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AUSGABE <strong>11</strong> NOVEMBER 2018<br />
Eva Jaisli<br />
Erfolgs-<br />
Garantin<br />
Wie die CEO von PB Swiss<br />
Tools von Wasen aus den<br />
Weltmarkt erschliesst.<br />
FREIHEIT<br />
Was Freiheit bedeutet<br />
– und wie wir damit<br />
umgehen.<br />
ANSICHTSKARTEN<br />
Sie dokumentieren<br />
die Vergangenheit –<br />
auch im Oberaargau.<br />
TAPETENWECHSEL<br />
Zwei Hornusser<br />
versuchen sich als<br />
Baseball-Spieler.
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Tel. 062 919 01 08 I Fax 062 919 01 09
EDITORIAL / INHALT<br />
Liebe Leserin,<br />
lieber Leser<br />
Kennen Sie diesen Witz? Er ist uralt und<br />
ich erzähle ihn auf Berndeutsch: Dr Kari<br />
chnöilet spät am Abe am Bode u suecht.<br />
Da fragt ne dr Polizischt, was är da machi.<br />
«I sueche mi Föifliber, womer zum<br />
Hosesack use gheit isch». Da druf dr Polizischt:<br />
«Wo hesch ne de verlore?» «Dert<br />
äne», antwortet dr Kari. «Hmmm -», sinniert<br />
dr Polizischt, «warum zum Gugger<br />
suechsch ne de hie?» Druf dr Kari: «I sueche<br />
däich dert, wo Liecht isch».<br />
Das Leben findet in den Grossstädten<br />
statt, sagt man. Dort pulsiert es. Dort ist<br />
man fortschrittlich. Dort werden Trends<br />
gesetzt und man weiss, wo es lang geht.<br />
Dagegen gelten Randregionen als rückständig,<br />
in alten Zeiten stehen geblieben.<br />
Wenn man Firmen sucht, die Frauen fördern,<br />
sucht man die nicht auf dem Land.<br />
Nein, man sucht sie in den urbanen Gegenden.<br />
Genau so, wie Kari seinen<br />
Fünflieber dort sucht, wo es Licht hat.<br />
Wir lernen in dieser Ausgabe eine Unternehmerin<br />
kennen, die mit ihren Produkten<br />
die ganze Welt beliefert, die Frauen<br />
und Männer fördert und vor allem<br />
auch deshalb erfolgreich ist, weil sie die<br />
Zeichen der Zeit früh erkennt. Und nein:<br />
wir finden die Frau und ihre Firma nicht<br />
in Zürich, Basel oder Bern, wo Kari sie<br />
suchen würde, weil Kari seinen Fünflieber<br />
da sucht, wo es Licht hat. Die Firma,<br />
um die es geht, hat ihren Sitz und ihre<br />
Produktionsstätten fernab vom Schuss:<br />
In Wasen und in Sumiswald.<br />
Viel Spass beim Lesen<br />
Ihr Bruno Wüthrich<br />
IMPRESSUM<br />
Herausgeber: s’positive AG,<br />
St. Urbanstrasse 31, 4914 Roggwil<br />
Tel. 062 929 24 25<br />
info@spositive.ch<br />
Redaktion: Bruno Wüthrich,<br />
Klaus Zaugg<br />
Geschäftsleitung:<br />
Sebastian Wüthrich<br />
Layout: tnt-graphics AG,<br />
www.tnt-graphics.ch<br />
Auflage: 75 000 Exemplare<br />
Erscheinung: monatlich<br />
Druck: Swissprinters AG,<br />
4800 Zofingen<br />
Versand: Die Post<br />
32<br />
4 GLOBAL PLAYER<br />
Unter der Leitung von Eva<br />
Jaisli produziert PB Swiss<br />
Tools von Wasen aus Werkzeuge<br />
für den Weltmarkt.<br />
Im Interview verrät sie ihr<br />
Erfolgsrezept.<br />
14 SIND WIR FREI?<br />
Was bedeutet Freiheit und<br />
wo sind die Grenzen der<br />
Freiheit? Über einen Begriff,<br />
den wir vermeintlich<br />
zu kennen glauben.<br />
20 WUSSTEN SIE SCHON?<br />
Dürfen Sie Ihren Liegestuhl<br />
im Hotel bereits am Morgen<br />
besetzen? Warum lassen<br />
sich Zebras nicht zureiten?<br />
Lesen Sie die Antworten.<br />
22<br />
00 4<br />
20<br />
22 ANSICHTSKARTEN<br />
Sie sind Zeitzeugen und<br />
dokumentieren unsere<br />
Lebensumgebung, wie sie<br />
in der Vergangenheit war.<br />
100-jährige Beispiele aus<br />
dem Oberaargau.<br />
32 INS KALTE WASSER<br />
Jobtausch: Die beiden<br />
Hornusser Roman Hugi<br />
und Christian Lüthi erzählen<br />
von ihrem Baseball-<br />
Training in Detroit.<br />
38 DIE SEITE DER LESER<br />
Leserbriefe, Veanstaltungen,<br />
Impressum.<br />
14<br />
s’Positive <strong>11</strong> / 2018 3
EVA JAISLI<br />
Weltmarkt<br />
Werkzeuge<br />
aus Wasen<br />
Wirtschaft geht nur in der Nähe von<br />
urbanen Zentren, sagt man. Randregionen<br />
sind rückständig, und auf dem Land sind<br />
wirtschaftliche Erfolgsgeschichten undenkbar,<br />
sagt man. Eva Jaisli beweist mit der<br />
Firma PB Swiss Tools das Gegenteil.<br />
Unter der Leitung von<br />
Eva Jaisli beschäftigt<br />
PB Swiss Tools über<br />
170 Angestellte.<br />
4 s’Positive <strong>11</strong> / 2018
TEXT: KLAUS ZAUGG UND<br />
BRUNO WÜTHRICH;<br />
FOTOS: MARCEL BIERI, ZVG<br />
Die Firma PB Swiss Tools<br />
feierte in diesem Jahr ihr<br />
140-jähriges Bestehen.<br />
Das im emmentalischen<br />
Wasen angesiedelte Unternehmen<br />
produziert Werkzeuge (Tools) für<br />
den Weltmarkt. Was Rolex bei den<br />
Uhren, sind Swiss Tools bei den<br />
Werkzeugen. Und ähnlich wie beim<br />
Schweizer Armeemesser von Victorinox<br />
heisst es auch bei den Produkten<br />
aus dem Wasen: oft kopiert<br />
– nie erreicht. Im Gespräch mit<br />
s’Positive gibt uns Eva Jaisli Einblicke<br />
in die Strategie von PB Swiss<br />
Tools, sie erzählt uns, wie es gelingt,<br />
aus einer Randregion heraus<br />
erfolgreich zu sein, und was dies<br />
mit Personal- und besonders auch<br />
mit Frauenförderung zu tun hat.<br />
s’Positive: Wenn in der Presse<br />
über Sie oder Ihr Unternehmen<br />
berichtet wird, so ist immer ein<br />
Erstaunen darüber erkennbar,<br />
dass ein Unternehmen, das mit<br />
seinen Produkten international<br />
erfolgreich ist, in Wasen angesiedelt<br />
ist und auch dort produziert.<br />
Ist PB Swiss Tools eine Ausnahme,<br />
oder werden Regionen wie<br />
das Emmental oder der Oberaargau<br />
von aussen falsch wahrgenommen?<br />
Eva Jaisli: Eine interessante Frage.<br />
Die Urbanisierung ist ein nach-<br />
s’Positive <strong>11</strong> / 2018 5
EVA JAISLI<br />
vollziehbarer Trend. Immer mehr Menschen<br />
zieht es in die Nähe von Zentren<br />
wie Zürich, Basel oder Bern, unter ihnen<br />
zum Beispiel auch die Studierenden. Dies<br />
führt zu einer gewissen Entleerung der<br />
Täler. Deshalb mag es schon zuweilen erstaunen,<br />
dass man hier in Wasen ein Unternehmen<br />
vorfindet, das mehr als 170<br />
Menschen beschäftigt und für sechs Berufe<br />
ausbildet, zwei Drittel seiner Produktion<br />
exportiert und einen internationalen<br />
Bekanntheitsgrad geniesst. Das hat mit<br />
Unwissen zu tun und dem Hang, Fakten<br />
zu vereinfachen.<br />
Von aussen werden also Gegenden wie<br />
das Emmental oder der Oberaargau als<br />
rückständig wahrgenommen?<br />
Ja, das stimmt wohl. Wer von Genf oder<br />
St. Gallen hierher blickt, hat ein ganz anderes<br />
Bild auf unsere Region, als die<br />
Menschen, die hier leben und arbeiten.<br />
Doch es hat in unseren Regionen verschiedenste<br />
auch weltweit erfolgreiche<br />
Firmen, die hier Arbeits- und Ausbildungsplätze<br />
sichern. Zu denen gehören<br />
auch wir.<br />
Welches Vorurteil stört Sie am meisten?<br />
Dasjenige, das zu kurz greift und die Realität<br />
nicht abbildet. Vorurteile können<br />
die Entwicklungschancen einer Region<br />
einschränken. Wesentlich ist die Infrastruktur:<br />
gesicherte Verkehrswege, Schulen<br />
und medizinische Versorgung. Dies<br />
alles haben wir hier. Doch das falsche Bild<br />
auf die Randregionen führt dazu, dass<br />
wir bei der Rekrutierung von Arbeitskräften<br />
einen Nachteil haben. 95 Prozent unserer<br />
Belegschaft leben seit Generationen<br />
im Umkreis von 20 Kilometern Entfernung.<br />
Oft arbeiten Familien schon seit<br />
mehreren Generationen bei uns.<br />
Eva Jaisli<br />
Eva Jaisli (60) ist CEO und Mitinhaberin<br />
der Firma PB Swiss<br />
Tools in Wasen im Emmental.<br />
Die ausgebildete Lehrerin hat<br />
auf dem zweiten Bildungsweg<br />
Sozialarbeit und Psychologie<br />
studiert. Anschliessend hat sie<br />
Master- und Nachdiplomstudiengänge<br />
in Betriebswirtschaft<br />
und im internationalen Marketing<br />
absolviert. Die erfahrene<br />
und erfolgreiche Unternehmerin<br />
ist Präsidentin des Verwaltungsrats<br />
der Spital Emmental AG und<br />
Mitglied des Verwaltungsrats<br />
der Krankenkasse Concordia.<br />
Den Wirtschaftsstandort Schweiz<br />
unterstützt sie u.a. als Vizepräsidentin<br />
der Switzerland Global<br />
Enterprise und als Mitglied des<br />
Vorstandsausschusses von<br />
SWISSMEM.<br />
2015 verleiht ihr die Wirtschafts-<br />
und Sozialwissenschaftliche<br />
Fakultät der Universität<br />
die Würde einer Ehrendoktorin<br />
(Doctor rerum oeconomicarum<br />
honoris causa).<br />
Eva Jaisli ist verheiratet mit<br />
Max Baumann und Mutter von<br />
vier Kindern im Alter von 33,<br />
30, 26 und 23 Jahren.
