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vorspiel - Burgtheater

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<strong>Burgtheater</strong><br />

12<br />

ein Leben kann man ja nicht einfach so ausbreiten<br />

Thomas Bernhards »Der Schein trügt«<br />

Das stück beginnt am ende des Lebens.<br />

gestorben ist Mathilde. zurückgelassen<br />

hat sie die (halb-)brüder Karl und robert,<br />

den auf einem auge erblindeten Kanarienvogel<br />

Maggi und ihr wochenendhaus.<br />

Dass sie dieses ausgerechnet robert und<br />

nicht ihrem Lebensgefährten Karl hinterlassen<br />

hat, ist für ihn ein schock, der ihn<br />

schmerzlich »irritiert«.<br />

»Das Mieseste ist die Menschheit an und<br />

für sich. Sie können da nicht irgendwen<br />

ausschalten, glaub’ ich. Alles, was man näher<br />

kennenlernt, wird unappetitlich und ungut,<br />

wenn Sie sich näher damit beschäftigen.<br />

Wenn man näher hinschaut, dann ist das<br />

nicht zum Aushalten.«<br />

Karl, der gealterte Jongleur, und robert, der<br />

gealterte schauspieler, sind beide an einem<br />

Punkt ihres Lebens angelangt, an dem die<br />

physische und psychische zersetzung der<br />

existenz bereits fortgeschritten ist. Die zwei<br />

gealterten selbstgesprächskünstler finden<br />

sich jeden Dienstag bei Karl und jeden Donnerstag<br />

bei robert zusammen. sie haben<br />

ihr spiel der nichtigkeiten, der selbsttäuschungen,<br />

der Missverständnisse, der quälenden<br />

nähe, der zwischenmenschlichen<br />

gemeinheiten, der Vorhaltungen und selbstvorwürfe<br />

zum ritual erhoben.<br />

»Ein jeder Mensch will gleichzeitig teilnehmen<br />

und gleichzeitig in Ruhe gelassen sein.<br />

Und da das eigentlich nicht möglich ist,<br />

beides, ist man immer in einem Konflikt.<br />

Man macht hier die Tür zu, um wieder allein<br />

zu sein, in dem Moment, wo man die Tür zumacht,<br />

ist einem gleichzeitig auch bewusst,<br />

dass es falsch, dass es wieder eine falsche<br />

Handlung ist, weil man es im Grund nicht<br />

will; weil man erstens einmal weiß, dass das<br />

Alleinsein viel unangenehmer ist, aber andererseits<br />

können S’ nix machen. «<br />

Die (halb-)brüder – der durchsetzungsfähige<br />

artist und der anlehnungsbedürftige Bühnenkünstler<br />

– verkörpern zwei unterschiedliche<br />

Prinzipien der existenzbewältigung.<br />

in ihrem endlosen Bilanzieren geht es jeden<br />

Dienstag und jeden Donnerstag am abend<br />

der altersdämmerung immer wieder um die<br />

einzige Frage: wer ist der stärkere?<br />

in dieser sich selbst vernichtenden welt der<br />

Thomas Bernhard 1984 in Gaspoltshofen<br />

beiden (halb-)brüder geht nichts auf das Leben,<br />

sondern alles auf den tod zu. Beide haben<br />

sich in ihren wohnungen an einen Ort<br />

geflüchtet, den sie sich selbst zum Kerker machen.<br />

Der Verfall ist nicht aufzuhalten. alles<br />

scheint von schleichender todeskrankheit<br />

besetzt. Den (halb-)brüdern bleibt nur, sich<br />

ein Bewusstsein davon zu verschaffen und zu<br />

erhalten: eine Fluchtbewegung ins resümieren<br />

über das Leben.<br />

»Jeder Mensch hat seinen Weg, und jeder<br />

Weg ist richtig. Und es gibt, glaube ich, jetzt<br />

fünf Milliarden Menschen und fünf Milliarden<br />

richtige Wege. Das Unglück der Menschen<br />

ist eben, dass sie den Weg, den eigenen,<br />

nicht gehen wollen, immer einen<br />

anderen gehen wollen. Sie streben zu etwas<br />

anderem, als sie selbst sind. Es ist ja jeder<br />

eine große Persönlichkeit, ob der da malt<br />

oder zusammenkehrt oder schreibt. Die Leute<br />

wollen immer etwas anderes. Das ist das<br />

Unglück der Welt, achtundneunzig Prozent,<br />

oder geben wir noch ein Prozent dazu. Jedesmal,<br />

wenn S’ mit jemandem reden, ist es ein<br />

Idiot. Aber Sie sind liebenswürdig, weil man<br />

ja kein Spielverderber ist, man redet mit den<br />

Leuten weiter, geht mit ihnen essen und ist<br />

lieb und nett. Und im Grund sind s’ blöd,<br />

weil sie sich gar nicht anstrengen. Was man<br />

nicht gebraucht, verkümmert und stirbt ab.<br />

Da die Leute nur den Mund, aber nicht das<br />

Gehirn gebrauchen, kriegen sie ausgeprägte<br />

Gaumen- und Kinnpartien, aber im Hirn ist<br />

halt nichts mehr da. So ist es meistens.«<br />

sich durch das zurückdenken und selbstbefragen<br />

einen aufschub zu verschaffen, kostet<br />

die beiden naturgemäß Lebenskraft; ebenso<br />

der Versuch, das eigene Denken darzustellen,<br />

sich dem gegenüber mitzuteilen.<br />

»Vortäuschen tun alle, der Satz stimmt eigentlich<br />

immer, dass der eine besser vor-<br />

saison 2008/2009

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