E_1940_Zeitung_Nr.009
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m AUTOMOBIL-REVUE DIENSTAG, 27. FEBRUAR <strong>1940</strong> —<br />
N»9<br />
Einfluss des jungen Polen und seiner Mitverschworenen.<br />
Zwar war die moralische Seite der Angelegenheit<br />
der Zarin gleichgültig, aber die politischen<br />
Intrigen der Freunde Katharinas reizten sie doch<br />
so sehr, dass Poniatowski eines Tages den Befehl<br />
erhielt, Russland sofort zu verlassen. Aber noch<br />
übte Bestuscheff seinen ganzen Einfluss auf die<br />
Zarin aus, und er erwirkte, dass der junge Pole<br />
drei Monate später im Gefolge des Königs August<br />
III. von Polen und Kurfürsten von Sachsen<br />
mit dem Range eines Gesandten nach Russland zurückkehrte.<br />
Schon um diese Zeit bestand die Absicht, im<br />
Falle des Todes der Zarin den jungen Grossfürsten<br />
Paul zum Zaren unter der Regentschaft Katharinas<br />
auszurufen. Diese Intrigen führten 1758 zur Verhaftung<br />
Bestuscheffs und zu seiner Verbannung<br />
nach Sibirien. Katharina hatte die Geistesgegenwart,<br />
alle kompromittierenden Papiere zu vernichten,<br />
aber sie wusste, welch gefährliches Spiel sie<br />
getrieben hatte. Wochenlang durfte sie nicht vor<br />
der Zarin erscheinen.<br />
Zweifellos war der Gedanke Bestuscheffs, den<br />
verrückten Grossfürsten Peter vom Throne auszuschalten,<br />
richtig. Die intelligente und kultivierte<br />
Katharina würde gewiss für Russland eine würdigere<br />
Herrscherin sein. Die Verhältnisse, die sich<br />
jetzt am russischen Hofe entwickelten, waren<br />
selbst für russische Begriffe unhaltbar. Die Zarin<br />
Elisabeth fiel von einem Extrem ins ändere. Entweder<br />
lag sie stundenlang vor den Heiligenbildern,<br />
oder sie huldigte masslosen Ausschweifungen. Oft<br />
musste man sie nach sinnlosen Exzessen betrunken<br />
ins Bett bringen, und sie duldete nicht einmal,<br />
dass man sie entkleidete.<br />
Wie stellte sich nun der Grossfürst Peter zu<br />
dem Verhältnis, das seine Gattin zu Poniatowski<br />
unterhielt? Er bildete sich plötzlich ein, dass<br />
durch diese Beziehungen sein Leben bedroht sei.<br />
Als Poniatowski eines Morgens in der Frühe den<br />
Schlossflügel verliess, in dem Katharina wohnte,<br />
wurde er von einer Abteilung Soldaten verhaftet.<br />
Man führte ihn vor den Grossfürsten Peter. Auf<br />
die Fragen des Gatten Katharinas antwortete Poniatowski<br />
sehr geschickt, und nachdem dieser den<br />
Eindruck gewonnen hatte, dass tatsächlich nur die<br />
Liebe die Zusammenkünfte des jungen Polen mit<br />
seiner Frau bestimmte, Hess er ihn frei, denn<br />
dieses Verhältnis störte ihn nicht im mindesten.<br />
Aber Poniatowski zog aus dieser Verhaftung eine<br />
Lehre. Er suchte nun — die Freundschaft Peters.<br />
Und wie erlangte er diese? Indem er sich der<br />
Geliebten des Grossfürsten, Elisabeth Woronzoff,<br />
näherte, die stolz war, dass ein so grosser Mann<br />
ihre Protektion suchte.<br />
«Bist du nicht ein grosser Dummkopf, dass du<br />
so lange gezögert hast, mich zum Vertrauten zu<br />
machen?» fragte Peter den Polen, als ihm dieser<br />
seine Aufwartung machte. Am meisten gefiel es<br />
ihm, dass Poniatowski seine Soldaten gelobt hatte,<br />
die bei seiner Verhaftung so grosse «Geschicklichkeit»<br />
gezeigt hatten, wie er sich ausdrückte. «Da<br />
wir nun gute Freunde sind», rief er aus, «so fehlt<br />
nur noch jemand.» — «Und darauf», erzählt Poniatowski<br />
selbst, «begab er sich rasch in das Zimmer<br />
