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Wissenschaft und Fortbildung BZB November 10 <strong>59</strong><br />
Oralchirurgische Maßnahmen während<br />
der kieferorthopädischen Therapie<br />
Eine Übersicht<br />
Ein Beitrag von Priv.-Doz. Dr. Jörg Neugebauer 1,2 , Dr. Frank Kistler 1 , Dr. Dr. Martin Scheer 2 ,<br />
Dr. Steffen Kistler 1 , Dr. Georg Bayer 1 und Univ.-Prof. Dr. Dr. Joachim E. Zöller 2 ,<br />
1 Landsberg am Lech, 2 Köln<br />
Der übliche Kontakt mit dem chirurgisch tätigen<br />
Zahnarzt ergibt sich bei den meisten Kindern und<br />
Jugendlichen erst im Alter von etwa 16 <strong>bis</strong> 18 Jahren<br />
zur Entfernung der Weisheitszähne. Doch es<br />
gibt eine ganze Reihe von Ursachen, die eine oralchirurgische<br />
Intervention oder zumindest deren<br />
Abklärung notwendig machen. Dies sind, neben<br />
den am häufigsten auftretenden Entwicklungsstörungen,<br />
auch durch Karies oder Trauma zerstörte<br />
oder verletzte Zähne und in seltenen Fällen benigne<br />
oder maligne Neubildungen.<br />
Am häufigsten werden Entwicklungsstörungen des<br />
Kiefers im Kindesalter durch den behandelnden<br />
Kieferorthopäden diagnostiziert [8]. Sie manifestieren<br />
sich zum einen in Durchbruchsstörungen der<br />
Zähne [13], wie sie sich aufgrund eingeschränkter<br />
Platzverhältnisse ergeben können, oder durch eine<br />
ungünstige Formation des Weichgewebes (Abb. 1).<br />
Bei einer Verzögerung des Zahndurchbruchs können<br />
follikuläre Zysten entstehen, die sich im Bereich des<br />
Hart- und Weichgewebes ausdehnen [5].<br />
Die Zysten des Weichgewebes können durch eine<br />
einfache Zystostomie therapiert werden, sodass hier<br />
keine weitere Maßnahme notwendig ist (Abb. 2 und<br />
3). Es sollte jedoch immer eine Probe zur pathohistologischen<br />
Untersuchung entnommen werden, da<br />
sich in seltenen Fällen auch tumoröse Veränderungen<br />
hinter einer vermeintlichen Durchbruchszyste<br />
Abb. 1: Livide Verfärbung der Schleimhaut kurz vor dem Durchtritt<br />
des Zahns 27 (Spiegelaufnahme)<br />
Abb. 2: Ausgeprägte follikuläre Zyste mit Spontanperforation bei einem<br />
achtjährigen Jungen bei verzögertem Durchbruch des Zahns 21<br />
Abb. 3: Remission nach Zystostomie mit nachfolgender spontaner<br />
Einstellung des Zahns 21<br />
verbergen können. Bei der Entfernung von retinierten<br />
und verlagerten Zähnen empfiehlt sich heutzutage<br />
für die Operationsvorbereitung die digitale<br />
Volumentomografie [17]. Diese verursacht im Vergleich<br />
zum CT eine deutlich geringere Strahlenbelastung<br />
und zeigt die gleiche, wenn nicht sogar eine<br />
günstigere Detaildarstellung der Strukturen im Mund-<br />
Kiefer-Gesichtsbereich [15]. Für die radiologische Abklärung<br />
bei Kindern eignen sich besonders Geräte<br />
mit Bildverstärkertechnologie [14], da diese mit der<br />
geringsten Strahlendosis arbeiten.<br />
Entwicklungsstörungen manifestieren sich auch<br />
durch Fehlbildungen der Zähne, die sich als Hyperoder<br />
Hypoplasie darstellen. Bei der sogenannten<br />
Gemination kommt es zu einer nicht vollständigen<br />
Doppelanlage eines Zahns (Abb. 4 und 5), was in<br />
der Regel im Rahmen der kieferorthopädischen Be-
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BZB November 10 Wissenschaft und Fortbildung<br />
Abb. 4: Gemination bei 11 und hyperplastischer Zahn 21 Abb. 5: Radiologische Abklärung der Gemination. Da sich zwei<br />
Pulpenlumina darstellen, besteht die Option der Hemisektion.<br />
