E_1935_Zeitung_Nr.033
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Ich sah auf die Uhr. Sie sagte rasch und verlegen:<br />
«Fritz, ich -will dich wirklich nicht aufhalten!»<br />
«Nein, nein, ich habe nur das Gefühl für die<br />
Zeit verloren! Wenn ich leicht die Augen schliesse,<br />
so dass die Sonne eben noch durchschimmern<br />
kann, meine ich, ich sei vierzehn Jahre jünger und<br />
kein Auto warte auf mich.»<br />
Wir gingen den Weg zurück. Unsere Schritte<br />
wurden immer langsamer. Irgend etwas hielt uns<br />
zurück... Da sagte ich plötzlich, weil die Qual<br />
über die traurigen vierzehn Jahre in mir bitter<br />
aufstiegen:<br />
«Wir kommen bald in das Städtchen der<br />
Schwätzer zurück. Vielleicht begegnet uns eine<br />
deiner Tanten; die sterben ja nie aus! Willst du<br />
nicht wie damals, daes ich —><br />
Sie starrte mich an. Sie war bleich geworden.<br />
In ihren Augen standen Tränen.<br />
«Du!» sagte sie. «Warum?»<br />
«Verzeih mir! .. Es war so hart damals ... Und<br />
ich sehe alles wieder so deutlich vor mir.. . Aber<br />
wozu quälen wir uns? ... Wie sind deine Kinder?<br />
Es muss herrlich sein, Kinder zu haben!»<br />
Sie lächelte müde.<br />
«Ja, ja, das ist es!... Mein Aeltester, Fritz,<br />
liest deine Reiseberichte. Er sagt immer: «Mutti,<br />
dort muss es schön sein!... Ja, dort muss es schön<br />
sein, draussen in der Welt, irgendwo am Meer...<br />
Wohin geht deine nächste Reise?»<br />
«Fritz heisst dein Aeltester? ... Wenn wir zwei<br />
ein Paar geworden wären, würden wir unseren<br />
Aeltesten auch Fritz genannt haben... Ach, dass<br />
ich antworte! Wahrscheinlich werde ich nächstens<br />
über Spanien schreiben.»<br />
«Spanien, wunderbar... Oh, hier ist es so<br />
eng... Fritz, ich bitte dich, vergib mir, dass ich<br />
damals nicht verstanden habe ... Wir hätten glücklich<br />
werden können... Ich habe schwer büssen<br />
müssen!»<br />
Und ganz leise, geflüstert:<br />
«Wie muss ich büssen!»<br />
Jack winkte schon von weitem.<br />
«Leb wohl! Du siehst, der Engländer ist bereits<br />
ungeduldig!»<br />
Sie drückte meine Hand. Sie schwieg. In ihren<br />
Augen schwankten noch viele Worte wie die Trümmer<br />
eines untergegangenen<br />
schem Ozean...<br />
SatunteCn Sie?<br />
Schiffes auf stürmi-<br />
Es wird nicht viele Menschen geben, die<br />
darauf antworten dürfen: nein! Können sie<br />
es mit gutem Gewissen tun, dann haben sie<br />
gewiss einmal in Jugendtagen irgend etwas<br />
gesammelt.<br />
Wer nie gesammelt hat, ist in gewissem<br />
Sinne glücklich zu preisen. Sammeln ist nämlich<br />
eine Krankheit, gefährlich und schmerzensreich.<br />
Alles wäre nur halb so arg, wenn<br />
der Sinn jeder Sammlung nicht die Vollständigkeit<br />
sein würde. Heraklit behauptete, alles<br />
fliesse; leider darf mit dem gleichen<br />
Recht gesagt werden: nichts ist komplett!<br />
Das ist der Ursprung aller Sammlerleiden.<br />
Wohl dem, der nie etwas von dem tyrannischen<br />
Gesetz der Serie, nie etwas von den<br />
Ich stieg in das Auto. Jack brummte:<br />
«Sie müssen natürlich einem Weib nachrennen!<br />
Bier, Bier, sage ich, erquickt den Menschen! Also<br />
los!»<br />
Der Wagen setzte sich in Bewegung. Sie stand<br />
drüben, sie winkte.<br />
Fern entschwand die schwermütige Pappelalle<br />
...<br />
... Und wieder war die freie Landschaft um<br />
uns. Die Bäume am Strassenrand bogen sich.<br />
Wieder ging es in die grosse Stadt zurück.<br />
In die grosse Stadt, die ich heute seit vierzehn<br />
Jahren zum erstenmal verlassen hatte, die<br />
Großstadt, in der ich mühselige vierzehn Jahre gelebt<br />
hatte, ohne auch nur einmal aus ihren Mauern<br />
