E_1936_Zeitung_Nr.038
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Das Benzinparlament hat getagt<br />
Abklärung der technischen Seite der Spritbeimischung<br />
Wie bereits mitgeteilt wurde, hat die<br />
Schweizerische Gesellschaft für das Studium<br />
der Motorbrennstoffe auf Mittwoch, den<br />
6. Mai ins Bürgerhaus nach Bern eine Konferenz<br />
von Behörden, Verbänden und Privaten<br />
einberufen, um die technischen Probleme der<br />
Beimischung von Alkohol zum Benzin zu besprechen.<br />
Die Initiative der genannten Gesellschaft<br />
erfolgte in der Erwägung, dass anlässlich<br />
der Beratung des von den Eidgen.<br />
Räten im Januar <strong>1936</strong> verabschiedeten Finanzprogramms<br />
die Frage der Alkoholbeimischung<br />
eingehend erörtert wurde und der<br />
Bundesrat den Auftrag und die Ermächtigung<br />
erhielt, die Beimischung von Obstspiritus zum<br />
Benzin zu prüfen und sie anzuordnen, wenn<br />
sie sich technisch und wirtschaftlich als<br />
zweckmässig erweist. Die Studiengesellschaft,<br />
der auch die Konsumentenverbände angehören,<br />
will nun die technische Seite der Verwendung<br />
von Alkohol als Motorbrennstoff soweit<br />
abklären, um den massgebenden Behörden,<br />
sofern die Beimischung beschlossen wird,<br />
die vom technischen Gesichtspunkt aus richtigen<br />
Massnahmen vorschlagen zu können.<br />
Dies war der Zweck der Konferenz, die Mittwoch,<br />
10 Uhr, im Bürgerhaus vom Präsidenten<br />
der Studiengesellschaft, Herrn Fr. Hostettler,<br />
Bern, eröffnet wurde, wobei er dies<br />
einleitend den Teilnehmern erklärte. Anwesend<br />
waren Herr Bundespräsident Dr. Meyer,<br />
als Chef des Eidgen. Finanzdepartementes,<br />
ferner zahlreiche Vertreter von eidgenössischen<br />
Behörden. Verkehrsverbänden, Benzinimporteure<br />
und Privatfirmen, insgesamt rund<br />
100 Personen. Die eigentlichen Verhandlungen<br />
wurden vom Präsidenten der Technischen<br />
Kommission der Studiengesellschaft,<br />
Herrn Prof. Dr. Schläpfer, Zürich, geleitet.<br />
Aus der Mitte der Versammlung wurde der<br />
Wunsch geäussert, dass vorgängig der allgemeinen<br />
Aussprache Herr Prof. Dr. Schläpfer<br />
über die wichtigsten Punkte des Problems<br />
ein orientierendes Referat halte, wobei er besonders<br />
über die Ergebnisse jahrelanger Untersuchungen<br />
und Erfahrungen im In- und<br />
Auslande berichtete. Daraus ging vor allem<br />
hervor, dass Alkohol, der in geeigneter Form<br />
und in bestimmten Mengen zum Benzin beigemischt<br />
wird,<br />
ohne Nachteile in Fahrzeugmotoren verwendet<br />
werden kann,<br />
und zwar ohne konstruktive Abänderungen<br />
der Motorfahrzeuge und bei im Vergleich<br />
zu Benzin zum mindesten gleichbleibendem<br />
Brennstoffverbrauch und gleicher Leistung.<br />
Zur Diskussion steht namentlich die Frage,<br />
ob die vorhandenen Alkoholvorräte entwässert,<br />
das heisst in absoluten Alkohol umgewandelt<br />
werden müssen, oder ob die Beimischung<br />
mit Hilfe sog. Stabilisatoren vorgenommen<br />
werden kann. Vertreter beider<br />
Auffassungen kamen an der Konferenz zum<br />
Wort und zeigten vor allem die Notwendigkeit,<br />
dass eine besondere Fachkommission<br />
sich in objektiver Weise mit diesen Problemen<br />
befassen soll. Eine weitere wichtige<br />
Frage bildet die Art der Verteilung des<br />
