E_1935_Zeitung_Nr.085
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BERN, DIENSTAG, 22. OKTOBER <strong>1935</strong><br />
III. BLATT DER „AUTOMOBIL-REVUE" No85<br />
Von Paul Abt, Locarno<br />
Berg am Rande der Sahara.<br />
Frech wie die Wanzen, aufdringlich wie<br />
die Fliegen und schmutzig wie die Souks, so<br />
ist die Meute der Schuhputzjungen in Algier.<br />
Man sitzt im Cafe, schon sind sie da: «Hallo,<br />
good Boy... cirer ä la glace. » Man schüttelt<br />
ärgerlich den Kopf. «Nix viel kosten»,<br />
.tönt es von rechts. « Monsieur...» mit gewinnendem<br />
Lächeln von links. Man schüttelt<br />
den Kopf, man stampft mit den Füssen, wehrt<br />
mit den Händen... und schliesslich lässt man<br />
doch « cirer ä la glace». So kam es, dass<br />
wir unsefe grosse Wüstenfahrt mit blitzblanken<br />
Schuhen antraten.<br />
Das Atiasgebirge mit seinen luftigen Passübergängen<br />
liegt hinter uns. Vor uns zittert<br />
die Heisse Luft über dem Chott el Hodna,<br />
einem der trügerischen Salzseen von gewaltiger<br />
Ausdehnung. Und plötzlich erscheint<br />
über dem Horizont ein Traumbild am Himmel:<br />
Eine Fata Morgana. Von da an sind wir<br />
im Banne der Wüste. Es ist heiss, sehr heiss;<br />
die Luft flimmert über, dem glühenden Wüstensande,<br />
der Kühler unseres Autos dampft,<br />
wir leiden Durst... Aber es ist schön, denn<br />
es ist der Atem der unendlichen, leuchtenden<br />
Wüste, der uns ins Gesicht bläst. Wir begreifen<br />
nun die Leute, die seit zwanzig und<br />
mehr Jahren in den weiten Sandflächen umherwandern,<br />
die aus Amerika oder Paris in<br />
die Wüste zurückkehren, um dort begraben<br />
zu werden.<br />
Zur Zeit des Abendgebetes, eben als die<br />
fft»-.<br />
Sonne hinter den Ouled-Nails-Bergen verschwindet,<br />
tauchen die Palmwipfel der « Oase<br />
der Glückseligkeit» aus dem Sande empor.<br />
Der Vollmond leuchtet uns durch die stillen<br />
Gassen, wo geheimnisvoll vermummte Gestalten<br />
an uns vorüberhuschen. Vor uns sitzt<br />
eine Gruppe Araber, in ihre weissen Burnusse<br />
gehüllt, am Boden und spielt beim schwachen<br />
Scheine eines Wachslichtes Domino. Andere<br />
hocken im Sande und starren in den Mond,<br />
genau so wie es ihre Väter schon vor Jahrtausenden<br />
taten. Und dieser Mond hat wirklich<br />
etwas Faszinierendes, die ganze Oase<br />
mit den weissen Häusern und seltsamen<br />
Schatten ist in dieser Beleuchtung unirdisch.<br />
Der Nachtwind flüstert in den Palmen, und<br />
neugierige Sternlein gucken in verschwiegene<br />
Gassen, wo Frauen in bunten Gewändern<br />
vor offenen Türen stehen. Näselnde Flötentöne<br />
weisen uns den Weg zu einem weissen<br />
Haus am Ende der Gasse. Durch eine<br />
niedere Tür betreten wir ein teppichbehangenes<br />
Gemach. Drei junge Mädchen aus den<br />
Ouled-Nail-Bergen tanzen nackt einen fabelhaften<br />
Bauchtanz. An der Strassenecke verkauft<br />
ein alter Araber in weisseni Burnus<br />
kleine, gebratene Fleischstücke am Spiess:<br />
ein begehrtes Nachtessen der Eingeborenen.<br />
Schwarze Schatten schleichen den Hauswänden<br />
entlang, bim... bim... läuten die Glöckchen<br />
der heimkehrenden Eselchen...<br />
Die Sonne findet uns auf einer unendlichen<br />
Grasbuschsteppe. Das Auto ist vollgepackt<br />
mit Lebensmitteln, Benzin, Wasser, Schaufeln,<br />
Brettern zum Unterlegen und Ersatzteilen;<br />
denn unsere Fahrt geht in die Wüste Sahara.<br />
Wir hoffen, in einigen Tagen Touggourt zu<br />
erreichen, sind voller Zuversicht; aber es<br />
kam anders, als wir glaubten! Schon im ersten<br />
Fluss, den wir kreuzen, bleiben wir mitten<br />
drin im Schlamme stecken. Eine Stunde<br />
Arbeit im schmutzigen Wasser, Unterlegen<br />
von'Brettern, Schaufeln, Fluchen, Schwitzen.<br />
Endlich ist der Wagen heraus aus dem<br />
Dreck! Besudelt mit klebrigem Lehm sind<br />
Arme, Beine und Kleider. Wir traversieren<br />
noch mehrere, zum Glück trockene Flussbette.<br />