seiner Frau, zerrte sie aus dem Bett, Hess ihr nicht<br />
einmal Zeit, sich Strümpfe und Schuhe anzuziehen<br />
oder einen Morgenrock überzuwerfen. Im Nachtgewand<br />
führte er sie mit den Worten herein: «Nun,<br />
da ist sie. Ich hoffe, ihr seid zufrieden mit mir.»<br />
Vorher hatte er noch zu seinem neuen Freund gesagt:<br />
«Bleiben Sie doch, essen Sie zu Nacht mit<br />
mir. Sie wissen ja, ich habe auch eine Geliebte.»<br />
Darauf blieben alle vier in der grössten Fröhlichkeit<br />
zusammen. Es wurde vier Uhr morgens, als<br />
man sich trennte.<br />
So ging es viele Wochen lang fort. Die bizarren<br />
Gewohnheiten Peters, seine wüsten Gelage<br />
Es gibt Kindheitseindrücke, die man nicht vergisst,<br />
obwohl es sich sehr oft nur um Belanglosigkeiten<br />
handelt. Ich weiss aber noch ganz genau<br />
aus meinen Kindertagen die «Katastrophe mit dem<br />
fliegenden Schwan>l Es war auf dem sogenannten<br />
Familientag bei meiner Grossmutter. Jede Woche<br />
einmal fand er statt, und immer gab es etwas besonders<br />
Gutes zu essen. Aber das imponierte uns<br />
Kindern nicht am meisten — viel wichtiger war<br />
das Rätselraten um die Servietten. Grossmutters<br />
altes Mädchen, Emilie, war nämlich eine wahre<br />
Künstlerin im Serviettenfalten. Was gab es da<br />
nicht alles zu sehen: Bischofmützen, Fächer, «das<br />
versteckte Brötchen», die Rose usw. Und eines Tages<br />
hatte sich Emilie die unendliche Mühe gemacht,<br />
einen «fliegenden Schwan» zu modellieren.<br />
Das schön gemusterte Leinen der Servietten<br />
war in tausend Fältchen gelegt, in anatomischer<br />
Unmöglichkeit ragten Flügel nach zwei Seiten, dpr<br />
Schwanenhals, auf den Emilie so stolz war, sah<br />
aus wie eine gestopfte Wurst I Mein Vater wagte<br />
dies laut zu sagen. Emilie wurde böse — der Familientag<br />
endete äusserst ungemütlich. Und alles<br />
wegen des «fliegenden Schwanes» auf dem Teller.<br />
Seit diesem Tag hatte ich mir geschworen, meine<br />
Servietten nicht in künstliche Formen zu pressen,<br />
die mit dem Zweck des Gegenstandes ja gar<br />
nichts zu tun haben. Heute ist man Gort sei Dank<br />
etwas abgekommen von dem konstruierten Serviettenfalten,<br />
das Leinen oder das schöne Kunstseidengewebe<br />
wird nicht mehr in tausend Fältchen<br />
gelegt und zerknittert. Die Kultur des Tischdekkens<br />
hat sich dem allgemeinen Geschmack angepasst.<br />
Hochaufgebaute Tafelaufsätze, die einem<br />
den Blick auf das Gegenüber versperren, kennt<br />
man nicht mehr; an ihre Stelle ist die flache Blumenschale<br />
getreten. Reizend sind auch die kleinen<br />
Blumenbehälter, die vor jedes Gedeck gestellt<br />
werden, so dass jeder Gast seine eigene Blumendekoration<br />
hat.<br />
nahmen immer mehr zu. Er betrank sich oft in so<br />
unsiniger Weise, dass er nicht mehr stehen konnte.<br />
Trotzdem hätte man es am Hofe für einen unmöglichen<br />
Bruch der Tradition gehalten, wenn Katharina<br />
etwa auf den Gedanken gekommen wäre,<br />
getrennte Schlafzimmer zu verlangen. Ende des<br />
Jahres 1758 brachte die Grossfürstin wieder ein<br />
Kind, diesmal ein Mädchen, zur Welt. Niemand<br />
machte ein Geheimnis daraus, dass Poniatowski<br />
der Vater sei. In seiner dummen Art platzte Peter<br />
bei Tisch vor allen Leuten in die Worte heraus!<br />
«Weiss der Himmel, wo sie die Kinder hernimmt?<br />
Ich habe keine Ahnung, dass dieses Kind das meinige<br />
ist.» Dieser Ausspruch wurde der Grossfürstin<br />
hinterbracht, und sie schickte jemand zu Peter,<br />
der diesem mitteilte, Katharina könne unter Eid<br />
