E_1936_Zeitung_Nr.034
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Automobil-Revue — N° 34<br />
Ein einzigartiges Beispiel hoher Auffassung<br />
der Vaterpflichten hat Tokio begeistert. In der<br />
Sexta einer Knaben-Mittelschule erschien eines<br />
Morgens vor Unterrichtsbeginn ein älterer<br />
Herr, nahm ruhig einen Platz auf einer Schulbank<br />
ein und wartete inmitten der erstaunten<br />
Knabenschar auf das Erscheinen des Lehrers,<br />
dem er dann eine Erklärung für sein sonderbares<br />
Verhalten gab. Sein Sohn, Schüler dieser<br />
Klasse, sei an einer schweren Erkältung erkrankt<br />
und könne deshalb die Schule nicht<br />
besuchen. Das wäre ausserordentlich unangenehm,<br />
denn gerade die Anfangsgründe des<br />
Schulwissens seien für die künftige Ausbildung<br />
sehr wichtig, und deshalb habe er, der<br />
Vater, sich entschlossen, an Stelle seines<br />
Sohnes dem Unterricht beizuwohnen. Er könne<br />
das hier empfangene Wissen seinem kranken<br />
Sprössling übermitteln, und auf diese Weise<br />
würde die Ausbildung des Kindes durch die<br />
Krankheit nicht beeinträchtigt.<br />
Der Lehrer war über diesen Vorschlag ebenso<br />
erstaunt wie die Mitschüler dieses neuen,<br />
schon etwas älteren Sextaners, der kein Geringerer<br />
war als ein verdienstvoller pensionierter<br />
Generalmajor der japanischen Armee.<br />
Und gerade diese Verdienste des alten Generals<br />
gaben den Ausschlag: man erlaubte ihm,<br />
an Stelle seines Sohnes bis zu dessen Wiederherstellung<br />
tatsächlich dem Unterricht beizuwohnen,<br />
und gewann in ihm einen eifrigen<br />
Schüler.<br />
Ein solches Beispiel der Erfüllung der Vaterpflichten<br />
beschäftigte natürlich auch die<br />
Oeffentlichkeit in Tokio. Einem Reporter hat<br />
der wieder zum Schüler gewordene hohe Offizier<br />
die sittlichen Hintergründe seines Verhaltens<br />
aufgedeckt. — « Mein erster Sohn », sagte<br />
er, « starb in seiner frühesten Jugend. Dieser<br />
andere Kleine ist mir als mein einziger Erbe<br />
geblieben. Nun bin ich heute ein alter Mann,<br />
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der im Ruhestand lebt, und zu nichts mehr<br />
nütze, als mein Kind zu einem tüchtigen Menschen<br />
für sein Vaterland zu erziehen. Das ist<br />
noch meine einzige geistige und sittliche Aufgabe.<br />
Und warum sollte ich nicht für meinen<br />
Jungen für einige Zeit die Schulbank drücken,<br />
wenn widrige Umstände es erfordern? Ich<br />
finde, alle Väter, die ihre Pflichten gegenüber<br />
ihren Söhnen und dem Vaterland richtig erfassen,<br />
müssten gegebenenfalls so handeln! »<br />
Im patriotischen Japan hat man dieser Auffassung<br />
des verdienten Generalmajors begeistert<br />
zugestimmt. Er ist für eine Zeitlang der<br />
Held von Tokio.<br />
Zwanzig. Cents tue bitten Säugling.<br />
Was geschieht mit Findlingskindern in Paris,<br />
Wien, in Schanghai? Die Wienerin hat es nicht so<br />
bequem wie die Midinette von Paris, welche nur<br />
zum Mont de Pitie pilgert, das Kind in einer Anstalt<br />
abgibt und nie nach dem eigenen Namen oder<br />
dem Vaternamen ihres Säuglings gefragt wird. Die<br />
Uebernahmsstelle von Wien führt genaues Register.<br />
Und nun Schanghai: Hier gibt es feste Uebernahmepreise<br />
für solche Kinder, die von der Mutter<br />
nicht mehr erhalten werden können. In einem<br />
Kloster steht unter vergitterten Fenstern ein Korb.<br />
Mehreremal am Tag erscheinen dort Mütter, legen<br />
ihre Neugeborenen hinein, klopfen ans Fenster und<br />
nehmen von einer Nonne ein Silberstück entgegen.<br />
Früher warfen arme Chinesinnen ihre «überzähligen»<br />
Säuglinge einfach in den nächsten Fluss. Als<br />
einmal eine solche Frau ihr neugeborenes Töchterchen<br />
in den Whanghoffluss werfen wollte, kam<br />
eine Nonne des Wegs und bot ihr 20 Cents für<br />
das kleine Opfer an. Die Mutter übergab ihr das<br />
Kind, und am nächsten Tag erschienen aus allen<br />
Dörfern der Umgebung über hundert Chinesinnen,<br />
die alle 20 Cents für ein kleines Kind wollten.<br />
Seither hat man in Schanghai den üblichen Preis<br />
