E_1935_Zeitung_Nr.053
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20 AUTOMOBIL-REVUE <strong>1935</strong> — N° 53<br />
mich — man wollte mich verheiraten, verkaufen<br />
wie irgendeine Ware...! ><br />
Armes Ding, dachte Konrad und legte seine<br />
Hand auf die kleine des Mädchens; jetzt<br />
konnte er alles verstehen. Mädels in dem<br />
Alter, was hatten die für bunte, ungeklärte<br />
Vorstellungen von Liebe und Ehe, welch' romantische<br />
Ideen verbanden sie wohl damit...<br />
«Und darum also sind Sie mir mit so viel<br />
Geschick ausgewichen?» lächelte er; von all<br />
dem habe ich doch keine Ahnung gehabt.<br />
Ich war nur in meiner Gymnasiastenehre<br />
tief gekränkt, dass die hübsche Anni, das<br />
einzige Mädchen, das mir wirklich gefiel, so<br />
gar nichts von mir wissen wollte.»<br />
Ja, kleines Mädchen, dachte er weiter und<br />
streifte die schlanke Gestalt an seiner Seite<br />
mit einem zärtlichen Blick', gut, dass du<br />
Von Josef Robert Harrer.<br />
Hochsommer, Hitze, blauer Himmel...<br />
Plötzlich hebt sich über den Horizont eine<br />
dunkle Wolke. So steigt ©in Neger aus dem<br />
Teich. Die Wolke kommt rasch näher, sie<br />
breitet sich aus, sie hat silberne Ränder.<br />
Ein Blitz fährt schief über die Stadt. Ein<br />
Donnerschlag, sekundenlange Ruhe, dann<br />
prasselt der Regen in talergrossen Tropfen<br />
nieder.<br />
Mädchen und Frauen in den entzückendsten<br />
Sommerkleidern, die dünn sind wie die<br />
Pointen alter Witze, laufen in Hausflure,<br />
suchen Schutz gegen den Regen.<br />
In einem Strassenbahn - Wartehäuschen<br />
drängen sich die Menschen, Männer und<br />
Frauen, deren duftige Kleider und Sommerhütchen<br />
schon zu zergehen scheinen, wenn<br />
man nur das Wort Wasser ausspricht...<br />
Eine kleine, reizende Dame blickt hilflos<br />
aus dem Wartehäuschen auf die breite<br />
Strasse. Endlich wendet sie sich an einen<br />
jungen Mann, der sie unternehmungslustig<br />
angeblinzelt hat.<br />
«Ich muss über die Strasse kommen. Ich<br />
habe keine Sekunde Zeit zu verlieren. Ich<br />
muss wegen einer Anstellung vorsprechen.<br />
Wenn ich unpünktlich bin, dann —»<br />
Beinahe stehen Tränen in ihren Augen.<br />
Der Herr, glücklich, dass ihn das schöne<br />
Mädchen angeredet hat, erwidert:<br />
«Aber, Fräulein! Jeder Chef muss<br />
Einsam und still steht das alte Haus an der<br />
Strasse, so, als lausche es noch immer dem<br />
kaum verklungenen Lachen und Gläserklirren,<br />
dem Saitenspiel und den frohen Liedern<br />
nach.<br />
wieder hörbar<br />
alten nlion Gebälk, in der Küche blirron klirren Tnnf« Töpfe ; und<br />
Pfannen unter den Händen der alten Lore.<br />
Jetzt schlurfen ihre Schritte über die steinenen<br />
Fliessen des Ganges, bald steht sie vor<br />
Ein Entenpaar schwimmt aus dem Schilf<br />
hervor. Sie tauchen, schnattern, und suchen<br />
sich ihr Frühstück. Da reisst mich der Schrei<br />
einer Schiffssyrene aus meiner Träumerei<br />
und eilig strebe ich hinab zum Strom.<br />
Ein Dampfer wälzt sich, eine dunkle<br />
Rauchfahne hinter sich herziehend, stromaufwärts.<br />
«Zürich» lese ich auf seinem Bug; von<br />
