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Dirscherl, Das ostbayerische Grenzgebirge als Standraum der ...

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Pressglas-Korrespondenz 2012-4<br />

ist die Bodenentfremdung stetig fortgeschritten. Eines<br />

ist aber im Gegensatz zu den Flachglashütten noch<br />

geblieben: Die handwerkliche Erzeugung an <strong>der</strong><br />

Glasmacherpfeife und die handwerkliche Veredelung.<br />

<strong>Das</strong> <strong>ostbayerische</strong> <strong>Grenzgebirge</strong>, in dem die Glasindustrie<br />

seit dem 15. Jahrhun<strong>der</strong>t sitzt, ist zu einem<br />

wertvollen Arbeiterraum geworden, in dem die heutige<br />

Hohlglasindustrie mit ihren arbeitsreichen Herstellungsverfahren<br />

arbeits- und herkommensgebunden<br />

sitzt.<br />

Die Hohlglasindustrie des <strong>ostbayerische</strong>n <strong>Grenzgebirge</strong>s<br />

erzeugt alle <strong>der</strong> künstlerischen Formgebung zugänglichen<br />

Hohlgläser, wie Trinkgläser, Vasen, Becher,<br />

Kelche, Pokale, ferner das gesamte feine Wirtschaftsglas<br />

wie Platten Teller, Untersätze, Karaffen, Schalen,<br />

Dosen, Aschenbecher usw., wobei die Formgebung<br />

und die Veredlung an den Geschmack <strong>der</strong> Absatzgebiete<br />

angepasst werden müssen. Sowohl die Formgebung<br />

<strong>der</strong> zähflüssigen Glasmasse an <strong>der</strong> Glasmacherpfeife<br />

durch Blasen, Drehen, Schwingen, gegebenenfalls<br />

unter Zuhilfenahme von Holzformen wie die nachfolgende<br />

Veredlung erfor<strong>der</strong>n von den Arbeitskräften<br />

ein hohes Maß von Arbeitsgeschicklichkeit, wenn man<br />

bedenkt, wie vielgestaltig die für den Markt hergestellten<br />

Hohlgläser sind. Die Hohlgläser des <strong>ostbayerische</strong>n<br />

<strong>Grenzgebirge</strong>s sind in <strong>der</strong> Hauptsache abgestimmt auf<br />

den großstädtischen Bedarf, so dass dorthin auch die<br />

wichtigsten Absatzwege führen. Der Absatz geschieht<br />

durch eigene Vertretungen o<strong>der</strong> Musterlager in Berlin,<br />

Hamburg, Leipzig, Köln, Düsseldorf, Magdeburg,<br />

Hannover, Lübeck, Halle / Saale, Breslau,<br />

München, Wien, Stuttgart, Erfurt, Frankfurt / Main,<br />

Nürnberg. Die Leipziger Messen werden fast von<br />

allen Glashütten beschickt. Einzelne Glashütten setzen<br />

30 von H. <strong>der</strong> Erzeugung im Ausland ab. Zur Unterstützung<br />

des Glasausfuhrgeschäftes unterhalten eine<br />

Reihe von Hohlglashütten Musterlager und Vertretungen<br />

im europäischen Ausland, so in Mailand, Amsterdam,<br />

London, Brüssel, Madrid, Zürich und Athen.<br />

Hauptabnehmerlän<strong>der</strong> sind Großbritannien, die nordischen<br />

Län<strong>der</strong>, Holland. Aber auch nach Übersee gehen<br />

Glaswaren des <strong>ostbayerische</strong>n <strong>Grenzgebirge</strong>s. Den<br />

schärfsten Wettbewerb innerhalb des Reiches liefert die<br />

Nie<strong>der</strong>lausitzer Hohlglasindustrie und innerhalb <strong>der</strong><br />

europäischen Län<strong>der</strong> die alte böhmische Glasindustrie<br />

um Teplitz, die in den dortigen Braunkohlenfel<strong>der</strong>n<br />

standraumgünstiger sitzt.<br />

c) Die Wirtschaftslandschaft.<br />

Die Glasindustrie gibt, wie die meisten an<strong>der</strong>en Industrien,<br />

den Gebieten ihrer Verbreitung ein beson<strong>der</strong>es<br />

landschaftliches Gepräge. <strong>Das</strong> Maß <strong>der</strong> Landschaftsumformung<br />

ist vom Ausmaß <strong>der</strong> Industrialisierung, von<br />

<strong>der</strong> jeweiligen technischen Entwicklung <strong>der</strong> betreffenden<br />

Industrie und von den Kräften abhängig, die sie in<br />

diese Landschaft binden.<br />

Die ältere Glashüttensiedlung war an <strong>der</strong> Bauweise <strong>als</strong><br />

