Hinz&Kunzt 306 August 2018
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Lebenslinien<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>306</strong>/AUGUST <strong>2018</strong><br />
Pflichten eines Königs: Matolias<br />
muss ständig dafür sorgen, dass<br />
sein Reich nicht zerbröselt.<br />
Entspannen kann er beim Golfen.<br />
„Burgherr<br />
zu sein ist eine<br />
Übung<br />
in Geduld.“<br />
der Straße verbracht und Freundschaften<br />
geschlossen. Irgendwann gab es für<br />
mich keine Notwendigkeit mehr, zu<br />
Hause vorbeizukommen.“ Mit acht<br />
Jahren landete Matolias am Strand von<br />
Flamengo, einem Viertel der oberen<br />
Mittelschicht.<br />
Dort nahm ihn eine Gruppe Mädchen<br />
unter ihre Fittiche. In der „Schule<br />
der Straße“, wie er seine Kindheit am<br />
Strand nennt, hat sich die Leidenschaft<br />
des Burgenbauens entwickelt: „Da gab<br />
es einen Mann, der Pyramiden gebaut<br />
hat. Ich habe zu ihm gesagt: ,Ey man,<br />
ich will das lernen!‘.“<br />
Zunächst half Matolias dem Mann<br />
beim Bau von dessen Burgen und Pyramiden,<br />
später begann er mit eigenen<br />
Konstruktionen. Im Laufe der Zeit feilte<br />
er immer mehr an seiner Technik, bis es<br />
ihm gelang, solch pompöse Burgen zu<br />
bauen wie die, in der er heute wohnt.<br />
Er hat sie im Schichtverfahren konstruiert:<br />
„Erst kommt Sand, dann ein Stück<br />
Holz oben drauf, darüber Plastik und<br />
oben drüber wieder Sand“, beschreibt<br />
er. Eine Woche dauert der Bau. „Einfach<br />
ist es nicht. Aber es geht schneller<br />
als ein richtiges Haus“, sagt Matolias.<br />
Der Strandkönig kann sich gar<br />
nicht mehr erinnern, wie oft sein Domizil<br />
schon zusammengebrochen ist. Jedes<br />
Mal baut er es neu – inspiriert von dem<br />
Maler Dalí und dem brasilianischen Architekten<br />
Niemeyer. „Manchmal werde<br />
ich dann auch sauer, denke: Verdammt!<br />
Aber das ist normal“, sagt er und lacht.<br />
„Burgherr zu sein ist auch eine Übung<br />
in Geduld.“<br />
Matolias hat nie eine Schule besucht.<br />
Während seiner Kindheit am<br />
Strand von Flamengo entwickelte er<br />
trotzdem eine weitere Leidenschaft:<br />
Literatur. „Darum habe ich hier auch<br />
meine königliche Bibliothek!“, sagt er<br />
und zeigt mit seinem Arm auf einen<br />
Karren neben der Burg, auf dem sich<br />
36<br />
gespendete Bücher stapelweise türmen:<br />
alte, vergilbte und fast druckfrische.<br />
„Erst habe ich sie in der Burg gelagert“,<br />
erzählt er. „Dann hat mir ein Kumpel<br />
einen Wagen gegeben, wo ich die draufgelegt<br />
habe. Mir wurden immer mehr<br />
gebracht.“<br />
Matolias schätzt den Bestand seiner<br />
Bücherei auf mehr als 500 Exemplare.<br />
In eine kleine Spendenbox können Passanten<br />
Geld hineinwerfen, als Gegenleistung<br />
für sein Angebot, sich Bücher<br />
zu leihen. Das sei aber kein Muss. „Es<br />
geht darum, dass die Bücher nicht tot<br />
zu Hause im Regal liegen“, sagt er.<br />
„Lesen tut Menschen gut, es macht sie<br />
weniger aggressiv. Daran glaube ich.“<br />
Ein Radfahrer fährt am Strand vorbei,<br />
wünscht dem König einen guten<br />
Tag. Matolias grüßt zurück. Adel<br />
verpflichtet. „Dadurch, dass ich hier<br />
bekannt bin wie ein bunter Hund, ist<br />
viel los. Die Leute bitten mich um alles<br />
Mögliche: Volleyballnetze, Bälle, Eimer.“<br />
Er selbst hält sich mit Gelegenheitstätigkeiten<br />
wie Fischen und<br />
Hausmeisterjobs in den umliegenden