Und sind seit Generationen leistungsfähig?<br />
Absolut, und wenn wir erklären, warum<br />
wir hierbleiben, spielt diese Leistungsfähigkeit<br />
eine wichtige Rolle. Wir sind überzeugt,<br />
dass wir mit den Menschen aus<br />
dieser Region auch in Zukunft erfolgreich<br />
sein werden.<br />
Produzieren in Wasen für den Weltmarkt<br />
– wie geht das?<br />
Wir sind sehr streng mit der Ausrichtung<br />
unseres Angebots auf die Bedürfnisse unserer<br />
Kunden. Mit der Qualität und der<br />
Innovation kommen wir diesen Bedürfnissen<br />
sehr nahe. Die Preis-Leistung anwenderorientiert<br />
zu erfüllen, ist bei der Vielfalt<br />
an Kulturen und unterschiedlichen<br />
Erwartungen sehr anspruchsvoll. Ich besuchte<br />
in den vergangenen Tagen unsere<br />
Geschäftspartner in China und Japan, wo<br />
wir mit einem unserer Händler die bald<br />
50jährige Zusammenarbeit gefeiert haben.<br />
Dieser zum Teil langjährige direkte<br />
Kontakt mit unseren Händlern und Endkunden<br />
schafft uns die Voraussetzung,<br />
um in diesem Märkten erfolgreich zu sein.<br />
Unsere Marke hat Ausstrahlung. Um das<br />
zu erreichen, braucht es einen kontinuierlichen<br />
Leistungsnachweis und Zeit.<br />
Sie arbeiten also auch direkt mit Endkunden<br />
zusammen, die Ihre Werkzeuge<br />
benutzen?<br />
Ja. Anwender/innen und Einkaufsverantwortliche<br />
von Industrie- und Handwerksbetrieben<br />
kommen zu uns. Wie zum Beispiel<br />
kürzlich die Leute der SBB. Von<br />
ihnen direkt zu erfahren, wie sie arbeiten<br />
und was sie brauchen, bringt uns oft neue<br />
Erkenntnisse. Unsere Kunden zeigen uns,<br />
wie sie mit unseren Werkzeugen arbeiten,<br />
und sie kehren nicht selten mit neu entwickelten<br />
Testwerkzeugen in ihre Betriebe<br />
zurück.<br />
Also eine Philosophie gegen den Trend,<br />
mit immer billigeren Preisen mehr Umsatz<br />
zu machen?<br />
Wir haben unsere Geschäftspartner sehr<br />
gern bei uns und wir besuchen sie systematisch.<br />
Wir waren in den Werken von<br />
Toyota in Japan, um vor Ort zu beobachten,<br />
wie dort mit unserem Werkzeug gearbeitet<br />
wird. Solche Beobachtungen sind<br />
für die Weiterentwicklung unserer Produkte<br />
unglaublich wertvoll. Wir beobachten<br />
nicht nur. Mit der ETH in Zürich und<br />
mit dem Karlsruher Institut für Technologie<br />
messen wir beispielsweise auch, wie<br />
die Muskulatur bei der Arbeit, beim<br />
Schrauben beansprucht wird, welche Belastungen<br />
sich auf welche Körperteile<br />
auswirken. So können wir unsere Werkzeuge<br />
immer weiter verbessern.<br />
«Ich begegne bei Sitzungen in Asien mehr<br />
Frauen, die in Chefpositionen sind als bei uns<br />
in Europa. Hier ist die produzierende Industrie<br />
nach wie vor in den Händen der Männer.»<br />
Sind die Chefs in den asiatischen Kulturen<br />
überrascht, wenn sie bei Gesprächen<br />
einer Frau gegenüber sitzen?<br />
Ich begegne bei Sitzungen in Asien mehr<br />
Frauen, die in Chefpositionen sind als bei<br />
uns in Europa. Die produzierende Industrie<br />
in Europa ist nach wie vor in den Händen<br />
der Männer. In den Hierarchien asiatischer<br />
Familien spielen die Frauen eine<br />
wichtige Rolle. Deshalb steht bei eigentümergeführten<br />
Firmen nicht selten eine<br />
Frau an der Spitze. Frauen in führenden<br />
Positionen sind aber auch in Asien nicht<br />
die Regel.<br />
Ist die Gleichberechtigung also in den<br />
asiatischen Kulturen weiter fortgeschritten<br />
als bei uns?<br />
Zur Gleichstellung kommen noch weitere<br />
Faktoren. Diese Frage kann ich leider<br />
nicht pauschal mit Ja antworten.<br />
Was bedeutet eigentlich der Begriff<br />
«Swiss» in den ausländischen Märkten?<br />
Verlässlichkeit und sehr hohe Qualität.<br />
Dabei bezieht sich der Begriff Verlässlichkeit<br />
nicht nur auf das Produkt, sondern<br />
auch auf die Partnerschaft. Für sehr viele<br />
asiatische Unternehmen ist es wichtig,<br />
die Geschäftsentwicklung gemeinsam zu<br />
gestalten und dabei Voraussetzungen für<br />
Wachstum und eine vertrauensbildende<br />
Partnerschaft zu schaffen. Das ist auch<br />
unsere Philosophie. Eine Investition soll<br />
sich für beide Seiten lohnen.<br />
Der Begriff «Swiss» ist also immer noch<br />
ein Türöffner.<br />
Ja, aber auch «Made in Germany» hat einen<br />
sehr hohen Stellenwert. Wir können<br />
uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen.<br />
Als exportorientiertes Unternehmen<br />
kommen sie nicht darum herum, sich<br />
mit Politik zu befassen.<br />
Wir verdienen unser Geld zu einem Drittel<br />
im Heimmarkt, zu einem Drittel in<br />
Europa und zu einem Drittel in Asien und<br />
dem Rest der Welt. Der Zugang zum<br />
Markt ist also matchentscheidend und<br />
dort drückt der Schuh. Das gilt für den<br />
Export nach Deutschland und erst recht<br />
für Indonesien, Malaysia oder Indien.<br />
Diese drei Länder - und viele mehr - haben<br />
eine wachsende Nachfrage für qualitativ<br />
hochstehendes Werkzeug für die<br />
produzierende Industrie.<br />
Wo drückt der Schuh?<br />
Wir warten sehnsüchtig auf ein Rahmenabkommen<br />
mit der EU. Und auch mit Indonesien,<br />
Malaysia und Indien, alles Länder<br />
mit wichtigen, stetig wachsenden<br />
Märkten, haben wir, anders als mit China,<br />
nach wie vor kein Freihandelsabkommen.<br />
Das Freihandelsabkommen mit China<br />
hat Bundesrat Johann Schneider-Ammann<br />
ausgehandelt.<br />
Ja, und dies ist für die Schweiz ein enorm<br />
wichtiges Abkommen. China mit seinen<br />
inzwischen fast anderthalb Milliarden<br />
Menschen und einer wachsenden Mit-<br />
s’Positive <strong>11</strong> / 2018 7
EVA JAISLI<br />
«Wir sind enorm<br />
flexibel und reaktionsfähig,<br />
weil wir<br />
unsere gesamte<br />
Produktion im Haus<br />
haben.»<br />
telschicht ist ein riesiger Markt. Mit Herrn<br />
Schneider-Ammann haben wir einen industrienahen<br />
Bundesrat.<br />
Gibt es Märkte, zu denen Sie wegen<br />
fehlenden Abkommen keinen Zugang<br />
aufgebaut haben?<br />
Ja. Beispielsweise Brasilien und Argentinien<br />
wären für uns wegen der dortigen<br />
Industrie interessant. Aber wegen den<br />
Einfuhrbestimmungen macht es wenig<br />
Sinn, dort zu investieren. Ein Beitritt zum<br />
Mercosur-Abkommen (Kürzel für das seit<br />
1991 existierende Freihandelsabkommen<br />
Südamerika) würde helfen.<br />
Dieses Handelsabkommen würde jedoch<br />
im Gegenzug den freien Zutritt<br />
für Agrarprodukte auf den Schweizer<br />
Markt nach sich ziehen.<br />
Das ist das Problem.<br />
Dann schauen sie sehr gespannt auf<br />
die Bundesratswahl. Wen wünschen<br />
Sie sich für die Nachfolge von Johann<br />
Schneider-Ammann?<br />
Unsere FDP-Frau wäre wohl eine gute Lösung.<br />
Karin Keller-Sutter also?<br />
Richtig.<br />
Aber Sie selbst engagieren sich nicht<br />
politisch?<br />
Nicht in einem politischen Amt, aber in<br />
Fachgremien wie beispielsweise für Swissmem,<br />
dem Verband, der die Schweizer<br />
Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie<br />
vereint und sich bei wichtigen politischen<br />
Entscheiden und Abstimmungen<br />
zu Wort meldet, und der seine Anliegen<br />
auch immer wieder den National- und<br />
Ständeräten darlegt. Wir öffnen uns auch<br />
für Kinder, Jugendliche und Studierende,<br />
um das Verständnis für die Bedürfnisse<br />
eines Industriebetriebes, gerade auch in<br />
einer ländlichen Gegend, zu wecken. Auf<br />
diese Weise fördern wir das Interesse für<br />
technische Berufe und die Arbeit in einem<br />
innovativen Industriebetrieb.<br />
Sind die hohen Löhne in der Schweiz<br />
für ein exportorientiertes Unternehmen<br />
ein Problem?<br />
Sie sind eine grosse Herausforderung. Wir<br />
haben hohe Löhne, auch von den regulatorischen<br />
Bedingungen her sind in der<br />
Schweiz hohe Investitionen notwendig.<br />
Aber wir haben trotzdem gute Standortvorteile:<br />
eine motivierte und loyale Belegschaft,<br />
qualifizierte Berufsleute, eine gute<br />
Infrastruktur mit Fachhochschulen und<br />
Universitäten, von wo wir Expertenwissen<br />
für den Ausbau unserer Innovationskraft<br />
beiziehen. Und weil wir unsere gesamte<br />
Produktion im Haus haben, sind wir<br />
enorm flexibel und reaktionsfähig.<br />
Um beim eingangs erwähnten Klischee<br />
zu bleiben: Es ist also sehr wohl möglich,<br />
«im Wasen hinten» produktionstechnisch<br />
an vorderster Front zu sein.<br />
Nun, wir waren 1982 der erste Industriebetrieb<br />
im Kanton Bern und der vierte in<br />
der Schweiz, der Industrie Roboter eingesetzt<br />
hat. Wir haben eine hohe Automatisierung<br />
und arbeiten heute mit der neuen<br />
Generation der Robotik. Das steigert unsere<br />
Produktivität. Auf diese Weise bauen<br />
wir unsere Wettbewerbsfähigkeit laufend<br />
ZUSATZINFOS<br />
PB Swiss Tools<br />
«Work with the best», heisst der Slogan<br />
der Firma, und so mancher Handwerker<br />
bekommt feuchte Augen, wenn<br />
er den Namen Baumann oder PB<br />
Swiss Tools hört. Die Firma produziert<br />
Werkzeuge von höchster Qualität.<br />
Begonnen hat alles 1878 in der Dorfschmiede<br />
Wasen im Herzen des Emmentals,<br />
wo Paul Baumann Nasenringe<br />
für die Bezähmung von Ochsen<br />
herstellte. Auch heute noch trägt die<br />
Firma die Initialen des Gründers im<br />
Namen.<br />
1916 übernahm Paul Baumann die<br />
Schmiede und gründete das Familienunternehmen<br />
PB Baumann GmbH. Mit<br />
einem Schraubenzieher begann 1940<br />
die Produktion von Werkzeugen. 20<strong>11</strong><br />
kamen Medizinprodukte dazu. Heute<br />
stellen 170 Mitarbeitende in Wasen<br />
und Sumiswald jährlich 12 Millionen<br />
Werkzeuge und Instrumente her. Mehr<br />
als zwei Drittel davon werden weltweit<br />
exportiert.<br />
Heute leiten Eva Jaisli als CEO und<br />
Max Baumann, der Urenkel des Gründers<br />
als technischer Direktor gemeinsam<br />
das Unternehmen. Seit 2013 existiert<br />
in China eine Tochtergesellschaft<br />
mit dem Zweck, den asiatischen Markt<br />
zu bearbeiten. Produziert wird jedoch<br />
in China nicht.<br />
Swissness zu 100 Prozent<br />
Um den eigenen Qualitätsanspruch<br />
und die Herkunft zu kommunizieren,<br />
heisst das Unternehmen seit 2006 PB<br />
Swiss Tools. Swissness ist im Emmental<br />
mehr als nur ein Schlagwort. Trotz<br />
starkem Franken hält das Unternehmen<br />
an den Schweizer Produktionsstandorten<br />
fest. PB Swiss Tools gehört<br />
zu den wenigen exportorientierten<br />
Firmen, die ihre Produkte zu 100 Prozent<br />
in der Schweiz entwickeln und<br />
herstellen. Das hohe Ausbildungsniveau<br />
und die enge Kooperation mit<br />
Experten renommierter Schweizer<br />
Hochschulen fördert die Innovationsfähigkeit.<br />
Mit dem Bekenntnis zum<br />
Werk- und Denkplatz Schweiz können<br />
in der Randregion zahlreiche Ausbildungs-<br />
und Arbeitsplätze gesichert<br />
werden. PB Swiss Tools investiert jedes<br />
Jahr 20 Prozent des Umsatzes in<br />
die Entwicklung neuer Produkte.<br />
www.pbswisstools.com<br />
Begonnen hat alles 1878 in der<br />
Dorfschmiede Wasen im Herzen<br />
des Schweizer Emmentals.<br />
8 s’Positive <strong>11</strong> / 2018
aus. Wir haben innovative Marktbegleiter,<br />
die ebenfalls viel Geld investieren.<br />
Können Sie diese Wettbewerbskraft erhalten?<br />
Ja, das können wir. Wir nehmen unsere<br />
Konkurrenzprodukte unter die Lupe und<br />
sehen, dass wir oft kopiert werden. Aber<br />
wir entwickeln immer schneller neue Ideen<br />
und führen sie zur Marktreife. Jedes<br />
Produkt ist ja zuerst ein Prototyp, den wir<br />
so schnell als möglich dem Kunden zur<br />
praktischen Erprobung in die Hand geben.<br />
