E_1933_Zeitung_Nr.100
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Bern, Dienstag, 5. Dezember <strong>1933</strong> III. Blatt der „Automobil-Revue" No. 100<br />
Weihnachten<br />
in unserer Zeit<br />
Festliche weisse Landschaft berettet dieses<br />
Jahr auf Weihnachten vor. Mit dem früh<br />
gefallenen Schnee hat sich auch jene alte,<br />
durch Tradition und Reichtum des Gefühls<br />
geheiligte Zeit der Vorweihnachts-Stimmung<br />
Wieder eingefunden. In dem frühen Dämmern<br />
des Abends beginnen Ahnungen vom Feste<br />
lebendig, zu werden, das dieser ganzen Jahreszeit<br />
unsterblichen Zauber verliehen hat.<br />
Die Kinder wissen es und die Erwachsenen<br />
glauben es zu wissen: an Weihnachten<br />
kommt das Märchen zu den Menschen. Jene<br />
zauberische Verwandlung, da ein überirdisch<br />
Uchter .Strahl aus den Himmeln in die Tiefe<br />
bricht und alle armen Wunden überdeckt —<br />
wie haben wir sie alle bitter nötig! Die Neunmalklugen<br />
und die Seelenkranken, die Berauschten<br />
ihrer eigenen Phrasen und die gierig<br />
Raffenden — diese ganze, in ihrem Innern<br />
aufgewühlte Menschheit unserer unbegreiflichen<br />
Zeit!<br />
Viele werden über das Märchen sich zum<br />
lachen zwingen — andere aber spüren, dass<br />
der Boden der Wirklichkeit in einem Masse<br />
zu wanken begonnen hat, das keine Hoffnung<br />
auf spätere neue Beruhigung mehr duldet.<br />
Das Wort vom «geistigen Umbruch unserer<br />
Zeit*, das ist in einer erschütternden<br />
Grosse wehr; wir gehen neuen Zielen entgegen<br />
und werden es zu dulden haben, mit in<br />
das Chaos, aus dem eine neue Welt erstehen<br />
so]}, Mneingerissen zu werden* Die Zeit<br />
i&t sä gross wie schwer, sie kennt nur eines<br />
nicht mehr, die satte, selbstverständliche ZttfHBdenheit.<br />
Jeder — auch der Letzte — bekommt<br />
in irgendeiner Form zu spüren, dass<br />
wir auf einer Schwelle stehen. In nie gekanntem<br />
Masse wird der suchende Blick zu ewigen^<br />
Halten hingelenkt.<br />
Das Licht dieser kommenden Weihnacht<br />
wird über unendlicher Verwirrung, hier über<br />
Glück, dort über Not, aufgehen. Die Menschen<br />
wird es nicht bessern können. So schnell geht<br />
das nicht. Es kann ihnen nur tröstendes, mahnendes<br />
Zeichen dafür sein, dass jene Welt,<br />
der sie in so furchtbarer Weise entfremdet<br />
worden, näher als je gekommen ist. Aus der<br />
Krise unserer Zeit heraus beginnt man sie<br />
wieder zu ahnen — manchmal mit schmerzender<br />
Deutlichkeit. Unsere ganze Epoche ist<br />
ein einziges Weihnachten — wo tiefster Niedergang<br />
und unendlicher Irrtum in neuen<br />
Aufstieg übergeht. Die Kunde der Weihnacht<br />
ist im Ohr der modernen Menschheit gleich<br />
dem trostvollen Lied einer höheren Welt, eines<br />
besseren Lebens.<br />
Der Klang des Weihnachtsmärchens, das<br />
schwer von Bedeutung ist, wird auch das<br />
kommende Fest erfüllen. Die zarten Flammen<br />
die am Weihnachtsabend das tiefste<br />
Dunkel ertöten, sie müssen weiter brennen<br />
und sich ausbreiten — herrliches Licht der<br />
Zukunft in aller Not der Gegenwart! bo.<br />
Wardm Weihnachten?<br />
Von Hermann Aellen.<br />
Eine massige Frage! werden viele denken.<br />
Mit nichten! Das ist doch keine Selbstverständlichkeit,<br />
dass wir gehetzten Menschen<br />
der neuen Zeit doch immer noch die Müsse<br />
und Besinnung finden, um einen Abend im<br />
Jahre Christi Geburtstag beim Lichterbaum<br />
und in der friedsamen Beschaulichkeit einer<br />