für einen Säugling auf 20 Cents festgesetzt. Y.<br />
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unserer neuen<br />
Beilage? Ihre<br />
Meinungsäusserung<br />
ist uns<br />
wertvoll.<br />
Automobil-Revue, Bern<br />
Eine kostliche Woche lang hatte die hohe<br />
Wanderung gedauert, sieben Tage zwischen<br />
grauen Felsen und weissen Graten unter einem<br />
blauen Himmel, den hie und da leichte Wolken<br />
durchzogen. Zwischen Morgen und Abend lagen<br />
die Wunder der weissen Welt, die du auf<br />
den Brettern durchstreiftest: der Aufstieg zur<br />
Spitze, die sich in den weiten Himmel zeichnete,<br />
die Sonnenrast am Rande der Welt und die Niederfahrt<br />
über den Gletscher, der ohne Ufer<br />
schien und der doch immer wieder viel zu rasch<br />
zu Ende war. Die Tage waren voll Hitze und<br />
Sommer, voll Leben und Daseinsfreude. Abends<br />
rauchten die Hüttenfeuer, kamen Kälte und Winter,<br />
heulte der Sturmwind um die Hausecken.<br />
Es war ein Leben der Tat und der Erfüllung, wie<br />
du es selten noch klarer erlebt hattest.<br />
Nun aber ist die Reihe der Wandertage zu<br />
Ende. Du fährst zu Tal. Immer häufiger werden<br />
die braungrünen Erdflecke, die sich vom Schnee<br />
befreit haben, immer schwieriger hat es der Ski,<br />
einen Durchschlupf zu finden, immer mehr wird<br />
der Fluss der Fahrt auf dem salznassen Schnee<br />
gehemmt. Und plötzlich merkst du, dass es nun<br />
mit dem Skilauf vorbei ist. Noch ein Schwung<br />
und noch einer, und um es ganz fein zu machen,<br />
drehst du zum allerletztenmal auf einem nassen<br />
Grasfleck, der vor wenigen Stunden erst ausaperte.<br />
Mühsam ist es da, eine gute Haltung<br />
und das Gleichgewicht zu bewahren. Mit dem<br />
Schnee ist es nun wirklich aus.<br />
Du klopfst den Schnee von deinen nassen<br />
Brettern, suchst dir ein einigermassen trockenes<br />
Plätzchen und streckst dich aus. Und plötzlich<br />
weisst du, warum dir so wohl zumute ist. Die<br />
Erde hat für dich wieder neue Farben, das Auge<br />
fühlt sich befreit von dem Weiss und Blau und<br />
Grau, es sieht entzückt das helle, leichte Grün<br />
der Wiesen, das dunkle Grün der Tannen, das<br />
Gelb der ersten Blumen und das Braun des<br />
nackten Bodens. Auch die Welt der Tiere ist<br />
erwacht. Die Käfer mühen sich, ihr kleines Reich<br />
zu durchschreiten, die Insekten schwärmen um<br />
dich herum, und die Vögel haben sich auf ihren<br />
hohen Flügen mit den Weiten des Himmels verbündet.<br />
Plötzlich gibt es für dich nichts mehr zu tun.<br />
Kein Kampf um den Gipfel ist mehr auszufechten,<br />
kein Steilhang muss auf den langen Brettern<br />
überlistet, keine Gletscherspalte vorsichtig umschlichen<br />
werden und kein kilometerlanger Firn<br />
erwartet, dass du ihn in einer einzigen Schussfahrt<br />
meisterst<br />
Nun schulterst du die Ski und wanderst durch<br />
das Hochtal zur Tiefe. Die Wiesen voller Krokusse<br />
ziehen mit dir, die ernsten Wälder nehmen<br />
dich in ihren Schatten auf und die braunen Alphütten<br />
mit ihren Steinbänken laden ein zur Rast.<br />
Ganz hinten im Tal und unwirklich hoch sind die<br />
weissen Spitzen, auf denen du vor wenigen<br />
Stunden noch verweiltest. Sie liegen hinter dir.<br />
Aber du brauchst das Wissen um diese Taten in<br />
deinem Herzen, um die sorglose Talwanderung<br />
voll und ganz auskosten zu können.<br />
Je tiefer du kommst, desto üppiger wird der<br />
Blumenteppich, desto berauschender werden<br />
die Wohlgerüche der Wälder und Wiesen. Der<br />
erste Blütenbaum ist für dich wie ein grosses<br />
Wunder, vor dem du staunend stehen bleibst<br />
und vor dem der grosse drohende Berg mit all<br />
seinen Gefahren, die du gemeistert hast, verblasst.<br />
Und dir scheint es plötzlich, du hättest<br />
den langen, hohen und oft genug mühsamen<br />
Weg über die Firnfelder der Dreitausendmetergrenze<br />
nur gehen müssen, um diese wunderbare,<br />
erwachende Erde neu sehen zu dürfen<br />
und klarer lieben zu können als je zuvor.<br />
Alfred Graber.<br />
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