78 KULTUR | BÜHNE SPEKTAKOLO FANTASTISCH
KULTUR | BÜHNE D – Konstanz | Theater oder Zirkus? Bühne oder Manege? Schauspieler oder Clown? Fragen über Fragen, auf die das Theater Konstanz in diesem Sommer eine besondere Antwort hat: Das Zirkuszelt auf Klein Venedig. Der Spielort verspricht außergewöhnliche Theatererlebnisse. Wenn Theater und Zirkus aufeinandertreffen, darf einer nicht fehlen: Olli Hauenstein. Der Schweizer Clown, Komiker und Schauspieler zählt in Europa zu den renommiertesten seines Fachs. Er liebt seinen Beruf, obwohl der Zirkus und das Varieté seiner Erfahrung nach im Vergleich zum Theater noch immer zu den gesellschaftlich weniger anerkannten Künsten zählen. „Es gibt nur wenige Stadttheater, die ihre Türen für einen Clown öffnen“, so Hauenstein. Umso mehr schätzt er Christoph Nix, seit Beginn der Spielzeit 2006/2007 Intendant am Theater Konstanz, der den Clowns schon mehrfach eine Bühne gegeben hat. Nix trat selbst bereits als Clown im Europa Circus Bügler auf. Er hat das Genre gelernt. „Clown ist die hohe Kunst“, zitiert Olli Hauenstein den Intendanten anerkennend. Eines der Stücke im Zirkuszelt auf Klein Venedig wird „Foottit und Chocolat“ sein. Ein Zirkusspiel von Christoph Nix nach einer wahren Geschichte – und eine Hommage an die Menschlichkeit im Angesicht der Clownerie. Der Intendant kam auf Olli Hauenstein zu, „wofür ich ihm sehr dankbar bin“, so der Künstler, der die Figur des Foottit verkörpern und zudem die Clownsnummern in dem Stück inszenieren wird. Mark Zurmühle, Schauspieldirektor am Theater Konstanz, zeichnet daneben für den Theaterteil des Dramas verantwortlich. Für Hauenstein ein nicht unwichtiger Punkt: „Es ist gut, dass mich jemand von außen führt, da ich neben der Inszenierung auch eine Hauptrolle spiele.“ Bei Clownsnummern lasse sich nur wenig vorab am Schreibtisch planen, viel müsse auf der Bühne erarbeitet werden. Auch Christoph Nix selbst wird mit Zurmühle und Hauenstein das Stück in Szene setzen. Ob der Intendant allerdings selbst auf der Bühne stehen wird, bleibt wohl bis zur Premiere offen. „Ich würde mich sehr freuen, wenn Nix als Clown zu sehen wäre. Denn er hat eben den Mut gehabt, Clowns auf die Theaterbühne zu holen“, so Olli Hauenstein. Eine wahre Geschichte Für Olli Hauenstein ist das Stück eine große Herausforderung, aber vor allem eine tolle Chance, „mit einem fantastischen Ensemble zusammenzuarbeiten und meine Ideen zu verwirklichen“. Die Geschichte über Aufstieg und Fall des Rafael Padilla, des ersten schwarzen Clowns, war lange vergessen – und ist heute noch immer aktuell. Clown George Foottit war bereits als Solist erfolgreich. „Er verkörperte die Pierot-Figur, aus der später der englische Harlekin hervorging“, weiß Hauenstein, der die historisch belegten Clownsnummern für das Theater Konstanz neu geschrieben hat. Auf der Suche nach einem neuen Manegenpartner entdeckte Foottit dann den aus der kubanischen Sklaverei entflohenen Rafael Padilla. Aus ihm wird Chocolat. Gemeinsam treten sie als autoritärer Weißclown, der weiß, wo es lang geht und die Regeln vorgibt, und schwarzer Dummer August auf. Sie feiern damit Anfang des 20. Jahrhunderts große Erfolge. „Es ist erschreckend“, so Hauenstein. „Foottit hat Chocolat geschlagen und diskriminiert – doch genau das kam beim Pariser Publikum gut an.“ Dennoch entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden. „Doch im Laufe der Zeit war diese infrage gestellt. Was ist Freundschaft, was geschäftliche Abhängigkeit?“ Hauenstein erklärt weiter das Phänomen dahinter, welches auch heute in vielen Geschäftsbeziehungen sicher ein Thema ist: „Chocolat war auch schlechter bezahlt als Foottit. Er war sein Angestellter. Man kann empört sein, andererseits hatte Foottit auch die Kreativität reingebracht und zeichnete für den Erfolg verantwortlich, er hatte unternehmerisches Risiko.“ Chocolat wird neben Foottit zur Berühmtheit, möchte sich aber nicht weiter diskriminieren lassen und befreit sich von seinem weißen Partner. Der Start als ernsthafter Schauspieler in Shakespears Othello misslingt jedoch. „Das Publikum wollte keinen Schwarzen auf der Bühne sehen“, erklärt Hauenstein. Chocolat verliert die Arbeit und stürzt ab. Lachen, nachdenken, spüren „Diese Geschichte zeigt, wie eine Gesellschaft Menschen in eine bestimmte Rolle zwängt“, so Olli Hauenstein nachdenklich. „Diese Situation erleben heute noch viele Menschen. Manche hautnah, wenn sie um gerechtere Löhne kämpfen, manche durch das Fernsehen, wenn Berichte von Sklaverei mitten in Europa in heutiger Zeit zu sehen sind.“ Dieser gesellschaftliche Konflikt soll auch auf der Konstanzer Zirkusbühne das Publikum berühren. „Das Publikum soll nachdenken, aber auch einfach lachen und Spaß haben bei diesem Stück. Und es soll spüren. Denn Zirkus spürt man einfach hautnah.“ Hereinspaziert! Neben „Foottit und Chocolat“ werden im Zelt der Familie Bügler, die ihren Circus Salto Mortale bereits in der achten Generation führt, noch weitere Stücke gezeigt sowie Konzerte und Workshops, Zirkusshows zum Staunen mit Clowns und Akrobaten und ein großes kulinarisches Angebot. ab 15.06. Zirkusschauspiel „Foottit und Chocolat“, Beginn jeweils 20 Uhr ab 26.06. Junges Theater Konstanz mit „Sagt der Walfisch zum Thunfisch“, Beginn jeweils 10 Uhr ab 29.06. Seiltänzerstück „Katharina Knie“, Beginn jeweils 21 Uhr, Freilichtbühne Zirkuszelt auf Klein Venedig | D-78462 Konstanz alle Stücke, Termine und Workshops auf www.theaterkonstanz.de, Tickethotline +49 (0)7531 900 150 TEXT: TANJA HORLACHER FOTO: THEATER KONSTANZ/ILJA MESS 79