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E_1936_Zeitung_Nr.084

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BERN, Freitag, 16. Oktober <strong>1936</strong><br />

Automobil-Revue, II. Blatt - Nr. 84<br />

Oft ist das Leben...<br />

Oft ist das Leben lauter Licht<br />

Und funkelt freudefarben<br />

Und lacht und fragt nach denen nicht,<br />

Die litten, die verdarben.<br />

Doch immer ist mein Herz bei denen,<br />

Die Leid verhehlen<br />

Und sich am Abend voller Sehnen<br />

Zu weinen in die Kammer stehlen.<br />

So viele Menschen weiss ich,<br />

Die irren leidbeklommen,<br />

All ihre Seelen heiss ich<br />

Mir Brüder und willkommen.<br />

Gebückt auf nasse Hände<br />

Weiss ich sie abends weinerr,<br />

Sie sehen dunkle Wände<br />

Und keine Lichter scheinen.<br />

Doch tragen sie verborgen,<br />

Verirrt und wissen's nicht,<br />

Durch Finsternis und Sorgen<br />

Der Liebe süsses Licht.<br />

Hermann Hesse.<br />

Greta Garbo<br />

Das Alter<br />

der Schauspielerin<br />

Von Greta Garbo.<br />

Die Frau, über deren Flucht aus der Oeffent-<br />

(ichkeit in letzter Zeit fast täglich neue Einzelheiten<br />

berichtet werden, die Schauspielerin, die — gerade,<br />

weil sie so gar nichts dazu tut — seit vielen<br />

Jahren im Mittelpunkte des Interesses der ganzen<br />

Welt steht, soweit Filme über die Leinwand laufen,<br />

Greta Garbo hat sich gegenüber einem Freundüber<br />

eine Frage geäussert, die wohl jeder Frau,<br />

jeder Schauspielerin am Herzen liegt.<br />

Es gibt kaum jemanden, der nicht behauptet,<br />

alle Filmschauspielerinnen hätten die menschlich<br />

Verständliche Eigenschaft, sich für möglichst jung<br />

auszugeben. Jeder glaubt, dass sie von Oscar<br />

Wildes Spruch «Frauen sollen nie ihr richtiges Alter<br />

angeben, es sieht so berechnend äusl> besonders<br />

reichlich Gebrauch machen.<br />

Ich möchte daher für alle Filmschauspielerinnert<br />

ein gutes Wort einlegen.<br />

Sie wissen, dass die meisten Schauspielerinnen,<br />

wenn nicht früher, so doch spätestens mit 18 Jahren<br />

entdeckt werden. Die Ausnahmen kann man<br />

wirklich zählen.<br />

Nehmen.wir an, eine solche junge Dame kommt<br />

gleich in ihrem ersten Film mit gutem Erfolg heraus.<br />

Sie hören zum ersten Male ihren Namen. Sie gefällt<br />

Ihnen. Sie hören nach einem Vierteljahr zum<br />

zweiten Male von Ihr — und jetzt kennen Sie sie<br />

schon.<br />

Prüfen Sie einmal nach, ob meine Behauptungstimmt:<br />

Nach einem Jahr ist sie eine alte.Bekannte,<br />

Und Sie haben den Eindruck, schon vor mindestens,<br />

zwei Jahren von ihr gehört zu haben. Nach drei<br />

Photo Metxo Goldwyn-Mayor<br />

Jahren ihrer Tätigkeit kennen Sie sie schon endlos<br />

lang. Sie glauben, es müsse mindestens fünf bis<br />

sechs Jahre her sein, seit Sie sie zum ersten Male<br />

gesehen haben.. Nach zehn Jahren ist die Schauspielerin<br />

ganze achtundzwanzig, und Sie werden<br />

sie auf mindestens zweiundvierzig schätzen, da Sie<br />

sie ja schon lange, so furchtbar lange kennen...<br />

Sie wären bestimmt niemals unhöflich genug,<br />

einer Dame der Gesellschaft nachzusagen, sie sei<br />

dreissig, wenn sie erst neunundzwanzig ist. Aber<br />

Filmschauspielerinnen werden immer für älter gehalten,<br />

als sie tatsächlich sind, und man findet gar<br />

nichts dabei, ihnen die Höflichkeit zu versagen, die<br />

man sonst Damen gegenüber unbedingt beobachtet.<br />