Brennstoffgemisches, indem die vorhandenen<br />
Alkoholvorräte nicht dazu ausreichen würden,<br />
um die vom technischen Standpunkte<br />
aus als Mindestbeimischung geforderten 10<br />
Prozent Alkohol auf den gesamten schweizerischen<br />
Benzinverbrauch zu verteilen. Auch<br />
die massgebenden Vertreter der Alkoholverwaltung<br />
nahmen zu diesen Fragen Stellung<br />
und erklärten der Versammlung, dass die Beimischung<br />
einer Notlage entspringe und mit ihr<br />
nicht beabsichtigt sei, die Obstspiritusproduktion<br />
zu fördern, sondern im Rahmen des Möglichen<br />
abzubauen. In Diskussion steht die<br />
Schaffung eines Spezialbrennstoffes oder die<br />
Abgabe höherer Alkoholbeimischungen an<br />
bestimmte Verbrauchergruppen, insbesondere<br />
auch an öffentliche Verwaltungen. In dieser<br />
Hinsicht wurden seitens eines Vertreters der<br />
Benzinimporteure sehr interessante Angaben<br />
gemacht. Die schweizer. Studiengesellschaft<br />
wurde mit Zustimmung des anwesenden Bundespräsidenten<br />
beauftragt, zwei je siebenköpfige<br />
Fachkommissionen<br />
im Einverständnis mit den Behörden zu bilden,<br />
in denen die Interessenkreise möglichst<br />
umfassend vertreten sein sollen. Die eine<br />
Kommission soll sich mit den rein technischen<br />
Fragen befassen und die andere mehr die<br />
Verteilungsfragen abklären. In diesen Kommissionen<br />
sollen die Probleme sachlich und<br />
objektiv erörtert, und sollen den Behörden<br />
die Ergebnisse beförderlichst unterbreitet<br />
werden.<br />
Die Konferenz war in dem Sinne für alle<br />
Beteiligten befriedigend, als im Augenblicke,<br />
in dem die verschiedensten Meinungen zu<br />
dieser Frage fast täglich in der Presse erörtert<br />
werden, nun eine völlig neutrale Instanz<br />
sich dieser technische^ Belange angenommen<br />
hat, und zwar unter der Leitung eines<br />
berufenen Fachmannes wie Herrn Prof.<br />
Schläpfer in Zürich. Qamit besteht die Hoffnung,<br />
dass, wenn die zuständigen Behörden<br />
einen entsprechenden Beschluss fassen, sich<br />
die technische Ausführung auf Vorschläge<br />
einwandfrei und objektiv durchgeführter wissenschaftlicher<br />
Arbeit stützen kann.<br />
Die technische Seite der Beimischungsfrage<br />
hat an der Aussprache am vergangenen Mittwoch<br />
ihre Abklärung gefunden. In Fachkreisen<br />
ist man sich heute darüber einig, dass an<br />
Stelle der ursprünglich vorgesehenen 3prozentigen<br />
Spritbeimischung eine solche von 10<br />
bis 25% treten soll, wejl dieses Mischungsverhältnis<br />
technisch günstiger liegt. Diese Erkenntnis<br />
führt zwangsläufig zu der weiteren,<br />
dass keine Rede davon sein kann, die Verteilung<br />
so auszugestalten, dass der Beimischungszwang<br />
sämtliche Automobilisten erfasst.<br />
Vielmehr können dafür nur einzelne<br />
Gruppen in Betracht fallen, vor allem Post<br />
und Militär und ändere' Grossabnehrher, wäHr<br />
renddem die übrige Privatwirtschaft vor dem<br />
Gemisch verschont bleiben soll. Bei einem<br />
Mischungsverhältnis von auch nur 10% Alkohol<br />
würden die Spritvorräte überdies gar<br />
Veikeht<br />
« Dir will ich den Meister zeigen !» Zu<br />
dem unter diesem Titel in Nr. 36 der « A.-R.»<br />
veröffentlichten Artikel geht uns von einem<br />
Leser folgende Erwiderung zu :<br />
