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Dirscherl, Das ostbayerische Grenzgebirge als Standraum der ...

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Pressglas-Korrespondenz 2012-4<br />

folgenden 30 Jahren südlich bis in die Gegend von<br />

Neunburg vorm Wald.<br />

Ein zweiter <strong>Standraum</strong> <strong>der</strong> Spiegelglasschleifen entwickelte<br />

sich ungefähr gleichzeitig in <strong>der</strong> näheren Umgebung<br />

von Nürnberg. Nach einem vorliegenden Gesuch<br />

hat im Jahre 1733 ein „bürgerlicher Handelsmann aus<br />

Nürnberg, Jakoben Muscat“ das schon 30 Jahre wegen<br />

Mangel an Holz stillgelegene Hammergut Diepoldsdorf<br />

bei Schnaittach in unmittelbarer Nähe von Nürnberg zur<br />

Errichtung einer Spiegelglasschleife erworben [10].<br />

Kurze Zeit später erscheint Muscat auch <strong>als</strong> Besitzer <strong>der</strong><br />

Spiegelglasschleife Rollhofen (Siehe S. 87), die etwa<br />

20 km östlich von Nürnberg liegt. Muscat und bald<br />

darauf auch Keller sind die ersten Nürnberger Kaufleute,<br />

die eigene Spiegelglasschleifen besitzen. Wahrscheinlich<br />

handelt es sich um jüdische Händler, obwohl<br />

Muscat an einer Stelle ausdrücklich <strong>als</strong> „lutherisch“<br />

bezeichnet wird; in den Akten jener Zeit wird die<br />

Religionszugehörigkeit von aufgeführten Personen<br />

gewöhnlich nicht genannt. Die gewerbereiche Stadt<br />

Nürnberg bot ähnliche <strong>Standraum</strong>bedingungen wie <strong>der</strong><br />

Oberpfälzer Wald: Zahlreiche Beckenschlägereien,<br />

Draht- und Hammerwerke, die leonische Industrie<br />

hatten die ziemlich reichlich vorhandenen Wasserkräfte<br />

ausgebaut. <strong>Das</strong> beginnende Abklingen <strong>der</strong> Zunftherrschaft<br />

und die in <strong>der</strong> Nachbarstadt Fürth einsetzende<br />

Gewerbefreiheit erzwang manchen Besitzwechsel; die<br />

aufkommende Glasschleifenindustrie nutzte die Gelegenheit<br />

und besetzte im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t geeignete Vororte<br />

Nürnbergs mit Spiegelglasschleifen, so Wöhrd,<br />

Doos, Lauf, Weinzierlein, Neuses, Rüdelsdorf, Haidling,<br />

Roth, Röthenbach, Schmigling, Steinach, Glaishammer,<br />

Utzmannsbach u. a. [11].<br />

Auf diesen Glasschleifen wurden hauptsächlich die<br />

größeren Spiegelgläser geschliffen und poliert, die aus<br />

den Glashütten um Zwiesel und Grafenau zunächst<br />

an die Donau und dann auf dem für die zerbrechliche<br />

Ware ungefährlicheren Weg entlang des <strong>ostbayerische</strong>n<br />

<strong>Grenzgebirge</strong>s in die Gegend von Nürnberg gebracht<br />

wurden.<br />

Die Tatsache, dass sowohl bei den Glasschleifern des<br />

Oberpfälzer Waldes ebenso wie bei den Schleifen um<br />

Nürnberg in den weitaus meisten Fällen die bereits<br />

ausgebauten Staustufen benützt wurden, zeigt, dass eine<br />

im Absatzraum sich bietende, günstige Gelegenheit<br />

rasch ausgewertet werden sollte. Die Glashändler waren<br />

großen Teils Juden, ja gegen Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

war <strong>der</strong> Fürther Glashandel zu einem unumstrittenen<br />

Monopol jüdischer Firmen geworden. Die<br />

Juden sind keine Techniker; sie scheuten vor technischen<br />

Aufgaben zurück und kauften und pachteten lieber<br />

die bereits ausgebauten Wasserkräfte. <strong>Das</strong>s auch <strong>der</strong><br />

in den 1880-er Jahren erfolgte, senkrechte Zusammenschluss<br />

von Glashüttenbetrieben, Glasschleifen<br />

und Großhandelsfirmen unter Führung <strong>der</strong> letzteren<br />

die entscheidende <strong>Standraum</strong>kraft <strong>der</strong> Handelsplatz<br />