versichern, dass das Neugeborene sein Kind sei.<br />
Als die kleine Prinzessin zur Welt kam, hatte<br />
Peter noch in anderer Weise sein bizarres Wesen<br />
gezeigt. In der Nacht fühlte Katharina die ersten<br />
Wehen. Der Grossfürst, den man benachrichtigt<br />
hatte, zog sofort seine Galauniform an und erschien<br />
mit einem ungeheuren Säbel bewaffnet am<br />
Bette Katharinas. Er war so betrunken, dass et<br />
sich kaum auf den Beinen halten konnte. Als Katharina<br />
ihn fragte, was dieser seltsame Aufzug zu<br />
bedeuten habe, da antwortete er, nur bei solchen<br />
Gelegenheiten erkenne man seine wahren<br />
Freunde. In dieser Kleidung sei er bereit, das<br />
grossfürstliche Haus gegen alle seine Feinde zu<br />
verteidigen. Und da er seine Frau allein glaubte,<br />
wäre er zu ihrer Hilfe herbeigeeilt.<br />
Trotz allem wurde Katharina von der Zarin<br />
dauernd überwacht. Aber sie verstand es, allen<br />
Wächtern ein Schnippchen zu schlagen. Mit Hilfe<br />
von Wandschirmen Hatte sie sich in ihrem Schlafzimmer<br />
ein Kabinett geschaffen. Hier empfing sie<br />
die Gäste, die von anderen nicht gesehen werden<br />
sollten, und in diesem künstlich geschaffenen Zimmer<br />
hielt sie ihre lustigen Gesellschaften. Nirgends<br />
amüsierte man sich besser als bei der Grossfürstin.<br />
Sie lag meist im Bett, konnte aber durch<br />
einen zurückgezogenen Vorhang und einen beiseitegeschobenen<br />
Wandschirm von ihrem Lager<br />
aus die ganze Gesellschaft ausgezeichnet unterhalten.<br />
Wurde ein Hofbeamter gemeldet, der kam,<br />
um zu spionieren, so Hess sie schnell den Vorhang<br />
zuziehen und die Wand vorschieben. Ihre Gesellschaft<br />
verhielt sich einen Augenblick ruhig, und<br />
der Betreffende verliess die Grossfürstin in der<br />
festen Ueberzeugung, sie allein gefunden zu haben.<br />
Sobald er aber fort war, feierte die fröhliche<br />
Tafelrunde weiter. Katharina erklärte ihrem Diener,<br />
sie habe einen Hunger für vier. Sie Hess sich<br />
ungeheure Platten Fleisch, Früchte und allerlei<br />
Leckerbissen bringen und bot sie ihren Gästen an.<br />
Auch für Poniatowski schlug eines Tages die<br />
Stunde des Abschieds. Er musste sich an den<br />
Hof von Warschau begeben. Katharina Hess ihn<br />
nicht einmal ungern gehen; sie liebte die Abwechslung.<br />
Aber sie vergass ihn nicht. Als er wieder<br />
nach Russland zurückkehrte, zierte die polnische<br />
Königkrone sein Haupt. Er verdankte sie Katharina.<br />
Peter III, wurde am 18. Juli 1762 ermordet. Als<br />
Katharina diese Nachricht vernahm, zeigte sie sich<br />
als vollendete Schauspielerin. Sie spielte vor dem<br />
Hofe die schmerzgebeugte Frau. Der Leichnam<br />
Peters wurde in das Alexander-Newskikloster<br />
überführt, wo sein Grab bald in Vergessenheit;;geriet.<br />
Erst der Sohn, Zar Paul I„ der seine Mutter<br />
tödlich hasste, zog nach Katharinas Tod die Gebeine<br />
seines Vaters hervor. Er Hess den toten Kaiser<br />
krönen und ihm die gleichen Ehren erweisen<br />
wie der eben verstorbenen Kaiserin. Und gleichsam<br />
wie zum Hohne, Hess er beide Seite an Seite<br />
bestatten, als habe sie nie etwas im Leben getrennt.<br />
Ein „fliegender Schwan" auf dem Teller<br />
Soll man künstliche Blumen zur Tafeldekoration<br />
nehmen? Diese Frage wird jetzt aktuell. Es gibt<br />
reizende Tafeldekorationen aus Porzellan in<br />
Form von B|umen — und doch sollte man nach<br />
Möglichkeit frische Blumen vorziehen.<br />
Wie eng darf man die Teller stellen? Diese<br />