Glashütte leicht erkenntlich [91]; die Glashütten, die in<br />

<strong>der</strong> Gegenwart errichtet wurden, unterscheiden sich<br />

dagegen von an<strong>der</strong>en industriellen Zweckbauten kaum<br />

mehr. Mit <strong>der</strong> fortschreitenden Lockerung <strong>der</strong> Bindun-<br />

gen an die früher wirksamen <strong>Standraum</strong>kräfte wird auch<br />

die unmittelbare Verän<strong>der</strong>ung des Landschaftsbildes<br />

durch die Glashütten geringer, denn es fehlt heute vor<br />

allem die früher so umfangreiche Umgestaltung des<br />

Waldlandes.<br />

[91] Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Theresientaler Glashütte, Flanitzhütte,<br />

Buchenauer Hütte.<br />

Die reiche Ausstattung des <strong>ostbayerische</strong>n <strong>Grenzgebirge</strong>s<br />

mit Holz und Quarz waren die Grundbedingungen<br />

für das Zuwan<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Glasmacher, für den Aufbau<br />

<strong>der</strong> Glasindustrie. Die erste Ansiedlung <strong>der</strong> Glasmacher<br />

folgte wahrscheinlich den Spuren <strong>der</strong> bereits vorhandenen<br />

Rodungszellen (Frauenau!). Da aber die<br />

erste urkundliche Erwähnung nicht gleichbedeutend<br />

ist mit <strong>der</strong> Anlage <strong>der</strong> ersten Glashütten, so ist es durchaus<br />

denkbar, dass die grundherrliche und klösterliche<br />

Rodung teilweise den Glashütten folgte. Als die in<br />

den Tallagen erreichbaren Waldungen, die ja auch von<br />

den bäuerlichen Siedlungen genutzt wurden, aufgebraucht<br />

waren, mussten sich die Glashüttensiedlungen<br />

von den bäuerlichen Siedlungen trennen. Höher im<br />

Bergwald gelegene Flächen, von Bächen durchflossene<br />

Talmulden, die den Bedürfnissen <strong>der</strong> Glasmacher entsprachen,<br />

wurden von <strong>der</strong> Glashüttensiedlung bevorzugt.<br />

Zur Anlage <strong>der</strong> Hütten-, Wohn- und Wirtschaftsgebäude<br />

benötigte man eine einigermaßen ebene Fläche,<br />

an die man ohne allzu große Mühe aus den umliegenden<br />

Berghängen das gefällte Holz, dessen Schwerkraft<br />

ausnützend, heranschaffen konnte. Die Bezeichnung<br />

„Hilzwassergraben“ für ein Rinnsal nördlich <strong>der</strong><br />

ehemaligen Schönbrunner Glashütte, dem Hauptsitz<br />

<strong>der</strong> großen Glasmacherfamilie Hilz, deutet darauf hin,<br />

dass die zahlreichen Holzfäller im Dienste <strong>der</strong> Glashütten<br />

auch Holz für den Glashüttenbrand getriftet haben.<br />

An den Bächen wurden die „Pocher“, Stampfwerke<br />

zum Zerkleinern des Quarzes und <strong>der</strong> Kalksteine, angelegt.<br />

Alle Baulichkeiten mit Ausnahme <strong>der</strong> Ofenanlage<br />

wurden ursprünglich aus Holz errichtet. Dieser Baustoff<br />

wurde auch bis in die neuere Zeit herein beibehalten,<br />

denn die ansässige Bevölkerung berichtet, dass die<br />

„letzte“ im Jahre 1912 abgebrannte Schönbrunner<br />

Glashütte ganz aus Holz gebaut gewesen wäre. In den<br />

strengen Waldwintern führte <strong>der</strong> starke Schneedruck<br />

des öfteren zur Beschädigung o<strong>der</strong> gar zur Zerstörung<br />

von Hüttengebäuden. Es ist deshalb erklärlich, dass die<br />

alten Glashütten ihrem Aussehen nach wirklich „Hütten“<br />

im wahren Sinne des Wortes waren. Wenn <strong>der</strong><br />

erreichbare Holzvorrat aufgebracht war, musste die<br />

ganze Glashüttensiedlung an einen an<strong>der</strong>en Standort<br />

verlegt werden. Je nach <strong>der</strong> gewählten Lage, dem Holzreichtum<br />

<strong>der</strong> Umgebung, wurden solche Umsiedlungen<br />

in Abständen von 25 bis 70 Jahren vorgenommen. Da<br />

<strong>der</strong> Aufbau einer neuen Hütte einige Zeit in Anspruch<br />

nahm und auch die gewöhnliche Betriebsabnutzung eine<br />

ständige Erneuerung <strong>der</strong> Ofenanlage nötig machte,<br />

errichteten viele Glashüttenmeister zwei Hütten, die<br />

abwechselnd in Betrieb waren. Die durch Waldverwüstungen<br />

entstandenen Rodungsinseln im Waldland<br />

überließ man ihrem Schicksal. Bis die Waldnarbe durch<br />

natürlichen Anflug sich wie<strong>der</strong> geschlossen hatte, verging<br />

bei den herrschenden Boden- und Klimaverhältnissen<br />

annähernd ein Jahrhun<strong>der</strong>t, um so mehr, <strong>als</strong> es<br />

Stand 07.11.2012 PK 2012-4/11 Seite 23 von 61 Seiten

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