Fürth geblieben war, bestätigt uns <strong>der</strong> aus dem Fürther<br />

Glashandel stammende Jude Philipp Berlin, wenn er<br />

schreibt: „Die Fürther Kaufleute wurden Fabrikanten.<br />

Die Herren <strong>der</strong> Industrie sind von Hause aus<br />

Kaufleute und sind es in ihrem Wesen noch“ (1910)<br />

[12]. Der weitaus größte Teil <strong>der</strong> Unternehmungen, die<br />

mit <strong>der</strong> Glasindustrie des <strong>ostbayerische</strong>n <strong>Grenzgebirge</strong>s<br />

zu tun hatten, haben ja ihren Sitz am Handelsplatz<br />

Fürth.<br />

Für die Verteilung <strong>der</strong> Glasschleifen innerhalb des Oberpfälzer<br />

Waldes war die Verkehrslage entscheidend.<br />

Die in <strong>der</strong> ersten Hälfte des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts entstandenen<br />

Glasschleifen gruppieren sich im <strong>Standraum</strong> ziemlich<br />

gleichmäßig zu beiden Seiten <strong>der</strong> Linie Nürnberg-<br />

Haid (Bor u Tachova, Böhmen)-Pilsen. Die nördlichsten<br />

Glasschleifen liegen, wie schon angeführt, um<br />

Kemnat, am Fuße des Fichtelgebirges; die südlichsten<br />

Glasschleifen finden wir in <strong>der</strong> Höhe von Schwandorf-<br />

Waldmünchen um Neunburg vorm Wald. Die im 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t zahlreich errichteten neuen Spiegelglasschleifen<br />

suchen ihren Standort möglichst nahe an <strong>der</strong><br />

kürzesten Verbindung nach Nürnberg-Fürth zu legen,<br />

denn dorthin werden ja die geschliffenen Gläser geschafft.<br />

Auch die böhmischen Glashütten, die die Spiegelglasschleifen<br />

größtenteils bedienten, waren nach <strong>der</strong><br />

bezeichneten Linie ausgerichtet. Die Goldbacher Glashütte<br />

östlich von Flossenbürg, lag etwas nördlich <strong>der</strong><br />

Linie und die Karlbacher Glashütte bei Walddorf,<br />

östlich von Eslarn hatte ihren Standort etwas südlich<br />

von ihr. Die dazwischen gelegene böhmische Neufürstenhütte<br />

beteiligte sich zeitweise ebenfalls an <strong>der</strong> Belieferung<br />

<strong>der</strong> Oberpfälzer Glasschleifen. Auf <strong>der</strong> böhmischen<br />

Seite finden wir weiter südlich noch - ebenfalls<br />

wie die genannten Rohglashütten unmittelbar hinter <strong>der</strong><br />

Grenze gelegen die Franzbrunnhütte und die Glashütte<br />

zu Stubenbach. Diese zuletzt genannten Hütten benützten<br />

den nahe gelegenen Gebirgseinschnitt Eisenstein<br />

- Zwiesel, um auf dem gleichen Wege, wie die<br />

Zwieseler und Grafenauer Glashütten, ihre Rohgläser<br />

nach Nürnberg in die dortigen Spiegelglasschleifen zu<br />

bringen.<br />

[10] Staatsarchiv Amberg, Münchener Hofkammer, Nr.<br />

2124.<br />

[11] Roth, S. 279 ff.<br />

[12] Berlin, S. 23.<br />

Der Ausbau unter <strong>der</strong> Einwirkung<br />

des Absatzraumes.<br />

Hatten ursprünglich, zu Beginn des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts,<br />

die beiden Nürnberger Handelshäuser Muscat und<br />

Keller sich allein dem Spiegelglashandel gewidmet, so<br />

vollzog sich, insbeson<strong>der</strong>e durch das Aufkommen<br />

Fürths <strong>als</strong> Handels- und Veredlungsplatz im 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t eine ungeahnte Ausdehnung des Glashandels.<br />

Die ganze Flachglasindustrie des <strong>ostbayerische</strong>n<br />

<strong>Grenzgebirge</strong>s, ein guter Teil <strong>der</strong> böhmischen<br />

Spiegelglashütten, auch die Glashütten in an<strong>der</strong>en<br />

deutschen Mittelgebirgen wurden von dem Aufschwung<br />

erfasst. Die Fürther Spiegelglashändler dehnten<br />

ihr Rohglaseinzugsgebiet bis zu den Glashütten des<br />

Schwarzwaldes, zeitweise sogar bis zu den belgischen<br />

Gussglashütten aus. In <strong>der</strong> Bedeutung <strong>als</strong> Marktplatz<br />

für die Glaserzeugnisse des <strong>ostbayerische</strong>n <strong>Grenzgebirge</strong>s<br />

wurde Nürnberg um die Wende des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

von Fürth eingeholt und bis zum Ende des 19.<br />

Stand 07.11.2012 PK 2012-4/11 Seite 41 von 61 Seiten

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