der Gaffel herab grüssen die Farben der<br />
mir, blinzelt aus rotgeränderten Augen ins Heimat. Lange sehe ich ihm nach, reisse dann<br />
helle Sonnenlicht und sagt leise: «Es ist so die Kleider vom Leib und stürze mich kopfüber<br />
in den Strom. Das aufkeimende Heim-<br />
still im Hause, Herr!» —<br />
Ja, es ist stille geworden um uns, Alte. Die weh erstickt in der Kühle des Wassers, später<br />
vorbeigleitende Schiffe grüsse ich Freunde sind wieder fort in die Stadt; ver-<br />
mit<br />
nicht weisst, dass ich bis heute noch an dich schlungen vom Alltag. Nichts blieb uns als<br />
gedacht habe, dass ich die enttäuschte Liebe- ^e<br />
des Knaben bis heute noch nicht ganz überwinden<br />
konnte, vielleicht würdest du mirnicke der Alten zu und schlurfend kehrt sie<br />
Erinnerung und das melancholische Tik-<br />
ken des Holzwurms. Alles das denke ich nur,<br />
zurück in ihr Reich. Ich aber schreite quer<br />
über die Felder, hinüber zum Wald.<br />
Tautropfen glitzern im Grase, ein Reh tritt<br />
aus dem nahen Walde hervor, bleibt auf dem<br />
Wege stehen und schaut mir neugierig entgegen.<br />
Als ich näher komme hetzt es in langen<br />
Sprüngen davon.<br />
Fern her läuten Glocken.<br />
Ich trete in den Wald ein wie in einen Dom.<br />
Geheimnisvolles Dunkel umfängt mich; der<br />
Geruch von Erde und modrigem Laub<br />
schlägt mir entgegen. Hin und wieder fällt<br />
ein Strahl der Morgensonne durch das dichte<br />
dann wieder davonlaufen!'<br />
Aber Anni dachte nicht daran davonzulaufen.<br />
Verstohlen glitt ihr Blick über den blonden<br />
Schopf und das energische, gebräunte<br />
Männergesicht an ihrer Seite. ,Ich habe ihm<br />
schon viel zu viel erzählt', dachte sie. .Aber<br />
wie gut er mir später gefiel, wie schwer es<br />
mir gefallen ist, ihm weiter auszuweichen,<br />
das braucht er — darf er nie erfahren'.<br />
«Da wollen wir also so tun, als ob wir uns<br />
eben erst kennengelernt hätten», sagte Konrad<br />
und legte vorsichtig einen Arm um die<br />
schlanke Taille des Mädchens.<br />
«Einverstanden», lachte Anni, «aber dann<br />
nehmen Sie gefälligst Ihren Arm fort, für<br />
so eine junge Bekanntschaft dürfte das doch<br />
wohl zu weit gehen!»<br />
Qewittex-Zpisode<br />
doch<br />
Abseits vom AC£tag><br />
Blätterdach alter Eichen und Buchen, und<br />
überall — wo er hin fällt — glänzt und blitzt<br />
alles in den Farben des Spektrums. Leben,<br />
unsichtbar dem forschenden Blick, regt sich<br />
um mich.<br />
Da höre ich rechts hinter den Büschen<br />
Entengeschnatter. Rasch breche ich durch,<br />
Büsche und Gras niederstampfend stehe ich<br />
gleich darauf auf einer Licht überfluteten<br />
frohem Zuruf.<br />
Lange bin ich noch auf dem Rheindamm<br />
in der Sonne gelegen ehe ich mich, vom Hunger<br />
getrieben, wieder zur Heimkehr entschloss.<br />
Durch das Gebüsch des Rheinwalds<br />
breche ich mir einen Pfad. Stellenweise ist<br />
das Unterholz so dicht, dass ich kaum durchzudringen<br />
vermag, dann sperren mir wieder<br />
gefällte Bäume den Weg, Altwasser zwingen<br />
zu weiten Umwegen. Müde vom Bad, von<br />
Licht und Sonne, der Anstrengung des Weges<br />