Dann- wechseln enge Schluchten mit<br />
weiten Hochebenen. Plötzlich senkt sich das<br />
Gebirge jäh in die Tiefe: Wir schauen zum<br />
ersten Male über die unendliche Fläche der<br />
Sahara, gelb im Vordergrund, blau wie das<br />
Meer am Horizont, dazwischen orange und<br />
rot. Vergessen ist der Dreck, unser Enthusiasmus<br />
dominiert!<br />
Langsam steigen wir aus den Bergen hernieder.<br />
Heisser Wind aus dem Bauche der<br />
Sahara schlägt uns ins Gesicht. Sand<br />
knirscht zwischen den Zähnen; wir sind ins<br />
Reich der Wüste eingedrungen. Der Sand ist<br />
hart, das. Auto stürmt mit sechzig Kilometer<br />
vorwärts. « Glänzend », sagt mein Freund...<br />
bums, da sitzen wir fest im weichen Dünensand.<br />
Ganz unerwartet, ohne sichtbaren<br />
Grund wechselt der harte mit weichem Flugsand.<br />
Schaufeln, Bretter unterlegen, schaufeln...<br />
so bringen wir uns Meter für Meter<br />
über die Stelle hinweg. Kein Vergnügen unter<br />
afrikanischer Sonne bei 40 Grad Celsius im<br />
Schatten! Unser Vorrat an Mineralwasser<br />
nimmt bedenklich ab. Aber nicht nur unsere<br />
Kehlen brauchen Feuchtigkeit, auch der Motor<br />
braucht dringend Wasser. Bei den langen<br />
Manövern im ersten Gang kommt der Kühler<br />
zum Kochen. Bei Kilometer sechzig bleibt der<br />
Wagen zum achten Male im Sande stecken.<br />
Da haben wir genug für den Tag. Wir entfalten<br />
das Zelt und legen uns erschöpft schlafen.<br />
Dieser Anfang war nicht sehr ermutigend-Statt<br />
der ausgerechneten hundertfünfzig<br />
Kilometer haben wir nur sechzig hinter uns<br />
gebracht. Unser' Motor hat viel zu viel vom<br />
Wasser-vorrat verbraucht<br />
Die Sonne versinkt als glühende Kugel im<br />
Dunste, der über der Wüste lagert Kühle<br />
kommt mit der Nacht Einsamkeit und Stille<br />
herrschen um uns. Irgendwo im unendlichen<br />
Sandmeer summt unser Primuskocher. Zwei<br />
winzige Menschlein reden vom Besiegen der<br />
Sahara. Ein kleiner Teufel hinter uns lacht.<br />
Fröstelnd reiben wir im kalten Morgengrauen<br />
die Hände. Mit neuer Energie schaufeln<br />
wir den Wagen frei und überwinden<br />
auch diese Stelle. Wieder jagt das Auto über<br />
den harten Sand. Stunde um Stunde geht alles<br />
gut. Wir triumphieren! — Aber der kleine<br />
Teufel hinter uns lacht<br />
Gegen Mittag bildet sich am Horizont eine<br />
gelbe Wolke, die sich rasch vergrössert. Nach<br />
einer weiteren Stunde steht vor uns eine unheildrohende,<br />
rötliche Wand. Es ist vollkommen<br />
windstill, aber ein zischendes Geräusch<br />
in der Luft macht einen nervös. Man duckt<br />
sich, gelähmt vor etwas Kommendem. Die<br />
drückende Schwüle erschwert das Atmen.<br />
Auch der Motor zieht nicht mehr. Ausgerechnet<br />
in diesem Moment geraten wir in eine<br />
weite Fläche losen Sandes. Der Motor pustet,<br />
das Wasser im Kühler kocht. Mit zehn Kilometer<br />
Geschwindigkeit kämpfen wir im ersten<br />
Gang mit dem Sand. Nur jetzt nicht stehenbleiben!<br />
Mein Freund klettert zum Kühler und<br />
füllt Wasser nach, doch plötzlich sinken die<br />
Vorderräder tief ein, die Hinterräder drehen<br />
leer — wir sitzen fest. Kurz darauf trifft uns<br />
der erste Windstoss. Es bleibt kaum Zeit, den<br />
Motor in Decken einzuhüllen und die Fenster<br />
zu schliessen. Dann bricht das Höllenwetter<br />
über uns herein: Es heult, zischt, braust und<br />
stöhnt. Des Sandes wilde Heerscharen reiten<br />
durch die Wüste. Das Auto wird hin und her<br />
gerüttelt; ein Glück, dass es mit den Rädern<br />
im Sande verankert ist Langsam häuft sich<br />
der Sand um uns. An den Fenstern und Türen<br />
bilden sich kleine Sandwälle. Wir können<br />
.kaum noch atmen in der dicken, sandgeschwängerten<br />
Luft im Innern des Wagens. In<br />
Nase, Mund und Ohren setzt sich der feine<br />
Sändstaub. Die Augen tränen, die Zunge klebt<br />
am Gaumen, kein Wort kommt über unsere<br />
