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Brasilien

Bilder- und Lesebuch über Brasilien

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ganzen umliegenden Hügel herunter gießen, die<br />

vielen Hügel sozusagen zu- und zersiedeln, ist<br />

aber viel weniger spektakulär. Nicht von ungefähr<br />

schwärmten schon die uralten Sambas von der<br />

unvergleichlichen Aussicht hoch oben auf den<br />

steilen Hügeln, die hier allerdings unisono den<br />

Favelas gehören. Die Favelabewohner sind die<br />

einzigen, die sich sozusagen direkt unter dem<br />

Sternenhimmel hoch kämpften oder besser hoch<br />

hinauf ausgeschlossen, vertrieben wurden. Ob die<br />

Fußballweltmeisterschaft 2014 und die damit<br />

brandneu ins Leben gerufene “PP”, Pazifistische<br />

Polizei, wohl etwas an diesem jahrzehntealten<br />

Status quo ändern werden?<br />

Die Polizei jedenfalls, wir haben Karneval, gibt sich<br />

überraschend bürgernah. Schlägt hochpopuläre,<br />

ganz neue Töne an: Auf den allgegenwärtigen<br />

Streifenwagen kann man lesen: “Operação<br />

bacana – choque de ordem public” – “Operation<br />

supertoll – öffentlicher Ordnungsschock”. Wie<br />

schwer es allerdings ist, die Cariocas, die<br />

Einwohner Rios, oder wie es ein Karnevalesker auf<br />

seinem launigen Shirt ausdrückt: “Carioca, de<br />

Janeiro a Janeiro” – “Einwohner von Rio, von<br />

Januar bis Januar”, unter ein etwas strengeres<br />

Regime zu stellen, zeigen die vielen<br />

Spruchbänder, die verhindern sollen, dass ganz<br />

Rio zum Karneval bis zum Himmel hoch nach Pisse<br />

stinkt. “Diretor, na boa, xixí aqui não, né?” – “Hej,<br />

Herr Direktor, wir verstehen uns doch! Hier wird<br />

nicht gepisst.” - Das Fehlen öffentlicher Toiletten<br />

wird lang und breit in allen Zeitungen diskutiert.<br />

Denn obwohl sie zu Abertausenden überall<br />

aufgestellt wurden, scheint man dem absurden<br />

Bierkonsum doch nicht gerecht zu werden. Die<br />

Statistik der beim widerrechtlichen Pissen<br />

Verhafteten, auch ein paar Frauen sind darunter,<br />

wird bis zum Aschermittwoch lang und länger.<br />

Schöner wohl nur die liebevoll hingemalte rosa<br />

Tafel, auf die wir bei einem Abstieg auf einer alten<br />

Steintreppe stoßen. Nicht nur der liebevollen<br />

Handschrift des stadtbekannten Poeten Profeta<br />

Gentileza José Agradecido wegen. (Seine heute<br />

unter Denkmalschutz stehenden und unter der<br />

Übermalung wieder hervorgeholten Graffitis, kann<br />

jeder sehen, der mit dem Bus nach Rio hinein<br />

fährt. Sie befinden sich an den Säulen des<br />

Viaduktes do Caju, von der Avenida do Cemitério<br />

bis zur Rodoviária.) Auch dem Motto: “Gentileza<br />

gera Gentileza” – Höflichkeit bringt Höflichkeit –<br />

ist man treu geblieben: Bitte unterlassen Sie es<br />

doch, hier zu scheißen oder zu pissen. Danke.<br />

Erziehung bringt Erziehung. Wie prekär es<br />

allerdings mit der selben (Erziehung) noch immer<br />

steht, führt mir ein Schild vor Augen. Die<br />

“Explicadora Professora Lúcia”, die selbsternannte<br />

“Erklärerin” bietet darauf ihre Dienste an. Die<br />

bestehen darin, die sicher nicht wenigen Zweifel<br />

ihrer Kunden zu beseitigen, eben zu “erklären” die<br />

vom 1. bis zum 9. Schuljahr auftauchen können.<br />

Der selbe Abstieg bringt aber auch<br />

unvergleichliche Bilder. Nur in Rio de Janeiro gibt<br />

es ein liebevoll türkis gestrichenes Gartentor,<br />

dessen schmiedeiserne Schnörkel einen<br />

perfekten, ja geradezu malerischen Ausschnitt<br />

Favela schmücken. Oder gar sozusagen unter<br />

Verschluss halten? Oder die Treppe!<br />

Unverkennbar erinnert sie an den Maler Escher.<br />

Sie wechselt alle sechs oder sieben Stufen die<br />

Richtung. Schraubt sich so, von vielen kleinen<br />

richtungsändernden Plattformen unterbrochen,<br />

den absurd steilen Hügel hoch. Das Gefälle oder<br />

wie man´s nimmt die Steigungen, sind übrigens<br />

unten, im flachen Teil der Stadt, ein ständiges<br />

Gesprächsthema. Genauso wie die überaus<br />

ungewohnten Straßenbahnschienen. Die<br />

würden, das wisse doch jedes Kind, die<br />

Autoreifen zerschneiden, oder zumindest<br />

ungehörig abnutzen. So schlägt mehr als ein<br />

Taxifahrer die Fahrt einfach aus. Die lohne nicht.<br />

Wir gehen weiter steil nach unten. Irgend ein<br />

Taxi wird uns dann schon wieder hochfahren.<br />

Schon fast auf Meereshöhe, im Stadtteil<br />

Gloria/Catette, erwarten uns andere versteckte<br />

Kleinode. Da döst der griechisch inspirierte Bau<br />

der Kirche der Positivisten vor sich hin. Diese<br />

seltsame Glaubenskongregation ist für den nun<br />

wirklich schon etwas in die Jahre gekommen<br />

Spruch “Ordem e Progresso” - Ordnung und<br />

Fortschritt, die brasilianische Flagge zieren,<br />

<strong>Brasilien</strong>! - Susanne Gerber-Barata 497

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