E_1940_Zeitung_Nr.009
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BERN, Dienstag, 27. Februar <strong>1940</strong><br />
Automobil-Revue - II. Blatt. Nr. 9<br />
Die eigentlichen Rader- und Gewichtsuhren, wij<br />
sie nun jahrhundertelang in den menschliche<br />
Wohnstätten ticken und schnurren und schlagen<br />
sollten, wurden seit dem 13. Jahrhundert ange<br />
tigt. Etwa um die selbe Zeit entstanden die Turmuhren,<br />
während die ersten Taschenuhren, d\J so-<br />
Eenannten «Nürnberger Eier», erst um 1500 Jferum<br />
ekannt wurden. f,<br />
Welch weiter Weg von der, für die darnani<br />
Zeit genial konstruierten Uhr, die der Kalif Harun<br />
al Raschid an Karl den Grossen sandte, bis zu unserem<br />
heutigen Präzisions-Chronometer... 1<br />
Knlhfirinsi II. nittl Pnni'ifnwclri<br />
Es gibt nichts Melancholischeres als die Uhr,<br />
sagt ein französischer Philosoph: wir spüren mit<br />
jedem Pendelschlag unser Leben gleichsam zerfliessen,<br />
und jede Sekunde, um welche der Zeiger<br />
vorrückt, erinnert uns daran, dass «die süsse Ge-y<br />
wohnheit des Atmens und' des Daseins» —•> wie<br />
Goethes Egmont angesichts des nahen Todes ausruft<br />
— enteilt, entschwindet... und nimmer zurückkehrt.<br />
Und Baudelaire vergleicht die Uhr gar mit<br />
einer finsteren Gottheit, einer unerbittlichen und<br />
schrecklichen Macht, die über uns arme Sterbliche<br />
von der Geburt bis zur Totenbahre zu Gericht<br />
sitzt.<br />
Aber der Volksmund hält diesem charontischen<br />
Pessimismus seine Erkenntnis entgegen: Dem<br />
Glücklichen schlägt keine Stunde...<br />
Im Grunde genommen, ist es eine Angelegenheit<br />
des Temperamentes, des zukunfts- und jenseitsgläubigen<br />
Herzens, wie man sich zur Zeit<br />
stellt.<br />
*<br />
Hat das Ticken einer Uhr wirklich etwas Klägliches,<br />
etwas Beklagenswertes und Trauriges an<br />
sich?<br />
Ist es nicht vielmehr die getreue Begleitung zu<br />
unsern Gedanken und Gefühlen: gestaltet es nicht<br />
unsere Freuden tiefer und harmonischer und die<br />
Leiden verklärter und erträglicher? Ist die Uhr nicht<br />
der gütige Hausgeist, die vertrauteste der Penaten;<br />
scheucht sie uns nicht mit ihrem eiligen Geplauder<br />
die Sorgenfalten von der Stirne und verkürzt mit<br />
silberheller Stimme unsere Stunden der Schwermut,<br />
der Verzagtheit und der Wegverlorenheit, indem<br />
sie diese in Viertelstunden, Minuten und Sekunden<br />
einteilt: klar und beruhigend? Erschjiesst sie uns<br />
nicht immer wieder von neuem die Pforte der<br />
Hoffnung?<br />
In einem Gedicht las ich kürzlich einige- nachdenksame<br />
Zeilen über die Uhr:<br />
In allen Dingen pulsen Herz und Liebe<br />
Die wir mit unserm warmen Blut durchdringen:<br />
Auch in der Uhr ward Seele das Getriebe;<br />
Es lässt auch uns're Herzen mit erklingen.<br />
So mutet uns empfindsame Menschen die Uhr<br />
brüderlich an: sie ist das Abbild der Herzen, mit<br />
denen sie im Gleichklang schlägt.<br />
Wie mancher Dichter ist von diesem mystischen<br />
und symbolhaftesten aller von Menschengeist visionär<br />
gefundenen, nein, von Gott inspirierten Prinzip,<br />
diesem geradezu sakralen, von Menschenhand<br />
mühevoll geformten und immer wieder umgeformten,<br />
neugestalteten und vervollkommneten Instrument<br />
mit tiefer Ergriffenheit gesegnet worden. Wie<br />
wundervoll sagt Rilke in seinem Gedicht «Herbsttag»:<br />
Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr gross.<br />
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,<br />
Und auf den Fluren lass die Winde los...<br />
Mit welcher Beseelung ist hier die Sonnenuhr<br />
als das Beharrende in die Vergänglichkeit gestellt.<br />
HÖR A<br />
Nachdenkliches über die Uhr. Von Johannes Vincent Venner.<br />
Es hiesse ein wichtiges und grundlegendes Kapitel<br />
der Geschichte der menschlichen Kultur<br />
schreiben, und würde den Rahmen dieser bescheidenen<br />
Betrachtung sprengen, wenn wir der Entwicklung<br />
des «Zeitmessers» von seinen Uranfängen<br />