setze- ich mich an einem Arme des Altwassers<br />
nieder, lausche dem gläsernen Klirren<br />
des Schilfes, dem Quarren der Frösche<br />
und Schnattern der Enten. Alles atmet Ruhe<br />
und Leben zugleich.<br />
Froher Kinderjubel schreckt mich auf. Die<br />
Sonne steht schon tief und drüben, da, wo der<br />
Durchbruch zum Rheine ist, tummelt sich<br />
eine Schar Knaben und Mädchen im Wasser.<br />
Bald haben sie dieses Spiel satt, legen sich<br />
am hohen Uferbord ins Gras und singen ein<br />
Lied. Plötzlich kommt wieder Bewegung in<br />
sie. Ein Mädchen setzt sich auf einen hohen<br />
Baumstumpf und spielt auf einer Mundhar-<br />
Lichtung. Das Gras reicht mir bis an diemonika eine Tanzweise. Die jungen braungebrannten<br />
Körper wiegen und biegen sich im<br />
Rhythmus der Weise, eine Amsel schmettert<br />
vom Gipfel einer alten Eiche ihr Liebeslied<br />
in den Jubel des jungen Lebens. —<br />
Hüften, Glockenblumen, Kackuckblumen und<br />
windverwehter wilder Mohn blühen um mich.<br />
Weiter schreitend erreiche ich bald ein Altwasser.<br />
Schilf klirrt gläsern im Winde. Alte Weiden<br />
spiegeln sich tief in der klaren Flut.<br />
Weisse Wasserrosen baden ihr reines Gesicht<br />
in der Sonne, auf einem der grossen<br />
flachen Blätter sitzt eine Amsel. In der Mitte<br />
des Wassers liegt ein Waidling vor Anker,<br />
in dem ein Fischer sitzt und regungslos die<br />
Angel hält. Stiegen aus seiner Pfeife nicht<br />
kleine weisse Wölkchen empor, so müssie<br />
man glauben er sei eingeschlafen.<br />
An einer Stelle ist das Ufer blau. Vergissmeinnicht.<br />
Schon beuge ich mich nieder einen<br />
Strauss zu brechen, da denke ich zurück an<br />
das einsame alte Haus und lasse es wieder<br />
sein. Für wen auch? —<br />
soviel Einsehen haben, dass man bei diesem<br />
Wolkenbruch nicht pünktlich sein kann. Sie<br />
können durch diesen Wasserfall nicht über<br />
die Strasse gehen!»<br />
«Ich muss! Glauben Sie, dass mich<br />
Chauffeur über die Strasse führt, wenn<br />
ihm winke?»<br />
ein<br />
ich<br />
Einige Leute lachen bereits. Man hört<br />
Worte, welche der Dame peinlich sind. Da<br />
wirft sich der Herr in die Brust.<br />
Ein Stimmungsbild<br />
Dann bin ich wieder zu Hause. Vorwurf voll<br />
schaut mich die alte Lore aus ihren rotgeränderten<br />
Augen an und grollt: «Herr, das<br />
Essen!» —<br />
«Decke im Garten!» rufe ich ihr lachend<br />
zu und eile hinauf in mein Zimmer um nach<br />
der Post zu sehen. Auf dem Tisch steht ein<br />
Strauss Kornblumen, dabei liegt eine Karte<br />
aus der Stadt. «Wir haben alle Heimweh<br />
nach der alten Hütte!» —<br />
Noch lange sitze ich am Abend mit der Alten<br />
im Garten und wieder — wie schon so<br />
oft — erzählt sie mir von dem alten einsamen<br />
Haus an der Strasse und seinen Bewohnern.<br />
«Es gibt nichts zu lachen, meine Herrschaften!<br />
Vielleicht hängt wirklich die Zukunft<br />
der Dame davon ab, dass sie sich<br />
pünktlich bei dem neuen Chef vorstellt. Sie<br />
alle wissen doch, wie schwer es heutzutage<br />
ist, eine Anstellung zu bekommen. Sie sollten<br />
den Eifer der Dame nur bewundern!»<br />
