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THEMA<br />
Foto: Thomas Stelzmann<br />
Foto: Thomas Stelzmann<br />
SozialarbeiteroderMitarbeiter in einer<br />
Behindertenwerkstatt?<br />
Producerin in einerFilmfirma oder<br />
Steuerfachgehilfin?<br />
Straßenmusiker oder Mitarbeiterineiner<br />
Behindertenwerkstatt?<br />
Biologielehrerinoderarbeitssuchend<br />
undimFrauenhaus lebend?<br />
Foto: Meike Hahnraths<br />
Mehr Toleranz wagen<br />
Dererste Eindruckzählt –aber stimmterauch? Wie sehr mansichtäuschen kann, zeigtdas Kunstprojekt„Schubladen“der FotografinMeike<br />
Hahnraths: Sie hatMenschenmit und ohne Behinderung porträtiert und lässtdie Betrachterrätseln,wer sich hinter den<br />
Bildernverbirgt. Jetztist dieinteraktiveAusstellung in derCitykirche Mönchengladbach zu sehen.<br />
M Ö N C H E N G L A D B A C H<br />
Es geschiehttagtäglich,unbewusst undinMillisekunden<br />
–das ersteUrteilübereinen Menschenist<br />
schnellgefällt. DerMann im schnittigenAnzug:sicherein<br />
Banker.Die Frau mitbiedererFrisur<br />
undrandloser Brille: eine typische<br />
Lehrerin.JemandimRollstuhl:behindert.Schablonenhaftes<br />
Denken istbequem, schafft<br />
schnelle Orientierung underleichtert dasLeben.<br />
Nurwirdesinden wenigstenFällen derPerson<br />
gerecht, diewir alleinaufgrundvon Äußerlichkeiten<br />
in eine Schubladestecken.Die Mönchengladbacher<br />
Fotografin MeikeHahnraths möchte<br />
dazu beitragen, dieseDenkmusterzuändern.<br />
IhrKunstprojekt„Schubladen“zeigtPorträtfotossehrunterschiedlicher<br />
Menschen.Die Hälfte<br />
vonihnen gilt umgangssprachlich als ‚normal‘,<br />
dieanderensindBewohnerinnen einenFrauenhauses<br />
oder Menschenmit einerphysischen<br />
oder psychischen Einschränkung.EssindFotos<br />
vonMenschen, dieSelbstbewusstsein undeine<br />
großeWürde ausstrahlen.Etwaige Anomalien<br />
bleibenunsichtbar. „Niemand istnur daseine,<br />
körperlich oder geistigbehindert,gedemütigt<br />
oder alt“,sagtMeike Hahnraths. „Egal, welches<br />
Schicksalein Menschhat,jeder trägt in sich eine<br />
Facettevon innerer Unversehrtheit undStärke,ein<br />
inneres Strahlen.Das istes, wasich mit<br />
meinen Bildernzeigen möchte.“Die Identität ihrerModelsgibtdie<br />
Fotografin nichtpreis.Stattdessen<br />
bittet siedie Besucher um ihre Einschätzung.Jedem<br />
Porträt sind vier Kurzbeschreibungenzugeordnet,abernur<br />
eine trifft<br />
zu:Restaurantbesitzerin oder Leiterin einesSeniorenheims?<br />
Kuratoreines MuseumsoderArbeiter<br />
in einerBehindertenwerkstatt?Yogalehrerin<br />
oder Gast in einemFrauenhaus?Das Quiz<br />
(auch online) konfrontiert denBetrachter mit<br />
seiner vermeintlichen Menschenkenntnis und<br />
denSchubladenimKopf. Eine 1:1-Auflösung<br />
gibt es nicht, jedoch dieTrefferquote.<br />
HandicapHirn<br />
DieKünstlerin berichtetvon bewegendenReaktionen,sowohl<br />
seitensder Porträtiertenals<br />
auch desPublikums. Da istdie Mutter,überglücklich<br />
einBildzuhaben,auf demihr Sohn<br />
selten entspanntaussieht. Derjunge Mann,<br />
demseinStylingbeimShootingsogut gefällt,<br />
dass er zur Vernissage in einemähnlichen Outfiterscheint.Der<br />
Besucher,der beikeinerFrau<br />
ankreuzen mag, dass sieineinem Frauenhaus<br />
lebt,umsie nichtein weiteres Malzuerniedrigen.<br />
Undhin undwiederregtsichjemandauf:<br />
Eine Frau fragte erbost,warum dieBehinderten<br />
denn nichtbehindert aussehen. „Dürfendie das<br />
nicht?“ –„Doch,natürlich“,war dieAntwort.<br />
„Abersie müssennicht.Behinderung istnur ein<br />
Aspekt vonvielen.“<br />
Seit „Schubladen“erstmals 2016 in Köln zu sehenwar,reist<br />
dieAusstellung durch dasLand.<br />
In Kooperationmit demBistumAachenund<br />
demKatholischen Forumwirdsie vom5.<strong>September</strong><br />
bis30. Oktoberinder CitykircheMönchengladbach<br />
gezeigt, flankiert voneinem abwechslungsreichenBegleitprogramm.176<br />
Menschenhat<br />
MeikeHahnraths bislangfür dasProjekt<br />
fotografiert;eswächstbeständigweiter.<br />
Zudemsinddaraus dieinklusiven Workshops<br />
„Inklusion macht schön“ entstanden: Unterder<br />
Anleitung vonProfis lernen dieTeilnehmer, das<br />
Besteaus ihremTyp zu machen. „Esist keine<br />
Stilberatung“, stellt dieInitiatorin klar,„daswäre<br />
übergriffig.“ Es geht um Farben,Brille, Frisur,eine<br />
netteGesamterscheinung. Oftbekämen<br />
Menschen mitEinschränkungenkaumSchützenhilfe,<br />
wasihr Äußeresbetrifft.Dochdas sei<br />
nunmal dasErste,was andere vonihnen wahrnehmen.„Wirmöchten<br />
zeigen,dassman die<br />
Schublade, in dieman vonFremden gesteckt<br />
wird, aktiv mitgestalten kann.“<br />
MeikeHahnraths sagt,mit demSchubladen-<br />
Projekthabesie sich selbst dasgrößteGeschenk<br />
gemacht.„Ichhabesoviele tolleMenschenkennengelernt.“<br />
Etlichen Besuchern hat<br />
dieAusstellungneue Denkanstößegegeben,<br />
daszeigen diezahlreichenRückmeldungen. Der<br />
ersteSchritt zu einemvorurteilsfreierenMiteinanderbesteht<br />
darin,sichbewusst zu machen,<br />
wieschnell manMenscheninein Wertesystem<br />
packt–undsie dort lässt. „Leute in Schubladen<br />
zu stecken,ist überhauptnicht dasProblem“,<br />
sagt MeikeHahnraths. „Man darf dieSchubladennur<br />
nichtzumachen.“ BeritKriegs<br />
MeikeHahnraths –Schubladen:5.9.–30.10.,Citykirche<br />
AlterMarkt,Mönchengladbach;schubladen.online<br />
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