Dann geht es um die Serienfertigung,<br />
für welche wir die Technologie im<br />
Haus haben. Anschliessend folgt die<br />
Markteinführung in Text, Bild und Schulung<br />
in 80 verschiedenen Ländern. Dafür<br />
bleibt in unserer globalisierten Welt immer<br />
weniger Zeit. Die Komplexität wird<br />
immer höher. Wir haben aber auch weltweit<br />
Zugriff auf Ressourcen, sozusagen in<br />
einem globalen Pool. Wir können von einem<br />
Designer vor Ort erfahren, welche<br />
Eigenschaften bei unseren Produkten in<br />
der Kultur seines Landes wichtig sind.<br />
Designet in Asien, aber produziert in<br />
Wasen.<br />
Ja, zumindest inspiriert. Das Design ist<br />
sehr wichtig. Der Griff eines Werkzeuges<br />
muss optimal in die Hände passen. Auch<br />
der optische Eindruck spielt eine Rolle.<br />
Ein ideal gestalteter Griff vermittelt Sicherheit<br />
und Professionalität.<br />
Sie verkaufen also Werkzeuge auch<br />
über Form und Farbe?<br />
Ich gebe ihnen dafür ein Beispiel. Wir sind<br />
mit vernickeltem und verchromtem Werkzeug<br />
in Japan erfolgreich geworden, weil<br />
es funktional ist und edel glänzt. Wir waren<br />
in diesem Bereich Trendsetter. Die Japaner<br />
brachten uns auf eine weitere Idee.<br />
Wenn bei einem Winkelschraubenzieher-<br />
Set jede Grösse eine eigene, auffällige Farbe<br />
hat, dann greife ich im Produktionsprozess<br />
sofort zum richtigen Werkzeug und<br />
verliere somit keine wertvolle Zeit.<br />
Wie viele Patente haben Sie angemeldet?<br />
Kein einziges.<br />
Wie ist das möglich?<br />
Patente anzumelden erfordert viel Zeit<br />
und Geld. Wir investieren unser Geld lieber<br />
in die Entwicklung neuer Produkte.<br />
Mein Schwiegervater hat während des 2.<br />
Weltkriegs im Zusammenhang mit Armee-Aufträgen<br />
ein ganz spezielles Punktangussverfahren<br />
mit einem einzigartigen<br />
Rohmaterial aus Zellulose entwickelt,<br />
dass er in den USA entdeckt hatte. Er war<br />
in Europa ein Pionier. Auch weil er an<br />
Stelle einer Patentanmeldung eine Norm<br />
für die Fachwelt erstellte.<br />
Er hat also europaweit für alle ersichtlich<br />
den Qualitätsstandard gesetzt und<br />
dadurch für alle die Messlatte sehr<br />
hoch gelegt.<br />
Das Design der Werkzeuge<br />
spielt für die Wettbewerbskraft<br />
von PB Swiss Tools<br />
eine grosse Rolle.<br />
So ist es.<br />
Das ganz besondere Material der Klingen<br />
und Griffe Ihrer Werkzeuge ist ein<br />
zentraler Punkt für die unverwechselbare<br />
Qualität. Ist es der Konkurrenz<br />
gelungen, die Rezepte zu entschlüsseln?<br />
Nein.<br />
Geheim wie die Rezeptur für Coca Cola?<br />
So ungefähr. Die Rezepte sind ein Unikat.<br />
Aber, unsere Marktbegleiter sind auch<br />
erfinderisch.<br />
Wieviel investieren Sie in die Forschung?<br />
20 Prozent, inklusive Personalentwicklung.<br />
Das ist für einen produzierenden Industriebetrieb<br />
viel. Können Sie uns an<br />
Beispielen sagen, wie Sie forschen?<br />
Indem wir in enger Kooperation mit Instituten<br />
und Experten jahrzehntelange<br />
Erfahrung mit neuem Wissen anreichern.<br />
Wir fragen uns beispielsweise, ob es irgendwo<br />
in der Welt noch einen anderen<br />
Werkstoff gibt. Dabei geht es um Metallurgie,<br />
Oberflächenbearbeitung, Wärmebehandlung<br />
und vieles mehr. Aber es geht<br />
auch darum, die ganz besonderen Bedürfnisse<br />
von Anwenderinnen und Anwendern<br />
im Heimmarkt und anderen<br />
Nationen besser zu verstehen. So sind wir<br />
darauf gekommen, für Japan Werkzeuge<br />
mit weissen Griffen in limitierter Aufs’Positive<br />
<strong>11</strong> / 2018 9
EVA JAISLI<br />
Der Firmensitz<br />
von PB Swiss<br />
Tools in Wasen.<br />
lage herzustellen. Für die Japaner ist<br />
weiss eine edle, reine Farbe. Rot ist für sie<br />
eine Mischung und daher weniger attraktiv.<br />
In Japan hat ein Werkzeug für einen<br />
Hobbyhandwerker eine ganz besondere<br />
Bedeutung. Ich werde gebeten, Werkzeuge<br />
zu signieren.<br />
Wie ein Autor sein Buch oder ein<br />
Künstler sein Werk?<br />
In einem gewissen Sinne schon.<br />
Sie verzieren also im Rahmen von besonderen<br />
Anlässen die Werkzeuge mit<br />
Ihrem Autogramm.<br />
Ja, und wir stellen auch eine limitierte,<br />
signierte Serie her.<br />
Eine ganz persönliche Frage: Wie ist<br />
aus der Lehrerin eine Unternehmerin<br />
geworden?<br />
Das war so nicht programmiert. Ich war<br />
Lehrerin und hatte Freude an diesem Beruf.<br />
Aber eigentlich wollte ich lieber mit<br />
Erwachsenen arbeiten und so habe ich<br />
Sozialarbeit und Psychologie studiert.<br />
Später, als ich beim Wirtschaftsamt der<br />
Stadt Bern angestellt war, merkte ich,<br />
dass mir Kenntnisse in der Betriebswirtschaft<br />
fehlten. Eine Lücke, die ich mit einem<br />
Nachdiplomstudiengang in Betriebswirtschaft<br />
und Organisationsentwicklung<br />
füllte. Weil mir später, als ich bereits für<br />
PB Swiss Tools tätig war, die Dimension<br />
des globalen Marketings noch nicht genügend<br />
vertraut war, machte ich ein MBA in<br />
internationalem Marketing. So versuchte<br />
ich die Wissenslücken, die sich bei meiner<br />
Arbeit zeigten, immer on the job und im<br />
Studium zu schliessen.<br />
Was bleibt nun noch zu tun?<br />
Vieles. Zum Beispiel die Nachfolgelösung<br />
aufzugleisen.<br />
«In Japan hat ein Werkzeug<br />
eine besondere<br />
Bedeutung. Ich werde<br />
dort gebeten, Werkzeuge<br />
zu signieren.»<br />
Beim Studium Ihres Internetauftritts<br />
ist uns aufgefallen, dass Sie sich sehr<br />
um das Wohlergehen Ihrer Belegschaft<br />
kümmern. Fast so, wie die Patrons aus<br />
den 1970er-Jahren.<br />
Uns ist das Wohlergehen unseres Personals<br />
sehr wichtig. Wenn es jedem einzelnen<br />
gut geht – und dazu gehört auch die<br />
Gesundheit – dann haben wir eine höhere<br />
Leistungsbereitschaft. Wenn wir auch<br />
noch viel Freude an unseren Produkten<br />
und der Zusammenarbeit haben, dann<br />
bringen wir bessere Leistungen. Das<br />
bringt Lebensqualität für uns alle.<br />
Gibt es diese Fürsorge heute für das<br />
Personal in urbanen Zentren weniger?<br />
Das ist wohl ein Klischee. Ich bin mit vielen<br />
Unternehmern unterwegs, die unterschiedliche<br />
Produkte herstellen und für<br />
ähnliche oder gleiche Werte einstehen.<br />
Ein Unternehmen entwickelt sich mit seinen<br />
Mitarbeitenden. Am besten schrittweise<br />
und wirksam, schneller als die<br />
Marktbegleiter. Es sind die globalen Entwicklungen<br />
und unsere Geschäftspartner,<br />
die das Tempo angeben.<br />
Sie werden als Unternehmerin in der<br />
Öffentlichkeit positiv wahrgenommen<br />
und sind auch immer wieder für Auszeichnungen<br />
im Gespräch. Was machen<br />
Sie besser?<br />
Wie man wahrgenommen wird, ist bei der<br />
medialen Dynamik schwierig zu beeinflussen.<br />
Als Unternehmerin habe ich die<br />
Aufgabe, zu zeigen, was wir besser machen,<br />
und die Geschichte zu erzählen, die<br />
hinter unserem Unternehmen steht und<br />
den Wert unserer Produkte erklärt.<br />
Sie schreiben mit Ihrem Unternehmen<br />
eine Erfolgsgeschichte. Es ist erstaunlich,<br />
dass sich trotzdem kaum neue<br />
Firmen im oberen Emmental ansie-<br />
10 s’Positive <strong>11</strong> / 2018
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EVA JAISLI<br />
deln. Sie liefern ja den Beweis, dass<br />
man von hier aus im Weltmarkt erfolgreich<br />
sein kann.<br />
Beim Standort eines neuen Unternehmens<br />
ist der schnelle Zugriff auf die Verkehrsachsen<br />
entscheidend. Da ist nun<br />
mal Kirchberg ein besserer Standort als<br />
Wasen. Für mich ist nachvollziehbar, warum<br />
sich neue Unternehmen lieber dort<br />
ansiedeln. Unsere Produkte sind nicht<br />
verderblich und wir müssen auch nicht<br />
jeden Tag mehrmals mehrere Sendungen<br />
liefern. Wir halten ein oder zwei grosse<br />
Sendungen für unsere Partner im Monat<br />
bereit. Da spielt es für uns weniger eine<br />
Rolle, ob wir eine halbe Stunde oder zwei<br />
Minuten von der Autobahn entfernt sind.<br />
Vor einiger Zeit erschien ein Artikel<br />
über Sie in der Frauenzeitschrift «Annabelle».<br />
Wir gehen davon aus, dass<br />
nicht unbedingt der wirtschaftliche<br />
Erfolg Ihres Unternehmens sondern<br />
Ihre Förderung der Frauen das Interesse<br />
dieses Mediums geweckt hat.<br />
Der Begriff «Frauenförderung» hat nicht<br />
nur eine positive Wertung. Hinter diesem<br />
Wort steht ja die Vermutung einer Ungleichheit.<br />
Mir liegt die Diversität am<br />
Herzen. Wir kommen am schnellsten vorwärts,<br />
wenn wir in einem Team die richtigen<br />
Leute am Tisch haben – also Leute<br />
verschiedenen Alters und Geschlechts,<br />
unterschiedlichen Qualifikationen und<br />
Erfahrungen, und da sitzen Frauen mit<br />
am Tisch. Auch Frauen kaufen und benutzen<br />
Werkzeuge. Sie wollen keine rosaroten,<br />
für sie gefertigten Werkzeuge. Sie<br />
arbeiten erfolgreich mit dem Profi Werkzeug.<br />
Das spricht doch Bände.<br />
Wie sieht die Förderungen der Frauen<br />
konkret aus?<br />
phasen zu schaffen, die sich beispielsweise<br />
durch eine Zusatzausbildung oder<br />
Mutterschaft ergibt. Das gilt übrigens bei<br />
uns auch für Männer. Wir haben immer<br />
mehr Männer, die sich vorübergehend<br />
mit einem Teilzeitpensum mehr Zeit für<br />
die Vaterschaft nehmen.<br />
Hören wir richtig heraus, dass Sie keine<br />
Befürworterin von Frauen-Quoten<br />
sind?<br />
Ja und Nein. Letzteres, weil meine Ungeduld<br />
wächst, wenn ich sehe, wie sich der<br />
Frauenanteil in Unternehmen und Institutionen<br />
kaum entwickelt. Wir haben bei uns<br />
einen Frauenanteil von 30 Prozent. Aber<br />
das ist nach wie vor untypisch für einen<br />
metallverarbeitenden Industriebetrieb.<br />
Für die nachfolgenden Generationen ist<br />
selbstverständlich, wofür sich meine Generation<br />
in der Gleichstellungsdebatte<br />
In Teams legt<br />
Jaisli Wert auf<br />
Diversität.<br />
einsetzte. Von grosser volkswirtschaftlicher<br />
Bedeutung ist nach wie vor der Frauenanteil.<br />
Wir verlieren sonst Ressourcen<br />
und Entwicklungspotential. Wir schreiben<br />
unsere Stellen so aus, dass Frauen und<br />
Männer angesprochen werden und auf der<br />
Longliste für die Besetzung einer Position<br />
sowohl Frauen und Männer stehen. Das ist<br />
für Kaderpositionen nicht anders.<br />
Sie haben gesagt, dass Sie sich um die<br />
Nachfolgeregelung kümmern – und<br />
von einer Nachfolgerin gesprochen.<br />
So, habe ich das?<br />
Ja, wir haben genau hingehört. Wird<br />
also das Unternehmen auch nach Ihnen<br />
von einer Frau geführt?<br />
Es sind mehrere Lösungen denkbar. Mit<br />
dem Ziel, das Unternehmen erfolgreich in<br />
die Zukunft zu führen und im Familienbesitz<br />
zu behalten.<br />
«Wir sind wachsam und<br />
interessiert, Frauen und<br />
Männer in der Entwicklung<br />
ihrer Fähigkeiten<br />
zu unterstützen.»<br />
Wir sind wachsam und interessiert, Frauen<br />
und Männer in der Entwicklung ihrer<br />
Fähigkeiten zu unterstützen. Dazu gehört<br />
auch, Mut- und Zuversicht zu schaffen,<br />
wenn es darum geht, Neues zu lernen und<br />
mehr Verantwortung sowie Kompetenz<br />
zu übernehmen. Es liegt auch in unserer<br />
Verantwortung, die Rahmenbedingungen<br />
für die Mehrfachbelastung unserer<br />
Mitarbeitenden in bestimmten Lebens-<br />
12 s’Positive <strong>11</strong> / 2018
WISSEN<br />
Freiheit<br />
was ist das?<br />
Wir leben in der freien Schweiz. So viel Freiheit ist<br />
selten auf der Welt. Doch was bedeutet das? Wie frei<br />
sind wir wirklich? Wie gehen wir damit um? Und wo<br />
liegen die Grenzen der Freiheit?