dürren Lippen. Wir starren wie gelähmt...<br />
Ist das das Ende?<br />
Es wird Nacht. Immer noch tobt der Sandsturm.<br />
Müdigkeit übermannt uns. Furchtbare<br />
Träume schrecken den müden Körper aus<br />
kurzem Schlaf... Draussen ist klarer Sternenhimmel.<br />
Gierig reissen wir die Fenster<br />
auf und saugen kühle Nachtluft in die halberstickten<br />
Lungen.<br />
Beim Tageslicht übersehen wir den Ernst<br />
unserer Lage. Die Wüste hat sich während<br />
dem Sturm verändert. So weit das Auge<br />
reicht, umgibt uns loser Dünensand. Das bedeutet<br />
mühsames Vorwärtskommen mit Hilfe<br />
der Schaufeln und Bretter. Um die Mittagsstunde<br />
haben wir auf diese Weise einen Kilometer<br />
zurückgelegt. Die Kräfte sind erschöpft,<br />
das Wasser im Motor verdampft. Der Wind<br />
und die heisse Sonne entziehen auch dem<br />
Körper die kostbare Feuchtigkeit. Wir flüchten<br />
uns vor dieser furchtbaren Sonne ins Zelt<br />
und schlafen den lähmenden Hitzeschlaf.<br />
Weiter geht der Kampf mit dem Sand. Es<br />
wird Abend... Nacht. Wieder summt unser<br />
Primuskocher in der Unendlichkeit der Wüste.<br />
Wir aber schweigen, denken nicht mehr an<br />
Besiegen. Später bestimmen wir unseren<br />
Es prangt der Wald in bunten Farben<br />
als habe er sich über Nacht —<br />
da frierend alle Blüten starben —<br />
zum letzten Feste schön gemacht.<br />
Zum Schmucke webt in seine Zweige<br />
der Nebel Silberschleier ein;<br />
der Wind spielt ihm auf seiner Geige<br />
ein Lied in Tönen zart und fein.<br />
Dann stimmt in dieses Liedes Klingen<br />
leis raunend da und dort ein Blatt;<br />
es will zum Tanze auf sich schwingen<br />
und sinkt zur Erde — sonnensatt.<br />
Standort nach den Sternen und halten Rat<br />
Es wird beschlossen, rechtwinklig von. unserer<br />
bisherigen Richtung abzubiegen, um<br />
irgendwo auf die Piste Biskra-Touggourt zu<br />
stossen.<br />
Verbissen arbeiten wir uns am Morgen in<br />
der neuen Richtung vorwärts. Es geht um<br />
Sein oder Nichtsein. Der Kühler des Autos<br />
trinkt das Mineralwasser, das für unsere dürstenden<br />
Körper bestimmt war. Den Motor<br />
stellen wir ab, sobald das Wasser heiss geworden<br />
ist. Dann machen wir Pause und<br />
lassen abkühlen. Es geht so allerdings sehr<br />
langsam vorwärts, aber wir sparen das kostbar<br />
gewordene Wasser. Zwetschgenkerne im<br />
Mund verhindern das völlige Eintrocknen des<br />
Gaumens. Ueber Mittag Ruhe im Zelt! Zwei<br />
Stunden später springt der Motor nicht mehr<br />
an. Mein Freund kurbelt von Hand; ich prüfe<br />
und; suche. Kostbare Zeit geht verloren. Der<br />
Kondensor im Unterbrecher ist durchgebrannt.<br />
Ersatz — es geht — hurrah! Fieberhaftes<br />
Arbeiten. Wettlauf mit der Sonne. Der<br />
Sand wird etwas besser. Wir kommen stellenweise<br />
ohne die Bretter durch. Es dämmert...<br />
da... am Horizont — eine Kara--<br />
Begegnung in der Sahara,<br />
Von Heinrich Lämmlln<br />
wane! Ist es eine Luftspiegelung, oder sind<br />
wir schon im Stadium der Halluzinationen?<br />
Nein! Sie ist Wirklichkeit! Mit dem Fernglas<br />
sehen wir jede Einzelheit Wir schreien,<br />
schwenken Tücher und schiessen mit dem<br />
Browning in die Luft — vergebens. Langsam<br />
und sicher zieht die Karawane weiter — entschwindet<br />
im Dunst. Wie beneiden wir diese<br />
Kamele, die so sicher über den Sand dahirischreiten!<br />
Einsam steht unser Zelt in dunkler Nacht.<br />
Leise raschelt der Sand, der mit dem Winde<br />
wandert Zwei erschöpfte Menschen suchen<br />
im Schlaf neue Kraft, träumen von frischem<br />
Wasser und grünen Palmen...<br />
Drei Tage später erreichen wir, ausgedörrt<br />
und abgemagert, Biskra, geschlagen und besiegt<br />
vom allmächtigen Sande der Sahara.<br />
Luzern<br />
Schiller Hotel Garni<br />
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o.Badu.Tel. Zimmer v. Fr. 4.50<br />
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Ed. Leimnruber, Bes.