Wo bleibt der Ritter, der sie verteidigt? Dabei<br />

haben Filmschauspielerinnen durchaus nicht immer<br />

ein Interesse daran, sich um jeden Preis jünger<br />

zu machen. Wenn eine Schauspielerin von<br />

dreissig einen Backfisch noch glaubhaft und echt<br />

zu spielen vermag —> spricht das nicht viel mehr<br />

für ihre Künstlerschaft als die Angaben in ihrem<br />

Geburtsschein? Wenn es ihre Rolle erfordert, dann<br />

allerdings hat jede Schauspielerin den unbedingten<br />

Ehrgeiz, jünger zu wirken. Aber Sie tun .ihr<br />

Unrecht, wenn Sie Spass daran finden, sich über<br />

ihr Alter unnütze und oft boshafte Gedanken zu<br />

machen.<br />

Vergessen-Sie-doch bitte nicht, dass Filmschausprelerinnen<br />

auch Damen sind...<br />

.{Nachdruck, auch auszugsweise, verboten!], cpr<br />

Warum „happy end 44 ?<br />

Der Name sagt es schon: die Sache ist amerikanischer<br />

Herkunft. Man gebraucht die Bezeichnung<br />

meist in absprechendem Sinne, um auszudrücken,<br />

dass Film schon deswegen nicht viel mit<br />

wirklicher Kunst zu tun haben könne, weil die<br />

Frage des Filmschlusses nach den Wünschen der<br />

grossen Masse und nicht nach den künstlerischen<br />

und psychologischen Notwendigkeiten gelöst<br />

würde. Der Film sei ein Stück Unterhaltungsindustrie,<br />

erfülle lediglich Wunschträume der Zuschauer,<br />

und daher komme es, dass auch der Aus-<br />

§ang stets den primitivsten Lustgefühlen des Pu-<br />

Itkums 'gerecht werden müsse.<br />

Die Erklärung ist zu oberflächlich, als dass sie<br />

ganz richtig sein könnte. Gewiss ist das «happy<br />

end> als fast normaler Filmabschluss etwas typisch<br />

Filmisches. Und es ist auch nicht zufällig, dass die<br />

Amerikaner mit der besonderen Vorlieoe für ein<br />

«glückliches» Filmende den Anfang gemacht haben.<br />

Wie wir ihnen die Tillergirls verdanken —<br />

jene menschlichen Tanzmaschinen auf der Revuebühne<br />

—, so neigen sie auch sonst zu feststehenden<br />

und mit mascninenmässig mechanischer Sicherheit<br />

wiederkehrenden Ausdruckmitteln: Chaplins<br />

Stöckchen, Harald Lloyds Hornbrille sind Zeichen<br />

dieser Freude am Stereotypen. Und so ist das<br />

«happy end> das ungeschriebene Gesetz des Filmabschlusses.<br />

Geht es während der Filmhandlung<br />

auch noch so wild und wüst zu, der Zuschauer<br />

darf beruhigt sein, die steile Kurve seiner Erregung<br />

wird absinken zu normaler Gemütsbewegung,<br />

er wird in befriedigter Stimmung und mit dem Ausgang<br />

versöhnt das Kino verlassen.<br />

Aber sollte nicht doch noch etwas mehr hinter<br />

dem happy-end-Prinzip stecken als dieser äussere<br />

Zusammenhang?<br />

In der Kunst spielt der Handlungsausgang eines<br />

Werkes eine Rolle, die in ihrer Bedeutung je nach<br />

der Kunstart verschieden ist. Bei der Musik finden<br />

wir die Auflösung in einem harmonischen Schlussakkord.<br />

Die Frage, ob das Stück fröhlich oder<br />

traurig endet, kann gar nicht gestellt werden.<br />

Auch ein lyrisches Gedicht braucht nicht versöhnlich<br />

zu enden (Lenau u. v. a.). Wenn aber in einem<br />

Kunstwerk eine Handlung auf etwas hinzielt, wenn<br />

ein Handlungsablauf festzustellen ist, der aus dem<br />

Bezirk der reinen Gefühlswelt hinausführt, dann<br />

muss auch ein inhaltlich versöhnendes Element<br />

hervortreten, dann müssen beim Leser und Zuschauer<br />

befriedigende oder beruhigende Vorstellungen<br />

aufgerufen werden, wenn das Ganze überhaupt<br />

