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Meinviertel September 2018

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Jördis Triebel<br />

schen, die mich irgendwann fragten: „Was wollten Sie<br />

jetzt eigentlich genau hier?“ Das konnte ich denen<br />

auch nicht sagen. Ich zuckte nur mit den Schultern:<br />

„Irgendeinen Job?“ Sie haben sich für mich umgehört,<br />

aber ich konnte noch nicht gut französisch. Ich lag in<br />

diesem Zimmer mit Geweihen an den Wänden und<br />

dachte: Anscheinend habe ich jetzt meinen Beruf an<br />

den Nagel gehängt. So richtig geheuer war mir der<br />

Gedanke nicht.<br />

Ich fing langsam an, die drei großartigen und gleichzeitig<br />

schrecklichen Jahre zu verarbeiten, in denen ich<br />

es verpasst hatte, zu leben.<br />

Mir wurde klar, dass ich so demütig war dem Theater<br />

gegenüber. Ich wollte es allen recht machen, allen gefallen,<br />

den Erwartungen entsprechen, wollte Bescheidenheit<br />

ausstrahlen und wurde in mir immer kleiner.<br />

In drei Inszenierungen bin ich gescheitert, habe mich<br />

geschämt, auf die Bühne zu gehen, habe geweint hinterm<br />

Vorhang, weil ich einfach nicht wusste, was ich<br />

spielen sollte. Das war furchtbar. Ich war elend einsam<br />

und unsicher. Dass ich gleich in der ersten Spielzeit<br />

den Kurt-Hübner-Preis bekommen habe, hätte<br />

mich stolz machen können. Hat es aber nicht.<br />

Der Druck wurde plötzlich so groß und ich hatte das<br />

Gefühl, ihn nicht verdient zu haben. Meine Kollegen<br />

spielten dort schon so viele Jahre und ich räumte als<br />

Anfängerin gleich diesen Preis ab, mit 24 Jahren. Ich<br />

hatte ein schlechtes Gewissen ihnen gegenüber.<br />

Offenbar hab’ ich eine Riesenselbstbeherrschung, dass<br />

ich immer so viel Stärke ausstrahlen konnte. Ich war<br />

nie dieser mädchenhafte Ophelia-Typ. Ich war immer<br />

schon eine Frau. Das hat mich zwar genervt anfangs,<br />

weil ich noch gar nicht so erwachsen war wie ich wirkte<br />

und weil man mir meine Ängste nicht zu traute, aber<br />

ich hab’ dadurch fast nur Hauptrollen bekommen am<br />

Theater. Als Anfängerin war das toll. Aber etwas anderes<br />

als das Theater hatte ich nicht. Morgens und mittags<br />

Proben, abends auf der Bühne. In der Stadt bin<br />

ich nie richtig angekommen. Die Theaterarbeit hatte<br />

mich in einen ungesunden Kreislauf hineingezogen. So<br />

enden wie manche Kollegen, die immer noch frustriert<br />

in der Kantine sitzen und sich darüber ärgern, dass sie<br />

bestimmte Rollen nicht bekommen, wollte ich nicht.<br />

Mir fehlte das echte Leben, das ich am Abend auf der<br />

Bühne darstellen sollte. Der Leidensdruck wurde so<br />

groß, dass es nur noch das Leid war, was ich im Spiel<br />

ausleben konnte. Meine Kollegen hatten da eine andere<br />

Leichtigkeit.<br />

Dass die Sehnsucht nach diesem Beruf aber auch in<br />

meiner romantischen Traumstadt Paris noch da war,<br />

musste ich dann aber doch vor mir selbst zugeben.<br />

Als ich aus Paris zurückkam, weil ich in Bremen noch<br />

ein paar Vorstellungen zu spielen hatte, rief das Schauspielhaus<br />

Zürich an. Ich dachte: prima, Zürich oder<br />

Paris, egal, Hauptsache Ausland. Paris wollte ich mir<br />

aufheben. Läuft ja nicht weg, dachte ich. Nach der Arbeit<br />

in Zürich bekam ich das Drehbuch zum Kinofilm<br />

Emmas Glück zugeschickt und ich hab’ schon nach<br />

den ersten Seiten Rotz und Wasser geheult. Ich sollte<br />

die Hauptrolle spielen. Eine verarmte Schweinezüchterin.<br />

Ich war fassungslos. Ich kannte jeden Satz, kannte<br />

die Figur, ich wusste: Das kann nur ich spielen. Die<br />

Rolle ist in mir drin. In niemandem sonst. Ich hab’<br />

mit dem Drehbuch unterm Kopfkissen geschlafen und<br />

gebetet. Es hat mir einfach aus der Seele gesprochen.<br />

Beim Casting hab ich niemandem davon erzählt. Es<br />

sollte mein Geheimnis bleiben. Dann wurde ich zur<br />

zweiten Castingrunde geladen und stand plötzlich Jürgen<br />

Vogel gegenüber. Ich wusste nicht, daß er mein<br />

Spielpartner sein würde. Er ist total lieb, aber dass ich<br />

ihm gleich Spielvorschläge gemacht habe, fand er nicht<br />

so gut, glaube ich.<br />

Es lief gut und ich war gerade in Bremen, als mich die<br />

Casterin anrief und sagte: „Du bist es.“<br />

Da habe ich aufgelegt und geschrien, eine viertel<br />

Stunde lang, und getanzt, bis die Nachbarn kamen.<br />

Ich dachte, das kann doch nicht sein, dass ich wirklich<br />

diese Rolle geschenkt bekomme. Es ging mir gar<br />

nicht darum, dass es ein Kinofilm ist und dass es eine<br />

Hauptrolle ist. Es ging darum, dass diese Figur aus mir<br />

raus musste. Nach einer Woche Glück fiel mir plötzlich<br />

ein: Verdammt, ich muss das ja auch noch spielen. Ich<br />

kann das doch gar nicht!<br />

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