NEUMANN Dezember 2018
Das Magazin für Kultur & Lifestyle
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18<br />
Konzert<br />
KULTUR<br />
Tobias Haase präsentiert sein „Weissmuster“ in der Reihe „Kultur bei Kati‘s“<br />
Kritischer, unbequemer Geist<br />
Tobias Haases „Weissmuster“, das ist ein Mann, ein Piano und eine unverwechselbare<br />
Stimme – und elf lebensweise Songs, die wunderbare, kleine Geschichten erzählen, die<br />
einnehmen und geradezu zwingen, genau zuzuhören und jedes Wort nachzufühlen.<br />
Wer Tobias Haase etwas Böses will, kann in<br />
ihm einen Gescheiterten sehen. Einen Musiker,<br />
dem trotz hunderter Kompositionen und<br />
tausender Konzerte nie der ganz große Durchbruch<br />
gelungen ist; einen der vom und am<br />
Existenzminimum lebt und seine Klamotten<br />
auch mal im Sozialkaufhaus kauft. Das<br />
ist aber nur die eine mögliche Sicht auf<br />
den 48-Jährigen – die oberflächliche Sicht.<br />
Blickt man unter diese Oberfläche, entdeckt<br />
man in dem Tübinger aber einen, der das<br />
Leben kennt, der es auskostet und in<br />
sich aufsaugt wie ein Schwamm; einen<br />
kritischen, unbequemen Geist, der<br />
Strukturen hinterfragt, anstatt ihnen<br />
blind zu folgen, der bewusst gegen<br />
den Strom schwimmt und sich nicht<br />
darum schert, was andere über ihn<br />
denken. „Über mir ist nur der Himmel“,<br />
sagt Haase. „Egal, wie viel Geld man mir<br />
gibt, ich bezahle die Zeit mit meinem Leben<br />
– und mein Leben wird nicht länger,<br />
sondern jeden Tag einen Tag kürzer.<br />
„Lebensklug“ ist wahrscheinlich das richtige<br />
Wort, um Tobias Haase zu beschreiben. Es gibt<br />
kaum etwas, was er noch nicht gemacht hat.<br />
Der gelernte Werkzeugmacher war unter anderem<br />
im Betriebsrat bei Daimler, hat Stocherkähne gebaut, eine<br />
Piano-Bar geleitet und einen Bootsverleih betrieben. Vor allen<br />
Dingen ist Tobias Haase aber Musiker und Komponist – ein<br />
wahrer Künstler. So vielschichtig wie die Person selbst ist auch<br />
sein musikalisches Œuvre, das vom schwäbischen Spaßliedchen<br />
und einem deutsch-schwäbischen Musical über Pop und<br />
Rock mit großer Bandbegleitung bis hin zu intimer<br />
Liedermacherei am Piano reicht.<br />
Letzteres hat er jetzt unter dem Titel „Weissmuster“<br />
auf ein fantastisches Album gebannt. Die<br />
elf Songs seines Machwerks sind erfüllt von Lebensweisheit im<br />
allerbesten Sinne – also ohne den erhobenen Zeigefinger. Universelle<br />
Lieder über die Liebe und das Leben – Momentaufnahmen<br />
aus dem Dasein eines vom Leben und von der Liebe Gezeichneten,<br />
der sein Innerstes nach außen kehrt, sein Herz ausschüttet<br />
und das mit einer Stimme und einer so unglaublichen<br />
Nonchalance, die man seit Rio Reiser auf einem<br />
deutschsprachigen Album nicht mehr gehört hat.<br />
„Ich mache Musik gegen die Ungerechtigkeit der Welt, was kann<br />
ich auch anderes tun“, sagt Haase. Im Song „Unendlich frei“, dem<br />
letzten Stück des Albums, heißt es „drum freut euch, genießt es<br />
im Luxus zu leben, mit all diesen schönen Dingen umgeben, seid<br />
frei, unendlich frei, aber hört auf zu schrei‘n“. Das Lied hat Haase<br />
zwar über seine Zwillinge geschrieben, als diese im Säuglingsalter<br />
nachts einfach keine Ruhe geben und nicht schlafen wollten,<br />
„aber die ganze Kraft unserer Demokratie steckt da drin – Ehre,<br />
Anstand, Respekt, Gewissen; hört auf zu schreien, ihr habt alles,<br />
wir leben im totalen Überfluss!“<br />
Entstanden ist das Album vor vier Jahren. Tobias Haase war damals<br />
gerade aus Afghanistan zurückgekehrt, wo er eine Benefiztournee<br />
zugunsten des Kinderkrankenhauses Kabul spielen sollte, stattdessen<br />
aber mitten hineingeriet, in den absurden Krieg am Hindukusch<br />
und ihm bei einem Talibanangriff auf den Flughafen Kabul<br />
die Kugeln um die Ohren flogen. „Vor wenigen Tagen bist Du<br />
noch in Kabul, siehst von Bomben zerfetze Menschen, hungernde<br />
und zerlumpte Kinder, den Krieg und das ganze Elend – und dann<br />
kommst Du hier an, wo alle völlig verpampert in totalem Frieden<br />
leben und sich trotzdem permanent um komplette Nichtigkeiten<br />
zoffen und ich dachte mir nur so: Was ist denn hier los?“,<br />
sagt Haase, der sich wie ein Außenstehender, wie in einer Blase,<br />
fühlte. „Das tat wirklich weh. Ich habe damals keine Nacht länger<br />
als zwei, drei Stunden geschlafen, bevor ich völlig durchgeschwitzt<br />
aufgewacht bin und wieder diese schrecklichen Bilder vom Krieg<br />
im Kopf und den schrecklichen Geruch von Kabul in der Nase hatte.“<br />
In dieser Situation hat Tobias Haase seine letzten 500 Euro genommen,<br />
dafür einen halben Tag Studiozeit in den Ludwigsburger<br />
Bauer Studios bekommen und in diesen wenigen Stunden genau<br />
die elf Songs eingespielt, die ihm im Leben am meisten Trost gespendet<br />
haben – ganz alleine, wie in Trance, nur sich selbst am<br />
Piano begleitend. „Not baut halt Druck auf und unter Druck arbeite<br />
ich ziemlich gut“, sagt Haase.<br />
Dass die Songs erst jetzt veröffentlicht wurden, hat mit dem Tod<br />
von Udo Jürgens zu tun, der am 21. <strong>Dezember</strong> 2014 völlig überraschend<br />
starb. Haase hatte die Aufnahmen Jürgens Manager, Freddy<br />
Burger, im Herbst 2014 geschickt. Dieser war davon mehr als angetan<br />
und wollte bei einem Treffen, nach Abschluss von Jürgens‘<br />
Tour, alles weitere besprechen – dazu kam dann allerdings nicht<br />
mehr. „Daraufhin habe ich das Ding frustriert in die Schublade geschmissen“,<br />
sagt Haase. Zum Glück hat er die Aufnahmen jetzt aus<br />
der Schublade gezogen und veröffentlicht. Und natürlich wollen<br />
die Stücke auch live gespielt werden. hab<br />
TOBIAS HAASE Weissmuster<br />
08.12.<strong>2018</strong> | 20 Uhr | Kati‘s Bistro | Winnenden | musikmachermeister.de<br />
Foto: Kilian Kreb<br />
<strong>Dezember</strong> <strong>2018</strong> | Januar 2019