Meinviertel September 2018
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Rubrik<br />
Kein LKW fährt heute ein oder aus. Auch die Gleise<br />
bleiben leer. Man hat sich auf die Blockade eingestellt.<br />
Polizisten stehen in kurzen Abständen vor den Zäunen<br />
und wirken freundlich. Wir legen unsere mitgebrachten<br />
Strohsäcke auf den Beton und auf die Wiese daneben.<br />
Viele schlafen von dem langen Marsch sofort ein, andere<br />
beginnen große Gemeinschaftszelte aufzubauen,<br />
Dixiklos werden aufgestellt, Essen wird vorbereitet,<br />
eine Bühne wird aufgebaut, Transparente werden zwischen<br />
die Laternen gehängt. Wieder funktioniert alles<br />
reibungslos wie einstudiert. Wir sind alle Finger einer<br />
Hand und es ist erstaunlich, wie diszipliniert ziviler Ungehorsam<br />
ablaufen kann. Man redet mit den Polizisten,<br />
sie bekommen Essen angeboten. Ein polizeilicher Überwachungswagen<br />
macht sich einen Spaß daraus, zwei Demonstranten<br />
immer hin und her laufen zu lassen, indem<br />
er vor und zurück fährt, während die beiden ihr Transparent<br />
so halten, dass die Kamera auf dem Wagendach<br />
verdeckt ist. Beide Seiten lachen darüber.<br />
Eine Pappkamera wird gebastelt. „Watching you,<br />
watching us“ steht darauf.<br />
Trotz der guten Stimmung ist eine untergründige Spannung<br />
zu spüren, die mich an eine Antilopenherde erinnert,<br />
die friedlich weidet, weil die Löwen satt in der<br />
Sonne liegen. Aber die Jagd kann jeden Moment losgehen,<br />
die Stimmung kippen, der Machtkampf beginnen.<br />
Fotografen bringen ihre Bilder zum Media Bus, damit<br />
sie gepostet werden können, Kamerateams senden live,<br />
auf den Dächern stehen Fernsehteams und warten. Wir<br />
sind umgeben von Wartenden. Wir beschäftigen uns.<br />
Nach dem Essen nehme ich einer Frau vom Küchenteam<br />
die Couscous Kelle ab – und dabei komme ich mir<br />
vor wie der König, der im Märchen vom Fährmann das<br />
Ruder in die Hand bekommt und nun an seiner Stelle<br />
rudern muss. Das Tor zum Erdöl ist die Hölle und sollte<br />
geschlossen werden, denke ich, während ich Couscous<br />
auf Teller scheffle. Die Schlange ist noch endlos und als<br />
die Kiste leer ist, wuchte ich eine neue auf den Tisch.<br />
Teller für Teller im Sekundentakt. Mein Arm tut weh.<br />
Ich benutze den anderen und empfehle das auch dem<br />
Mann an der Gemüsetonne. Journalisten werden an der<br />
Schlange nach vorne geholt und bekommen eine Extraportion.<br />
„Mic Check“, ruft jemand. „Free Massage<br />
on the Traintrack“ – alle wiederholen den Satz fragend<br />
und ich verstehe, wozu diese Wiederholungen gut sind:<br />
Man kann schwer selbst etwas sagen, was man nicht<br />
versteht. Alle sehen zu den Gleisen. Eine Reihe Menschen<br />
sitzt hintereinander wie beim Eisenbahnspielen<br />
und jeder massiert den Vordermann. Die Gleise sind<br />
jetzt auch besetzt. Die Polizisten haben sich zurückgezogen,<br />
das besetzte Gelände hat sich ausgedehnt bis zu<br />
dem Zaun, hinter dem sieben Gastürme zu sehen sind.<br />
Jemand schenkt uns einen Korb Äpfel, die in wenigen<br />
Minuten schon wieder verschenkt sind. Endlich hat sich<br />
die Schlange aufgelöst und ich bin wieder frei.<br />
Die Bundestags-Abgeordnete und energiepolitische<br />
Sprecherin von B90/Grünen aus Niedersachsen, Dr.<br />
Julia Verlinden, sitzt auf einem Strohballen und ich<br />
frage sie, in welchen europäischen Ländern Fracking<br />
eigentlich erlaubt ist und in welchen nicht. Es gibt verschiedene<br />
Methoden der Erdgasgewinnung, sagt sie.<br />
In Deutschland wird seit Jahrzehnten im Sandstein<br />
gefrackt. Nur Schiefergasfracking ist, bis auf vier mögliche<br />
Probebohrungen, vorerst verboten worden. Aber<br />
das kommt in Deutschland derzeit sowieso kaum infrage,<br />
weil man zu viel Energie reinstecken müsste und es<br />
damit momentan ökonomisch wenig attraktiv ist. Jede<br />
Variante des Frackings birgt enorme Gefahren für die<br />
Umwelt, man kann nicht zwischen gefährlich und ungefährlich<br />
unterteilen. Das giftige Lagerstättenwasser,<br />
das bei der Erdgasgewinnung anfällt und bei dem Einsatz<br />
von Fracking zusätzlich mit Chemikalien versetzt<br />
mein/4<br />
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