stiUen Stunde im Familienkreise zu feiern,<br />
mit dem Herzen, nicht aus rechnendem Verstande.<br />
Oder freuen wir uns nur darum<br />
noch der Weihen dieser Nacht, weil es Gewohnheit<br />
ist, weil wir um nichts anderes seit<br />
der Kindheit wissen, weil es schon immer so<br />
war — und weil wir nur zu bequem sind, um<br />
an der bald 2000jährigen Ueberlieferung des<br />
Christentums zu rütteln? Nein doch! Ich<br />
glaube nicht daran, es wäre zu schmählich!<br />
Und ich habe Gründe für meine Gläubigkeit<br />
in die Menschen, die aus innerem Bedürfnis<br />
die alten Weihnachtsbräuche lieben und die<br />
Seele Feiertag halten lassen, wie immer<br />
schon.<br />
Denn ich überlege mir vor allem eines:<br />
man klagt so viel über die Aniireligiosität<br />
mmm<br />
Weihnachtswunsch<br />
Ich trage manch heimlich Wünschlein im<br />
Herzen,<br />
Sie bleiben Wünsche, ich werd' es verschmerzen;<br />
Doch wenn mir Knecht Ruprecht begegnen<br />
würde<br />
Mit seiner schweren Weihnachtsbürde,<br />
Ich sagt' es ihm offen ins Gesicht:<br />
Der alte Weihnachtsmann bist du nicht!<br />
Du stapfst so gewohnheitsverdrossen daher,<br />
Als ob das Schenken ein Mühwerk war.<br />
Deine Gaben sind lieb, deine Gaben sind<br />
fein —<br />
und die VeräuSserhchung unserer Zeit. Glaubt<br />
man aber, dass Weihnachten nur der Bibelund<br />
Dogmagläubige feiern kann und will?<br />
Die Hoffnung besteht: in jedem Menschen,<br />
mag er sich auch das ganze, betriebsame<br />
Jahr hindurch von schalen Lebensgenüssen<br />
betören lassen, wenn es weihnachtet, wenn<br />
er aus Kinderaugen Vorweihnachtsfreuden<br />
verräterisch erglänzen sieht, lebt alte Weihnachtserinnerung<br />
selig auf und will sie erneuern.<br />
Hand aufs Herz! Ist da einer, der<br />
sich seine Kindheitsfreuden am Lichterbaum<br />
trüben lassen will und seiner Familie grausam<br />
vorenthalten möchte, was er selbst zu<br />
tiefst einmal empfunden und Zeit seines Lebens<br />
als Gewinn bewahrt? Ich kann und kann<br />
nicht an solche Niedertracht des Denkens<br />
glauben. Weihebedürftige Menschen sind wir<br />
geblieben, mag es auch manchmal den Anschein<br />
haben, dass wir gesinnungsloser, unruhiger,<br />
oberflächlicher und genusssüchtiger<br />
geworden sind.<br />
In jedem denkenden Menschen, der nicht<br />
völlig sich selber verloren hat, muss die<br />
Weihnachisbotschaft «Friede auf Erden», das<br />
heisst doch auch 'Friede mit dir selbst», auf<br />
einen Abend wenigstens, nicht unberührt lassen.<br />
Ja, ich bin gar geneigt za glauben, dass,<br />
jemehr wir glauben, uns von den seelischen<br />
Von Alfred Huzsenbereer.<br />
0, traf doch das Wunder mit dir herein!<br />
Du kannst nimmer spassen mit unsern<br />
Buben,<br />
Es fehlt dein Lachen in unsern Stuben.<br />
Was ist nur mit deinem Stern geschehn?<br />
Wir möchten ihn wieder strahlen sehn!<br />
Wir<br />
möchten uns freu'n zutiefst in der<br />
Seelen,<br />
Jedes Fenster müsst' es der Nacht erzählen,<br />
Dass Gott unsre kranke Zeit geheilt,<br />
Und dass ein Hauch allen Kummer zerteilt.<br />
Knecht Ruprecht — sag' es dem heiligen<br />
Kind,<br />
Wie bitter lang wir schon wartend sind!<br />
Weihnachtsfreuden der Jugendzelt zu entfernen,<br />
um so brennender der Wunsch in uns<br />
wird, noch einmal von Herzen mit den gläubigen<br />
Kindern am Lichterbaum stehen zu<br />
dürfen. Wir fürchten höchstens, dass wir<br />
Neunmalweise nicht mehr die Inbrunst des<br />
Gefühls aufbringen. Wir können nicht das<br />
