Photovoltaik- Anlagen - ZEITUNG AM SAMSTAG
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Samstag, 10. Juli 2010 S ta d t g e S p r ä C H F r e I B U r g 3<br />
Die Bundesregierung hat beschlossen,<br />
dass im Zuge einer<br />
Gesundheitsreform die<br />
Krankenkassenbeiträge erhöht werden.<br />
Außerdem dürfen die Krankenversicherungen<br />
pauschal Zusatzbeiträge<br />
erheben. Barbara Breitsprecher<br />
sprach mit dem Habilitanden und<br />
wissenschaftlichen Mitarbeiter am<br />
Institut für Volkswirtschaftslehre der<br />
Uni Freiburg, Dr. Christian Hagist,<br />
über die Kopfpauschale und die<br />
Zwei-Klassen-Gesellschaft.<br />
Zeitung am Samstag: Haben die<br />
Kliniken und Ärzte nicht genug gespart?<br />
Oder warum muss es eine<br />
neue Gesundheitsreform geben?<br />
Christian Hagist: Wir haben ein<br />
andauerndes Finanzierungsproblem<br />
in der Gesundheitspolitik, das sich<br />
mit dem demographischen Wandel<br />
in Zukunft noch verschärfen wird.<br />
Deshalb muss die Krankenversicherung<br />
von Grund auf überarbeitet<br />
werden.<br />
ZaS: Durch die Möglichkeit der<br />
Krankenkassen Zusatzbeiträge in<br />
unbegrenzter Höhe zu erheben, wird<br />
künftig der Arbeitnehmer deutlich<br />
mehr belastet als der Arbeitgeber. Ist<br />
das gerecht?<br />
Hagist: Das ist eine andere Frage.<br />
Aus finanzwissenschaftlicher Sicht<br />
gilt die Devise: Krankheit hat nichts<br />
mit Lohn zu tun. Leistungen und die<br />
Prämien, die dafür bezahlt werden,<br />
müssen in einem Verhältnis zueinander<br />
stehen. Deshalb ist eine Prämienlösung<br />
aus wissenschaftlicher<br />
Sicht der richtige Weg. Leider ist die<br />
Regierung diesen Weg nur halbherzig<br />
gegangen.<br />
ZaS: Sie fordern also<br />
die Kopfpauschale?<br />
Hagist: So wie es unsere<br />
Nachbarn, beispielsweise<br />
die<br />
Schweiz, machen.<br />
Natürlich wäre dann<br />
ein sozialer Ausgleich<br />
aus Steuermitteln zu<br />
leisten. Denn nicht<br />
alle Familien können<br />
sich beispielsweise zwei Prämien für<br />
zwei Erwachsene in einem Haushalt<br />
leisten. Auch das ist in unserem System<br />
ein bisschen „krank“, dass der<br />
Sozialausgleich nur von den Versicherten<br />
der Gesetzlichen Krankenversicherung<br />
geleistet wird. Hier<br />
müssen wir auf alle starken Schultern<br />
bauen und das geht am besten<br />
über die Einkommensteuer.<br />
Foto: privat<br />
„Aus wissenschaftlicher<br />
Sicht<br />
wäre eine Prämienlösung<br />
der<br />
richtige Weg“<br />
„Prämienlösung wäre<br />
der richtige Weg.“<br />
Volkswirtschaftler Christian Hagist über die Notwendigkeit<br />
einer grundlegenden Gesundheitsreform und einer Pauschalprämie.<br />
Zas: Sollten Kliniken und Ärzte im<br />
Zuge der Reform weiter dazu angehalten<br />
werden, zu sparen?<br />
Hagist: Wir präferieren ein Modell,<br />
das den Patienten als Steuerungselement<br />
begreift. Wir brauchen<br />
Preissignale im Ge-<br />
sundheitswesen,anhand derer der Patient<br />
entscheiden<br />
kann, wieviel er bereit<br />
ist auszugeben.<br />
Es ist ja per se nicht<br />
schlimm, dass wir<br />
viel für Gesundheit<br />
ausgeben. Die Frage<br />
ist ja nur, wie es finanziert<br />
wird, ob es aufs Kollektiv<br />
umgelegt wird oder jeder Versicherte<br />
individuell seinen Teil selbst trägt.<br />
ZaS: Wenn der komplette Schritt zur<br />
Kopfpauschale hin käme, würde<br />
sich der Staat damit nicht auch in<br />
gewisser Weise vom Solidaritätsprinzip<br />
verabschieden?<br />
Hagist: Eben nicht. Ein Beispiel: In<br />
einem Zwei-Personen-Haushalt ver-<br />
dienen beide jeweils 3000 Euro; im<br />
anderen arbeitet nur der Ehemann,<br />
welcher 8000 Euro verdient, die<br />
Ehefrau bleibt aber zu Hause. Der<br />
erste Haushalt zahlt derzeit deutlich<br />
mehr Krankenkassenbeiträge als der<br />
zweite Haushalt. Da kann man sich<br />
fragen, ist das jetzige System gerecht?<br />
In einem Pauschalsystem wäre<br />