TEXT: BRUNO WÜTHRICH<br />
FOTOS: SHUTTERSTOCK.COM/BABAROGA/VCHAL<br />
Sie leben in einer Beziehung. Ihr<br />
Partner oder Ihre Partnerin<br />
kontrolliert Sie, will über jede<br />
Unregelmässigkeit genau Auskunft,<br />
ist misstrauisch. Und<br />
wenn Sie sich einmal nicht genau erklären<br />
können, haben Sie ein Problem. Wie<br />
frei fühlen Sie sich?<br />
Klar ist, dass Sie die Freiheit haben,<br />
ihn oder sie zu verlassen. Schliesslich haben<br />
wir ja die freie Partnerwahl. Oder Sie<br />
kümmern sich einfach nicht darum, wenn<br />
Ihnen lästige Fragen gestellt werden. Sie<br />
können einfach davonlaufen, statt eine<br />
berechtigte oder unberechtigte Standpauke<br />
entgegenzunehmen. Doch dann<br />
müssen Sie mit den Konsequenzen leben.<br />
Im schlimmsten Fall gilt: Nicht nur Sie<br />
können Ihre/n Partner/in verlassen. Umgekehrt<br />
geht auch. Die Angst vor Konsequenzen<br />
oder vor Verlusten führt zu einer<br />
gefühlten Unfreiheit. Je weniger Angst,<br />
desto mehr Freiheit.<br />
JEDE MENGE FREIHEITEN<br />
Wir Schweizer sind bezüglich Freiheiten<br />
wahrlich gesegnet. Nicht nur können wir<br />
wählen und uns wählen lassen; wir können<br />
auch über politische Sachvorlagen<br />
abstimmen. Kein anderes Land der Welt<br />
gesteht seinen Bürgern mehr politische<br />
Mitbestimmung und Freiheit zu. Wir<br />
können uns aussuchen, wo wir leben,<br />
und wir können reisen, wohin wir wollen.<br />
Für grosse Teile der Weltbevölkerung<br />
ist dies reine Utopie. Wir kennen die<br />
Meinungsfreiheit und haben freien Zugang<br />
zu Informationen. Wir dürfen uns<br />
aussuchen, ob, wie viel und was wir arbeiten.<br />
Wir haben Zugang zu unserem<br />
Rechtssystem, das rechtliche Gehör ist<br />
gewährleistet. Wir dürfen Eigentum erwerben<br />
und veräussern und unsre Partner<br />
und Partnerinnen frei wählen.<br />
Die Freiheit kennt also viele Aspekte.<br />
Deshalb zuerst etwas Definition: «Freiheit<br />
bezeichnet die Fähigkeit des Menschen,<br />
aus eigenem Willen Entscheidungen zu<br />
treffen» oder «Die Möglichkeit, ohne<br />
Zwang zwischen verschiedenen Möglichkeiten<br />
auswählen zu können».<br />
Freiheit bedeutet auch, «nein» zu Zwängen<br />
und «ja» zu Möglichkeiten sagen zu<br />
können. Doch was hat es mit Freiheit zu<br />
tun, wenn wir Rauchern verbieten, beispielsweise<br />
in Restaurants und Bars zu<br />
rauchen? Die Antwort: Auf den ersten<br />
Blick gar nichts. Ein Verbot kann nicht<br />
Rauchverbot:<br />
Einschränkung oder<br />
Erweiterung der<br />
Freiheit?<br />
Freiheit bedeuten. Doch wenn es stimmt,<br />
dass meine Freiheit da endet, wo die Freiheit<br />
meines Nächsten beginnt, ist das<br />
Rauchverbot lediglich eine Verschiebung<br />
einer Grenze. Bereits vor dem Inkrafttreten<br />
des Rauchverbots hatten Nichtraucher<br />
die Freiheit, Restaurants und Bars zu besuchen.<br />
Aber sie bezahlten diese Freiheit<br />
mit der Gefährdung ihrer Gesundheit. Der<br />
Rauch war zudem unangenehm und oft<br />
Gesetze beschränken<br />
unsere individuelle Freiheit.<br />
Wie viele Menschen<br />
würde die Erde vertragen,<br />
wenn wir alle<br />
schrankenlos frei wären?<br />
Wohl nicht viele.<br />
rochen die Kleider nach einem Barbesuch<br />
nach kaltem Rauch. Nichtraucher mussten<br />
also abwägen, ob sie die Konsequenzen<br />
akzeptieren oder die Gaststätte lieber meiden.<br />
Der Gesetzgeber verschob also die<br />
Grenze der Freiheit der Raucher zu deren<br />
Ungunsten in Richtung mehr Freiheit für<br />
Nichtraucher. Das Recht, überall ungehindert<br />
rauchen zu dürfen, wurde gekippt<br />
zugunsten der Freiheit, überall saubere,<br />
rauchfreie Luft atmen zu dürfen.<br />
Dieses Beispiel zeigt gleich noch den Unterschied<br />
zwischen individueller und kollektiver<br />
Freiheit auf. Das Rauchverbot ist<br />
eine Ausweitung der Freiheit zum Gemeinwohl.<br />
Die Aufhebung der individuellen<br />
Freiheiten des Rauchens bringt eine<br />
Ausdehnung der Freiheitsrechte der Allgemeinheit.<br />
Niemand ist mehr gezwungen,<br />
zwischen dem Wunsch, im Restaurant<br />
zu essen und den rauchbedingten<br />
negativen Konsequenzen abzuwägen.<br />
Das Rauchen ist nur eines von vielen Beispielen,<br />
in welchen die Freiheitsrechte<br />
bestimmter Gruppen von Menschen zu<br />
Gunsten der Mehrheit eingeschränkt werden.<br />
Freiheit heisst eben auch, anderen<br />
ihre Freiheiten zuzugestehen.<br />
FREIHEIT UND SICHERHEIT<br />
In der westlichen Welt und damit auch in<br />
der Schweiz steht die Wahrung der Freiheitsrechte<br />
im Vordergrund. Mehr Freiheit,<br />
weniger Staat schliesst auch die Gesetze<br />
mit ein. Denn Gesetze beschränken<br />
unsere individuelle Freiheit. Oder doch<br />
nicht? Wie viele Menschen würde unsere<br />
Erde vertragen, ohne dass diese sich gegenseitig<br />
ins Gehege geraten, wenn wir<br />
alle schrankenlos frei wären? Vermutlich<br />
nicht viele. Stellen wir uns unsere Gesellschaft<br />
ohne Gesetze vor, wenn jeder und<br />
jede machen dürfte, was er oder sie will.<br />
Von heute auf morgen hätten wir das Gesetz<br />
des Stärkeren. Was sich die Starken<br />
nehmen, bezahlen die Schwachen.<br />
s’Positive <strong>11</strong> / 2018 15
WISSEN<br />
zu gewährleisten, werden also Gesetze,<br />
Überwachungssysteme, Zensur und Ordnungshüter<br />
installiert, die wiederum die<br />
persönliche Freiheit einschränken. Diese<br />
Sanktionen führen aber auch dazu, dass<br />
sich Menschen oft sicherer fühlen als anderswo<br />
– und sich diese Sicherheit auch<br />
auf das Freiheitsgefühl überträgt. Während<br />
wir im Westen auf freiheitliche<br />
Grundrechte setzen, sehen wir gerade in<br />
Asien, dass die Aufgabe einiger Grundrechte<br />
Wirtschaftswachstum nicht ausschliesst,<br />
die Sicherheit erhöhen und<br />
letztendlich sogar Zwänge abbauen kann.<br />
Mächtige Konzerne würden nicht lange<br />
fackeln, wenn sie Bauland bräuchten. Sie<br />
würden es sich einfach nehmen, egal, ob<br />
es bereits von anderen bebaut wäre. Männer<br />
dürften sich der Frauen einfach bedienen,<br />
wenn sie dies wollten. Totale Freiheit<br />
für Männer. Aber auch nur für die<br />
Stärkeren. Und wo blieben dabei die<br />
Frauen? Wären sie frei? Könnten sie sich<br />
frei bewegen? Es ist gut, dass der Umgang<br />
miteinander gesetzlich geregelt ist. Wobei:<br />
Eine Regelung steht ja bereits in der<br />
Bibel: «Die Frau ist des Mannes Untertan».<br />
Irgendwie will es scheinen, als wäre<br />
diese Regel der physischen Überlegenheit<br />
des Mannes geschuldet. Die Bibel wurde<br />
ja grösstenteils von Männern geschrie-<br />
Adam und Eva<br />
beim Tabubruch.<br />
Die Konsequenzen<br />
lassen nicht lange<br />
auf sich warten.<br />
ben. Wie übrigens die meisten religiösen<br />
Bücher. Als Nebensatz sei erwähnt, dass<br />
es sich lohnt, bei der gegenwärtigen Genderdiskussion<br />
die Rolle der Religionen<br />
nicht zu vergessen. Welchen Anteil haben<br />
sie daran, dass Frauen immer noch um<br />
ihre Rechte kämpfen müssen?<br />
Selbstbestimmung und öffentliche<br />
Ordnung sollten sich in der Theorie nicht<br />
ausschliessen. In der Praxis sieht dies jedoch<br />
aufgrund der Natur des Menschen<br />
anders aus. In Asien ist das Spannungsverhältnis<br />
zwischen Freiheit und Sicherheit<br />
zu spüren. Nur wer sich sicher fühlt,<br />
kann sich auch frei verhalten. Wer zu viele<br />
Freiheiten hat, kann diese zum Schaden<br />
Dritter missbrauchen. Um Sicherheit<br />
DIE NOTWENDIGKEIT VON REGELN<br />
Wenn wir nicht als Feinde miteinander<br />
umgehen wollen, sondern als Individuen,<br />
die sich gegenseitig respektieren, brauchen<br />
wir Regeln, nach denen wir uns richten.<br />
Moralische Normen und Rechtsgesetze<br />
sind solche Regeln, die unsere<br />
individuellen Freiheiten einschränken.<br />
Doch nicht die Aufhebung der Freiheit ist<br />
das Ziel. Vielmehr soll damit allen so viel<br />
Freiraum wie möglich zugestanden werden.<br />
Die Freiheit des einen hat ihre Grenze<br />
an der Freiheit der anderen, denen wir<br />
ebenso viel Freiheit einräumen müssen,<br />
wie wir für uns fordern.<br />
Damit unsere individuellen Freiheitsansprüche<br />
miteinander vereinbar sind,<br />
benötigen wir einen Konsens darüber, wo<br />
dem menschlichen Handeln Grenzen gesetzt<br />
werden müssen. Es soll niemand unverhältnismässig<br />
privilegiert bzw. benachteiligt<br />
werden. Die humanistische<br />
Tradition und die Menschenrechte bilden<br />
die Grundlage für moralische und rechtliche<br />
Vereinbarungen. Menschliches Leben<br />
muss als Grundwert diskussionslos zugestanden<br />
werden, egal wie beschädigt in<br />
physischer, psychischer oder moralischer<br />
Hinsicht ein einzelner Mensch auch sein<br />
mag. Das gleiche gilt für die Menschenwürde,<br />
die es verbietet, Menschen für bestimmte<br />
Zwecke zu instrumentalisieren<br />
oder sie wie Sachen zu behandeln.<br />
FREIHEIT UND TABUS<br />
Ein Tabu markiert eine verbotene Zone,<br />
deren Grenze zu berühren oder gar zu<br />
überschreiten mit Sanktionen belegt wird.<br />
Eines der ältesten und in unserer Kultur<br />
wohl bekanntesten Tabus ist der Baum der<br />
Erkenntnis. Gott verbot laut dem Alten<br />
Testament Adam und Eva, die Früchte von<br />
diesem Baum zu essen. Sie taten es trotzdem<br />
und wurden deshalb aus dem Paradies<br />
vertrieben. Eines der grössten Ta-<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK.COM/JORISVO<br />
16 s’Positive <strong>11</strong> / 2018
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bus, das in den vergangenen Jahrzehnten<br />
immer brüchiger geworden ist, ist die Sexualität.<br />
Wurden noch vor nicht allzu langer<br />
Zeit die damit zusammenhängenden<br />
Probleme aus Gründen der Schamhaftigkeit,<br />
aber auch der Verklemmtheit und<br />
Prüderie totgeschwiegen, so hat die Aufklärung<br />
mittlerweile längst die Schulen<br />
erreicht und bereitet die Kinder mit mehr<br />
oder weniger tauglichem Material auf die<br />
Pubertät und die Gefahren eines unkontrollierten<br />
Umgangs mit dem eigenen Körper<br />
vor. Beide Beispiele zeigen auf, wie<br />
sehr Tabus die individuelle Freiheit beschränken<br />
können.<br />