einen künstlerischen Genuss auslösen soll.<br />

Das Endergebnis muss über alle bisher aufgetretenen<br />

Unlustgefühle hinweghelfen.<br />

Ueber dieses sogenannte «Problem des Tragischen><br />

gibt es eine ganze umfangreiche Literatur.<br />

Viele Bühnendichter, und sogar die grössten, haben<br />

sich zu Zeiten gezwungen gesehen, ihren<br />

Werken eine zweiten, «glücklicheren» Abschluss<br />

zu geben (Schiller im «Fiesco>, Ibsen in der<br />

«Nora»). Bei den Griechen gehörte zur Tragödie<br />

als regelmässiger Abschluss ihrer Festspiele das<br />

Satirspiel; die nach drei langen Tragödien aufgestaute<br />

Spannung musste im Gelächter über den<br />

frechen Spott eines Lustspiels sich lösen und untergehen.<br />

Schon daraus dürfte zu ersehen sein, dass<br />

man dem Film unrecht tut, wenn man ihm vorwirft;<br />

dass er als Afterkunst das «bewährte Schema des<br />

glücklichen Ausganges» pflege. Oder mit anderen<br />

Worten, dass das «nappy end» des Films der Ausdruck<br />

des planmässigen Bestrebens sei, «den Zuschauern<br />

jedes tragische Lebensgefühl vorzuent?<br />

halten.»<br />

Ueber Begriff und Vorzüge eines tragischen<br />

Lebensgefühls wollen wir nicht streiten. Aber wichtig<br />

ist, dass der Film auch bei der Frage nach<br />

dem «Happy end» aus seinen eigenen Gesetzen<br />

heraus beurteilt wird. Im Leben gibt es kein Ende,<br />

keinen Abschluss, wie in einem Kunstwerk. Das<br />

Leben drängt sich in keiner Phase auf ein paar<br />

Stunden mit Exposition, Steigerung, Höhepunkt und<br />

Katastrophe zusammen wie ein Drama. Auch der<br />

Tod ist im Leben, so sehr er eine Lücke, einen<br />

Abgrund aufzureissen vermag, niemals ein Ende,<br />

wie es der Vorhang nach einem Bühnenspiel ist,<br />

in dem auch das Sterben dem Zuschauer bewusst<br />

als ein «Spiel» gegenübertritt. Denn der<br />

Schauspieler steht wieder auf und verbeugt sich.<br />

Der Film ist nun die Ausdruckskunst, die das<br />

reale Leben am unmittelbarsten und scheinbar<br />

ganz objektiv widerspiegelt. Auf der Kino-Leinwand<br />

geht kein Spiel vor sich, sondern diese Fläche<br />

wirkt als Spiegel, als Einfangfläche wirklichen<br />

Geschehens oder eines irgendwo einmal wirklich<br />

Geschehenen. Wie im Leben und für den naiven<br />

Menschen der Tod ein Uebel schlechthin bedeu*<br />

tet, ein Uebel, dem man aber schon nach der<br />

Grablegung mit neuem Lebensmut begegnet, so<br />

verlangt auch die filmische Ausdruckskunst nach<br />

einem gegengewichtigen, weiterführenden Abschluss.<br />

Der Tod eines Helden auf der Bühne hat<br />

typische Wirkung und bedeutet die beispielhafte<br />

Erlösung von einem gequälten, schuldverstrickten<br />

Dasein oder aus furchtbarer Gewissensfolter. Der<br />

Tod eines Helden im Film bedeutet individuelles<br />

Schicksal, das nur dann auf Allgemeininteresse<br />

stösst, wenn die ganze Handlung so qngelegt ist,<br />

dass das Leben über den Einzelfall hinweggeht.<br />

Wie das Leben niemals im Negativen verharrt, so<br />

kann auch ein Kunstwerk, das dieses Leben mit<br />

eigengesetzlichen Mitteln plastischer und anschaulicher<br />

als jedes andere wiedergibt, nie rein tragisch<br />

abschliessen.<br />

Das «happy end» des Films hat tiefere Bedeu*<br />

tung als die Spötter ahnen, weil der «goldene<br />

Ueberfluss der Welt» eben eine optische und nicht<br />

eine akustische Angelegenheit ist.<br />

(Filmwoche.!

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