herausgekommen zu sein, ich, der Reiseschriftsteller,<br />
dessen Berichte üher die prächtigsten Reisen<br />
im «Welt-Journal» zu lesen sind!<br />
Ich, der aus den Reisebüros Prospekte holt, die<br />
so wunderbare Bilder und Karten haben, dass man<br />
in seinem armen Zimmer auf seiner alten Schreibmaschine<br />
die herrlichsten Reieebriefe schreiben<br />
kann, die dann das «Welt-Journal» für ein lächerliches<br />
Honorar annimmt... Und irgendwo sammelt<br />
man diese Briefe und bewahrt sie und ist mir beinahe<br />
neidig, weil ich so weite und frohe Reisen<br />
machen darf; denn, man ahnt ja nicht, dass ich nur<br />
in der Phantasie die Fesseln des Alltags sprenge...<br />
In Palermo die tolle Sache mit dem Mädchen!<br />
... Ich lache.<br />
Jack, dem ich vor Jahren Nachhilfestunden in<br />
der deutschen Sprache gab, kam heute zu mir und<br />
sagte :<br />
«Ich reise eben durch Europa. Wollen Sie mit<br />
mir eine kleine Spazierfahrt machen?»<br />
So konnte ich zum erstenmal seit vierzehn Jahren<br />
sehen, dass die Welt ausserhalh der Großstadt<br />
noch am Leben i6t.<br />
Jack sagt plötzlich:<br />
«Sie lachen ohne Grund!»<br />
«Ich kann doch nicht heulen, Jack!»<br />
«Sie sollten reisen! Sie hocken immeT in der<br />
stauben, grauen Stadt!»<br />
«Gut, Jack! Wenn wir bei dem spanischen<br />
Reisebüro vorbeikommen, halten Sie, bitte! Ich will<br />
mir Prospekte holen!»<br />
Ja, mein Leben geht wieder weiter..«<br />
Qualen erfahren hat, die ein unvollständiger<br />
Satz oder eine Stempelreihe bereiten, der<br />
das letzte Stück fehlt! Er weiss nicht, dass<br />
Dinge, die er ohne Skrupel dem Papierkorb<br />
oder dem Aschkasten, überantwortet, lebenswichtig<br />
sein können, er sammelt ja nicht,<br />
ihm fehlt ja nichts — dem Armen!<br />
Jawohl, dem Armen! Denn Sammeln ist<br />
Unglück und Glück zugleich! Sammeln schafft<br />
Lust und Wonnen, von denen der Nicht-<br />
Sammler nichts ahnen kann.<br />
Was da nun zusammengetragen wird, ist<br />
nebensächlich. Es können Aalsuppenrezepte<br />
oder Heiligenbilder sein, Plastiken der Primitiven<br />
oder Fingerhüte, Hosenknöpfe oder<br />
Rembrandt-Fälschungen, Briefmarken oder<br />
Seemannslieder, Lärminstrumente oderBudf<br />
dhafiguren.<br />
ATJTOMOBIL-REVUE <strong>1935</strong> -NO 33<br />
Das ist einerlei. Sammeln kann man alles.<br />
Man kann Liebesbriefe und unbezahlte Rechnungen<br />
sammeln, Zigarettenbilder und Taktstöcke,<br />
Nasenringe und Schaftstiefel, Druckfehler,<br />
Truhen, Zündholzschachteln, Bücher<br />
und Weinflaschen. Es gibt keine Grenzen, es<br />
gibt höchstens Moden des Sammeins.<br />
Man findet Sammler jeden Alters, die Qualitäten<br />
sind freilich verschieden. Unter den<br />
echten, den richtigen Sammlern, sind die<br />
wunderlichsten und sonderbarsten Käuze zu<br />
entdecken. Solche Exemplare von der Jagd<br />
nach einem Glanzstück und von dessen Eroberung<br />
erzählen zu hören, ist ein Genuss<br />
für sich. Man könnte ein dickes Buch voll<br />
Sammler-Geschichten — sammeln. In diesem<br />
Zusammenhang muss übrigens vermerkt sein,<br />
dass es neben dem Jäger- und Seemanns-<br />
Latein selbstverständlich auch ein Spezial-<br />
Sammler-Latein gibt, das nicht minder schöne<br />
Blüten treibt als diese.<br />
An ein Temperament scheint der Sammeltrieb<br />
nicht gebunden, doch werden ausgesprochene<br />
Phlegmatiker am wenigsten vertreten<br />
sein. Auch zwischen Temperament fertig war, brachen beide in ein schallendes<br />
und Objekt der Leidenschaft sind die Bin-Gelächtedungen offenbar nur lose. Immerhin wird es<br />
aus. Die Geschichte aber lautete:<br />
sich sicherlich empfehlen, als Choleriker<br />
nicht ausgerechnet Porzellan zu sammeln.<br />