Am Beispiel der Sexualität zeigt sich,<br />
dass ein Tabu an Kraft verliert, wenn die<br />
Grenzen, die es zieht, die menschliche<br />
Freiheit in einem als unerträglich empfundenen<br />
Ausmass beeinträchtigen. In<br />
ihrem Intimbereich wollen sich die meisten<br />
Menschen heute keine Vorschriften<br />
mehr von fremden Autoritäten machen<br />
lassen, sondern selber bestimmen, mit<br />
wem sie sich auf welche Weise zu welchem<br />
Zweck einlassen. Die einzige Grenze,<br />
die sie hoffentlich anerkennen, ist die<br />
Verantwortung, die sie gegenüber sich<br />
selbst und dem Partner beziehungsweise<br />
der Partnerin haben.<br />
GEWISSEN VERSUS FREIHEIT<br />
Wenn wir Normen verletzen, Tabus brechen<br />
oder verbotenerweise Grenzen<br />
überschreiten, ruft dies das Gewissen auf<br />
den Plan. Das Gewissen erhebt nicht nur<br />
seine Stimme, sondern es beisst geradezu<br />
(Gewissensbisse), wenn wir etwas planen<br />
oder getan haben, das gegen die Regeln<br />
verstösst. Das Gewissen ist somit der<br />
Grenzwächter über unser moralisches<br />
Verhalten, der uns ständig daran erinnert,<br />
dass unser Handeln nicht beliebig<br />
ist, sondern sich dort, wo unsere eigene<br />
Freiheit oder die unserer Mitmenschen<br />
auf dem Spiel steht, an Umgangsformen<br />
und Pflichten gebunden ist.<br />
Das Gewissen als richterliche Instanz in<br />
Wenn wir Normen<br />
verletzen, Tabus<br />
brechen oder verbotene<br />
Grenzen überschreiten,<br />
ruft dies unser Gewissen<br />
auf den Plan.<br />
uns mahnt uns, die Menschen, mit denen<br />
wir es zu tun haben, als gleichberechtigte<br />
und gleichwertige Personen zu behandeln,<br />
an deren Rechten unsere Wünsche<br />
ihre Grenze haben. Zwar spricht aus dem<br />
Gewissen oft die Stimme der Eltern, der<br />
Lehrer, der Kirchen oder sonstiger Autoritäten,<br />
deren Gebote und Verbote wir im<br />
Verlauf eines langjährigen Erziehungsprozesses<br />
verinnerlicht haben. Doch als<br />
mündige Menschen sollten wir uns unser<br />
Freie Fahrt für<br />
freie Menschen?<br />
Die Bedeutung von<br />
Freiheit ist nicht für<br />
alle gleich.<br />
eigenes Urteil bilden und unsere Vorurteile<br />
überdenken, die uns eventuell zu falschen<br />
Grenzziehungen verleiten. Überdenken<br />
heisst nicht automatisch «über<br />
Bord werfen», sondern allenfalls einfach<br />
der Zeit und den heutigen Erkenntnissen<br />
anpassen.<br />
EINGESCHRÄNKTE FREIHEIT<br />
Unsere Handlungsfreiheit kann nicht nur<br />
durch Regeln, sondern auch aus faktischen<br />
Gründen eingeschränkt sein. Wer<br />
im Gefängnis sitzt, kann nicht gehen, wohin<br />
er will. Aber auch die Ungunst der<br />
Umstände, knappe Ressourcen, die Tücke<br />
des Objekts, unvorhergesehene Hindernisse<br />
oder zufällig eintretende Ereignisse<br />
reduzieren die Handlungsmöglichkeiten<br />
im Extremfall sogar auf null. Wir sind<br />
demnach keineswegs Herr unserer Handlungen<br />
wie wir Herr unseres Willens<br />
sind.<br />
Nachfolgend drei Formen von eingeschränkter<br />
Handlungsfreiheit:<br />
Man kann nicht tun, was man will.<br />
1<br />
Das heisst, wir können nicht immer<br />
den Weg einschlagen, der uns am geeignetsten<br />
erscheint, unser Ziel zu erreichen.<br />
Zum Beispiel können einflussreiche Menschen,<br />
denen wir uns unterlegen fühlen,<br />
uns daran hindern, eine Handlung wie<br />
gewünscht durchzuführen.<br />
Man muss tun, was man nicht will.<br />
2<br />
Dies ist zum Beispiel dann gegeben,<br />
wenn wir erpresst oder anderwertig unter<br />
Druck gesetzt werden. Man wird zum Erfüllungsgehilfen<br />
eines anderen, der diktiert,<br />
was man zu tun hat. Die Handlung<br />
wird dann nicht zur Erreichung eines<br />
selbst gewählten Ziels ausgeführt, sondern<br />
um das Eintreten eines Ereignisses<br />
zu verhindern: zum Beispiel, dass eine<br />
Verfehlung ans Licht kommt. Manchmal<br />
haben wir jedoch auch nur die Wahl zwischen<br />
zwei Übeln. Wir können zwar zwischen<br />
ungeliebten Optionen wählen,<br />
müssen aber etwas tun, was wir eigentlich<br />
nicht wollen.<br />
Man ist fixiert auf ein Tun («Sklave<br />
3<br />
seiner Triebe»). In diesem Fall ist<br />
die Beschränkung zuerst selbst gewählt.<br />
Wir entscheiden zunächst selbst, ob wir<br />
rauchen, Alkohol trinken oder andere<br />
Drogen konsumieren wollen. Wird dann<br />
aber jemand abhängig, ist er auf etwas<br />
fixiert, das zu wollen oder nicht zu wollen,<br />
ihm nicht mehr freisteht. Man wird<br />
dann zum Sklaven seiner Triebe oder seiner<br />
Sucht.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK.COM/G-STOCKSTUDIO<br />
18 s’Positive <strong>11</strong> / 2018
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WUSSTEN SIE SCHON<br />
WIE PFERDE UND ESEL<br />
Lassen sich auch Zebras reiten?<br />
1<br />
Die Antwort lautet: nein. Dabei gab es<br />
immer wieder Versuche, Zebras zu domestizieren.<br />
Die europäischen Kolonialherren<br />
in Afrika vergeudeten viel Zeit<br />
damit, aus wilden Zebras Reit- und Transporttiere<br />
zu machen. Vergeblich. Zebras<br />
haben viele Fressfeinde und sind deshalb<br />
sehr scheu. Beim kleinsten Anlass reissen<br />
sie aus. Zudem sind sie äusserst wehrhaft.<br />
Viel wehrhafter, als man ihnen zutrauen<br />
würde. Ihre Huftritte können den Kiefer<br />
eines Löwen brechen, ihre Bisse können<br />
eine Menschenhand verstümmeln. Unter<br />
Stress laufen Zebras regelrecht Amok und<br />
schlagen und beissen wild um sich.<br />
Erschwerend kommt hinzu, dass sich<br />
Zebras reflexartig heftig ducken, wenn sie<br />
berührt werden. Der Grund dafür ist bislang<br />
nicht bekannt. Es ist beinahe unmöglich,<br />
ihnen Zaumzeug anzulegen oder sie<br />
mit dem Lasso einzufangen. Im Gegensatz<br />
zu Pferden und Eseln entwickeln Zebras<br />
zum Menschen kaum ein Zutrauen. Die<br />
weitgehende Unbezähmbarkeit der Zebras<br />
hatte Folgen: Sie gilt als einer der<br />
Gründe, weshalb sich in Afrika keine<br />
Hochkulturen entwickeln konnten. Die<br />
Reit- und Transporttiere, die komplexere<br />
Gesellschaften möglich gemacht hätten,<br />
fehlten.<br />
WUSSTEN<br />
SIE SCHON?<br />
20 s’Positive <strong>11</strong> / 2018
STÖREND FÜR ANDERE<br />
Warum hört man sein<br />
eigenes Schnarchen nicht?<br />
Studien zufolge schnarchen 60 Prozent<br />
der Männer und 40 Prozent der Frauen<br />
mehr oder weniger stark. Es lebe das<br />
Single-Dasein! Das Schnarchgeräusch<br />
entsteht bei den allermeisten Menschen<br />
im Tiefschlaf. Dann entspannen sich die<br />
2<br />
Atemwege, was zum Flattern von Gaumensegel<br />
und Zäpfchen in der Atemluft<br />
führt. Im Extremfall können Schnarchgeräusche<br />
bis zu 90 Dezibel erreichen. Dies<br />
kommt dem Lärm einer stark befahrenen<br />
Strassenkreuzung gleich. Viele Schnarcher<br />
schlafen unruhig, merken dies jedoch<br />
nicht bewusst und vergessen, dass<br />
sie hin und wieder aufwachen. Es gibt<br />
auch Menschen, die regelrechte Atemaussetzer<br />
haben und davon hochschrecken.<br />
Sie leiden am «Apnoe-Syndrom».<br />
Doch es geht auch anders. Manche<br />
Schnarcher schlafen friedlich und reagieren<br />
entgeistert, wenn man sie wegen ihres<br />
Schnarchens aufweckt. Schlafforscher,<br />
sogenannte Somnologen, sind davon<br />
überzeugt, dass ein jahrelanger Gewöhnungseffekt<br />
dafür sorgt, dass sich der<br />
Schnarcher selbst nicht mehr hört. Das<br />
Gehirn lernt, zwischen wichtigen und unwichtigen<br />
Geräuschen zu unterscheiden.<br />
Oder anders ausgedrückt: Das Gehirn<br />
unterscheidet zwischen bedrohlichen<br />
und ungefährlichen Geräuschen.<br />
Diese Fähigkeit war für den Menschen<br />
im Verlauf der Evolution lebenswichtig.<br />
Das Gehirn musste auch im Schlaf noch<br />
so wach sein, um sich nähernde Feinde<br />
rechtzeitig wahrzunehmen.<br />
RECHT ODER UNRECHT<br />
Darf man Handtücher von<br />
«reservierten» Liegestühlen entfernen?<br />
FOTOS: SHUTTERSTOCK.COM/KYSLYNSKAHAL/CHAMELEONSEYE/PATRYK KOSMIDER<br />
Viele kennen das: Sie gehen am Morgen<br />
zum Hotelpool, aber alle Liegen sind bereits<br />
mit einem Handtuch belegt. Doch<br />
kaum jemand ist da. Darf man ein Handtuch<br />
entfernen und einen scheinbar «reservierten»<br />
Liegestuhl entern?<br />
Wir wollen hier nicht zum Pool- oder<br />
Strandkrieg aufrufen. Aber die Antwort<br />
lautet ganz klar: ja! Sie dürfen. Gäste<br />
müssen die allgemein zugänglichen Einrichtungen<br />
in einer Hotelanlage mit anderen<br />
teilen. Rechtlich gesprochen: Ein<br />
Gast hat an einem Liegestuhl kein alleiniges<br />
Benutzungsrecht.<br />
Wer schon im Morgengrauen zum Pool<br />
schleicht und «seinen» Liegestuhl mit einem<br />
Strandtuch «reserviert», verhält sich<br />
rücksichtslos gegenüber anderen Gästen<br />
und verletzt damit das Gesetz. Das Mietrecht<br />
verbietet den übermässigen Ge-<br />
brauch einer gemieteten Sache. Um Streit<br />
zwischen den Gästen zu vermeiden, gelten<br />
in vielen Hotels auch am Pool entsprechende<br />
Hausregeln: Eigenmächtige Platzreservierungen<br />
sind entweder verboten,<br />
oder die Liegestühle werden<br />
den Gästen je nach Arrangement<br />
fix zugeteilt. So wie<br />
zum Beispiel die Plätze in<br />
manchen Speisesälen.<br />
Sind die Liegestühle<br />
nicht fix zugeteilt, bleibt die<br />
Frage, wie lange ein Gast<br />
«seinen» in Besitz genommenen<br />
Liegestuhl verlassen<br />
darf. Schwimmen oder<br />
etwas essen gehen, dürfte<br />
weder als rücksichtslos<br />
noch als übermässige Nutzung<br />
gelten.<br />
Wer aber einen Liegestuhl stundenlang in<br />
Beschlag nimmt, ohne ihn zu nutzen, darf<br />
sich nicht wundern, wenn dieser plötzlich<br />
anderweitig besetzt ist ...<br />
3
HISTORY<br />
1<br />
Der<br />
4<br />
Oberaargau<br />
im Wandel<br />
der Zeit<br />
Ansichtskarten dokumentieren die Vergangenheit.<br />
Wenn wir die Ansichten von damals mit der Gegenwart<br />
vergleichen, wird uns erst recht bewusst, wie sichdie<br />
Zeiten geändert haben – oder wie die Zeit manchmal<br />
auch stehen geblieben ist.<br />
7<br />
TEXT: KLAUS ZAUGG; FOTOS: MARCEL BIERI; ANSICHTSKARTEN: BEAT LANZ<br />
Die ganz grosse Zeit der Ansichtskarten beginnt<br />
in den späten 1890er-Jahren. Sie<br />
