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Meinviertel September 2018

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Der Sommer ist eben nicht schön<br />

ist, wird zurück verpresst, dorthin, wo man das Erdgas<br />

rausgeholt hat. Wohin das genau gelangt, hat man nicht<br />

unter Kontrolle. Die Behauptung, es gäbe einen sauberen<br />

Abbau fossiler Rohstoffe, ist irrsinnig. Es gibt auffällige<br />

Cluster von Krebserkrankungen in einigen durch<br />

Gasextraktion belasteten Gebieten. Es ist schwer, das<br />

medizinisch aufzuarbeiten. Die Leute machen sich Sorgen<br />

und fühlen sich vergessen. In Niedersachsen gibt<br />

es Bohrschlammgruben, die nie registriert wurden und<br />

jetzt extrem aufwändig und teuer saniert werden müssen.<br />

In Deutschland wird immer noch viel Braunkohle<br />

gefördert. Erdgas sollte eine Übergangslösung sein<br />

zwischen Kohle und erneuerbaren Energien – so die<br />

unsinnige Rechtfertigung der Gasindustrie. Dabei ist<br />

es genauso schlimm und ein fataler Umweg.<br />

Ein anderer Aktivist aus dem Wendland erzählt, in Polen<br />

werde Fracking gerade erst richtig ausgebaut und<br />

in den USA kann die Konzentration des Erdgases im<br />

Grundwasser lokal so hoch sein, dass es sich an einem<br />

geöffneten Wasserhahn mit einem Feuerzeug entzünden<br />

lässt. In Texas wurden Arsen, Selen und Strontium im<br />

Trinkwasser nachgewiesen, im Umkreis von 2 Kilometern<br />

einer gefrackten Bohrstelle. Aus kilometerlangen<br />

Pipelines entweicht überall Methan aus Überdruckventilen.<br />

Je mehr technische Fragen ich stelle, desto mehr Fragen<br />

ergeben sich. Aber alle Fragen haben nur eine Antwort.<br />

Wir müssen aufhören, fossile Rohstoffe zu verbrennen!<br />

Das oder so etwas ähnliches sagt auch die Sprecherin<br />

auf der Bühne in Niederländisch. Danach werden Lieder<br />

gesungen und langsam kommt Abendstimmung auf.<br />

Wir fragen das Infoteam nach einem Rücktransport. Sie<br />

wissen noch nicht, wann der Küchenbus zurückfährt<br />

und wir sollten doch den Zug nehmen. Die meisten bleiben<br />

hier, übernachten in den Zelten und entscheiden<br />

morgen, wie lange sie bleiben.<br />

Diesmal kaufen wir uns im Zug Tickets, obwohl wir<br />

noch unsere besprühten Maleranzüge tragen. Jetzt summen<br />

wir doch die Lieder vor uns hin, als wir durch die<br />

idyllische Landschaft wandern. Power to the people ...<br />

Im Camp ist es still. Kurz nach uns kommt doch noch<br />

ein Bus vom Aktionscamp. Es habe Ausschreitungen<br />

gegeben, erzählt man uns aufgeregt. Die Stimmung sei<br />

sehr angespannt gewesen, habe sich dann aber wieder<br />

beruhigt. Wir sind froh, rechtzeitig weggekommen zu<br />

sein. Als wir uns am nächsten Morgen verabschieden,<br />

merke ich, dass eingelöst wurde, was ich mir gewünscht<br />

hatte. Ich wollte eine Hoffnung. Ich wollte den Widerstand<br />

sehen, hören und fühlen. Meine Hoffnung habe<br />

ich bekommen.<br />

Wir fahren nach Groningen und sehen uns die Stadt an.<br />

Dieser Urlaubstag kommt mir vor wie ein Geschenk.<br />

Ich vereise nie ohne Grund. Nie nur, um woanders zu<br />

sein. Vielleicht habe ich das Prinzip von Urlaub nicht<br />

verstanden, aber vielleicht ist es auch ein Gefühl der<br />

Schuldigkeit. Wenn ich mir etwas nehme, dann muss<br />

ich auch etwas geben. Wenn ich einen Urlaub mache,<br />

dann nehme ich mir etwas. Aber was gebe ich? Und vor<br />

allem wem? Gebe ich mein Geld einer Fluggesellschaft,<br />

um eine Reise zu machen? Oder gebe ich meinen physischen<br />

Einsatz einer Umweltaktion?<br />

Zuhause bin ich aufgewühlt, aber irgendwie glücklich.<br />

Sofort sehe ich im Internet nach den neusten Bildern<br />

von der Blockade. Es gibt keinen deutschen Beitrag.<br />

Aber viele Niederländische. Dann finde ich ein Video<br />

aus der Nacht und sehe, wie die Leute zwischen denen<br />

ich vor wenigen Stunden noch gesessen habe, mit Gummiknüppeln<br />

geschlagen werden von den Polizisten, die<br />

gestern noch friedlich schienen. Ich setze mich hin und<br />

heule. Meine Hoffnung werde ich wohl immer wieder<br />

erneuern müssen.<br />

■<br />

Franziska Hausers<br />

aktueller Roman<br />

„Die Gewitterschwimmerin“<br />

wurde für den Deutschen<br />

Buchpreis <strong>2018</strong> nominiert.<br />

EICHBORN Verlag<br />

431 Seiten, 22,00 €<br />

ISBN: 978-3-8479-0644-5<br />

Sie lebt im Prenzlauer Berg und ist meist im Teeladen<br />

„Make Tea not War“ in der Heinrich-Roller Strasse 6<br />

anzutreffen.<br />

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