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RE KW 03

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M ENSCHEN IM GESPRÄCH<br />

„Wir sind Kinder Gottes“<br />

Brigitte Moritz ist in der zweiten Wahlperiode als Kuratorin der evangelischen Pfarrgemeinde Reutte<br />

Als Minderheit seinen Glauben zu leben – das muss einen nicht<br />

schrecken, sondern kann auch Freude machen. Sogar sehr große.<br />

Just das spürt man, wenn man sich mit Brigitte Moritz unterhält.<br />

Sie ist die Kuratorin der evangelischen Pfarrgemeinde Reutte und<br />

damit deren oberste Repräsentantin.<br />

Von Jürgen Gerrmann<br />

Formal gesehen rangiert die Frau<br />

aus Nesselwängle damit sogar über<br />

Pfarrer Mathias Stieger, hat sie doch<br />

das höchste Amt in der Gemeinde<br />

inne. Besetzt wird es in einem mehrstufigen<br />

Verfahren. Die Mitglieder<br />

der (26-köpfigen) Gemeindevertretung<br />

bestimmen acht Menschen aus<br />

ihren Reihen zum Presbyterium –<br />

und dieses Gremium wählt dann wieder<br />

die Kuratorin oder den Kurator.<br />

Das Glaubensleben in der Diaspora<br />

war für sie nie etwas Fremdes,<br />

sondern ihr schon an der Wiege<br />

gesungen: Sie stammt nämlich aus<br />

Balzheim im württembergischen<br />

Alb-Donau-Kreis – einem Dorf, in<br />

dem viele Glaubensflüchtlinge aus<br />

Kärnten Zuflucht gefunden hatten,<br />

nachdem ihnen ein Reichsgraf dereinst<br />

in der Not eine neue Heimat<br />

geboten hatte. „Ich bin ganz in der<br />

evangelischen Tradition aufgewachsen“,<br />

erinnert sie sich: „In einem<br />

ganz katholischen Umfeld. Da musste<br />

man zusammenhalten.“ Bis in ihre<br />

Jugend hinein habe es keine Mischehen<br />

gegeben. Ganz bewusst.<br />

Sie freilich brach mit dieser Tradition.<br />

Heiratete einen Katholiken, zog<br />

nach Nesselwängle, der Sohn wurde<br />

katholisch getauft. Freilich: „Als die<br />

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RUNDSCHAU Seite 14<br />

....dann:<br />

Kinder größer waren, haben mich<br />

meine Wurzeln wieder zur evangelischen<br />

Gemeinde getrieben.“ Die<br />

ersten Anknüpfungspunkte ergaben<br />

sich (noch zur Zeit von Pfarrer Andreas<br />

Domby) durch einen kleinen<br />

Hauskreis aus vier, fünf Frauen, dann<br />

intensivierte sich die Sache, sodass<br />

Pfarrer Mathias Stieger sie fragte, ob<br />

sie nicht in die Gemeindevertretung<br />

wollte. Sie sagte Ja – und fiel bei der<br />

ersten Wahl prompt durch: „Niemand<br />

hat mich gekannt. Nicht gewählt<br />

zu werden, war für mich schon<br />

schlimm. Schließlich war ich es gewohnt,<br />

dass wenn ich was mache,<br />

das auch klappt, und sich der Einsatz<br />

lohnt. Aber ich habe es verstanden.“<br />

Beim zweiten Mal klappte es dann.<br />

Und wie: Sie wurde nicht nur ins<br />

Presbyterium gewählt, sondern avancierte<br />

gleich zur Kuratorin.<br />

AUSBILDUNG ZUR LEKTO-<br />

RIN. Mittlerweile wurde sie beim<br />

dann dritten Mal in diesem Amt bestätigt.<br />

Und in der Zwischenzeit hatte<br />

sie auch die Ausbildung zur Lektorin<br />

absolviert. Sie dürfte mithin nicht<br />

nur predigen und Gottesdienste leiten<br />

(was sie auch tut), sondern auch<br />

taufen und Menschen trauen. Aber<br />

die letzteren beiden Dinge macht<br />

sie eher nicht: „Ich finde, dass solch<br />

Sakrales zum Pfarrer gehört. Ich bin<br />

halt der Ersatz, wenn er nicht da ist.“<br />

Aber bei allem, was sie macht, geht<br />

sie in die Tiefe, setzt sich intensiv<br />

mit den Texten auseinander, schreibt<br />

nicht nur ihre Predigt selbst, sondern<br />

auch die Gebete: „Das ist eine spannende<br />

Sache. Ich tue das unheimlich<br />

gerne.“<br />

Auch als Kuratorin macht Brigitte<br />

Moritz keine halben Sachen: „Ich<br />

fühle mich schon für unsere Gemeinde<br />

verantwortlich. Dafür, dass<br />

sie Zusammenhalt findet.“ So klein<br />

das evangelische Häuflein mit 600<br />

Leuten zwischen Vils und Ehrwald,<br />

Steeg und dem Tannheimer Tal ist,<br />

so vielschichtig sei es. Es existierten<br />

durchaus auch unterschiedliche Intentionen.<br />

Und da könnten auch<br />

Konflikte aufbrechen, durch die man<br />

AUSSERFERNER<br />