Herr Dr. W. befürwortet eine Vorschrift,<br />
durch welche der Lenker- eines Motorfahrzeuges,<br />
dem ein anderer vorfahren will, dazu<br />
verhalten werden soll, seine Geschwindigkeit<br />
noch weiter zu massigen, um das Vorfahren<br />
zu erleichtern; auf keinen Fall soll<br />
das vorausfahrende Fahrzeug, das von rückwärts<br />
ein « Vorfahrsignal» erhält, sein Tempo<br />
nun plötzlich beschleunigen dürfen.<br />
So berechtigt eine derartige Vorschrift in<br />
gewissen Fällen sein mag — besonders dann,<br />
AUTOHOBJL-REVUE N° 38.<br />
nicht ausreichen, um das gesamte Land,mit<br />
dem Gemisch zu versehen, ganz zu schweigen<br />
davon, dass der Benzinhandel der Schaffung<br />
einer neuen Verteilungsorganisation ablehnend<br />
gegenübersteht, weil eine solche vom<br />
kaufmännischen Standpunkt aus nicht tragbar<br />
wäre. Dazu gesellt sich als weiteres Moment<br />
die Tatsache, dass die Alkoholverwaltung<br />
darauf bedacht ist, die Spritproduktion nach<br />
Möglichkeit abzubauen, was ihr allerdings<br />
nicht leicht fallen wird, denn in das «geheiligte»<br />
Recht der Hausbrennerei wird sie<br />
kaum eine Bresche zu schlagen wagen. Für<br />
wie lange unter diesen Umständen die Spritbeimischung<br />
als «vorübergehende Massnahme»<br />
beibehalten wird und werden muss,<br />
darüber tappt man vorläufig im Dunkeln. Die<br />
Zukunft wird lehren, was es mit diesem «Provisorium»<br />
auf sich hat<br />
Und die wirtschaftliche Seite?<br />
Bei der Objektivität, welche die Verhandlungen<br />
des «Benzinparlaments» auszeichnete,<br />
stellt man mit Genugtuung fest, dass auch die<br />
wirtschaftlichen Interessen des Automobils<br />
berührt wurden, in deren Sphäre die Spritbeimischung<br />
eingreift. Trotzdem sich die Versammlung<br />
in erster Linie mit technischen<br />
Dingen befasste, konnte sie die wirtschaftlichen<br />
Aspekte des Problems nicht einfach<br />
ignorieren. Und dabei erwies es sich, dass<br />
man sich der Bedeutung dieser Seite der Angelegenheit<br />
voll bewusst ist. Dieser Einsicht<br />
entsprang denn auch der Wunsch nach einer<br />
allseitigen gründlichen &üfung, ein Wunsch,<br />
der mit eines der Motive für die Ernennung<br />
zweier Kommissionen bildete, wovon die eine<br />
sich besonders mit der Verteilungs- und<br />
Preisfrage zu befassen haben wird. In diesem<br />
entscheidenden Punkt des Beimischungszwanges<br />
— woran heute nicht mehr zu zweifeln<br />
ist — eine entsprechende Herabsetzung des<br />
Benzinzolls eintreten soll, hat der Bundesrat<br />
das letzte Wort.<br />
Wie sagt doch der Bericht der Alkoholverwaltung<br />
für das Geschäftsjahr 1934/35? Mit<br />
der Beimischung von 60,000 hl Sprit zum<br />
Benzin gelänge es, das Defizit der Alkoholverwaltung<br />
mit einem Schlag um neun Millionen<br />
zu vermindern. Irgendwoher aus unserer<br />
Automobilwirtschaft müssen aber diese neun<br />
Millionen auch dann noch kommen, wenn das<br />
Gemisch vorweg von Post und Militär übernommen<br />
würde. Es sei denn, der Bundesrat<br />
fasse wirklich den Entschluss, die Spritbeirpischung<br />
auf Kosten des Benzinzolles vorzunehmen<br />
und den Konsumenten ungeschoren<br />
zu lassen. Doch das klänge fast wie ein<br />
Märchen. Wird er der lockenden Versuchung<br />
widerstehen können, die Leerung der Sprittanks<br />