Frage bereitet jungen Hausfrauen, die zum ersten<br />
Male Gäste haben, oft etwas Kopfzerbrechen.<br />
Man rechnet im Durchschnitt 70 Zentimeter Zwischenraum<br />
zwischen den einzelnen Gedecken.<br />
Schöner ist es natürlich, wenn man mehr Platz hat,<br />
aber in den Neubauwohnungen ist der Platz die<br />
grösste Kostbarkeit. Nicht ist ungemütlicher für die<br />
Gäste als ein zu enges Sitzen; während des Essens<br />
darf man den Nachbarn nicht mit dem Ellbogen<br />
berühren, ausserdem muss zum Servieren<br />
genügend Platz sein. Dass alle Speisen immer von<br />
links angeboten werden, weiss wohl jeder, gebrauchte<br />
Teller werden von rechts förtgenommen.<br />
Serviert man. einen Auflauf, so vergesse man<br />
nie, um die Auflaufschüssel ejne Serviette oder —<br />
wenn man es hat — einen aus Stoff angefertigten<br />
Umschlag zu binden. Für die Servierende ist dies<br />
eine grosse Erleichterung, und die Gäste verbrennen<br />
sich -nicht.<br />
Wer giesst die Getränke ein? Diese nützliche<br />
Tätigkeit überlasse man dem Hausherrn I Es sieht<br />
nicht hübsch aus, wann die Hausfrau mit der<br />
Weinflasche herumwandert. Immer wird von rechts<br />
eingegossen I<br />
Die Speisen nett auszurichten, kostet nicht<br />
mehr — und wird dankbar empfunden. Es<br />
schmeckt allen besser, wenn man merkt, dass die<br />
Hausfrau sich Mühe gegeben hat, auch äusserlich<br />
der Tafel ein festliches Gepräge zu geben. Dabei<br />
soll man aber nicht in den Fehler verfallen, die<br />
Speisen auf alle mögliche Arten zu «frisieren»;<br />
dies ist genau so unsinnig wie der «fliegende<br />
Schwan»,<br />
Norwegens grösster Kriminalfall,<br />
Die mysteriöse Geisterbeschwörung von Kristianssand<br />
Geheimnisvoller Tod und — Happy End.<br />
Eine Hochzeit die jetzt in Oslo, der Hauptstadt<br />
Norwegens, stattfand, setzt den Schlussstrich<br />
Unter den sensationellsten Kriminalfall<br />
der letzten Jahre, der bis heute weder von<br />
Kriminalisten, noch von Psychologen und Okkultisten<br />
gelöst werden konnte. Ingeborg Koeber-Dahl,<br />
ein berühmtes Medium, heiratete den<br />
Rechtsanwalt Segelcke, einen der bekanntesten<br />
Advokaten der norwegischen Hauptstadt. Sie<br />
war beschuldigt worden, den Tod ihres Vaters,<br />
des Bürgermeisters Ludwig Dahl, verschuldet<br />
zu haben. Segelcke verteidigte sie, und sie<br />
wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen.<br />
Die Geister sagen den Tod voraas.<br />
Im Sommer 1934 starb der Bürgermeister<br />
der kleinen norwegischen Stadt Kristianssand.<br />
Er ertrank beim Baden im Fjord, an derselben<br />
Stelle, an der sein Sohn Ludwig 15 Jahre vorher<br />
ertrunken war. Seine Tochter Ingeborg,<br />
eine geschiedene Frau Koeber, die zugegen<br />
war, machte sofort Wiederbelebungsversuche.<br />
Sie waren umsonst: Der Bürgermeister war<br />
tot.<br />
Bürgermeister Dahl, der ein weltbekannter<br />
Okkultist war, hatte verschiedene Werke über<br />
transzendentale Dinge geschriben, die das Leben<br />
nach dem Tode zum Vorwurf hatten. Mit<br />
seinen beiden Jungen, Ludwig und Ragnar, die<br />
er früh verloren hatte, war er in ständiger<br />
Geisterverbindung. In dem Hause des Bürgermeisters<br />
wurden regelmässig spiritistische<br />
Sitzungen abgehalten, und Ingeborg Koeber,<br />
als Medium, vermittelte die Verbindung mit<br />
den Geistern. Trotz der ständigen spiritistischen<br />
Seancen im Hause Dahls war die Atmosphäre<br />
dort weder geheimnisvoll, noch<br />
krankhaft. Die Familie lebte außerordentlich<br />
