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CliniCum urologie 03/2018

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Welt-Kontinenz-Woche <strong>2018</strong><br />

Aktiv gegen ein Tabu<br />

Laut WHO ist die Inkontinenz eine der häufigsten chronischen Erkrankungen weltweit.<br />

In Österreich kann etwa eine Million Menschen den Abgang von Harn oder<br />

Stuhl nicht adäquat kontrollieren. Der Leidensdruck und der Verlust an Lebensqualität<br />

sind enorm. Dennoch sucht nicht einmal die Hälfte der Betroffenen aktiv nach<br />

ärztlicher Hilfe. <br />

Von Mag. Trude Just<br />

* Download unter:<br />

www.kontinenz<br />

gesellschaft.at<br />

(siehe „Fachportal“)<br />

1 Österreichischer<br />

Patientenbericht zur<br />

Blasengesundheit<br />

2015; Gallup Institut;<br />

2 Dieter AA et al.,<br />

Curr Opin Obstet<br />

Gynecol 2015;<br />

27(5):380–4<br />

Pressegespräch der<br />

Medizinischen Kontinenzgesellschaft<br />

Österreich (MKÖ),<br />

Wien, 13.6.18<br />

❙❙<br />

Trotz des hohen Leidensdrucks leidet mehr als die<br />

Hälfte aller von einer Inkontinenz Betroffenen still und aus<br />

falschem Schamgefühl. Eine österreichische Befragung<br />

zeigte, dass knapp 70 Prozent der Patienten mit Harninkontinenz<br />

noch nie in ärztlicher Behandlung waren. 1 „Inkontinenz<br />

ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen<br />

weltweit. Dennoch ist das Volksleiden ein Tabuthema“,<br />

erklärte Univ.-Prof. Dr. Lothar Fuith, Präsident der Medizinischen<br />

Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ), im Rahmen<br />

der Welt-Kontinenz-Woche <strong>2018</strong> in Wien.<br />

Hausarzt mit Schlüsselfunktion<br />

Der Allgemeinmediziner nimmt als erster Ansprechpartner<br />

eine Schlüsselrolle in der Erkennung einer Inkontinenz ein.<br />

„Als Familienarzt betreut der Arzt für Allgemeinmedizin<br />

seine Patienten über Jahre. Damit kennt er die Patienten<br />

und ihre gesundheitlichen Probleme und ist immer wieder<br />

auch mit dem Thema Inkontinenz konfrontiert“, so Dr. Christoph<br />

Dachs, Präsident der Österreichischen Gesellschaft<br />

für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM). Da sich Betroffene<br />

häufig nicht einmal ihrem Hausarzt anvertrauen,<br />

sei es wichtig, dass hier der Arzt den ersten Schritt macht.<br />

Dachs: „Er kann das Thema etwa im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung,<br />

