkeit<br />
der öffentlichen Kontrolle musste man das<br />
alte System wieder aufnehmen., Zudem verlangen<br />
es die Gemeinden. Wenn wir die Kontrollen nicht<br />
von Kantons wegen durchführen, werden es die<br />
Gemeinden tun, und zwar mit weniger Genauigkeit<br />
und Gleichheit als die kantonale Kontrolle. Im<br />
Falle von Fiauenkappelen handelt es sich um eine<br />
Verhältnismässig geringe Marge zugunsten des Automobilisten,<br />
wobei die 13 Meter Toleranzstrecke über<br />
die kontrollierten 200 Meter hinaus vom Richter<br />
nicht berücksichtigt wurde. Dieser geringe Irrtum<br />
würde übrigens den 400 Fahrern nichts nützen, die<br />
wir im letzten Jahr wegen Geschwindigkeiten von<br />
50 bis 90 km innerhalb den Ortschaften angezeigt<br />
haben.<br />
Die offenen Kontrolle^ wurden beibehalten^ Wir<br />
können aber nicht in sämtliche Ortschaften Polizisten<br />
stellen; dazu müsste man das Polizeikorps<br />
verdoppeln. Die offenen Kontrollen dienten zudem<br />
in vielen Fällen nur dem Spott der Automobilisten.<br />
Man hat Luzern zitiert, wo keine versteckten Kontrollen<br />
gemacht werden. Vielleicht geht es aber<br />
im Kanton Luzern so wie im Kanton Waadt, wo<br />
sich angesichts der sich häufenden, Unfälle eine<br />
Beunruhigung der Bevölkerung zeigt und wo im<br />
Grossen Rat dringende Massnahmen gegen die Autoraserei<br />
verlangt wurden.<br />
Was die Geschwindigkeitsvorschriften anbelangt,<br />
60 sind sie nicht .übertrieben. Auch mit den modernen<br />
Bremsen ist es unmöglich, bei Geschwindigkeiten,<br />
die höher als die zugelassenem sind, innert<br />
nützlicher Frist anzuhalten,: Und wenn man, uns<br />
Rückständigkeit vorwirft, so ist auf das Reglement<br />
von New York aus dem Jahre 1927 zu verweisen,<br />
welches Geschwindigkeiten von 15, 12 und 8 Stundenkilometer,<br />
je nach der Oertlichkeit, vorschreibt.<br />
Unsere fliegende Kontrolle legt im Jahre über<br />
80000 km zurück — ein Beweis dafür, dass wir<br />
überall kontrollieren. Diese Kontrolle umfasst auch<br />
die andern Strassenbenützer: Pferdefuhrwerke,<br />
Radfahrer und Fussgänger.<br />
Was die Fahrerprüfungen anbelangt, eo sind sie<br />
verschärft worden. Wir können! aber nicht über<br />
gewisse Grenzen hinausgehen, insbesondere können<br />
wir kein ärztliches Zeugnis verlangen. Ein Alkoholiker<br />
wird eben, wenn er nüchtern ist, sein Fahrexamen<br />
bestehen, können. Auch der Entzug der<br />
Fahrbewilligung hat seine Grenzen. Jedesmal, wenn<br />
eine solche Bewilligung entzogen 1 wird, erfolgen<br />
Eingaben von Behörden, welche darauf aufmerksam<br />
machen, dass der Bestrafte das Auto zu Erwerbszwecken<br />
1 brauche.,<br />
Schlußfolgerungen von Regierungsrat<br />
Stauffer.<br />
Nach diesen Ausführungen der Vertreter der<br />
Polizei versichert Regierungsrat Stauffer, dasa die<br />
bernische Regierung in keiner Weise gegen die<br />
Automobilisten eingenommen sei- Wir wissen, dass<br />
das Automobil zu einem unentbehrlichen Verkehrsmittel<br />
geworden ist, ober es ist schwierig, allen<br />
Strassenbenützern die Erfordernisse des Verkehrs<br />
verständlich zu machen. Wir haben hier gegen<br />
viel Unverstand zu kämpfen. Gerade von den organisierten<br />
Automobilisten erwarten wir vieL Sie<br />
sollen uns in unserer Aufgabe unterstützen. Andererseits<br />
sind wir gewillt, unsere Kontrollen auf<br />
das Notwendigste zu beschränken, und wir wünschen<br />
nichts mehr, als dasa wir sie ganz aufheben<br />
können* Das Verkehrsamt, welches geschaffen werden<br />
soll, wird uns in unsern Aufgaben helfen. Es<br />
soll in beständiger Fühlung bleiben mit den Strassenbenützexn»<br />
Die Atmosphäre der Entspannung,<br />
welohe durch diesen Meinungsaustausch ausgelöst<br />