glücklich, und Geisterbeschwörungen hatten<br />
keinen Schrecken für sie. Im Orte selbst war<br />
Bürgermeister Dahl geachtet und geehrt.<br />
Unmittelbar nach dem Tode des Bürgermeisters<br />
erklärte Gustav Apenes, sein Nachfolger<br />
und ebenfalls ein begeisterter Anhänger<br />
des Spiritismus, dass die Geister Dahls Tod<br />
vorausgesagt hätten. Ingeborg Koeber, das Medium,<br />
hatte vor vielen Monaten eine Botschaft<br />
ihres Bruders Ragnar verkündet, dass ihr Vater<br />
binnen einem Jahre, jedoch nicht vor dem<br />
Juni 1934, sterben würde. Dahl kannte diese<br />
Botschaft nicht, da er bei dieser Sceance nicht<br />
zugegen gewesen war; Ingeborg selbst wusste<br />
nichts von der übermittelten Botschaft, da sie<br />
sie im Trancezustand vermittelt hatte. Apenes<br />
war der einzige Zeuge.<br />
Die versiegelte Botschaft.<br />
Gleichzeitig mit dieser grausigen Voraussage<br />
hatte der Geist Ragnars verkündet, dass<br />
sich in Händen einer Frau Stolt-Nielsen eine<br />
versiegelte Botschaft befände. Sie solle nach<br />
des Vaters Tod gelesen werden.<br />
Frau Stolt-Nielsen, Ingeborgs Freundin, besass<br />
tatsächlich einen solchen versiegelten<br />
Briefumschlag. Nach ihren Aussagen waf er<br />
ihr in einer anderen Sceance durch den Geist<br />
ihrer toten Tochter übergeben worden. Sie<br />
hatte, aus Respekt vor den Geistern, den Umschlag<br />
nie geöffnet; nach dem Tode des Bürgermeisters<br />
jedoch wurde er geöffnet. Er enthielt<br />
die Worte: «Bürgermeister Ludwig Dahl<br />
wird durch einen Unfall im August 1934 sterben.»<br />
Die Spiritisten der ganzen Welt waren zutiefst<br />
beeinflusst durch diese Botschaft; die<br />
Skeptiker jedoch begannen Nachforschungen<br />
anzustellen.<br />
Tod hat keinen Schrecken.<br />
Da Bürgermeister Dahl ein ausgezeichneter<br />
Schwimmer gewesen war und kerngesund, war<br />
der Unfall noch unverständlicher. Die Psychologen<br />
meinten, dass er Kenntnis gehabt haben<br />
musste von der Todesbotschaft, und sich<br />
das Leben genommen habe, um ihre Wahrheit<br />
zu beweisen. Andere meinten, dass er unter<br />
dem hypnotischen Einflüsse seiner Tochter gestanden<br />
habe. Ingeborg Koeber, die die Botschaft<br />
vermittelte, mochte gewollt haben, dass<br />
ihr Vater starb. In diesem Hause, in dem man<br />
fast täglich mit den Geistern der Toten sprach,<br />
hatte der Tod keinen Schrecken.<br />
Diese Theorie, den Vater zum Selbstmord<br />
veranlasst zu haben, veranlasste einen Vetter<br />
des Verstorbenen, den Richter am Hohen Gerichtshof,<br />
Bonnevie, Anklage gegen Ingeborg<br />
Koeber wegen «Tod durch hypnotischen Einfluss»<br />
zu erheben. Richter Bonnevie wollte den<br />
Fall klären.<br />
Ein tragisches Mysterium wird ein sensationeller<br />
Kriminalfall.<br />
Die Untersuchung brachte heraus, dass Dahl,<br />
dessen Ehrenhaftigkeit unantastbar gewesen<br />
war, vielleicht durch Ueberlastung mit okkulten<br />
Dingen, seinen Pflichten als Bürgermeister<br />
nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt<br />
hatte. In der städtischen Kasse fehlten 60 000<br />
Kronen; die Frau des Bürgermeisters gestand,<br />
dass sie von dem Fehlbetrag gewusst hatte.<br />
Dies bestärkte die Selbstmordtheorie und die<br />
Theorie des hypnotischen Einflusses.<br />
Diese Nachricht verursachte, vor allen Dingen<br />
in den spiritistischen Zirkeln Skandinaviens,<br />
eine ungeheure Erregung. Die Achtung<br />
der Spiritisten für den toten Freund war so<br />
gross, trotz dieser ungeheuerlichen Entdeckung,<br />
