Daylight & Architecture | Architektur-Magazin von VELUX, Ausgabe ...
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traut der Mensch ihm einfach nicht. Auch ich selbst muss zugegebenermassen<br />
jedes Mal tief Luft holen, wenn ich einen transparenten<br />
Fußboden betrete. Daher ist es ratsam, zumindest<br />
einen Teil des Glasbodens nicht transparent, sondern transluzent<br />
zu gestalten. Die Menschen fühlen sich dadurch sicherer,<br />
auch wenn der Unterschied zwischen einer transluzenten und<br />
einer transparenten Glasscheibe in nicht mehr als einer transluzenten<br />
Folie <strong>von</strong> 0.46 Millimetern Dicke besteht!<br />
Architekten und viele Nutzer sind fasziniert <strong>von</strong> der Möglichkeit,<br />
„durch die Luft zu gehen“ und ein Gebäude dreidimensional<br />
zu erfahren. Da Sicherheit ein Hauptentwurfskriterium<br />
ist, versteht es sich <strong>von</strong> selbst, dass alle Glasfußböden aus Verbundglas<br />
hergestellt werden. Sand und Kiesel an den Schuhsohlen<br />
verursachen Kratzer beim Betreten des Glases. Deshalb<br />
muss sichergestellt werden, dass die zerkratzten Laufbereiche<br />
nicht mit auf Zug beanspruchten Bereichen korrespondieren,<br />
weil die Kratzer dann punktuell konzentrierte Zugbelastungen<br />
darstellen und insgesamt zugverstärkend im Glas wirken würden.<br />
Man denkt oft, dass Glas eine sehr glatte Lauffl äche ist.<br />
In Wirklichkeit ist es im trockenen Zustand überhaupt nicht<br />
rutschig. Untersuchungen haben erwiesen, dass die Oberfl ächeneigenschaften<br />
<strong>von</strong> Glas sich mehr oder weniger mit denen<br />
<strong>von</strong> Natursteinplatten vergleichen lassen. Lediglich bei nassem<br />
Glas steigt die Rutschgefahr erheblich. Eine Möglichkeit<br />
diese Gefahr zu vermeiden ist die Verwendung <strong>von</strong> besonderem<br />
Glas mit der folgenden Spezialbehandlung: Eine Glasscheibe<br />
wird bis zu dem Punkt erhitzt, an dem die Oberfl äche leicht<br />
zähfl üssig wird. Dann werden Sandkörner oder feiner Glasbruch<br />
aufgestreut. Auf Grund der mehr oder weniger fl üssigen<br />
Glasoberfl äche sinken sie leicht ein. Nach dem Abkühlen<br />
und Erhärten erhält man eine auch im nassen Zustand sehr<br />
raue Oberfl äche. Als Nebeneff ekt dieses Eingriff s wird sich<br />
die Oberfl äche nicht so leicht abnutzen. Der eingestreute Sand<br />
oder die Glaspartikel sind gut mit der Glasscheibe verbunden<br />
und schützen so ihre Oberfl äche.<br />
Dieser Prozess des Schmelzens und Erhärtens erinnert<br />
mich an eine alte, aber leider unwahre Geschichte, die in arabischen<br />
Chroniken über den Bau eines der sieben Weltwunder<br />
der Antike, des Pharos <strong>von</strong> Alexandria, erzählt wird. Dieser<br />
sehr hohe und große Leuchtturm sollte durch „Haken aus Glas“<br />
mit dem felsigen Fundament verbunden sein. Im Nachhinein<br />
erscheint dies nicht ganz unmöglich. Glas kann leicht geschmolzen<br />
und in Felsspalten gegossen werden. Nach der Verfestigung<br />
kann es enormen Druck aufnehmen, sodass eine Neubetrachtung<br />
dieser alten Konstruktionsmethode lohnend erscheint.<br />
glasstützen<br />
Während wir mittlerweile in der Lage sind, Glasböden, Glasdächer,<br />
Glaswände und Glasträger herzustellen, widersetzt sich die<br />
Glasstütze als letztes tragendes Element der Umsetzung in Glas.<br />
Generell ist eine Stütze ein komplizierter und kontrovers<br />
diskutierter Teil eines Tragwerkes. Architekten und Bauherren<br />
mögen Stützen nicht: Sie sind im Weg und behindern die freie<br />
Sicht. Wenn sie nicht in ihrer Anzahl reduziert werden können,<br />