mit einem Geschäft für den Fiskus zu<br />
verbinden?<br />
Co.<br />
wenn der vorausfahrende Fahrzeuglenker<br />
plötzlich, sobald er die Vorfahrabsicht merkt,<br />
von einem « sportlichen Ehrgeiz» gepackt<br />
wird —, so würde die allgemeine Durchführung<br />
dieses Prinzips doch zu unerwünschten<br />
Konsequenzen führen.<br />
Man denke nur an unsere leider immer<br />
noch zahlreichen staubigen Alpenstrassen.<br />
Soll der Lenker eines starken Wagens, der<br />
auf einer solchen Staubstrasse in massigem<br />
Tempo fährt, gezwungen sein, nicht nur<br />
rechts zu halten, sondern auch sofort langsamer<br />
zu fahren, wenn er hinter sich ein<br />
Hupensignal hört, bloss weil es der Lenker<br />
des hinter ihm herfahrenden Vehikels angenehmer<br />
findet, nun den andern den Staub<br />
schlucken zu lassen, statt wie bisher in der<br />
Staubwolke des Vorausfahrenden zu fahren ?<br />
Und wie, wenn nun der Ueberholte aus dem<br />
gleichen Grunde, sofort nach dem Uberholtwerden,<br />
seinerseits Gas gibt und den Vorgefahrenen<br />
auffordert, nun ihn vorbeizulaslen<br />
?<br />
' s f i s c h e r<br />
Autofriedhof schafft Geschäftsbelebung.<br />
Eine der grössten amerikanischen Autoreparaturwerkstätten<br />
gibt bekannt, dass sich<br />
auf ihrem «Autofriedhof» über 2000 alte Wagen<br />
befinden, die jedem Interessenten gratis<br />
zur Verfügung stehen. Die Kalkulation der<br />
Firma bei diesem «grosszügigen» Angebot ist<br />
nicht allzuschwer zu durchschauen: alte Wagen<br />
brauchen viel Reparaturen, und es ist anzunehmen,<br />
dass die Gesellschaft an diesen Reparaturen<br />
ein Vielfaches von dem verdienen<br />
wird, was für sie bei der «Ausschlachtung»<br />
der alten Karren herausgekommen wäre.<br />
Autoiahren als Schulfach.<br />
In verschiedenen Londoner Mittelschulen<br />
wird der schon seit längerer Zeit erteilte<br />
Verkehrsunterricht jetzt dahin erweitert, dass<br />
die Schüler der höheren Klassen praktischen<br />
Unterricht im Autofahren erhalten. Wie dies<br />
in England bei solchen Gelegenheiten üblich<br />
ist, wird an die Grosszügigkeit reicher Gönner<br />
appelliert, um den Schulen richtige Automobile<br />
als Lehrmaterial zu beschaffen, ein<br />
Appell, der bereits seine Früchte zu tragen<br />
beginnt.<br />
Frauen am Volant.<br />
Eine sehr interessante Uebersicht über die<br />
zunehmende Bedeutung des «weiblichen Herrenfahrers»<br />
gibt eine Zusammenstellung, welche<br />
die «Automobile Association» soeben<br />
fertiggestellt hat. Unter ihren rund 500,000<br />
Mitgliedern befinden sich mehr als 86M00<br />
weibliche, also rund ein Sechstel. In den<br />
45,000 Fällen, in denen Mitglieder vom ständigen<br />
Hilfsdienst der A. A. Gebrauch machten,<br />
stammten rund 15,000 Hilferufe aus weiblicher<br />
Kehle: hier stellt sich also das Verhältnis<br />
auf 3:1. Uebrigens konstatieren die zu<br />
Hilfe gerufenen Ingenieure ein ständig steigendes<br />
Interesse und Verständnis für technische<br />
Fragen bei den autofahrenden Damen. Weit<br />
weniger häufig aber haben die Fahrerinnen<br />
von der juristischen Hilfe des Vereins Gebrauch<br />
gemacht, was ein vorzügliches Licht<br />
auf ihre Fahrdisziplin wirft.<br />
Ernstere Folgen könnte eine derartige Vorschrift<br />
nach sich ziehen, wenn der zu überholende<br />