bis zur heutigen Präzisionsuhr nachgehen wollten.<br />
Mögen ein paar Hinweise und ein paar Streiflichter<br />
in nachdenksamen Menschen die Lust erwecken,<br />
der Geschichte der Uhr, unserer treuen<br />
Begleiterin durch Freud und Leid, selbst nachzugehen,<br />
ist sie doch im wahrsten Sinne des Wortes<br />
kein «tot Gerät», sondern erfüllt vom Pulsschlag<br />
des Lebens und eine eindringliche und ständige<br />
Mahnung der Ewigkeit.<br />
Der Stand der archäologischen Studien und Erkenntnis<br />
erlaubt uns auch heute noch nicht —<br />
«und sehen, dass wir nichts wissen können.. .>,<br />
sagt Faust —, anders als mit Vorsicht an die Geschichte<br />
der «Zeitmessung» in prähistorischer Vergangenheit<br />
heranzugehen. Der dichterischen Dejütung<br />
wird daher der weiteste Spielraum gelassen.<br />
Es muss aber ohne weiteres angenommen werden,<br />
dass der Sonnenkult und die nebenhergehende<br />
Anbetung von Mond und Sternen, dem in<br />
früher Zeit alle Völker der Erde, vornehmlich aber<br />
die alten Aegypter, Assyrer und Babylonier, überhaupt<br />
die Orientalen, huldigten, aufs innigste mit<br />
dem Problem der Zeitbestimmung zusammenhingen.<br />
Denn man suchte, seit Menschen geboren<br />
wurden und — wie die reifen Früchte zu ihrer Zeit<br />
von den Bäumen fallen — wieder ins Grab sanken,<br />
nach einer Zeitabschätzung.<br />
Auf prähistorischen Zeichnungen tritt uns immer<br />
wieder entgegen, wie intensiv sich schon der<br />
primitive Mensch mit den fliehenden Stunden, mit<br />
dem Wechsel von Tag und Nacht, dem Kommen<br />
und Gehen der Jahreszeiten, den wechselnden<br />
Sternbildern am Firmament auseinanderzusetzen<br />
suchte.<br />
Aus der Lage der prähistorischen Gräber, die<br />
immer nach Sonnenaufgang orientiert waren, können<br />
wir heute noch gültige Schlüsse ziehen, die<br />
uns mystisch mit der Jahreszeit verbinden, in welcher<br />
der weltenferne, durch tausend Jahre und<br />
mehr von uns getrennte Tote zur letzten Ruhe bestattet<br />
wurde.<br />
Die Runensteine der Kelten waren die Vorläufer<br />
der Sonnen- und Monduhren des Altertums, die<br />
auch schon für die römischen Dichter manch hundert<br />
Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung symbolische<br />
Bedeutung hatten.<br />
Die reichen Patrizier der Antike wetteiferten<br />
miteinander darin, die kostbarsten Sonnenuhren<br />
zu besitzen. Selbst auf ihren Kriegszügen über die<br />
Kontinente führten die Römer Sonnenuhren mit<br />
sich.<br />
In den Gerichtsverhandlungen — berichtet Cicero<br />
— wurde nach ihnen die Rededauer der Advokaten<br />
bemessen. Wie nötig wären diese antiken<br />
Sonnenuhren oft auch in unsern heutigen Gerichtssälen<br />
und Parlamenten am Platz, um dem forensischen<br />
Feuer der Oratoren Einhalt zu gebieten.<br />
Die Sonnenuhr entstand aus dem Sonnenweiser,<br />
dem griechischen «Gnomen». Wir finden sie immer<br />
noch an alten Bauten und betrachten sie andächtig.<br />
Sie bestimmt die Zeit durch Beobachtung<br />
des Schattens eines, der Erdachse parallelen Stabes<br />
oder einer Kante, auf einer in Ziffern eingeteilten<br />
Fläche. Die so ermittelte Zeit — wahre Sonnenzeit<br />
— weicht wegen der ungleichförmigen Bewegung<br />
der Sonne am Himmelszelt von der gleichmassigen<br />
Zeit— der mittleren Sonnenzeit — etwas<br />
ab.<br />
Nach und nach wurde der «Zeitmesser» mechanisiert:<br />
man stellte vorerst die Wasserkraft in seinen<br />
Dienst, indem man tropfendes Wasser durch<br />
einen Kolben trieb und so ein Räderwerk — wohl<br />
das erste Räderwerk einer Uhr — in Bewegung<br />
setzte.<br />
Am vertrautesten von allen alten Zeitmessern<br />
ist uns wohl das Stundenglas, die Sanduhr, die in<br />
der bildenden Kunst fast immer dem Symbol des<br />
Todes, dem Knochenmann mit der Sense, in die<br />
klappernde Hand.gegeben wird.<br />
Wer von uns hat nicht in der Jugendzeit in<br />
der grosselterlichen Gerümpelkammer mit ehrfurchtsvoller<br />
Scheu aus einem Winkel oder einer<br />