wollen Architekten sie so schlank wie möglich haben.<br />
38 D&A HERBST 2005 AUSGABE 01<br />
Im Gegensatz dazu lieben Bauingenieure Stützen: sie verringern<br />
die Spannweite <strong>von</strong> Trägern und Decken und machen<br />
Konstruktionen einfacher. Wie kann man diese Aversion auf<br />
Seiten der Architekten überwinden? Ich möchte aus einem Text<br />
<strong>von</strong> Le Corbusier über seine Villa Savoye zitieren: „Stolz stehen<br />
die Stützen in Reih und Glied; die Soldaten der <strong>Architektur</strong>,<br />
die ihre Last tragen.“ Das hilft normalerweise ein wenig, denn<br />
niemand wagt einem so großen Architekten wie Le Corbusier<br />
zu widersprechen.<br />
Doch die Ingenieure sollten Stützen auch attraktiver machen.<br />
Eine Möglichkeit ist es, ihre Form expressiver zu gestalten, was<br />
ich zum Beispiel in einer Studie über die Form der Stützen des<br />
Restaurants des Educatorium-Projektes versucht habe. Als Ausgangspunkt<br />
für den Tragwerksentwurf dieser Stützen widmeten<br />
wir uns im Einvernehmen mit den Architekten der Frage:<br />
Wie kommt es zum Versagen <strong>von</strong> Stützen?<br />
Stützen können auf drei Arten versagen: erstens, indem<br />
sie unter Druck zusammenbrechen, also langsam unter einer<br />
zu großen Vertikallast nachgeben. Die zweite Variante ist das<br />
Knicken unter Aufl ast, wobei sie plötzlich in der Mitte brechen.<br />
Dies stellt in den meisten Fällen den kritischen Lastfall<br />
dar. Die dritte Art ist das Knicken infolge <strong>von</strong> Scherkräften,<br />
wenn sich beide Stützenenden gegeneinander verschieben. Für<br />
jeden dieser Versagensfälle habe ich im Educatorium eigene<br />
Stützen entworfen. Unser Ziel war es, für jede Position eine<br />
auf die Belastung hin optimierte Stützenform zu wählen und<br />
dadurch dem Umfeld der Stütze Identität zu verleihen. Leider<br />
ließ der fi nanzielle Rahmen des Projekts letztendlich nur<br />
eine Variation des gleichen kreuzförmigen Stützentypus (dem<br />
so genannten Mies-van-der-Rohe-Zitat) in Größe und Profi lform<br />
– Rund- oder Quadratprofi l – zu.<br />
Eine weitere Möglichkeit, Stützen attraktiver zu gestalten<br />
wäre es, sie aus Glas herzustellen. Obwohl Glas ein gutes Druckverhalten<br />
aufweist, existiert stets die Gefahr des Knickens, die<br />
die Konstruktion einer sicheren Glasstütze erschwert. Das Knicken<br />
führt zu Zugkräften, wobei winzige Risse in der Oberfl äche<br />
auftreten, die sich als „Spielverderber“ erweisen. Deshalb<br />
müssen sichere gläserne Tragelemente aus zwei, drei oder noch<br />
mehr Lagen Glas konstruiert sein. Falls ein Teil aus irgendeinem<br />
Grund versagt, müssen die übrigen Teile in der Lage sein,<br />
die Last zu tragen, damit das beschädigte Teil ausgetauscht<br />
werden kann.<br />
Doch wären Glasstützen nicht die ultimative Anwendung<br />
<strong>von</strong> Glas als lasttragendes Material? Man stelle sich ein <strong>von</strong><br />
geheimnisvoll leuchtenden Lichtstrahlen getragenes Hochhaus<br />
vor und bedenke die große potentielle Tragfähigkeit <strong>von</strong> Glas.<br />
Ein Traum würde wahr werden! Der Weg zu seiner Verwirklichung<br />
hat allerdings gerade erst begonnen.<br />
glaswände<br />
Wände trennen Bereiche auf sehr physische Weise. Glas erlaubt<br />
es, eine reale, physische Trennung zweier Räume herzustellen<br />
und gleichzeitig die volle Einsicht in den gegenüberliegenden<br />
Raum zu erhalten. Wände besitzen in der <strong>Architektur</strong> zwei<br />
unterschiedliche Zweckbestimmungen: Im Inneren <strong>von</strong> Gebäu-