Abb. 6: Zustand nach Extraktion des geminierten Zahns vor extrakorporaler<br />
Hemisektion und Replantation<br />
Abb. 8: Kontrolle im Verlauf der kieferorthopädischen Einstellung<br />
des hemisezierten Zahns 11<br />
handlung eine symmetrische Ausformung der Zahnbögen<br />
nicht zulässt [4]. Je nach Ausmaß der Fehlbildung,<br />
die am besten durch eine dreidimensionale<br />
radiologische Technik beurteilt werden kann,<br />
stellt sich die Indikation zur Entfernung oder zur<br />
Hemisektion des betroffenen Zahns (Abb. 6 <strong>bis</strong> 8).<br />
Letztere kann, je nach Form des Zahns, unter Erhalt<br />
seiner Vitalität erfolgen (Abb. 9) [2,6].<br />
Auch ein raumfordernder Prozess kann die Ursache<br />
für einen gestörten Zahndurchtritt sein.<br />
Abb. 7: Semipermanente Schienung für zehn Tage nach Replantation<br />
des hemisezierten Zahns<br />
Abb. 9: Röntgenbild 1,5 Jahre<br />
nach der Hemisektion mit Erhalt<br />
der Vitalität des Zahns<br />
Weitere Entwicklungsstörungen<br />
äußern sich<br />
als retinierte obere Eckzähne,<br />
untere Prämolaren<br />
[3,18] oder auch<br />
in Form zusätzlicher<br />
Zahnanlagen (Abb. 10<br />
<strong>bis</strong> 13) [16]. Je nach Position<br />
des Zahns erfordert<br />
dies eine weitergehende<br />
chirurgische Intervention<br />
die, je nach<br />
Lage des Zahns, in Sedierung<br />
oder in Intubationsnarkoseerfol-<br />
gen sollte. Besonders die Präparation der derben,<br />
empfindlichen Gaumenschleimhaut, wie sie etwa<br />
bei der operativen Entfernung eines Mesiodens<br />
erfolgt, erfordert eine Anästhesie am Foramen<br />
incicivum (Abb. 14 <strong>bis</strong> 16). Damit die postoperativen<br />
Beschwerden und auch das Risiko der Schädigung<br />
der umliegenden Gewebestrukturen so gering<br />
wie möglich ausfallen, eignet sich die Piezo -<br />
chirurgie als besonders minimalinvasives Verfahren<br />
(vgl. Abb. 11).
Abb. 10: Radiologische Darstellung eines Paramolars im rechten<br />
Unterkiefer mittels digitaler Volumentomografie<br />
Wenngleich sich zahlreiche<br />
Veränderungen<br />
der Mundschleimhaut<br />
im Kindesalter in der<br />
Regel unauffällig darstellen,<br />
sollten diese<br />
dennoch baldmöglichst<br />
differenzialdiagnostisch<br />
abgeklärt werden, da es<br />
sich durchaus auch um<br />
maligne Erscheinungen<br />
handeln kann (Abb. 17<br />
<strong>bis</strong> 20). Ein Zuwarten<br />
über Monate ist auch<br />
deshalb nicht angezeigt,<br />
da dies zu weite-<br />
ren Wachstumsstörungen mit entsprechend hohem<br />
kieferorthopädischen Behandlungsaufwand führen<br />
kann. Neben einem entwicklungsbedingten pathologischen<br />
Geschehen zeigen sich auch entzündliche<br />
Veränderungen in der Mundhöhle. Hier sollte die Indikation<br />
zur chirurgischen Intervention sehr streng<br />
gestellt werden, da gerade bei den jungen Patienten<br />
eine Narbenbildung im wachsenden Gewebe für<br />
die spätere zahnärztliche Therapie nachteilig sein<br />
Wissenschaft und Fortbildung BZB November 10 61<br />
Abb. 11: Gewebeschonende piezochirurgische Osteotomie von<br />
lingual<br />
Abb. 12: Vorsichtige Luxation des überzähligen Zahns Abb. 13: Osteotomierter Paramolar mit Anteilen des follikulären<br />
Zystenbalgs<br />
Abb.14: Bestimmung der Lage<br />
eines Mesiodens mittels Oberkiefer-Auf<strong>bis</strong>s-Röntgenaufnahme<br />
Abb. 15: Osteotomie von palatinal in Intubationsnarkose zur Entfernung<br />
des Mesiodens<br />
Abb. 16: Entfernter Mesiodens, eine Wurzel ist nicht ausgebildet.