SEIT 1922<br />

NACHRICHTEN<br />

schon Menschen verloren habe, bedauert<br />

die Kuratorin: „Da komme<br />

ich an meine Grenzen. Offensichtlich<br />

lässt sich halt nicht alles vermitteln.<br />

Es ist einfach schade, dass in<br />

solchen Situationen nicht zwischen<br />

dem Glauben und den Leuten unterschieden<br />

wird. Vom Glauben her<br />

müsste doch ein Zusammenleben<br />

unter unterschiedlichen Standpunkten<br />

möglich sein.“<br />

Im Vergleich zu der Zeit, als sie<br />

ins Außerfern kam, hat sich auch<br />

bei den evangelischen Christen der<br />

Gottesdienstbesuch verringert. Von<br />

den 600, die sich zur Kirchengemeinde<br />

bekennen, kennt sie vielleicht<br />

150 persönlich: „Der Rest kommt<br />

gar nicht.“ Angesichts dessen sei es<br />

schön, dass man immer noch alles<br />

anbieten könne: Kinder- und Jugendarbeit,<br />

Besuchsdienst im Krankenhaus,<br />

auch Hauskreise in Ehrwald<br />

und im Tannheimer Tal.<br />

Manchmal wundere sie sich selbst<br />

darüber: „Aber wahrscheinlich ist es<br />

doch auch Gottes Fügung. Er will<br />

wohl, dass unsere kleine Gemeinde<br />

nicht untergeht.“<br />

GROSSE HERAUSFORDE-<br />

RUNG. Demnächst warte indes eine<br />

große Herausforderung auf die kleine<br />

evangelische Schar: Pfarrer Mathias<br />

Stieger steht kurz vor dem Ruhestand<br />

und werde trotz Verlängerung seiner<br />

Dienstzeit um ein Jahr auf jeden Fall<br />

im Herbst 2020 sein Amt verlassen.<br />

Und was dann? Genau das ist die<br />

große Frage. Die Gemeinde Reutte-<br />

Außerfern plagt nicht nur das Problem,<br />

dass sie sehr klein ist (das sind<br />

andere in Österreich auch), sondern<br />

zudem, dass sie sehr abgelegen ist.<br />

Bei einer Betreuung durch Pfarrer<br />

aus Imst, Innsbruck oder Landeck<br />

sieht Brigitte Moritz das Problem,<br />

dass dann im Grunde keine seelsorgerliche<br />

Arbeit mehr möglich sei (die<br />

auch sie für überaus wichtig empfindet).<br />

Eine Variante sei auch der Zusammenschluss<br />

mit einer Gemeinde<br />

im Inntal oder auch in Bayern. Mit<br />

Füssen oder Pfronten zum Beispiel.<br />

Wohin die Reise der evangelischen<br />

Kirchengemeinde geht, das muss in<br />

den nächsten Monaten erst noch<br />

geklärt werden. Eins steht für die<br />

Kuratorin indes jetzt schon fest: „So<br />

etwas wie die Stiegers werden wir<br />

nicht mehr kriegen.“ Eine ganz traditionelle<br />

Pfarrfamilie eben. In der die<br />

Ein kleines Häufchen ist die evangelische<br />

Pfarrgemeinde Reutte. Kuratorin<br />

Brigitte Moritz arbeitet dennoch begeistert<br />

für die Gemeinde. RS-Foto: Gerrmann<br />

Frau mitarbeitet, die Kinder Musik<br />

machen und die Oma die Lebkuchen<br />

für den Christbaum in der Dreieinigkeitskirche<br />

backt: „Das ist ein Riesenverlust,<br />

egal wie die Zukunftslösung<br />

aussieht.“<br />

BEGEISTERTE CHRISTIN. An<br />

ihrer Motivation werde das freilich<br />

nichts ändern: „Ich bin begeisterte<br />

Christin.“ Das Christsein habe ihr<br />

Leben bereichert. Das habe schon in<br />

der Jungschar angefangen: „Dadurch<br />

bin ich in die Welt hinausgekommen,<br />

habe freies Denken gelernt, Selbstwertgefühl<br />

bekommen, gefühlt, dass<br />

man viel erreichen kann, wenn man<br />

sich einbringt. Ich bin vom Dorf gekommen,<br />

ohne all dies wäre ich wohl<br />

verklemmt aufgewachsen.“<br />

Die Freude am Glauben sei im<br />

Laufe ihres Lebens sogar noch gestiegen:<br />

„Ich habe erlebt, wie der Glaube<br />

befreien kann, ich war getragen in<br />

schweren Zeiten. Und der Glaube<br />

gibt einem immer wieder die Möglichkeit,<br />

neu anzufangen.“<br />

Sie glaube fest daran: „Wir sind<br />

Kinder Gottes, nicht planlos auf dieser<br />

Welt. Uns wird ein Faden gegeben,<br />

an dem wir uns entlanghangeln<br />

können.“ Toll sei auch die Gleichheit:<br />

„Ich bin ein Mensch, und der<br />

neben mir ist genausoviel wert wie<br />

ich. Und das gilt nach oben wie nach<br />

unten.“ Und wenn es Gott nicht<br />

gäbe? „Dann wäre das egal. Christliches<br />

Leben lohnt sich. Was macht<br />

sonst noch Sinn?“<br />

16./17. Jänner 2019

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