vorspiel - Burgtheater
vorspiel - Burgtheater
vorspiel - Burgtheater
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Martin Wuttke, Sophie Rois<br />
Michael Hagner: Man kann über Körper<br />
keine Aussage machen, aber man kann im<br />
Theater vielleicht auf neue Weise Modelle<br />
von Körpern darstellen.<br />
rené Pollesch: Darstellen ist eben das Problem.<br />
Man kann darüber reden. wir haben<br />
mal angefangen mit einem stück über Demokratie,<br />
aber die Biologie ist stärker als die<br />
Demokratie. wir können uns nicht verabschieden<br />
von dem gedanken, dass es da eine<br />
biologische Festlegung gibt, wer die Mutter<br />
und wer der Vater ist. es gibt also innerhalb<br />
der Biologie scheinbar keine wahlmöglichkeit.<br />
würde man sich mit Judith Butler intensiver<br />
beschäftigen, gäbe es da eine, weil es<br />
keine natur gibt jenseits von Konstruktion.<br />
Michael Hagner: Bei aller Sympathie für diesen<br />
Konstruktionsgedanken, es gibt Grenzen<br />
des Körpers, die man nicht überschreiten<br />
kann. Konstruktion heißt auch beliebige<br />
Verfügbarkeit. Ich fürchte, dass der Körper<br />
nicht beliebig verfügbar ist für uns, und<br />
würde eher von einem Changieren zwischen<br />
Ausgeliefertsein und Konstruieren ausgehen.<br />
Wir können mit unseren evolutionären und<br />
genetischen Möglichkeiten einiges gestalten,<br />
aber nicht unbegrenzt. Menschen, die an der<br />
Trisomie 21, an einem Down-Syndrom, leiden,<br />
haben andere Gestaltungsmöglichkeiten<br />
als diejenigen, die nicht darunter leiden. Das<br />
muss man anerkennen.<br />
rené Pollesch: Mit dem satz von Foucault,<br />
dass die Körper zu amorph sind, zu wenig<br />
»fest«, um daran eine grundlage von Ver-<br />
2008/2009 saison<br />
ständigung zu knüpfen, komme ich dahin,<br />
dass wir in der tat sehr unähnlich sind.<br />
wenn mir jetzt jemand sagen würde, ich hätte<br />
trisomie 21, würde ich das auch in mir<br />
erkennen. wenn ich die geschichte der Ähnlichkeit<br />
verlasse, sehe ich auch etwas völlig<br />
anderes. ich kann umkonstruieren.<br />
Michael Hagner: Niemand kann uns daran<br />
hindern, zu sagen: »Dieses Hemd ist rot«, obwohl<br />
es weiß ist. Das kann man wochenlang<br />
durchhalten. Die Frage ist nur, wenn man das<br />
konsequent durchhält, ob es dann noch so<br />
viele Leute gibt, die mit einem reden.<br />
rené Pollesch: [lacht] Ja genau, man wäre<br />
auf das wohlwollen der anderen angewiesen,<br />
diese Verrücktheit zu ertragen, und man<br />
müsste sie selber mit wohlwollen in die welt<br />
setzen. ich will jetzt einfach diese wahrheit,<br />
dass mein hemd rot ist, und die lässt sich ja<br />
nicht abstreiten.<br />
ich glaube, das theater ist eine Vorrichtung,<br />
wo das große Ja zum Leben herrscht, das<br />
große Ja zur Liebe, das große Ja zur wahrheit<br />
des Menschen. wenn du im theater einen<br />
satz sagst wie »Liebe ist kälter als das<br />
Kapital«, gerätst du unter ironieverdacht.<br />
und wenn du darauf bestehst, dass es dein<br />
ernst ist, dann heißt es, der Mann ist zynisch,<br />
weil der Konsens so unverrückbar ist, dass<br />
Liebe warm und Kapital kalt ist. Das im<br />
theater seriös zu untersuchen, geht nicht.<br />
Du kannst im theater keine klare aussage<br />
machen. Du kannst auch nicht sagen: »sarah<br />
Kane sagt nein zum Leben, lass uns darüber<br />
einen theaterabend machen.« wenn ich<br />
akademietheater<br />
sage, agamben erzählt mir was, sage ich das<br />
natürlich nicht als Philosoph; wenn ich sage,<br />
Darwin erzählt mir was, sage ich das nicht<br />
als Biologe, hirnforscher oder historiker,<br />
sondern als theatermensch. aber die themen<br />
müssen hier ankommen. Denn ansonsten<br />
sehe ich um mich herum nur Bagatellen.<br />
ich sehe nichts mehr, was irgendwie wesentlich<br />
ist. immer diese gleiche romantisierung,<br />
dieser wucher mit den ewiggleichen Begriffen.<br />
Leute robben über den Boden, wälzen<br />
sich in Blut, und man denkt: »wow, was<br />
haben die für ein Problem«, und dann sagen<br />
sie nur: »ach – der tOD!, – das LeBen!, -<br />
der MensCh!, – die LieBe!, – die wahrheit!«<br />
Das ist echt keine Kunst. alle wollen<br />
den großen glauben an diese zentralen Begriffe,<br />
die aber so hohl sind, dass ich nichts<br />
mehr mit ihnen anfangen kann.<br />
Das Gespräch fand am 10. Mai 2008 im Intendantenzimmer<br />
der Volksbühne am Rosa-<br />
Luxemburg-Platz in Berlin statt.<br />
Fantasma<br />
von rené Pollesch<br />
regie: rené Pollesch<br />
Bühne: Bert neumann<br />
Kostüme: nina von Mechow<br />
Licht: Felix Dreyer<br />
Video: Meika Dresenkamp<br />
Mit sachiko hara, sophie rois; Daniel Jesch, hermann<br />
scheidleder, stefan wieland, Martin wuttke<br />
H Premiere / Uraufführung<br />
29. november 2008<br />
im aKaDeMietheater<br />
Die gegenwartsdramatik<br />
wird unterstützt von<br />
7