waren das, was heute die mit dem Smartphone<br />
verschickten Bilder sind: Grüsse<br />
von einem fremden Ort, der Beweis, wo man war,<br />
und eine Frage der Eitelkeit natürlich auch. Damals<br />
können sich immer mehr Menschen eine Reise leisten,<br />
zudem ermöglichen neue Druckverfahren die<br />
Massenherstellung, und die Postunternehmen gewähren<br />
günstige Tarife. Nicht nur Touristenorte<br />
oder grosse Städte lassen sich auf Postkarten verewigen.<br />
Wir finden auf alten Ansichtskarten auch<br />
kleine Dörfer und unbekannte Landschaften abseits<br />
der grossen Verkehrswege. Gerade deshalb sind Ansichtskarten<br />
von hohem historischem Wert. Die Gegenüberstellung<br />
von «damals» und «heute» ist dank<br />
den Ansichtskarten auch im Oberaargau möglich.<br />
Sie zeigt nicht nur Veränderungen. Trotz einem hohen<br />
Grad der Industrialisierung hat der Oberaargau<br />
seinen Charakter und seinenCharme bewahrt.<br />
22 s’Positive <strong>11</strong> / 2018
2<br />
3<br />
5<br />
8<br />
6<br />
9<br />
1. Langenthal, 1910<br />
2. Madiswil, 1918<br />
3. Herzogenbuchsee, 1910<br />
4. Wangen a. d. Aare, unbek.<br />
5. Hochwacht, 1903<br />
6. Rohrbach, 1900<br />
7. Herzogenbuchsee, 19<strong>11</strong><br />
8. Langenthal, 1903<br />
9. Wynigen, 1907<br />
s’Positive <strong>11</strong> / 2018 23
HISTORY<br />
AARWANGEN<br />
1914 UND 2018<br />
Hier ist die Zeit wahrlich nicht stehen geblieben.<br />
Denn Räder rollen: 1914 war Aarwangen<br />
noch ein beschauliches Dorf. Reisende<br />
beeinflussten den Gang der Dinge<br />
kaum. Der Durchgangsverkehr verursachte<br />
höchstens das Klappern von Pferdehufen.<br />
Inzwischen führt eine Hauptverkehrsachse<br />
von der Autobahn-Ausfahrt<br />
Niederbipp nach Langenthal durch das<br />
Dorf. Dadurch wird die Dorfstrasse faktisch<br />
zum Autobahnzubringer für das Tal<br />
der Langeten. Seit 30 Jahren laufen die<br />
Diskussionen um einen «richtigen» Autobahnzubringer.<br />
Seit 1917 rattert die<br />
Schmalspurbahn von Niederbipp Richtung<br />
Langenthal durch Aarwangen, in<br />
Stosszeiten im Halbstundentakt. Die Geleise<br />
führen über die Strasse. Die Dorfromantik<br />
der guten alten Zeit ist also längst<br />
dahin und ist der Dynamik des urbanen<br />
Lebens gewichen, die sich auch im Bild gut<br />
zeigt. Der eiserne «Konjunktur-Baum» (ein<br />
Baukran) passt da gut ins Bild. Heute zählt<br />
Aarwangen rund 4500 Einwohner, mehr<br />
als doppelt so viel wie damals.<br />
Einige Häuser sind noch<br />
gut erkennbar, ...<br />
... der Rest hingegen hat<br />
sich stark verändert.<br />
Finde den<br />
Unterschied:<br />
Die damaligen<br />
Häuser ...<br />
... sind in Eriswil<br />
noch immer gut<br />
erhalten.<br />
ERISWIL DORFKERN<br />
1967 UND 2018<br />
50 Jahre Geschichte haben im Dorfkern<br />
von Eriswil praktisch keinerlei Spuren hinterlassen.<br />
Alles ist äusserlich noch so, wie<br />
es vor einem halben Jahrhundert war. Was<br />
durchaus kein Zufall ist. Das Dorf Eriswil<br />
liegt zwar tief im Napfbergland, dort, wo<br />
die Langete entspringt. Aber der Grad der<br />
Industrialisierung war lange Zeit durchaus<br />
mit den Ortschaften rund um Langenthal<br />
und Herzogenbuchsee vergleichbar.<br />
Dazu hat der Bahnanschluss ab 1. September<br />
1915 (1975 durch einen Busbetrieb<br />
ersetzt) viel beigetragen. Vor allem die<br />
Textilindustrie brachte dem Dorf früh Arbeit<br />
und etwas Reichtum. Schon 1814 erwarb<br />
das Tuch-Handelshaus Schmid ein<br />
Grundstück im Dorfzentrum und baute<br />
das heute noch erhaltene Magazingebäude.<br />
Die «Tuchherren» bauten Wohnsitze,<br />
die ihrem Stand entsprachen. Und auf der<br />
Allmend entstand eine Fabrik zur industriellen<br />
Leinenbearbeitung, die noch in<br />
den 1970er-Jahren 80 Arbeitsplätze bot.<br />
Der Dorfkern erinnert also an grosse Zeiten,<br />
als das Dorf rund 2000 Einwohner<br />
hatte – gut 500 mehr als heute.<br />
24 s’Positive <strong>11</strong> / 2018
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HISTORY<br />
GONDISWIL<br />
1910 UND 2018<br />
Gondiswil lag damals<br />
abseits der grossen<br />
Verkehrsströme ...<br />
Die Ansicht des kleinen Bauerndorfes hat<br />
sich im Laufe von 100 Jahren kaum verändert.<br />
Der optische Eindruck der Idylle<br />
täuscht keineswegs. Wie anno 1918 ist die<br />
Landwirtschaft nach wie vor der dominierende<br />
Wirtschaftszweig und ein Grund für<br />
die Abwanderung. Heute zählt die Gemeinde<br />
noch 731 Einwohner. Vor 100 Jahren<br />
waren es etwas mehr als 1000. Das<br />
Dorf ist nie durch die Eisenbahn erschlossen<br />
worden und liegt abseits der grossen<br />
Verkehrsverbindungen. Eine vergleichbare<br />
wirtschaftliche Entwicklung, wie jene der<br />
durch die Bahn an die Welt angeschlossenen<br />
Dörfer im Tal der Langete, hat es hier<br />
nicht gegeben – oder ist, je nach Sichtweise,<br />
dem Dorf erspart geblieben. Die Lage<br />
im äussersten Zipfel des Oberaargaus an<br />
der Grenze zum Kanton Luzern hat durchaus<br />
Vorteile. «Gumiswil» (so wird das Dorf<br />
oft genannt) gehört zu den sonnigsten Orten<br />
im Oberaargau und bietet eine hohe<br />
Lebensqualität. Das Dorf ist fast ein wenig<br />
(aber nur fast) wie ein Kurort.<br />
... und ist auch<br />
heute nicht ans<br />
Bahnnetz angeschlossen.<br />
SCHULHAUS WYSSACHEN 1915 UND 2018<br />
Schulhäuser waren einst für kleine Gemeinden<br />
ein wenig das, was grossen<br />
Städten ein Schloss ist: stolze Bauwerke<br />
als Zeichen für Unabhängigkeit und Fortschritt.<br />
1908 konnte das Schulhaus eingeweiht<br />
werden, für die damalige Zeit<br />
modern und stattlich. Der Bau kostete<br />
86 275 Franken. 1961 wurde die Bildungsanstalt<br />
renoviert und um eine Turn-<br />
halle erweitert (Kosten: 850 000 Franken).<br />
Wysssachen gehörte zu den ersten<br />
Gemeinden mit Turnhalle. Nach einem<br />
weiteren Umbau im Jahre 2002 bekam<br />
das Schulgebäude das heutige Aussehen<br />
(Kosten: 351 000 Franken). Die Architektur<br />
steht in einem gewissen Zusammenhang<br />
mit dem Zeitgeist. Vor 100 Jahren<br />
waren Schulhäuser oft Lehranstalten mit<br />
strenger Architektur, die Disziplin und<br />
Strenge verströmen. Die Schulphilosophie<br />
von heute unterscheidet sich von<br />
den einstigen Lehrmethoden etwa so sehr<br />
wie die elektrische Eisenbahn vom<br />
Dampfbetrieb. Dafür stehen die bunten<br />
Farben des neuen Schulhauses. Im Jahre<br />
1908 hätte diese Farbgebung wohl schieres<br />
Entsetzen ausgelöst.<br />
Vor 100 Jahren noch<br />
mit Türmchen, ...<br />
... heute mit ein paar Farbtupfern:<br />
das Schulhaus Wassachen.<br />
26 s’Positive <strong>11</strong> / 2018
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HISTORY<br />
Überragend: Der damalige<br />
Turm auf der Hochwacht.<br />
Der neue Turm ragt nicht<br />
über die Baumwipfel.<br />
AUSSICHTSTURM HOHWACHT 1903 UND 2018<br />
Die Hohwacht (oder Hochwacht) auf wurde auf dem Gipfel ein Aussichtsturm<br />
dem Ghürn ob Reisiswil bei Melchnau ist aus Holz gebaut, 19<strong>11</strong> wurde er wieder<br />
der höchste Punkt im östlichen Oberaargau<br />
abgerissen und durch einen Betonturm<br />
(790 Meter). Bis 1798 war hier eine in der Höhe von 20 Metern ersetzt. Die<br />
wichtige Höhenfeuer-Signalstation. Innerhalb<br />
Panoramatafel auf dem Turm nennt 150<br />
von drei bis vier Stunden konnte Gipfel, die von dort aus zu sehen sind.<br />
im ganzen Kanton Alarm ausgelöst werden.<br />
Die Ansichtskarte verrät möglicherweise<br />
Zuletzt war dies 1798 beim Ein-<br />
ein Naturphänomen. Sie zeigt den alten<br />
marsch der Franzosen der Legende: Fall. 1886 Xxxxxx xxxx Turm, xxx der die Bäume höher überragt als<br />
xxxxx Xxxxxxx<br />
heuige Turm. Die Frage ist, ob damals der<br />
Zeichner den Turm um der Dramatik des<br />
Bildes Willen etwas höher dargestellt hat,<br />
oder ob heute die Bäume im Oberaargau<br />
höher in den Himmel wachsen – beziehungsweise<br />
wegen des Klimawandels<br />
oder einer veränderten Zusammensetzung<br />
der Atmosphäre besser gedeihen<br />
und höher wachsen.<br />
Die Ansicht<br />
beim Hotel Bären in<br />
Langenthal damals ...<br />
... und heute – mit neuem Strassenbelag<br />
und motorisiertem Verkehr.<br />
HOTEL BÄREN<br />
LANGENTHAL<br />
1913 UND 2018<br />
Bei dieser alten Ansicht aus dem Herzen<br />
Langenthals kommt uns der Refrain eines<br />
melancholischen Liedes in den Sinn:<br />
Die alten Strassen noch, die alten<br />
Häuser noch, die alten Freunde.<br />
Aber sind nicht mehr.<br />
Die Häuser stehen an dieser Ecke von Langenthal<br />
noch immer. Das Hotel und Restaurant<br />
Bären wurde zwar renoviert, sieht<br />
aber nach wie vor so aus wie vor mehr als<br />
hundert Jahren und empfängt heute noch<br />
Gäste. Verändert haben sich der Strassenbelag<br />
und die Verkehrsdichte vor dem<br />
Gasthaus. Doch wer weiss, vielleicht wird<br />
sich die Lage in absehbarer Zeit wieder<br />
dem Ideal von vor 100 Jahren annähern.<br />
Unsere Generation wird wahrscheinlich<br />
noch die Verbannung des Automobils aus<br />
diesem Teil der Stadt erleben – und dann<br />
rollen, wie auf der alten Ansichtskarte zu<br />
sehen, nur noch Pferdefuhrwerke vorbei.<br />
Wobei dann wohl ein Reglement und vielleicht<br />
sogar ein kommunaler «Rossmist-<br />
Beauftragter» um die fachgerechte Entsorgung<br />
der Pferdeäpfel besorgt wäre.<br />
28 s’Positive <strong>11</strong> / 2018
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BEGRIFF<br />
DAS HORN<br />
Das Horn, oder genauer das Trinkhorn, ist<br />
der traditionelle Preis für die erstrangierten<br />
Mannschaften eines grösseren Hornusser-<br />
Festanlasses, das in der Trophäensammlung<br />
(Kranzkasten, Trophäenvitrine) der jeweiligen<br />
Gewinnermannschaft aufbewahrt wird.<br />
Als Trinkhorn bezeichnet man ein schon im<br />
Altertum gebräuchliches Trinkgefäss, das<br />
ursprünglich aus Tierhörnern von den Griechen<br />
angefertigt wurde. Später wurde es in<br />
Ton oder Metall nachgebildet.<br />
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Burgdorfer feierte als Sieger<br />
der Eidgenössischen Hornusserfeste<br />
2015 in Limpbach und 2018<br />
in Walkringen (jeweils mit der<br />