Wagen auf der Talseite einer schmalen<br />
Bergstrasse, also dem Abgrund entlang<br />
fährt. Kommt nun von rückwärts ein grosser<br />
breiter Wagen, der rücksichslos nach vorn<br />
drängt, so müsste nun nach Dr. Wettstein<br />
der « langsamere » Wagen (der vielleicht in<br />
Wirklichkeit der schnellere ist, aber vernünftig<br />
fährt) nicht nur sofort an den äussersten<br />
Strassenrand, hart an den Abgrund heranfahren,<br />
sondern auch unter allen Umständen<br />
den andern vorfahren lassen.<br />
«Fiskalische Schonuna des Automobils». Der<br />
Schweizerische Camion-Verband hat an den Bundesrat<br />
eine Eingabe gerichtet, worin er verlangt, dass<br />
die Abgabe verbilligten Benzins, wie sie heute den<br />
ausländischen Automobilisten gewährt wird, auch<br />
auf den Lastwagenverkehr und die landwirtschaftlichen<br />
Traktoren ausgedehnt werde. In der Begründung<br />
dieses Begehrens schlägt der erwähnte<br />
Verband unsere Exekutive mit ihren eigenen Waffen,<br />
holt er doch die Botschaft des Bundesrates zur<br />
letzten Benzin^ollerhöhung- am 25. Juni 1935 hervor,<br />
die, soweit die Automobilbesteuerung in Frage<br />
steht, den Hinweis auf die «Reserven > enthält,<br />
« welche noch in der fiskalischen Schonung eines<br />
Bedürfnisses liegen, das zum Teil luxusmässigen<br />
und sportlichen Charakter besitzt >. (Uebriuens:<br />
« Schonung • des Automobils vor den Zugriffen<br />
des Fiskus ist gut gesagt, besonders wenn man sich<br />
daran erinnert, dass der Benzinzoll längst die<br />
Haupteinnahmequelle des Bundes darstellt!) Damit<br />
gibt -der Bundesrat selbst zu. dass eben der « andere<br />
Teil > dieses Verkehrs nicht dem Luxus und<br />
auch nicht dem Sport dient. Was nicht nur auf<br />
einen ansehnlichen Teil der Personenwagen, sondern<br />
erst recht in vollem Umfang auf den Lastwagen<br />
zutrifft<br />
den versehen », fügte er hinzu. « Ich hoffe,<br />
es wird Ihnen nicht allzuviel Mühe machen,<br />
sich ein oder zwei Kleider zu nähen.»<br />
Sie verzog den Mund, um ihre Unerfahrenheit<br />
im Schneidern kundzutun. Dass sie ängstlich<br />
und verwirrt war und tapfer versuchte,<br />
es zu verbergen, war mir ganz klar.<br />
«Ich nehme an, dass Sie ebenso wie Herr<br />
van Weyden dort gewohnt sind, alles durch<br />
andere für sich tun zu lassen. Nun, ich denke.<br />
Ihnen wird kein Stein aus der Krone fallen,<br />
wenn Sie einmal selbst etwas für sich tun<br />
müssen. Womit erwerben Sie sich übrigens<br />
Ihren Unterhalt.<br />
Sie sah ihn mit unverhohlenem Erstaunen<br />
an.<br />
«Ich will Sie nicht beleidigen, glauben Sie<br />
mir. Man isst, daher muss man arbeiten.<br />
Diese Männer hier schiessen Robben, um zu<br />
leben; aus demselben Grunde führe ich diesen<br />
Schöner, und Herr van Weyden verdient<br />
sich, wenigstens jetzt, sein Brot, indem er<br />
mir hilft. Nun, und was tun Sie ? »<br />
Sie zuckte die Achseln.<br />
«Ernähren Sie sich selbst, oder werden<br />
Sie durch andere ernährt ? »<br />
«Ich fürchte, den grössten Teil meines<br />
Lebens hat mich ein anderer ernährt». lachte<br />
sie, indem sie einen tapfern Versuch machte,<br />
auf den neckischen Ton Wolf Larsens einzugehen,<br />
obgleich ich wachsendes Entsetzen in<br />
ihren Augen aufsteigen sah.<br />
« Ich nehme an, dass ein anderer auch das<br />
Bett für Sie macht ? »<br />