es so, dass jeder Erwachsene eine<br />
Prämie abführen müsste. Und der<br />
soziale Ausgleich für die Wenig-<br />
Verdiener käme über die Steuern,<br />
die der 8000-Euro-Verdiener mehr<br />
leisten muss, wieder herein. Die Solidarität<br />
wird durch die Transparenz<br />
gestärkt.<br />
ZaS: Wenn man aber davon ausgeht,<br />
dass bei einem solchen Pauschalsystem<br />
die Geringverdiener<br />
tiefer in die Tasche greifen müssen<br />
als bisher, würde sich das nicht auch<br />
volkswirtschaftlich auswirken?<br />
Hagist: Die Frage ist, ob sie wirklich<br />
mehr bezahlen müssten. Das wäre<br />
über die Höhe des Solidarausgleichs<br />
festzulegen. Das ist Teil des politi-<br />
schen Meinungsbildungsprozesses.<br />
ZaS: Es müsste dann also der Prozentsatz<br />
festgelegt werden, bis zu<br />
welcher Höhe ein Versicherter belastet<br />
werden darf?<br />
Hagist: Nehmen wir beispielsweise<br />
eine Pauschale von<br />
200 Euro monatlich<br />
für jeden Erwachsenen.<br />
Dann würde entschieden,<br />
wir wollen<br />
niemand über 15 Prozent<br />
seines Einkommens<br />
belasten. Nehmen<br />
wir einen Haushalt,<br />
der nur einen<br />
Verdienst von 1000<br />
Euro hat, dann bekäme jeder Erwachsene<br />
dieses Haushalts wieder<br />
50 Euro vom Staat zurück.<br />
ZaS: Im bisherigen System ist der<br />
Beitragssatz in den vergangenen<br />
zehn Jahren von 13,6 Prozent auf<br />
künftig 15,5 Prozent angestiegen.<br />
Was schätzen Sie, wie hoch wird die<br />
Zahl noch gehen, wenn das alte System<br />
beibehalten wird?<br />
„Es wird auf<br />
jeden Fall eine<br />
Zwei-Klassen-<br />
Gesellschaft<br />
geben“<br />
Hagist: Unsere Schätzungen sehen<br />
voraus, dass der Beitragssatz in den<br />
nächsten 20 bis 30 Jahren zwischen<br />
20 und 28 Prozent betragen wird.<br />
Die Stabilität, die sich die Koalition<br />
hier vorgenommen hat, wird schnell<br />
wieder aufgegeben werden. Aber<br />
natürlich würden auch Prämien steigen.<br />
Man müsste an den Leistungskatalog<br />
herangehen und abklären,<br />
was man nicht mehr gemeinschaftlich-solidarisch<br />
übernehmen will,<br />
sondern was privat geleistet werden<br />
soll. In vielen unserer Nachbarländer<br />
ist zum Beispiel der zahnmedizinische<br />
Bereich privat abgesichert.<br />
ZaS: Die sozialen Unterschiede würde<br />
man dann vermutlich aber schon<br />
bald an den Zähnen sehen können.<br />
Hagist: Die Schweizer haben keine<br />
schlechteren Zähne als wir, obwohl<br />
sie das privat bezahlen müssen. Und<br />
bei uns haben bildungsfernere<br />
Schichten schlechtere Zähne, obwohl<br />
wir zahnmedizinisch relativ<br />
viel bezahlt bekommen. Unser Ziel<br />
sollte sein, dass die großen Lebensrisiken,<br />
wie Krebserkrankungen oder<br />
schlimme Unfälle, weiter solidarisch<br />
abgesichert werden.<br />
ZaS: Fürchten Sie keine Zwei-Klasse-Gesellschaft,<br />
wenn sich nicht<br />
mehr alle die modernste, „bessere“<br />
Medizin leisten können?<br />
Hagist: Ich befürchte keine Zwei-<br />
Klassen-Gesellschaft, denn es wird<br />
sie auf jeden Fall geben. Es geht nun<br />
darum, wie wir das handhaben wollen.<br />
Bereits in der näheren Zukunft<br />
werden wir bestimmte Leistungen<br />
nicht mehr durch die Krankenkassen<br />
finanzieren können. Wir können<br />
dann vom Gesundheitsministerium<br />
Listen einfordern:<br />
Was wird bezahlt,<br />
was nicht. Oder man<br />
probiert ein liberales<br />
System, so dass jeder<br />
gemäß seinen Präferenzen<br />
und seinem<br />
Einkommen entscheiden<br />
kann: Wieviel<br />
Gesundheit will<br />
und kann ich mir leisten?<br />
Also eher ein 27- oder 28-<br />
Klassen-System. Wichtig ist doch<br />
nur, dass die unterste Klasse einen<br />
Standard hat, der unserer reichen<br />
Gesellschaft angemessen ist. Wir<br />
akzeptieren das ja auch bei Nahrungsmitteln<br />
oder Autos, dass der<br />
Reichere ein sichereres Auto fährt<br />
oder sich bessere Lebensmittel kauft<br />
als der Ärmere.