Der Spott schweigt, einige nicken zustimmend<br />
und murmeln Anerkennung. Die Augen<br />
des Herrn leuchten, wie er sieht, dass ihm<br />
Somfttee$HOtqen<br />
Heinrich Lämmlin. '<br />
Noch deckt die Dämmerang das stille Land,<br />
wie Schleier flattern Nebel tief im Tale,<br />
dann bricht die Sonne durch die Wolkenwand<br />
und hin zur Erde fliesst ihr golden Band,<br />
dass alles blinkt und blitzt in ihrem Strahle.<br />
Auf aus der Tiefe bricht ein leises Lied,<br />
fast wie ein Flüstern klingt es uns im Ohre,<br />
dann schwillt es an — der letzte Schatten<br />
flieht,<br />
wenn es so sieghaft durch den Morgen zieht,<br />
zum Sonnenhymnus wird und Jubelchore.<br />
die Dame dankbar zulächelt Und plötzlich<br />
hat er einen Einfall.<br />
«Weit und breit ist kein Auto zu sehen!<br />
Aber ich biete Ihnen meinen Rock an; den<br />
hängen Sie um und laufen über die Strasse!»<br />
Der Regen prasselt. Die Tropfen scheinen<br />
aus Eisen zu sein. Die Dame blickt ihn erschrocken<br />
an; sie wehrt ab.<br />
«Nein, das ist unmöglich! Das kann Ich<br />
nicht annehmen!»<br />
Aber schon hat der Herr, ein wirklicher<br />
Gentleman, den Rock ausgezogen und Ihn<br />
der Dame um die schmalen Schultern gehängt.<br />
«Keine Widerrede, Fräulein! Eilen Sie,<br />
ehe der Regen noch heftiger wird!><br />
Sie lächelt glücklich, hüllt sich fest in den<br />
Rock und läuft über die Strasse; hinter ihr<br />
folgt der Gentleman in Hemdärmeln. Als sie<br />
drüben im Hausflur angekommen sind, gibt<br />
sie den durchnässten Rock zurück und sagt<br />
mit der süssesten Stimme der Welt:<br />
«Ich danke Ihnen sehr, mein Herr!»<br />
«Oh, nichts zu danken! Und darf ich" Sie<br />
wiedersehen? Ja? Vielleicht morgen früh,<br />
wieder im Wartehäuschen?»<br />
Das schöne Mädchen, dem die Regentropfen<br />
über die Wangen rieseln, nickt und sagt:<br />
«Ja, morgen früh um halb neun Uhr! Und<br />
nochmals vielen Dank! Sie haben mir einen<br />
grossen Dienst erwiesen! Jetzt aber muss<br />
ich mich beeilen! Auf Wiedersehen!»<br />
Sie reicht ihm ihre schmale Hand, auf die<br />
der Gentleman einen begeisterten Kuss<br />
drückt. Er starrt dem Mädchen nach, das im<br />
Flur verschwindet. Sein Hemd ist nass, er<br />
hält den Rock in der Hand und steht minutenlang<br />
wie im Traum verloren.<br />
Endlich kommt er zu sich. Ja, das kleine<br />
Abenteuer war reizend; er hat, weil er ein<br />
Gentleman war, ein nettes, schönes Mädchen<br />
kennengelernt, ein Mädchen, dem er<br />
vielleicht die Zukunft schön gemacht hat.<br />
Ach, vielleicht wird er sie noch schöner machen,<br />
vielleicht schon morgen!<br />
Und er pfeift ein Lied und zieht den nassen<br />
Rock über das nasse Hemd. Allmählich<br />
lässt der Regen nach.<br />
Plötzlich wird das Gesicht des Gentlemans<br />
lang und bleich. Er fährt bestürzt in die<br />
Rocktasche — und muss sich an die Mauer<br />
lehnen.<br />
Seine Brieftasche mit 300 Franken ist<br />
verschwunden.<br />
Er stösst einen Fluch aus, er stürzt die<br />
Treppe empor und sieht, dass vom ersten<br />
Stockwerk ein zweiter Hausflur ins Freie<br />
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