alten Truhe solch ein würdig Instrument gefunden?<br />
Wir stellten es wohl auf unser Bücherbrett und kamen<br />
uns nun um vieles weiser und älter vor.<br />
Voltaire äusserte einmal über die grosse russische<br />
Kaiserin: «Es gibt eine Frau, die sich einen<br />
grossen Ruf erworben hat. Das ist die Semiramis<br />
des Nordens. Ich darf mich rühmen, dass ich ein<br />
wenig in ihrer Gnade stehe. Ich bin ihr Ritter<br />
gegen und wider alle. Ich weiss wohl, man wirft<br />
ihr einige Kleinigkeiten gegen ihren Mann vor.<br />
Das sind Familienangelegenheiten, in die ich mich<br />
nicht mische... Sicher hätte ihr greulicher Gatte<br />
nicht eins der grossen Dinge vollbracht, die meine<br />
Katharina alle Tage ausführte.»<br />
Man wird dieses Urteil des Philosophen von<br />
JFernay wohl auch heute noch gelten lassen müssen.<br />
Eine Frau wie Katharina kann nicht nach<br />
r Üemselben Maßstab wie eine durchschnittliche<br />
Bürgersfrau gemessen werden. Noch falscher wäre<br />
es, sie nach den moralischen Grundsätzen unserer<br />
Zeit zu beurteilen. Man muss daher, will man ihr<br />
gerecht werden, erst einmal ihre Zeit und ihre Umgebung<br />
kennenlernen.<br />
Als kleine deutsche Prinzessin war sie mit vierzehn<br />
Jahren an den russischen Hof gekommen, an<br />
•jenen halb asiatischen Hof der Zarin Elisabeth mit<br />
seinem barbarischen Luxus, seinen wüsten Sitten<br />
und seinen öffentlichen und geheimen Liebschaften.<br />
Sie wurde dem Prinzen Peter anvertraut, dem<br />
späteren Zaren Peter III., einem halbverrückten,<br />
kaum dem Knabenalter entwachsenen Menschen,<br />
der mit Puppen und Soldaten spielte und trotz seiner<br />
jungen Ehe sein wüstes Leben weiterführte.<br />
Schliesslich tat Katharina das, was die meisten<br />
Frauen ihrer Umgebung taten: sie nahm sich einen<br />
Geliebten. Es war zuerst Zachar Tschernitscheff,<br />
kurze Zeit darauf der Kammerherr Sergius Saltikoff,<br />
einer der schönsten Männer am Hofe. Als<br />
die Grossfürstin Katharina im Jahre 1754 einen<br />
Sohn zur Welt brachte — den späteren Zaren<br />
Katharina II von Russland.<br />
Paul I. — da zweifelte niemand an der Vaterschaft<br />
Saltikoffs. Nach der Geburt des Thronerben wurde<br />
Saltikoff vom Hofe entfernt. Der Weg für einen<br />
neuen Liebhaber war frei.<br />
Katharina fand ihn in der Gestalt des jungen<br />
Stanislaus Poniatowski, der als Gesandtschaftssekretär<br />
im Gefolge des englischen Gesandten Sir<br />
Charles Williams an den Hof der Kaiserin Elisabeth<br />
kam. Poniatowski war damals 22 Jahre alt,<br />
zwar nicht so schön wie Saltikoff, aber viel verfeinerter,<br />
europäischer. Er hatte eine Zeitlang in der<br />
glänzenden Pariser Gesellschaft gelebt und besass<br />
ihren Geist und ihre Liebenswürdigkeit. Zu jener<br />
Zeit machte -Katharina den Eindruck einer schönen<br />
Frau: sie war schlank,' eher gross als klein,<br />
und ihr frisches Gesicht wirkte bezaubernd. Obwohl<br />
Poniatowski nicht schüchtern war, überlegte<br />
er sich doch, ob er sich der Grossfürstin nähern<br />
sollte. Er kannte nur zu gut das Schicksal, das<br />
die jungen Männer traf, die ihren Gebieterinnen<br />
nicht mehr gefielen. Manch einer der Geliebten<br />
einer Zarin oder einer Grossfürstin hatte sein<br />
Glück auf dem Schaffött oder in der sibirischen<br />
Verbannung gebüsst. Wie immer an einem Hofe,<br />
gab es auch in diesem Falle hochgestellte Männer,<br />
die ein Liebesverhältnis der zukünftigen Kaiserin<br />
für eigene private und politische Zwecke<br />
auszunützen suchten. So war es auch im Falle<br />
Poniatowskis. Der Kanzler Bestuscheff verstand<br />
es, den jungen Polen zu überzeugen, dass Katharina<br />
keine Messalina sei. Als dritter im Bunde<br />
wirkte der englische Gesandte, der der verschwenderischen,<br />
aber von der Zarin knapp gehaltenen<br />
Grossfürstin grosse Geldsummen vorstreckte, um<br />
seinen Einfluss politisch auszuwerten. So wurde<br />
Katharina die Geliebte Pontiatowskis.<br />
Am Hofe fühlte man bald offensichtlich den