wird, wird von allen Vertretern der Strassenbenützer<br />
voll anerkannt. Trotzdem müssen die Vertreter<br />
der Automobilisten darauf aufmerksam machen,<br />
dass sobald wie möglich eine Lösung der Frage<br />
der versteckten Kontrollen gefunden werden sollte,<br />
denn der Boykott des Kantons Bern ist bereits in<br />
vielen Fällen zur Tatsache geworden. Dr. Mende<br />
wendet eich gegen die Aeusserungen der Behörden,<br />
dass ein uniformierter Polizist lächerlich gemacht<br />
werde. Kein vernünftiger Automobilist wird dies<br />
tun. Und wenn es einem Flegel einfallen sollte,<br />
sich über den kontrollierenden Polizisten lustig zu<br />
machen, so gibt es Mittel, ihn dafür zu bestrafen.<br />
Auf jeden Fall ist dies kein Grund gegen eine offene<br />
Kontrolle.<br />
Zum Schlüsse kommt man noch auf das zukünftige<br />
Verkehrsreglement für die Stadt Bern zu<br />
sprechen.<br />
Herr Stauffer verspricht, den' Wünschen der<br />
Automobilisten betreffend Bezug der Taxen auf dem<br />
Automohilbureaui soweit als möglich entgegenzukommen.<br />
Der ÜG'ä wird 1 arar Mitarbeit immer bereif<br />
teein- und verdankt den Polizeibehörden, dass sie<br />
<strong>1929</strong> — N° öl<br />
ihm Gelegenheit gegeben haben, zu wichtigen, all#<br />
Strassenbenützer angehenden Fragen Stellung zu<br />
Die Gerichtsstandsfrage bei<br />
Automobildelikten.<br />
Aus dem Bandesgericht.<br />
Automobilunfälle enden nicht selten mit einem<br />
Strafverfahren wegen schwerer Körperverletzung<br />
oder fahrlässiger Tötung und<br />
diese Vergehen sind im interkantonalen Aus-i<br />
lieferungsgesetz nnter den Auslieferungs-i<br />
delikten genannt. Ereignet sich der Unfall!<br />
ausserhalb des Wohnsitzkantons des Auto-i<br />
f ahrers, so muss daher der Kanton des Unf ailortes<br />
vor Einleitung des Strafverfahrens an<br />
den Wohnsitzkanton ein Auslieferungsbegehren!<br />
stellen und dieser kann die Auslieferung<br />
verweigern, wenn er sich verpflichtet, den,<br />
Angeklagten nach seinen Gesetzen beurteilen<br />
und bestrafen zu lassen- (Art. 1 Ausl.-Q.). Allerdings<br />
kann der Angeklagte auf das Auslieferungsverfahren<br />
Verzicht leisten, indem er,<br />
ausdrücklich -oder stillschweigend die Gerichtsbarkeit<br />
des Kantons-des Unfallortes anerkennt.<br />
Gemäss einem vor einigen Monaten<br />
ergangenen staatsrechtlichen Entscheide des<br />
Bundesgerichts ist jedoch eine solche Erklärung<br />
nur gültig, wenn der Betreffende Kenntnis<br />
hatte, dass ein Strafverfahren gegen ihn<br />
eingeleitet sei und welches Vergehens er<br />
angeklagt sei. (Nach einem Autounfall hatte<br />
der Friedensrichter eines waadtländischen<br />
Dorfes einer in der deutschen Schweiz wohnhaften<br />
und des Französischen nicht völlig<br />
mächtigen Autofahrerin einen solchen Verzicht<br />
unterbreitet. Das Bundesgericht erklärte<br />
ihn als unwirksam, da die Dame die •<br />
Tragweite der Erklärung nicht habe überblicken<br />
können und der Kanton Waadt durfte<br />
das Strafverfahren nicht ohne Stellung eines<br />
Auslieferungsbegehrens an den Wohnsitzkanton<br />
einleiten.)<br />
Als Gegenbeispiel mag der soeben vom<br />
Bundesgericht beurteilte Fall dienen, wo sich<br />
der Autofahrer allzuweit mit den Behörden<br />
des Unfallortes eingelassen hatte, um noch<br />
deren Gerichtsbarkeit bestreiten zu können.<br />
Nach einem Autounfall im Kanton Zürich, bei<br />
dem ein Fussgänger getötet wurde, gab der<br />
in St. Gallen wohnhafte Autofahrer bei der<br />
Einvernahme die Erklärung zu Protokoll*<br />
dass er jeder an seine Wohnadresse ge-»<br />
sandten Vorladung! der Zürcher Bezirksanwaltschaft<br />
Folge leisten werde. Er leistete<br />
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