18.09.2018 Aufrufe

Meinviertel September 2018

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Rubrik<br />

Kein LKW fährt heute ein oder aus. Auch die Gleise<br />

bleiben leer. Man hat sich auf die Blockade eingestellt.<br />

Polizisten stehen in kurzen Abständen vor den Zäunen<br />

und wirken freundlich. Wir legen unsere mitgebrachten<br />

Strohsäcke auf den Beton und auf die Wiese daneben.<br />

Viele schlafen von dem langen Marsch sofort ein, andere<br />

beginnen große Gemeinschaftszelte aufzubauen,<br />

Dixiklos werden aufgestellt, Essen wird vorbereitet,<br />

eine Bühne wird aufgebaut, Transparente werden zwischen<br />

die Laternen gehängt. Wieder funktioniert alles<br />

reibungslos wie einstudiert. Wir sind alle Finger einer<br />

Hand und es ist erstaunlich, wie diszipliniert ziviler Ungehorsam<br />

ablaufen kann. Man redet mit den Polizisten,<br />

sie bekommen Essen angeboten. Ein polizeilicher Überwachungswagen<br />

macht sich einen Spaß daraus, zwei Demonstranten<br />

immer hin und her laufen zu lassen, indem<br />

er vor und zurück fährt, während die beiden ihr Transparent<br />

so halten, dass die Kamera auf dem Wagendach<br />

verdeckt ist. Beide Seiten lachen darüber.<br />

Eine Pappkamera wird gebastelt. „Watching you,<br />

watching us“ steht darauf.<br />

Trotz der guten Stimmung ist eine untergründige Spannung<br />

zu spüren, die mich an eine Antilopenherde erinnert,<br />

die friedlich weidet, weil die Löwen satt in der<br />

Sonne liegen. Aber die Jagd kann jeden Moment losgehen,<br />

die Stimmung kippen, der Machtkampf beginnen.<br />

Fotografen bringen ihre Bilder zum Media Bus, damit<br />

sie gepostet werden können, Kamerateams senden live,<br />

auf den Dächern stehen Fernsehteams und warten. Wir<br />

sind umgeben von Wartenden. Wir beschäftigen uns.<br />

Nach dem Essen nehme ich einer Frau vom Küchenteam<br />

die Couscous Kelle ab – und dabei komme ich mir<br />

vor wie der König, der im Märchen vom Fährmann das<br />

Ruder in die Hand bekommt und nun an seiner Stelle<br />

rudern muss. Das Tor zum Erdöl ist die Hölle und sollte<br />

geschlossen werden, denke ich, während ich Couscous<br />

auf Teller scheffle. Die Schlange ist noch endlos und als<br />

die Kiste leer ist, wuchte ich eine neue auf den Tisch.<br />

Teller für Teller im Sekundentakt. Mein Arm tut weh.<br />

Ich benutze den anderen und empfehle das auch dem<br />

Mann an der Gemüsetonne. Journalisten werden an der<br />

Schlange nach vorne geholt und bekommen eine Extraportion.<br />

„Mic Check“, ruft jemand. „Free Massage<br />

on the Traintrack“ – alle wiederholen den Satz fragend<br />

und ich verstehe, wozu diese Wiederholungen gut sind:<br />

Man kann schwer selbst etwas sagen, was man nicht<br />

versteht. Alle sehen zu den Gleisen. Eine Reihe Menschen<br />

sitzt hintereinander wie beim Eisenbahnspielen<br />

und jeder massiert den Vordermann. Die Gleise sind<br />

jetzt auch besetzt. Die Polizisten haben sich zurückgezogen,<br />

das besetzte Gelände hat sich ausgedehnt bis zu<br />

dem Zaun, hinter dem sieben Gastürme zu sehen sind.<br />

Jemand schenkt uns einen Korb Äpfel, die in wenigen<br />

Minuten schon wieder verschenkt sind. Endlich hat sich<br />

die Schlange aufgelöst und ich bin wieder frei.<br />

Die Bundestags-Abgeordnete und energiepolitische<br />

Sprecherin von B90/Grünen aus Niedersachsen, Dr.<br />

Julia Verlinden, sitzt auf einem Strohballen und ich<br />

frage sie, in welchen europäischen Ländern Fracking<br />

eigentlich erlaubt ist und in welchen nicht. Es gibt verschiedene<br />

Methoden der Erdgasgewinnung, sagt sie.<br />

In Deutschland wird seit Jahrzehnten im Sandstein<br />

gefrackt. Nur Schiefergasfracking ist, bis auf vier mögliche<br />

Probebohrungen, vorerst verboten worden. Aber<br />

das kommt in Deutschland derzeit sowieso kaum infrage,<br />

weil man zu viel Energie reinstecken müsste und es<br />

damit momentan ökonomisch wenig attraktiv ist. Jede<br />

Variante des Frackings birgt enorme Gefahren für die<br />

Umwelt, man kann nicht zwischen gefährlich und ungefährlich<br />

unterteilen. Das giftige Lagerstättenwasser,<br />

das bei der Erdgasgewinnung anfällt und bei dem Einsatz<br />

von Fracking zusätzlich mit Chemikalien versetzt<br />

mein/4<br />

33

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!