!BiuOe Ctouwik<br />
Goldfische arbeiten beim Rundfunk.<br />
Seitdem die Sendegesellschaften in aller<br />
Welt zum Bau von Riesensendern mit Leistungen<br />
von vielen Kilowatt schreiten, müssen<br />
die grossen Senderöhren ständig gekühlt<br />
werden — sie würden sich sonst durch die<br />
starken Anodenströme übermässig erhitzen.<br />
Ein Verstopfen der Kühlschlangen, etwa durch<br />
Pflanzenansatz im Innern, kann nicht nur<br />
eine augenblickliche Sendestörung hervorrufen<br />
— die Senderöhre könnte auch durchbrennen.<br />
Goldfische — die, wie alle Karpfenarten,<br />
sehr wenig wählerisch in ihrem Futter<br />
sind — haben am Sender von Droitwich<br />
(England) die Reinigung des Kühlwassers<br />
übernommen. Sie schwimmen ständig in<br />
einem grossen Tank mit fast 1,5 Millionen<br />
Liter Wasserinhalt, in dem sie alle kleinen<br />
Würmer, Insektenlarven und Pflanzenreste<br />
vertilgen und so eine kostspielige Filteranlage<br />
ersparen. Es scheint hier ein neuer<br />
< Tierberuf» zu entstehen: seit Jahren gibt<br />
es ja schon die Flugplatzschafe, die den Rasen<br />
des Rollfeldes gleichmässig glatt und<br />
kurz halten und besser als mancher Mensch<br />
die startenden und landenden Flugzeuge zu<br />
meiden wissen..<br />
Mark Twain ärgert die Trustkönige.<br />
Bei verschiedenen Gelegenheiten zeigte es<br />
sich, dass Mark Twain es mit den Trustkönigen<br />
verdorben hatte. Als ein Journalist<br />
den Humoristen nach dem Grunde dieser<br />
Unbeliebtheit befragte, machte er sein harmlosestes<br />
Gesicht und antwortete mit unschuldigem<br />
Lächeln :<br />
« O, den Grund kenne ich nicht genau; ich<br />
glaube aber, diese ungerechten Menschen<br />
verfolgen mich wegen meiner Schriftstellerei.»<br />
«Wegen Ihrer Schriftstellerei?»<br />
«Weil ich wieder angefangen habe, für<br />
die <strong>Zeitung</strong>en zu schreiben.»<br />
«Das ist mir unverständlich >, sagte der<br />
Journalist kopfschüttelnd.<br />
«Mir auch», entgegnete Mark Twain mit<br />
der Miene der gekränkten Unschuld.<br />
«Aber ich habe so eine dunkle Ahnung,<br />
als ob diese blödsinnige Geschichte da, die<br />
ich in einer <strong>Zeitung</strong> mit meinem Namen veröffentlichte,<br />
schuld an allem sein könnte.»<br />
Damit reichte er dem Journalisten ein <strong>Zeitung</strong>sblatt.<br />
Und als dieser mit dem Lesen<br />
« Eine Fliegenmutter hatte zwei Töchter,<br />
die sie innig liebte. Eines Tages machten sie<br />
einen Ausflug und kamen an den Laden eines<br />
Konditors. « Mama», bat die eine, « darf ich<br />
ein wenig von dem schönen roten Bonbon<br />
dort naschen ?» Die Fliegenmutter erlaubte<br />
es, und ihre Tochter setzte sich freudestrahlend<br />
auf den schönen roten Bonbon. Auf einmal<br />
schlug sie mit den Flügeln und fiel tot<br />
um. Der rote Bonbon war giftig, denn er<br />
war vom amerikanischen Bonbontrust.<br />
Die Fliegenmutter hatte jetzt nur noch die<br />
eine Tochter und liebte sie um so zärtlicher.<br />
Da hatte das Töchterlein einmal grosses<br />
Verlangen nach Wurst. Die Mutter geleitete<br />
sie zu einem Wurstladen, doch kaum hatte<br />
die junge Fliege das kleinste Bisschen genossen,<br />
als sie starb. Die Wurst war giftig,<br />
denn sie stammte vom amerikanischen<br />
Wursttrust.<br />
Da fasste wildes Weh die arme Fliegenmutter.<br />
Am Leben war ihr nicht gelegen; sie<br />
wollte ihm ein rasches Ende machen und<br />
frass in selbstmörderischer Gier von einem<br />
Fliegenpapier. Aber der erwünschte Tod<br />
kam nicht. Das Fliegenpapier war unschädlich,<br />
denn es stammte vom amerikanischen<br />
Fliegenpapiertrust.»<br />
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