aber auch bei seinen älteren, stark übergewichtigen<br />

oder schwangeren Patienten behutsam ansprechen,<br />

das erste Diagnosegespräch führen und eine Therapie<br />

einleiten. Ist die Fragestellung komplexer, koordiniert er<br />

in Zusammenarbeit mit spezialisierten Fachdisziplinen die<br />

weiterführende Betreuung der Patienten.“<br />

Die MKÖ will mit dem Leitfaden „Inkontinenz: Diagnose &<br />

Therapie von Blasen- und Darmschwäche“ Allgemeinmediziner<br />

bei ihrer wichtigen Aufgabe unterstützen. Der<br />

neue Leitfaden wurde gemeinsam mit der ÖGAM<br />

entwickelt und enthält alle relevanten Informationen zu<br />

Diagnose und Therapie von Blasen- und Darmschwäche<br />

sowie Hinweise auf MKÖ-zertifizierte, spezialisierte Einrichtungen<br />

(Kontinenz- und Beckenbodenzentren) und<br />

Fachpersonen in ganz Österreich für die weiterführende<br />

Patientenversorgung.*<br />

Die schwache Blase des starken Geschlechts<br />

Harninkontinenz tritt bei Frauen zwar insgesamt häufiger<br />

auf, ist jedoch nicht vorrangig ein Frauenleiden – auch<br />

wenn dies oft so wahrgenommen wird. Bei Frauen sei das<br />

Thema darüber hinaus auch gesellschaftlich „akzeptierter“,<br />

weil es mit dem positiven Faktor Geburt verknüpft wird.<br />

„Bei Männern ruft Blasenschwäche, etwa nach Prostata-<br />

Operation, hingegen negative Assoziationen wie ‚Krebsleiden‘<br />

und ‚Impotenz‘ hervor. Dazu reden sie noch weniger<br />

oft darüber als Frauen und isolieren sich sozial“, weiß OA Dr.<br />

Michael Rutkowski, Urologische Abteilung, Landesklinikum<br />

Korneuburg. „Etwa die Hälfte aller betroffenen Männer<br />

wartet bis zu fünf Jahre, bis sie einen Arzt kontaktieren.“<br />

Dabei gibt es heute gute Therapiemöglichkeiten. Für Patienten<br />

mit Belastungsinkontinenz stehen konservative und<br />

operative Optionen zur Verfügung, wobei das Beckenbodentraining<br />

unter physiotherapeutischer Anleitung die<br />

Therapie erster Wahl ist. Erst bei Versagen dieser Möglichkeit<br />

sei laut Rutkowski ein operatives Vorgehen zu erwägen<br />

– verschiedene Schlingensysteme oder ein künstlicher<br />

Schließmuskel. Konservative Ansätze bei Drangsymptomatik<br />

sind Entspannungsübungen des Beckenbodens, Toilettentraining,<br />

Elektrotherapie sowie medikamentöse Optionen.<br />

In manchen Fällen kann auch die Implantation eines<br />

sakralen Neuromodulators indiziert sein.<br />

Darmschwäche<br />

Noch dramatischer ist die Situation, wenn unkontrolliert<br />

Darminhalt verloren wird. Laut OÄ Dr. Michaela Lechner,<br />

Chirurgin mit Spezialgebiet Proktologie, FEBS, KH Göttlicher<br />

Heiland, sind Frauen im Verhältnis 9:1 davon deutlich<br />

häufiger betroffen als Männer. Doch die Dunkelziffer ist<br />

aufgrund des Tabus hoch. Schätzungen gehen davon aus,<br />

dass insgesamt zehn bis 15 Prozent aller Menschen in<br />

Österreich an einer Stuhlinkontinenz leiden. 2 „Nur wenige<br />

Betroffene suchen jedoch ärztliche Hilfe. Weil sie sich schämen,<br />

weil sie nicht wissen, welcher Arzt der richtige ist und/<br />

oder weil sie gar nicht wissen, dass Behandlung möglich ist“,<br />

so Lechner, Wien. „Doch auch hier kann der Hausarzt gut<br />

helfen – durch ein einfühlsames Gespräch, eine körperliche<br />

Untersuchung und eine konservative Therapie. Erst bei<br />

komplexeren Fällen ist der Facharzt – ein Chirurg mit Spezialgebiet<br />

Proktologie – gefragt.“<br />

Die Ursachen für den unwillkürlichen Verlust von Stuhl<br />

sind vielfältig und komplex. Mehr als zwei Drittel der Fälle<br />

können weitgehend bis vollständig geheilt werden. Durch<br />

Beckenbodentraining unter Anleitung spezialisierter Physiotherapeuten,<br />

medikamentöse Strategien oder Ernährungsumstellung<br />

kann die Behandlung je nach Ursache<br />

individuell gestaltet werden. Für schwierigere Fälle stehen<br />

an spezialisierten chirurgischen Abteilungen operative<br />

Methoden zur Verfügung.<br />

❙<br />

Foto: LuisPortugal/GettyImages<br />

18 <strong>urologie</strong> CC 3/18

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