dass sie eine Sammlung veranstalteten, um<br />
unter sich die fehlenden 60 000 Kronen aufzubringen<br />
und den Fehlbetrag deckten, um den<br />
guten Namen Dahls wieder herzustellen.<br />
Die Lebensversicherung.<br />
Die zweite Sensation war die Aussage der<br />
Vertreter der Lebensversicherungsgesellschaft,<br />
bei der Dahl versichert war. Gegen niedrige<br />
Prämien war die Versicherungssumme verhältnismässig<br />
riesengross; jedoch enthielt die Versicherung<br />
die Klausel, dass die grosse Summe<br />
nur ausgezahlt würde, wenn Dahl vor dem<br />
15. August 1934 stürbe. Nach diesem Datum<br />
würden die Erben keine Zahlung empfangen.<br />
Die Art dieser Lebensversicherung, die in<br />
angelsächsischen Ländern vielfach abgeschlossen<br />
wird, war in Skandinavien eine Seltenheit.<br />
Seit dem Fall Dahl ist sie durch die norwegische<br />
Regierung verboten worden.<br />
Dahl starb am 5. August. Geld, für das er<br />
verantwortlich war, fehlte; sein guter Name<br />
war in Gefahr. Seine Frau war unterrichtet.<br />
In einer Geistersitzung war eine Botschaft seines<br />
toten Sohnes gekommen, die Dahls Tod<br />
voraussagte. Es wurde vorausgesetzt, dass<br />
Frau Ingeborg Koeber und ihre Freundin Frau<br />
Stolt-Nielsen, unwissend waren;' aber durch<br />
sie waren die beiden Botschaften im Trance<br />
übermittelt worden. Zu viel Geheimtiis für die<br />
Polizei.<br />
Ingeborg und ihre Mutter wurden verhaftet,<br />
und der sensationellste Kriminalfall Norwegens,<br />
ja ganz Skandinaviens, begann. Die<br />
grössten Psychiater Nqrwegens, die Professoren<br />
Scharffenberg f Vogt und Harbitz gaben<br />
vor Gericht .ihr Urteil über «psychischen Mord»<br />
ab. Experten, Psychologen, Juristen aus der<br />
ganzen Welt wurden vernommen.<br />
Leben nach dem Tode.<br />
Die beiden Angeklagten, Mutter und Tochter,<br />
beteuerten ihre Unschuld. Alles, was sie getan<br />
hatten, war im guten Glauben geschehen.<br />
Aber Richter Bonnevie Hess nicht locker. Und<br />
er hatte einen gleichwertigen Gegner in dem<br />
Anwalt Ihgeborg Koebers, Segelcke. Bonnevie<br />
brachte die Lebensversicherung und die fehlenden<br />
60 000 Kronen zur Sprache, die er als<br />
Todesgrund betrachtete. Sehr gut könnte die<br />
Ursache des Todes hypnotischer Befehl dazu<br />
gewesen sein.<br />
Rechtsanwalt Segelcke, einer der besten Anwälte<br />
Oslos, verteidigte Ingeborg hervorragend.<br />
Er erklärtet dass sie als bewusstloses<br />
Medium Botschaften aus dem Jenseits verkündet<br />
hatte, und dass er überzeugt sei, dass<br />
es ein Leben im Jenseits nach dem Tode gäbe,<br />
genau wie es möglich wäre, dass der tote Sohn<br />
des Bürgermeisters den Tod des Vaters durch<br />
das Medium voraugesagt habe...<br />
Die Anklage wurde schliesslich fallen gelassen.<br />
Eine Woche später verübte Frau Dahl<br />
Selbstmord. Wieder untersuchte die Polizei,<br />
ohne Spuren zu finden. Es schien, als ob Frau<br />
Dahl ihrem Manne ins Jenseits gefolgt wäre.<br />
Happy End nach drei Jahren.<br />
Der grösste Kriminalfall Norwegens blieb<br />
ein Geheimnis. Drei Jahre sind seit jenen aufregenden<br />
Tagen vergangen, und Dahls Tod ist<br />
in Vergessenheit geraten. Bis vor kurzem<br />
durch Ankündigung der Hochzeit Segelckes<br />
mit seiner ehemaligen Klientin Ingebord Koeber<br />
den ganzen geheimnisvollen Fall wieder<br />
ins Gedächtnis zurückrief. Und die öffentliche<br />
Meinung Norwegens betrachtet diese Heirat<br />
als letzten Beweis der Unschuld Ingeborg<br />
Koebers am Tode ihres Vaters. Rr.