E_1940_Zeitung_Nr.018
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BERN, Dienstag, 30. April <strong>1940</strong><br />
Automobil-Revue - II. Blatt, Nr. 18<br />
Zu den<br />
Galeeren verurteilt<br />
Im Altertum war das Ruderschiff zu einer grossen<br />
Vollkomenheit ausgebildet worden. Die Schiffe<br />
besassen grosse Schnelligkeit und im Kampf von<br />
Schiff zu Schiff eine bedeutende Stosskraft. Bei<br />
den grossen Schiffen waren die Ruderbänke in<br />
mehreren Stockwerken übereinander angeordnet,<br />
so dass einige hundert Ruder gleichzeitig die Fortbewegung<br />
des Fahrzeuges bewirkten. Trotz der<br />
Vervollkommnung der Seetechnik wurde das von<br />
Rudern bewegte Schiff bis ins 18. Jahrhundert hinohne<br />
dass wir uns heute noch über den Ursprung<br />
dieser Wendungen Rechenschaft geben. Die<br />
Strafe, die auf einer Galeere abgebüsst wurde, war<br />
in früheren Zeiten so häufig wie heute die Zuchthausstrafe,<br />
vielleicht noch allgemeiner, denn es<br />
wurden nicht nur Verbrecher zur Galeere verurteilt,<br />
sondern auch politisch Belastete und vor<br />
allem diejenigen, die sich nach der Auffassung der<br />
Zeit Vergehen gegen die Religion hatten zuschulden<br />
kommen lassen. Lange Zeit hindurch verur-<br />
Unterwegs nach Estland<br />
Von Edouard H. Steenken.<br />
Es war ein Sommer, rot und trunken, mit heiteren<br />
Menschen, mit stillen, versonnten Schenken<br />
am Weg, auf deren fleckigen Tischen, unter dem<br />
Schatten breitschirmiger Kastanien, der rote Landwein<br />
in bauchigen Flaschen und Karaffen glühte.<br />
Es war ein Sommer, dem ein blütengischtender<br />
Frühling voranging. Keine Grossoffensive wurde<br />
erwartet, und kein ferner Geschützdonner Hess<br />
den Glanz grosser, reicher Tage auf den Gesichtern<br />
der Menschen erfrieren. Und durch diesen<br />
Sommer, durch den wie Spangen die sonneglitzernden<br />
Flüsse und Ströme zogen und der sich<br />
verschwendete mit grossen roten und weissen<br />
Sternen in den warmen Nächten, schritt ich — ein<br />
kleiner Wanderer, ein Vagabund mit einem grossen<br />
Ziel im Herzen. Dieses grosse Ziel mochte<br />
mein Reichtum sein, denn an materiellen Dingen<br />
besass ich blutwenig. Lieber Gott — sie sind<br />
schnell aufgezählt: ein verschossener, dünner<br />
Mantel, ein heller Sportanzug am Leibe, der sich<br />
aus respektvoller Distanz noch gut machte, eine<br />
Zahnbürste, Ring, Kette, zwei Wollknäuel mit<br />
einer Nadel, einige Knöpfchen, ein Bändchen<br />
Eichendorff, ein <strong>Zeitung</strong>sfeuilleton von Emerson,<br />
ein Stückchen Badeseife, in Seidenpapier eingewickelt,<br />
eine Mundharmonika und, beinahe hätte<br />
ich's vergessen, ein Portemonnaie mit 22 Franken.<br />
Tralala.<br />
Vielleicht war ich nicht arm. Denn alles dies<br />
besass ich restlos. Ich war frei. Während andere<br />
mit staubigen Aktenmappen in den Hochhäusern<br />
der grossen Städte herumrannten, konnte ich zu<br />
jeder Sekunde an meiner Badeseife riechen, die<br />
Augen dabei schliessen und an ein Mädchen denken,<br />
oder ich konnte mich unter einen Baum<br />
am Strom werfen und schöne Tremolos auf meiner<br />
Mundharmonika machen. Gewöhnlich tat ich das<br />
zwar nicht — denn ich wollte nach Estland.<br />
Wie? Mit zweiundzwanzig Franken?<br />
Mein St. Galler Freund beschwor mich, abzulassen<br />
von diesem wahnwitzigen Vorhaben. Mit<br />
22 Fränkli käme man zur Not nach Bregenz —<br />
aber dann sei es aus, ratzekahl aus! Nun, wenn<br />
es nach meinem Freund gegangen wäre, dann hätte<br />
ich ein hochbetagter Mann, in den würdigsten<br />
Jahren, mit poliertem Glätzlein und einem diskreten<br />
Bäuchlein, auf der eine goldene Uhrkette<br />
tanzt, werden jnüssen, um eine solche Reise wagen<br />
zu dürfen.<br />
Der gute Freund vergass, dass ich dann wahrscheinlich<br />