ganze Jahr mit Weihegedanken herumgehen,<br />
wir schwachen, von Lebensnotwendigkeiten<br />
eingepferchten Menschen — würden wir es<br />
dennoch tun, gäbe es sicherlich eine üble Gewohnheit<br />
und kein Erleben. Stumpf werden<br />
muss, was sich verbohrt. Aber spitz und<br />
wach bleiben wird, was wir ersehnen! Und<br />
das Seltene ist noch immer wertvoller gewesen<br />
als das Tägliche!<br />
Einmal im Jahre aber kommt dieses Seltene,<br />
dieser einzige heilige und geheiligte<br />
Abend über uns. Und dann erleben wir ihn<br />
um so tiefer und inniger, weil wir um unsere<br />
Unruhe und unsere Sehnsucht nach einem<br />
Ruhepol in der Erscheinungen Flucht schmerzlich<br />
wissen oder doch ahnen, auch wenn wir<br />
uns täglich mit leeren, kleinen Freuden betrügen.<br />
Weihnacht-Feierstunde unserer Seele!<br />
Warum noch Weihnacht? Well wir mehr<br />
denn je heilsbedürftig sind und seelisch uns,<br />
ertüchtigen müssen, wollen wir das Kreuz<br />
unseres schwer gewordenen Erdenlebens<br />
durch weitere Jahre willig tragen.<br />
Weihnacht wird sein und Andacht vordem<br />
Lichterbaum kann nicht versinken, solange<br />
Kinder gläubig um uns sind und so lange es<br />
noch fühlende, liebende, sehnsüchtige Menschen<br />
gibt!<br />
Die Pelzstiefelchen<br />
Weihnachtserzählung von K. H. WaggerL*)<br />
Der Mann, dem diese seltsame Geschichte<br />
widerfuhr, hiess Josef Unrein. Es war am<br />
Heiligen Abend, kurz nach Einbruch der<br />
Dunkelheit.<br />
Josef ist Dienstmann, er hat den ganzen<br />
Tag über auf seinem Platz in der engen<br />
Gasse gestanden, in der bitteren Kälte und<br />
in dem grausam ziehenden Wind.<br />
Josef steht immer auf diesem Platz, seine<br />
fadenscheinige Gestalt gehört schon zum<br />
Ganzen des abseitigen Winkels der grossen<br />
Stadt,' und die Vorübergehenden beachten<br />
ihn längst nicht mehr. Die Leute im Viertel<br />
sind arm, sie schreiben keine zärtlichen<br />
Briefchen und schenken einander nichts. Am<br />
schlimmsten aber ist, dass Josef gar nicht<br />
für seinen Beruf taugt, weil er so hässlich<br />
ist. Die Mägde kreischen auf. wenn sie die<br />
Türe öffnen und die Fratze seines Gesichtes<br />
wie einen Spuk aus dem Dunkel kommen<br />
sehen.<br />
Josef hat freilich ein gutes Herz, aber das<br />
kann niemand sehen. Er bemüht sich, sanft<br />
und, leise zu sprechen, er zieht auch den<br />
Kopf ein und geht auf den Zehenspitzen, um<br />
den bösen Eindruck seinesr 'Gesichte 1 « eia<br />
wenig zu mildern. Aber das macht ihn mär<br />
noch furchtbarer, dieses demütige Flüstern<br />
und dieser schleichende Gang, es sieht aus,<br />
als plane er immer irgend etwas Schlimmes,<br />
ein Verbrechen von ausgesuchter Hinterlist.<br />
Nein, niemand mag mit diesem Dienstmann<br />
zu tun haben, die Frauen schlagen ihre Augen<br />
vor ihm nieder, wenn sie vorübergehen,<br />
und alle Hunde kläffen ihn an.<br />
Abends wäscht er Gläser in einer Bierstube.<br />
Er bekommt dafür eine Schüssel! mit<br />
warmem Essen und zuweilen erlaubt ihm<br />
der Kellner, unter dem breiten Schanktisch<br />
zu schlafen, auf dem Flaschenstroh, zwischen<br />
Kisten und Fässern.<br />
Nun, es ist Weihnacht, an diesem Abend<br />
gibt es nichts in der Schenke zu tun. Niemand<br />
setzt sich an so einem Abend zum<br />
Biertisch, es ist vielleicht überhaupt kein<br />
Mensch in der Welt so niedrig, dass er nicht<br />
irgendwo ein wenig Wärme fände, ein festliches<br />
Licht, und darum weiss Josef