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September 2018 - coolibri Düsseldorf

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THEMA<br />

Foto: Thomas Stelzmann<br />

Foto: Thomas Stelzmann<br />

SozialarbeiteroderMitarbeiter in einer<br />

Behindertenwerkstatt?<br />

Producerin in einerFilmfirma oder<br />

Steuerfachgehilfin?<br />

Straßenmusiker oder Mitarbeiterineiner<br />

Behindertenwerkstatt?<br />

Biologielehrerinoderarbeitssuchend<br />

undimFrauenhaus lebend?<br />

Foto: Meike Hahnraths<br />

Mehr Toleranz wagen<br />

Dererste Eindruckzählt –aber stimmterauch? Wie sehr mansichtäuschen kann, zeigtdas Kunstprojekt„Schubladen“der FotografinMeike<br />

Hahnraths: Sie hatMenschenmit und ohne Behinderung porträtiert und lässtdie Betrachterrätseln,wer sich hinter den<br />

Bildernverbirgt. Jetztist dieinteraktiveAusstellung in derCitykirche Mönchengladbach zu sehen.<br />

M Ö N C H E N G L A D B A C H<br />

Es geschiehttagtäglich,unbewusst undinMillisekunden<br />

–das ersteUrteilübereinen Menschenist<br />

schnellgefällt. DerMann im schnittigenAnzug:sicherein<br />

Banker.Die Frau mitbiedererFrisur<br />

undrandloser Brille: eine typische<br />

Lehrerin.JemandimRollstuhl:behindert.Schablonenhaftes<br />

Denken istbequem, schafft<br />

schnelle Orientierung underleichtert dasLeben.<br />

Nurwirdesinden wenigstenFällen derPerson<br />

gerecht, diewir alleinaufgrundvon Äußerlichkeiten<br />

in eine Schubladestecken.Die Mönchengladbacher<br />

Fotografin MeikeHahnraths möchte<br />

dazu beitragen, dieseDenkmusterzuändern.<br />

IhrKunstprojekt„Schubladen“zeigtPorträtfotossehrunterschiedlicher<br />

Menschen.Die Hälfte<br />

vonihnen gilt umgangssprachlich als ‚normal‘,<br />

dieanderensindBewohnerinnen einenFrauenhauses<br />

oder Menschenmit einerphysischen<br />

oder psychischen Einschränkung.EssindFotos<br />

vonMenschen, dieSelbstbewusstsein undeine<br />

großeWürde ausstrahlen.Etwaige Anomalien<br />

bleibenunsichtbar. „Niemand istnur daseine,<br />

körperlich oder geistigbehindert,gedemütigt<br />

oder alt“,sagtMeike Hahnraths. „Egal, welches<br />

Schicksalein Menschhat,jeder trägt in sich eine<br />

Facettevon innerer Unversehrtheit undStärke,ein<br />

inneres Strahlen.Das istes, wasich mit<br />

meinen Bildernzeigen möchte.“Die Identität ihrerModelsgibtdie<br />

Fotografin nichtpreis.Stattdessen<br />

bittet siedie Besucher um ihre Einschätzung.Jedem<br />

Porträt sind vier Kurzbeschreibungenzugeordnet,abernur<br />

eine trifft<br />

zu:Restaurantbesitzerin oder Leiterin einesSeniorenheims?<br />

Kuratoreines MuseumsoderArbeiter<br />

in einerBehindertenwerkstatt?Yogalehrerin<br />

oder Gast in einemFrauenhaus?Das Quiz<br />

(auch online) konfrontiert denBetrachter mit<br />

seiner vermeintlichen Menschenkenntnis und<br />

denSchubladenimKopf. Eine 1:1-Auflösung<br />

gibt es nicht, jedoch dieTrefferquote.<br />

HandicapHirn<br />

DieKünstlerin berichtetvon bewegendenReaktionen,sowohl<br />

seitensder Porträtiertenals<br />

auch desPublikums. Da istdie Mutter,überglücklich<br />

einBildzuhaben,auf demihr Sohn<br />

selten entspanntaussieht. Derjunge Mann,<br />

demseinStylingbeimShootingsogut gefällt,<br />

dass er zur Vernissage in einemähnlichen Outfiterscheint.Der<br />

Besucher,der beikeinerFrau<br />

ankreuzen mag, dass sieineinem Frauenhaus<br />

lebt,umsie nichtein weiteres Malzuerniedrigen.<br />

Undhin undwiederregtsichjemandauf:<br />

Eine Frau fragte erbost,warum dieBehinderten<br />

denn nichtbehindert aussehen. „Dürfendie das<br />

nicht?“ –„Doch,natürlich“,war dieAntwort.<br />

„Abersie müssennicht.Behinderung istnur ein<br />

Aspekt vonvielen.“<br />

Seit „Schubladen“erstmals 2016 in Köln zu sehenwar,reist<br />

dieAusstellung durch dasLand.<br />

In Kooperationmit demBistumAachenund<br />

demKatholischen Forumwirdsie vom5.<strong>September</strong><br />

bis30. Oktoberinder CitykircheMönchengladbach<br />

gezeigt, flankiert voneinem abwechslungsreichenBegleitprogramm.176<br />

Menschenhat<br />

MeikeHahnraths bislangfür dasProjekt<br />

fotografiert;eswächstbeständigweiter.<br />

Zudemsinddaraus dieinklusiven Workshops<br />

„Inklusion macht schön“ entstanden: Unterder<br />

Anleitung vonProfis lernen dieTeilnehmer, das<br />

Besteaus ihremTyp zu machen. „Esist keine<br />

Stilberatung“, stellt dieInitiatorin klar,„daswäre<br />

übergriffig.“ Es geht um Farben,Brille, Frisur,eine<br />

netteGesamterscheinung. Oftbekämen<br />

Menschen mitEinschränkungenkaumSchützenhilfe,<br />

wasihr Äußeresbetrifft.Dochdas sei<br />

nunmal dasErste,was andere vonihnen wahrnehmen.„Wirmöchten<br />

zeigen,dassman die<br />

Schublade, in dieman vonFremden gesteckt<br />

wird, aktiv mitgestalten kann.“<br />

MeikeHahnraths sagt,mit demSchubladen-<br />

Projekthabesie sich selbst dasgrößteGeschenk<br />

gemacht.„Ichhabesoviele tolleMenschenkennengelernt.“<br />

Etlichen Besuchern hat<br />

dieAusstellungneue Denkanstößegegeben,<br />

daszeigen diezahlreichenRückmeldungen. Der<br />

ersteSchritt zu einemvorurteilsfreierenMiteinanderbesteht<br />

darin,sichbewusst zu machen,<br />

wieschnell manMenscheninein Wertesystem<br />

packt–undsie dort lässt. „Leute in Schubladen<br />

zu stecken,ist überhauptnicht dasProblem“,<br />

sagt MeikeHahnraths. „Man darf dieSchubladennur<br />

nichtzumachen.“ BeritKriegs<br />

MeikeHahnraths –Schubladen:5.9.–30.10.,Citykirche<br />

AlterMarkt,Mönchengladbach;schubladen.online<br />

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