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Meinviertel September 2018

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Jördis Triebel<br />

Seit ich 15 war, stand ich auf der Bühne. Das war<br />

mein Lebenszentrum. Als Theaterkind wollte<br />

ich nur dort zu Hause sein. Ich musste einfach<br />

Schauspielerin werden. Davon war ich felsenfest<br />

überzeugt. Wenn ich eine Beziehung hatte, war<br />

die nie wichtiger als die Arbeit. Aber als ich nach<br />

der Schauspielschule drei Jahre lang engagiert<br />

war am Theater Bremen, war da zum ersten Mal<br />

eine Ahnung, dass es vielleicht noch mehr geben<br />

könnte. Ich musste mich auf eine Suche begeben,<br />

die der erst große Umbruch in meinem<br />

Leben werden sollte.<br />

Franziska Hauser<br />

Ich machte mir einen Zettel und schrieb auf, was<br />

ich gerne noch alles machen würde. Da stand zum<br />

Beispiel: Ich will in Paris leben.<br />

Es kam mir komisch vor, als ich beim Intendanten<br />

war und mich den Satz sagen hörte: „Ich kündige<br />

jetzt.“ Das war absurd, ohne jegliche Aussicht auf Arbeit,<br />

ohne Vorstellung davon, was ich machen könnte,<br />

nur mit diesem kläglichen Zettel. Ich dachte: Jördis,<br />

bist du bescheuert? Aber es war wie ein kleines Licht<br />

in mir, das immer heller wurde und sagte: Du musst<br />

kündigen, du musst kündigen! Dieser Drang war<br />

wahnsinnig stark.<br />

Mit Romy Schneider als Vorbild wollte ich leiden fürs<br />

Theater, mich kaputt machen, weil ich dachte, nur so<br />

kann man überhaupt Kunst machen.<br />

Ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt in der Lage<br />

sein würde, auf der Bühne etwas Großes zu leisten,<br />

wenn ich glücklich wäre. Ich hatte mich schon nach<br />

zwei Jahren leer gespielt. Ich war erst 26 und stand<br />

an diesem Scheideweg. Plötzlich war da dieses große<br />

Bedürfnis, selbst zu entscheiden, welcher mein<br />

nächster Schritt sein würde. Ich wollte nicht mehr<br />

fremdbestimmt funktionieren.<br />

Der Intendant nahm mir das nicht ab, meinte nur:<br />

„Also, Frau Triebel, wo wollen Sie denn hin? Denken<br />

Sie noch mal nach.“ Ich will an ein größeres Haus,<br />

wird er gedacht haben. Hab’ wahrscheinlich einen<br />

realitätsfremden Höhenflug.<br />

„Aber Jördis, du spielst doch hier die großen Rollen,<br />

was willst du denn jetzt machen?“, meinten die Kollegen.<br />

Niemand hat das verstanden. Erst nach drei<br />

Gesprächen hat der Intendant mir die Entscheidung<br />

geglaubt. Da war ich selbst total baff, mich das getraut<br />

zu haben.<br />

Es war wie ein Schritt in Richtung Abgrund. Es ging<br />

nicht nur um das Aufgeben eines festen Engagements,<br />

nicht nur um das Aufgeben einer finanziellen<br />

Sicherheit, es ging nicht einmal nur um das Aufgeben<br />

eines Lebenstraumes. Ich dachte, es ginge wirklich<br />

um das Aufgeben dessen, wofür ich bis dahin gelebt<br />

hatte. Ich hatte eine Riesenangst.<br />

Ich dachte, ich würde nie wieder einen Fuß in ein<br />

Theater bekommen, hätte meine Karriere für immer<br />

in den Sand gesetzt und meine Kollegen dachten das<br />

auch. Meine Tagebücher sind voll von dieser schrecklichen<br />

Angst. Und voll mit der Frage: Wo will ich<br />

denn bloß hin? Ich hatte nur meinen Zettel. Da stand<br />

Paris drauf und ich dachte: na, dann arbeite ich eben<br />

als Kellnerin. Hauptsache Leben einsaugen. Das war<br />

mir plötzlich wichtiger als alles andere.<br />

Das war’s also. Ich war keine gefeierte Ensembleschauspielerin<br />

mehr. Ich war nur noch Jördis. „Und<br />

warum hab’ ich das jetzt gemacht?“, war die Frage,<br />

die über mir schwebte.<br />

Auf meinem Tagebuch stand der Spruch: „Irrwege<br />

erhöhen die Ortskenntnis.“ Also machte ich mich<br />

ziellos auf den Weg.<br />

Eine Freundin hatte Verwandte bei Paris, da konnte<br />

ich hin.<br />

Ich fand mich wieder in einer vollkommen surrealen<br />

Umgebung, einem Jagdschloss bei Paris, mit ausgestopften<br />

Löwen, bei stinkreichen wildfremden Men-<br />

mein/4<br />

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