« Ich habe mir mein Bett gemacht», erwiderte<br />
sie.<br />
« Oft ? »<br />
Sie schüttelte den Kopf mit verstellter<br />
Reue.<br />
« Wissen Sie, was man in den Staaten mit<br />
Armen tut, die, wie Sie, nicht für ihren<br />
Unterhalt arbeiten ? ><br />
« Ich bin sehr unwissend», erwiderte sie,<br />
«was tut man mit meinesgleichen ? »<br />
* Man sperrt sie ein. Das Verbrechen, seinen<br />
Lebensunterhalt nicht zu verdienen, wird<br />
Landstreicherei genannt. Wäre ich Herr van<br />
Weyden, der sich andauernd mit der Frage<br />
beschäftigt, was Recht und Unrecht ist, so<br />
würde ich fragen, mit welchem Recht Sie<br />
leben, wenn Sie nichts tun, um Ihren Unterhalt<br />
zu verdienen ? »<br />
«Da Sie aber nicht Herr van Weyden<br />
sind, brauche ich Ihnen nicht zu antworten,<br />
nicht wahr ? »<br />
Sie sandte ihm aus ihren angstvollen Augen<br />
einen strahlenden Blick, der so rührend<br />
war, dass es mir ins Herz schnitt. Ich musste<br />
irgendwie versuchen, dem Gespräch eine andere<br />
Wendung zu geben.<br />
« Haben Sie je einen Dollar durch eigene<br />
Arbeit verdient ? » fragte er triumphierend,<br />
im voraus seiner Sache sicher.<br />
« Ja, das habe ich >, antwortete sie langsam,<br />
und ich hätte fast über sein verlegenes<br />
Gesicht lachen können. «Ich erinnere mich,<br />
dass mein Vater mir einmal, als ich ein kleines<br />
Mädchen war, einen Dollar gab, weil ich<br />
fünf Minuten lang still war.»<br />
Er lächelte nachsichtig.<br />
« Aber das ist lange her », fuhr sie fort.<br />
«Und Sie werden wohl kaum verlangen,<br />
dass ein neunzehnjähriges Mädchen sich seinen<br />
Lebensunterhalt selbst verdient.<br />
« Gegenwärtig aber», fuhr sie nach einer<br />
kurzen Pause fort, «verdiene ich ungefähr<br />
achtzehnhundert Dollar jährlich.<br />
Alle Augen hoben sich auf einmal von den<br />
Tellern und hefteten sich auf sie. Eine Frau,<br />
die achtzehnhundert Dollar jährlich verdiente,<br />
war wert, angeschaut zu werden. Wolf Larsen<br />
verhehlte seine Bewunderung nicht.<br />
« Gehalt oder Akkordarbeit ? ><br />
« Akkordarbeit», antwortete sie rasch.<br />
«Achtzehnhundert », rechnete er. «Das<br />
macht hundertundfünfzig monatlich. Nun,<br />
Fräulein Brewster, wir sind nicht kleinlich<br />
auf der .Ghost'. Betrachten Sie sich für die<br />
Dauer Ihres Aufenthaltes als mit demselben<br />
Gehalt angestellt.»<br />
Sie sagte nichts. - Sie war seine Einfälle<br />
noch nicht so gewohnt, dass sie sie mit<br />
Gleichmut hingenommen hätte.<br />
«Ich vergass zu fragen », fuhr er liebenswürdig<br />
fort, < welcher Art Ihre Beschäftigung<br />
ist. Was für Werkzeuge und Material<br />
brauchen Sie.»<br />
« Papier und Tinte », lachte sie. «Ach,<br />
und auch eine Schreibmaschine.»<br />
« Sie sind Fräulein Maud Brewster », sagte<br />
fch langsam und sicher, als beschuldigte ich<br />
sie eines grossen Verbrechens.<br />
Ihre Augen hoben sich neugierig zu den<br />
meinen. « Woher wissen Sie das ? »<br />
« Stimmt es nicht ? » fragte ich.<br />
Sie nickte zustimmend. Jetzt war die Reihe,<br />
verblüfft zu sein, an Wolf Larsen. Ihm<br />
bedeutete der Name nichts. Ich war stolz<br />
darauf, dass er mir etwas bedeutete, und<br />
zum erstenmal seit langer Zeit wurde ich<br />
mir meiner Ueberlegenheit über ihn bewusst<br />
(Fortsetzung folgt.)