Mannschaft) seine grössten Erfolge.<br />
Ebenfalls mit der HG Höchstetten<br />
wurde er 2013, 2014 und<br />
2017 Schweizer Meister.<br />
Wenn aus<br />
Hornussern<br />
Baseballer<br />
werden<br />
Für die SRF-Serie «Jobtausch» verliessen<br />
die Hornusser Roman Hugi und<br />
Christian Lüthi von der HG Höchstetten<br />
den Oberaargau, um in Detroit Baseball<br />
zu erlernen. In s’Positive erzählen sie,<br />
was hinter den Kulissen geschah.<br />
TEXT: BRUNO WÜTHRICH; FOTOS: MARCEL BIERI, ZVG<br />
Für die Reality-Soap «Jobtausch»<br />
tauschen jeweils zwei Schweizer<br />
ihren Beruf mit zwei Personen aus<br />
einem anderen Land. Oft sind es<br />
die gleichen Berufe, ausgeübt unter völlig<br />
anderen Voraussetzungen. Im Fall von<br />
Roman Hugi und Christian Lüthi war dies<br />
etwas anders. Hornussen und Baseball<br />
sind zwar beides Schlagsportarten, und<br />
auch die Bewegungsabläufe sind zum Teil<br />
ähnlich, sonst haben sie aber nicht viel<br />
gemeinsam. Die Erfahrungen in der «United<br />
Shore Professional Baseball League»,<br />
einer Ausbildungsliga für künftige Baseball-Millionäre,<br />
werden sie wohl nicht so<br />
schnell vergessen.<br />
s’Positive: Wie kam es dazu, dass Sie<br />
beide nach Amerika durften?<br />
Christian Lüthi: Das Fernsehen SRF<br />
fragte den Eidg. Hornusserverband an,<br />
ob jemand Lust hätte, mitzumachen bei<br />
der Sendung Jobtausch. Unser Verband<br />
entschied dann, dass nur jemand aus der<br />
NLA in Frage kommt. Danach konnten<br />
sich alle bewerben, und die HG Wäseli<br />
und die HG Höchstetten kamen in die<br />
engere Auswahl. Es wurden dann Cas-<br />
32 s’Positive <strong>11</strong>/ 2018
Christian Lüthi<br />
Christian Lüthi (27) ist seit 2009<br />
Hornusser bei der HG Höchstetten.<br />
Der 183 cm grosse <strong>11</strong>8 kg<br />
schwere Lüthi wohnt in Kirchberg.<br />
Wie bei Roman Hugi zählen<br />
die mit der HG Höchstetten errungenen<br />
Siege an den Eidgenössischen<br />
Hornusserfesten 2015 und<br />
2018 sowie die Schweizer Meistertitel<br />
2013, 2014 und 2017 zu<br />
seinen grössten Erfolgen.<br />
tings gemacht, und daraus ergab sich,<br />
dass wir zwei gehen konnten.<br />
Wie fanden diese Castings statt?<br />
Roman Hugi: Wir mussten ein Video von<br />
uns machen, das ungefähr 90 Sekunden<br />
dauern sollte. Damit wurde vorselektioniert.<br />
Dabei wurden von Wäseli neun und<br />
von uns sechs Hornusser eingeladen. Jeder<br />
wurde ungefähr eine Stunde lang interviewt.<br />
Weshalb fiel die Wahl auf Sie beide?<br />
Lüthi: Dies wurde uns nicht mitgeteilt.<br />
Doch ich gehe davon aus, dass es bei mir<br />
meine Englischkenntnisse waren, und<br />
dass auch mein Bruder bereits bei Jobtausch<br />
dabei war.<br />
Hugi: Wir haben wohl bei den Castings<br />
eine gute Falle gemacht.<br />
Wie war danach Ihre Erwartungshaltung?<br />
Lüthi: Ich war schon baff. Und ich fragte<br />
mich, in was ich mich da nun reingeritten<br />
habe.<br />
Hugi: Wir wollten vor allem das Hornussen<br />
gut verkaufen. Ich denke, dies ist uns<br />
gut gelungen. Wir erhielten jedenfalls nur<br />
positive Rückmeldungen.<br />
Wie haben Sie sich vorbereitet?<br />
Hugi: Wir konnten uns nicht vorbereiten.<br />
Wir wussten ja nicht, was auf uns zukommt.<br />
Lüthi: Wir hatten keine Ahnung, wo es<br />
hingeht, und was wir da tun würden. Lediglich<br />
das Datum war bekannt.<br />
«Wir dachten schon,<br />
dass es auf Baseball<br />
hinauslaufen könnte.<br />
Aber sicher waren wir<br />
uns nicht.» ROMAN HUGI<br />
Keine Vorstellung oder Fantasie, was<br />
es sein könnte?<br />
Hugi: Wir diskutierten lange darüber,<br />
und uns war eigentlich klar, dass es eine<br />
Schlagsportart sein musste. Irgendwie<br />
dachten wir schon, dass es auf Baseball<br />
hinauslaufen könnte. Aber sicher waren<br />
wir uns nicht. Wir wussten ja auch nicht,<br />
welche anderen Sportarten es da noch<br />
gibt.<br />
Wie war die Ankunft?<br />
Lüthi: Als wir in Detroit ankamen, freuten<br />
wir uns darüber, dass wir nun in den<br />
Vereinigten Staaten waren, denn beide<br />
waren zuvor noch nie dort. Doch Detroit<br />
ist keine besonders schöne Stadt, und unsere<br />
Ankunft war auch nichts Spezielles.<br />
Hugi: Wir wurden in ein Hotel ungefähr<br />
eine Stunde ausserhalb von Detroit verfrachtet,<br />
und hatten keine Ahnung, wo wir<br />
jetzt waren. Dann erhielten wir etwas Geld<br />
und die Mitteilung, dass wir am nächsten<br />
Morgen wieder abgeholt würden.<br />
Das tönt ziemlich unspektakulär. War<br />
das nicht fast etwas enttäuschend?<br />
Lüthi: Etwas mehr hätte ich schon erwartet.<br />
Aber wir waren zumindest schon mal<br />
vor Ort und wussten, dass es am nächsten<br />
Morgen losgehen würde.<br />
Hugi: Aber wir wussten immer noch nicht,<br />
mit was. Unsere Theorie, dass es Baseball<br />
sein könnte, geriet bei unserer Google-<br />
Recherche etwas ins Wanken. Im Umkreis<br />
von 20 Kilometer um das Hotel herum befinden<br />
sich ungefähr 15 Golfplätze.<br />
Am nächsten Tag ging es aber dann<br />
los...<br />
Hugi: Ja, wir wurden abgeholt. Weil wir<br />
endlich wissen wollten, um was es ge-<br />
s’Positive <strong>11</strong> / 2018 33
JOBTAUSCH<br />
Ab und zu landete Christian Lüthi einen Glückstreffer.<br />
Auch Roman Hugi fand Gefallen am Spiel.<br />
hen würde, fragten wir unterwegs die uns<br />
begleitende Praktikantin, wo denn das<br />
Baseball-Stadion liegen würde. Dies war<br />
natürlich ein Schuss ins Blaue, und die<br />
Praktikantin ging nicht darauf ein. Dafür<br />
wurden wir aufgefordert, immer wieder<br />
zu sagen, was wir gerade sehen.<br />
Irgendwann sind Sie dann doch angekommen<br />
und es war klar, dass es sich<br />
tatsächlich um Baseball handelt. Ging<br />
es dann gleich mit dem Training los?<br />
Lüthi: Nach unserer Ankunft mussten wir<br />
zuerst im Auto warten, weil der Crew<br />
noch nicht klar war, wie sie genau filmen<br />
wollten. Dann wurden wir vorgewarnt,<br />
weil in der Mannschaft, zu der wir die<br />
nächsten Tage gehören sollten, nicht klar<br />
war, dass es sich bei uns nicht um Baseball-Profis,<br />
sondern um Hornusser handelt.<br />
Dies bestätigte sich dann auch, als<br />
wir gefragt wurden, welche Positionen<br />
wir denn spielen würden. Wir erklärten<br />
dann anhand eines Buches, wie Hornussen<br />
funktioniert.<br />
Wie wurden Sie aufgenommen?<br />
Lüthi: Alle waren begeistert und auch<br />
sehr offen und neugierig. Das sind wir<br />
uns aus der Schweiz nicht so gewohnt.<br />
Dann sind Sie von der Mentalität der<br />
Amerikaner angetan.<br />
Lüthi: Von der Offenheit der Amerikaner<br />
könnten wir Schweizer durchaus lernen.<br />
Doch sie sind auch etwas oberflächlich.<br />
Zum Beispiel begrüssen sie einem immer<br />
mit «hello, how are you?». Aber es interessiert<br />
sie einen Scheiss, wie es einem geht.<br />
Die Kamera war auf Schritt und Tritt<br />
dabei.<br />
Hugi: Ja, wir wurden immer von der Kamera<br />
begleitet. Und alles war immer eine<br />
Überraschung für uns. Wir wussten nie,<br />
was in der nächsten Stunde passieren<br />
würde.<br />
Lüthi: Mühsam war, dass das Kamerateam<br />
sich immer wieder verspätete, und<br />
wir ohne diese Leute absolut nichts machen<br />
durften. Weil immer von allem der<br />
erste Eindruck eingefangen werden sollte,<br />
durften wir nicht einmal ein paar Bälle<br />
schiessen, während wir auf sie warteten.<br />
Dabei diente ihnen immer wieder als<br />
Ausrede, dass es in Detroit viel Verkehr<br />
habe. Aber wir hielten ihnen vor, dass dies<br />
absolut keine Entschuldigung sein könne,<br />
und dass sie wohl auch keine Freude<br />
daran hätten, wenn wir uns immer verspäten<br />
würden.<br />
«Unsere Gastfamilie<br />
lebt für diesen Sport.<br />
Sie hatten ein Zimmer,<br />
das voll war mit<br />
Baseball-Utensilien.»<br />
CHRISTIAN LÜTHI<br />
Wie war es, vor der Kamera zu stehen?<br />
Hugi: Zu Beginn wollten wir alles perfekt<br />
machen, möglichst gut in die Kamera blicken.<br />
Da musste jedes Haar perfekt sein.<br />
Mit der Zeit wurden wir diesbezüglich<br />
aber etwas gleichgültiger und damit auch<br />
lockerer.<br />
Wie waren die Trainings?<br />
Lüthi: Am ersten Trainingstag warfen wir<br />
ein paar Bälle. Geschlagen haben wir sie<br />
aber noch nicht. Am Abend besuchten wir<br />
dann mit dem Coach ein Spiel, wo er uns<br />
auch die Regeln erklärte.<br />
Wurde immer eins zu eins gedreht,<br />
oder mussten Drehs zuweilen wiederholt<br />
werden?<br />
Hugi: Die Crew hatte nur eine Kamera<br />
dabei. Und weil die Szenen aus unterschiedlichen<br />
Perspektiven aufgenommen<br />
werden mussten, mussten diese jeweils<br />
drei bis vier Mal wiederholt werden.<br />
Lüthi: Dafür wurde uns nie vorgeschrieben,<br />
was wir sagen sollten. Darin waren<br />
wir völlig frei.<br />
War es eine amerikanische Crew, die<br />
filmte?<br />
Hugi: Nein, das war eine deutsche Firma,<br />
welche für das Schweizer Fernsehen Sendungen<br />
produziert.<br />
Wird die Sendung am amerikanischen<br />
Fernsehen ebenfalls gezeigt?<br />
Hugi: Nein.<br />
Wie wurde trainiert? Trainierten Sie<br />
richtig mit, oder war dies nur ein lockeres<br />
Mitmachen?<br />
Lüthi: Wir trainierten richtig mit, mussten<br />
auch beim Einlaufen bereits voll mitmachen.<br />
Täglich trainierten wir gegen<br />
fünf Stunden.<br />
Hugi: Am Abend waren wir jeweils recht<br />
kaputt. Beim Baseball wird die Muskulatur<br />
völlig anders beansprucht als beim<br />
Hornussen. Der Schwung mit dem Schläger<br />
ist völlig anders. Es waren vor allem<br />
diese anderen Bewegungsabläufe, die uns<br />
an die Grenzen brachten.<br />
Lüthi: Am extremsten für uns war die Bewegung<br />
beim Wurf, die völlig entgegen<br />
der Natur ist. Das Werfen des Balles<br />
schlägt richtig in den Ellbogen. Mit der<br />
Zeit bekundeten wir beide Schwierigkeiten<br />
damit. Man sieht dies auch bei den<br />
Spielern. Jeder Dritte hat den Ellbogen<br />
operiert.<br />
Was hat Sie am meisten beeindruckt?<br />
Hugi: Eindrücklich ist, wie die Spieler<br />
dieser Mannschaft mit ihrer Situation<br />
umgehen. Alle sind zwischen 20 und 24<br />
Jahre alt, verdienen 600 Dollar im Monat,<br />