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BZB November 10 Wissenschaft und Fortbildung<br />
Abb. 17: Lingualstand des Zahns 31 bei derb strukturierter Raumforderung<br />
vestibulär<br />
Abb. 19: Operativ entferntes, histologisch gesichertes ameloblastisches<br />
Fibro-Odontom<br />
kann. Hier sind bei chirurgischen Eingriffen die<br />
anatomischen Strukturen genau zu würdigen, sodass<br />
es zu keinen permanenten Funktionsbeeinträchtigungen,<br />
besonders der sensiblen Strukturen,<br />
kommt. Da sich das jugendliche Gewebe oftmals<br />
sehr grazil darstellt, muss zur Vermeidung<br />
von Narben durch iatrogene Quetschwunden sehr<br />
sorgfältig operiert werden.<br />
Bei tiefer Karies und schwierigen endodontischen<br />
Verhältnissen stellt die Transposition eines retinierten<br />
Weisheitszahns, auch im Zeitalter der Implantologie,<br />
durchaus eine Therapieoption dar [12], da<br />
so noch in der Wachstumsphase die Lücke ohne Beeinträchtigung<br />
der Nachbarzähne therapiert werden<br />
kann und die Kosten für den aufwendigeren<br />
Lückenschluss, zum Beispiel durch ein Implantat,<br />
entfallen (Abb. 21 <strong>bis</strong> 23).<br />
Die Betreuung der jungen Patienten erfordert neben<br />
der chirurgischen Ausbildung auch Erfahrung,<br />
damit die Erwartungshaltung des Patienten über<br />
den chirurgischen Eingriff richtig eingeschätzt werden<br />
kann und die Mitarbeit des Patienten gewährleistet<br />
ist. Das Selbstbestimmungsrecht der kleinen<br />
Abb. 18: Die radiologische Kontrolle des Befunds zeigt in regio 31<br />
eine abgekapselte, radioopake Struktur von 4 mm Durchmesser.<br />
Abb. 20: Spontane Einstellung des Zahns 31, sechs Wochen nach<br />
der Entfernung des Odontoms<br />
Patienten ist zu beachten, um keine Traumatisierung<br />
und eine damit verbundene, spätere Behandlungsunwilligkeit<br />
zu riskieren [11]. Daher kommt<br />
der Wahl des geeigneten Narkoseverfahrens eine<br />
hohe Bedeutung zu. Je nach Umfang der geplanten<br />
Intervention können oralchirurgische Eingriffe, auch<br />
bei jungen Patienten, durchaus in Lokalanästhesie<br />
durchgeführt werden, wodurch das Risiko einer<br />
Intubationsnarkose entfällt. Bei der Lokalanästhesie<br />
sollte hoher Druck vermieden werden, um möglichst<br />
wenig Schmerzen zu erzeugen. Daher finden<br />
computergestützte Verfahren zur Lokalanästhesie zunehmend<br />
Verwendung, da sie weitgehend schmerzfrei<br />
sind [1]. Als ablenkende Begleitmaßnahme hat<br />
sich das Hören von Musik über Kopfhörer etabliert.<br />
Es ist durch die inzwischen sehr kleinen Geräte auch<br />
für den Behandler nicht störend [10]. Auf der anderen<br />
<strong>Seite</strong> sollte ein oralchirurgischer Eingriff, zur<br />
Vermeidung einer Prädisposition von Zahnarztangst,<br />
nur bei direkter Zustimmung durch den Patienten<br />
erfolgen. Nicht nur für den Patienten, sondern<br />
auch für den Behandler stellt bei einem bereits<br />
begonnenen chirurgischen Eingriff übermä-<br />
++
Abb. 21: Postoperative Kontrolle nach Extraktion des nicht erhaltungswürdigen<br />
Zahns 36 und Transposition des verlagerten Zahns<br />
38 in die Extraktionsalveole, bei entsprechender, bereits zuvor erfolgter<br />
Transposition im rechten Unterkiefer<br />
Abb. 23: Klinischer Befund sechs Jahre nach Transposition der<br />
Zähne 38 und 48<br />
ßige Angst des Patienten eine hohe psychologische<br />
Belastung dar [9]. Je nach geplanter Dauer des Eingriffs<br />
sollte dieser in solchen Fällen unter Sedierung<br />
oder in Intubationsnarkose erfolgen [7]. Durch die<br />
modernen Narkoseverfahren ist dies in den meisten<br />
Fällen auch ambulant möglich.<br />
Wissenschaft,<br />
Fachwissen<br />
und Fortbildung<br />
Wissenschaft und Fortbildung BZB November 10 <strong>63</strong><br />
Abb. 22: Röntgenkontrolle nach sechs Jahren. Die transponierten<br />
Zähne 38 und 48 sind vital.<br />
Da eine ganze Reihe von chirurgischen Maßnahmen<br />
bei Kindern notwendig werden kann, ist es<br />
wichtig, dass diese kontrolliert und unter Routinebedingungen<br />
erfolgen und eine effiziente Behandlung<br />
gewährleisten. Dies erfordert auch das Training des<br />
Personals, damit es auf den Umgang mit Kindern<br />
eingestellt ist. Zur Erfüllung der Erwartungshaltung<br />
der jungen Patienten und der Angehörigen und um<br />
das bestmögliche Ergebnis zu erzielen, sollten sich<br />
die kooperierenden Kollegen über die Möglichkeiten<br />
und den Umfang der Behandlung sowie über die Art<br />
der Anästhesie im Vorfeld absprechen.<br />
Literatur bei den Verfassern<br />
Korrespondenzadresse:<br />
Priv.-Doz. Dr. Jörg Neugebauer<br />
Zahnärztliche Gemeinschaftspraxis<br />
Dres. Bayer, Kistler, Elbertzhagen und Kollegen<br />
Von-Kühlmann-Straße 1, 86899 Landsberg am Lech<br />
Telefon: 08191 947666-0<br />
neugebauer@implantate-landsberg.de<br />
www.implantate-landsberg.de<br />
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