eines nicht mehr gehabt haben würde:<br />
das junge, erschrockene Herz und die hellen Augen.<br />
Nun, bevor ich solche Ueberlegungen anstellen<br />
konnte, war ich schon unterwegs. Als Wien, die<br />
alte Kaiserstadt, mit funkelnden Türmen in meinem<br />
Rücken versank, überzählte ich meine Barschaft.<br />
Ich hatte fünf Franken ausgegeben und<br />
zwei Schillinge eingenommen, denn die hochwohllöbliche<br />
Stadtregierung schenkte allen «durchwandernden<br />
Elementen» ein 2-Schillingstück in<br />
Silber. Solche famosen Neuigkeiten erfährt man<br />
allerdings nur in den Landstreicherherbergen und<br />
wilden «Pennen».<br />
In den dunklen Gassen dieser Stadt aber<br />
schrie das Elend. Schein und Ahnung zukünftiger<br />
Gewitter schien sich auf den Gesichtern der<br />
Menschen abzuzeichnen. Von der Donaubrücke<br />
grüsste ich die bunten Schiffe, die in das Herz des<br />
Balkans fuhren.<br />
Die Tage wurden gewaltig. Das Obst begann<br />
sich langsam aus befruchteter Blüte zu runden.<br />
Die Wiesenhänge waren nach der ersten Mahd<br />
sogleich wieder zu kleinen, schwankenden Wäldern<br />
aufgeschossen. Kühe mit schweren Eutern<br />
kamen des Weges. Auf der Landstrasse begegneten<br />
mir Walzbrüder aus aller Herren Länder.<br />
In den mährischen und böhmischen Dörfern<br />
klatschten die Leute, wenn ich auf der Mundharmonika<br />
vor den kleinen, weissgestrichenen Häusern<br />
eins aufwimmerte. Und ich «wimmerte»<br />
gerne. Ein tschechischer Vagabund gab mir das<br />
Geleit bis Prag. Es war ein grosser, hagerer<br />
Mann mit einem Zigeunerschnurrbart, der immer<br />
zitterte, aber es war nicht so gemeint. Dieser<br />
Mann hiess — man erschrecke nicht — Benes.<br />
Er war seit Jahren unterwegs und hatte sich eine<br />
eigene Philosophie zurechtgelegt — eine Landstrassenphilosophie,<br />
wenn ich so sagen darf. Sein<br />
Traum war die Schweiz und Frankreich. Die Vagabunden<br />
und Scholaren des Ostens glauben immer,<br />
man könne hier Geld wie Heu schöpfen.<br />
Aber die Behörde gab diesem Mann keinen Pass.<br />
Sein Schnurrbart zitterte traurig.<br />
Prag, das goldene Prag, schmor wie ein buntes<br />
Bukett der seltsamsten Dinge in der heissen<br />
Julisonne. In der Heilsarmee lagen wir auf Pritschen<br />
übereinander. Hier «pennte» alles in innigstem<br />
Verein: Handwerksburschen, Anarchisten,<br />
illegitime Hausierer, Geiger und Musikanten, die<br />
nachts auf der Moldaubrücke aufspielten.<br />
Mit einemmal kam ein dicker, fetter Mann<br />
mit einer barettähnlichen Kopfbedeckung und<br />
Segeltuchgamaschen hereingekeucht. «Wer ist hier<br />
der Schweizer?» knarrte er. Es war ein Aus-<br />
Schluss Seite II oben.<br />
landschweizer von der ostpreussischen Kolonie<br />
bei Elbing, ein Mann namens Werdmüller, wenn<br />
ich mich recht erinnere. Er sprach sehr zärtlich<br />
von der Schweiz, obwohl er sie noch nie gesehen<br />
hatte<br />
Ade Heilsarmee!<br />
Polen, dieses weite, wind- und wolkendurchflutete<br />
Land, begann — ein grosses, breites Ander<br />
Ruderbank benutzte man fast ausschliesslich<br />
Sträflinge, die Galeerensklaven, und die Verurteilung<br />
«zu den Galeeren» gehören zum Schrecklichsten,<br />
das einem Menschen auf dieser Welt begegnen<br />
konnte. Der moderne Sprachgebrauch kennt<br />
immer noch die Ausdrücke «an die Kette geschmiedet<br />
sein» oder «arbeiten wie ein Galeerensklave»,<br />
Kriegsgaleere in voller Fahrt.<br />
als «Ketzer» zu den Galeeren. Was diese armen<br />
Menschen unter dem Abschaum der Menschheit in<br />
der Hand vertierter Aufseher haben erdulden müssen,<br />
ist kaum zu beschreiben. Ein interessantes Memoirenwerk<br />
aus der Zeit Ludwigs XIV., die «Memoiren<br />
eines Protestanten», geben uns einen tiefen<br />
Prachtgaleere des Dogen von Venedig.<br />
Fortsetzung Seite IV.