34 s’Positive <strong>11</strong>/ 2018
leben bei einer Gastfamilie, welche sie<br />
unterstützt, damit sie durchkommen. Die<br />
Liga ist wie ein Sprungbrett. Entweder<br />
schaffen sie es in die höchste Liga, oder<br />
sie sind weg vom Fenster und spielen nie<br />
mehr Baseball. Falls sie es aber in die<br />
höchste Liga schaffen, erhalten sie Millionenverträge.<br />
Bereits zwei Wochen nach<br />
unserer Rückkehr vernahmen wir, dass<br />
Spieler nun einen NBL-Vertrag erhalten<br />
haben. Doch wir hatten es mit Menschen<br />
zu tun, die alle noch nicht wissen, was sie<br />
in Zukunft tun werden.<br />
Lüthi: Eindrücklich war auch, wie unsere<br />
Gastfamilie für diesen Sport lebt. Sie haben<br />
ein Zimmer eingerichtet, das voll ist<br />
mit Baseball-Utensilien und -Bildern bis<br />
hin zu alten Stühlen aus dem Stadion. Es<br />
ist wirklich extrem, wie sie diesen Sport<br />
leben.<br />
Die Spieler sind trotz ihres geringen<br />
Einkommens Vollprofis.<br />
Hugi: Ja, das ist so. Wer fünf Stunden täglich<br />
trainiert, kann nicht noch arbeiten.<br />
Obwohl das Training nicht so hart ist, wie<br />
man sich dies vielleicht vorstellt. Auf dem<br />
Platz wird nur ungefähr 90 Minuten trainiert.<br />
Jedes andere Training ist individuell,<br />
zum Beispiel im Kraftraum oder an<br />
der Abschlagmaschine. Sie haben auch<br />
kein straffes Tagesprogramm.<br />
Lüthi: Unser Trainingsprogramm war jedoch<br />
geführt.<br />
Was fand ausserhalb des Trainings<br />
statt?<br />
Hugi: Das einzige Rahmenprogramm war<br />
ein Team-Event am Vorabend des Spiels,<br />
als wir gemeinsam Fowling spielten, eine<br />
Art Bowling, aber mit einem Football. Die<br />
Spieler dieser Mannschaft trainieren für<br />
ihren Sport. Es geht ihnen nur um ihr persönliches<br />
Weiterkommen. Die Mannschaft<br />
selbst spielt keine Rolle, und der<br />
Zusammenhalt des Teams fehlt vollkommen.<br />
Deshalb gab es wohl auch kein Rahmenprogramm.<br />
Wir haben also entweder<br />
trainiert, gegessen oder geschlafen.<br />
Nochmals die Frage – war dies nicht<br />
etwas enttäuschend?<br />
Hugi: Für uns passte es. Das Training war<br />
für uns sehr interessant.<br />
Lüthi: Der Coach, ein ehemaliger NLB-<br />
Profi, ist eine absolute Respektsperson, der<br />
jeden nimmt, wie er ist. Er versucht, jedem<br />
zu helfen. Und auch zu uns war er absolut<br />
perfekt. Wie wenn er uns bereits zehn Jahre<br />
kennen würde. Ein herzlicher Mensch.<br />
Hugi: Und am Schluss in dieses 5000er-<br />
Stadion einlaufen zu dürfen, war toll. Wir<br />
waren top motiviert. Das Konzept jeder<br />
Jobtausch-Sendung ist ja, dass nach einer<br />
Übungsphase der Höhepunkt folgt.<br />
War das Stadion voll?<br />
Hugi: Nein, es waren ungefähr 1500 Zuschauer<br />
vor Ort. Der Amerikaner geht<br />
nicht nach draussen, wenn es regnet, und<br />
es hatte an diesem Morgen geregnet.<br />
Trotzdem – 1500 Zuschauer dürften<br />
beim Hornussen illusorisch sein.<br />
Lüthi: Ganz und gar nicht. Als es am Eidgenössischen<br />
Hornusserfest in Walkringen<br />
am Sonntagmorgen um den Festsieg<br />
ging, waren gut und gerne 2500 Zuschauer<br />
vor Ort. Und am Königsstich waren es<br />
sogar ungefähr 5000. Aber Sie haben<br />
schon recht. Während der Meisterschaft<br />
sind 200 Zuschauer bereits ein absolutes<br />
Highlight. Normalerweise spielen wir vor<br />
30 bis 50 Zuschauern.<br />
Es war also kein Problem, vor so vielen<br />
Zuschauern anzutreten?<br />
Hugi: Wir waren voll konzentriert. Da fiel<br />
uns das Drumherum nicht so auf. Ob 1000<br />
oder 3000 Zuschauer, spielt keine Rolle.<br />
Was wir in Walkringen erlebten, war etwas<br />
vom Grössten, das ich in meiner Karriere<br />
bezüglich Zuschauer erleben durfte. Am<br />
Samstag standen die Leute von vorne beim<br />
Bock bis zuhinterst ins Ries. Rundherum<br />
bei den anderen Spielen hatte es kaum<br />
Leute. Alle waren bei uns.<br />
Hornussen ist Ihnen vertraut. Aber in<br />
Amerika mussten Sie vor Zuschau-<br />
Das Baseball-Training war für<br />
die Hornusser interessant.<br />
s’Positive <strong>11</strong> / 2018 35
JOBTAUSCH<br />
Beim Baseball hatte Lüthi<br />
Probleme mit dem Ellbogen.<br />
ern etwas vorführen, das Sie kaum beherrscht<br />
haben.<br />
Hugi: Wir wussten, dass es in dieser kurzen<br />
Zeit nicht möglich sein würde, mit<br />
den Profis mitzuhalten. Diese Erkenntnis<br />
nahm uns einen Teil der Nervosität.<br />
Lüthi: Ich wusste, dass nur der Zufall mir<br />
helfen konnte, einen Ball zu treffen. Ins<br />
Feld konnte ich nicht, weil ich mit dem<br />
Ellbogen Theater hatte. Wir wollten einfach<br />
den Tag geniessen.<br />
Hugi: Eindrücklich war, dass bei unserem<br />
Einlauf ins Stadion die Schweizer Nationalhymne<br />
gespielt wurde.<br />
Lüthi: Schade, dass dies im Fernsehen<br />
nicht gezeigt wurde.<br />
Hugi: Dies war ein richtiger Hühnerhaut-<br />
Moment.<br />
Hätte es aus Ihnen beiden auch Baseball-Profis<br />
geben können?<br />
Hugi: Wenn ich in Amerika leben würde,<br />
wäre Baseball tatsächlich ein Sport für<br />
mich. Und wenn ich dabei wäre, wäre es<br />
auch ein Traum für mich, es in die höchste<br />
Liga zu schaffen.<br />
Hornussen ist Tradition und Kulturgut<br />
zugleich. Hornussen gehört zu den<br />
Schweizerischen Nationalsportarten.<br />
Doch ein Grossteil der Gesellschaften<br />
stammt aus den Mittelkantonen. Wie<br />
kommt das?<br />
Hugi: Das kommt daher, dass das Hornussen<br />
im Emmental entstanden ist.<br />
Lüthi: Früher gab es in jedem Dorf einen<br />
Verein.<br />
Hugi: Doch dann hat sich die Sportart<br />
ausgedehnt. Wir haben zum Beispiel in<br />
Winterthur eine Gesellschaft, die sich<br />
sehr durch ihre Juniorenförderung auszeichnet.<br />
Hier im Zentrum des Hornussens<br />
könnten wir von den Winterthurern<br />
viel lernen, denn in ihrem Verein sind 20<br />
Junghornusser Mitglied. Dann gibt es eine<br />
Gesellschaft in Gossau und in Frauenfeld.<br />
Aber es ist schon so, so durchgesetzt<br />
wie hier hat sich das Hornussen in keiner<br />
anderen Gegend.<br />
Wie viel trainiert man als Spitzenhornusser?<br />
Lüthi: Etwa drei Mal in der Woche. Aber<br />
nicht mit einem geführten Programm,<br />
sondern individuell.<br />
Hugi: Jeden Donnerstag haben wir bei<br />
der HG Höchstetten ein offizielles, und<br />
jeden Dienstag ein freiwilliges Training,<br />
bei welchem aber jeweils 90 Prozent der<br />
Spieler anwesend sind. Bei uns weiss jeder<br />
ganz genau, was es braucht, dass er<br />
bei uns hornussen darf. Jeder ist also<br />
selbst verantwortlich dafür, dass er etwas<br />
tut.<br />
Wie muss man sich ein Training bei der<br />
HG Höchstetten vorstellen?<br />
Lüthi: Unser Feld ist so ausgerichtet,<br />
dass die Abtuer im Training gegen die<br />
Sonne spielen. Deshalb liegt unsere Pri-<br />
orität beim Schlagen. Spitzenpartien<br />
werden vor allem durch das Schlagen<br />
entschieden. So schlägt jeder ungefähr<br />
20 Streiche pro Abend. Ist einer mental<br />
in einem Loch, versuchen die andern,<br />
ihm zu helfen, damit er wieder herausfindet.<br />
Hugi: Wir versuchen, auf ein konzentriertes<br />
Training zu setzen. Es bringt<br />
nichts, wenn einer schlägt und schlägt<br />
und schlägt. Bei uns geht es darum, jeden<br />
Schlag ernst zu nehmen und so zu schlagen<br />
wie im Spiel. Es gibt viele Hornusser,<br />
die das Training locker angehen und dann<br />
im Spiel mit dem Druck nicht umgehen<br />
können. Doch das Umgekehrte geschieht<br />
ebenfalls. Dass sie im Training zu viel<br />
wollen, und es dann im Ernstkampf nicht<br />
funktioniert.<br />
Wird im Training auch gemessen?<br />
Lüthi: Wenn sich ein Schlag gut anfühlt,<br />
will ich immer wissen, wie weit der Nouss<br />
geflogen ist. Denn schliesslich geht es<br />
auch immer darum, sich zu verbessern.<br />
Hugi: Wir haben auch einen Trainingscup,<br />
bei dem man etwas gewinnen kann.<br />
Sie können im Training etwas gewinnen?<br />
Lüthi: Es geht um 30- bis 40-fränkige<br />
Gutscheine für die Konsumation in unserem<br />
Vereinslokal. Das reicht aus, um dem<br />
Training eine Art Wettkampfcharakter zu<br />
verleihen.<br />
Kann man mit Hornussen auch Geld<br />
verdienen?<br />
Hugi: Nein, das kann man nicht. Im Gegenteil.<br />
Man hat Auslagen.<br />
HG Höchstetten<br />
Die Hornussergesellschaft Höchstetten<br />
wurde vermutlich 1903 gegründet.<br />
Verbürgt ist dies jedoch<br />
nicht, weil die entsprechenden Protokolle<br />
fehlen. Sicher ist jedoch,<br />
dass die Gesellschaft Tradition und<br />
Erfolg hat. Die Erfolge der in der<br />
jüngeren Geschichte erfolgreichsten<br />
Gesellschaft alle aufzuzählen, würde<br />
zu weit führen. Wir beschränken<br />
uns deshalb auf die wichtigsten: 1.<br />
Ränge an den Eidgenössischen Hornusserfesten<br />
2015 in Limpbach<br />
und 2018 in Walkringen, 1. Rang<br />
am Eidg. Schwing- und Älplerfest<br />
2010 in Frauenfeld, Schweizermeister<br />
2008, 2013, 2014 und<br />
2017. Zudem stellte die HG Höstetten<br />
mit Simon Erni (2015) und Lukas<br />
Wälti (2018) auch den Schlägerkönig.<br />
36 s’Positive <strong>11</strong>/ 2018
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im Buch «The Forestmaker»<br />
von Tony Rinaudo).<br />
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AgroCity zunehmend (siehe unter<br />
www.agrocity.org) – einerseits das<br />
Pilotprojekt in Tansania, andererseits<br />
Feedbacks an internationalen Konferenzen<br />
(nächstens Africities Summit<br />
2018 in Marrakesch – Referentin<br />
Yvonne Apiyo Brändle-Amolo).<br />
Ich freue mich auf die nächsten Ausgaben<br />
von s’Positive und wünsche Ihnen<br />
alles Gute!<br />
Jörg Bürgi, 4803 Vordemwald,<br />
Präsident ACA AgroCity Association<br />
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für Sie. Oder möchten Sie über ein Thema,<br />
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Werden Sie bitte nicht zu lang. Sonst<br />
müssten wir Ihren Beitrag eventuell<br />
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Beiträge mit beleidigenden, diffamierenden,<br />
rassistischen und sexistischen<br />
Inhalt werden nicht veröffentlicht.<br />
Wir freuen uns auf Ihr Feedback.<br />
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