GILGAMESCH
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überwältigendem Einklang aus mannigfaltigsten Zeugnissen der Religionen.<br />
„Gib uns Leben, Leben, Leben!” singt man in einem afrikanischen Erntelied.<br />
Ahura, Gottesname und Kernwort der Religion Zarathustras, doch auch vor<br />
ihm schon religiös gebraucht heißt ‚Lebensherr‘. Ägyptische Götter halten<br />
das Zeichen Ankh, ‚Leben‘, in ihrer Hand. Die Griechen haben im Namen<br />
des höchsten Gottes Zeus immer wieder die Wurzel Zen, ‚Leben‘, gefunden.<br />
‚Gott der Lebendige‘ ist ein zentraler Begriff des Alten und mehr noch des<br />
Neuen Testaments. ,,Ich lebe, und ihr sollt auch leben”, ist die abschließende<br />
Botschaft Jesu. Götter schützen das Leben, Götter garantieren Leben, wie<br />
freilich auch ihr Zorn Leben zerstören kann. Der biologische Imperativ des<br />
Überlebens wird im Code der Religion internalisiert und verabsolutiert. Leben<br />
besteht in Selbst-Replikation und Selbstregulierung, als ,Homöostatisches System‘.<br />
Darum sind Götter, als mächtige Regulatoren. die Garanten beständiger<br />
Ordnung. Leben bedarf der Abschirmung, um sich zu entfalten, es bildet<br />
Zellen, Kapseln, Häute, um lnneres und Äußeres zu trennen. Das religiöse<br />
Weltbild konstituiert zumeist ein religiöses Zentrum, wo der Kontakt mit dem<br />
Göttlichen etabliert ist, mit einem engeren Kreis der von hier aus aufrecht<br />
erhaltenen Ordnung, während ringsum im weiteren Kreise chaotische oder diabolische<br />
Mächte lauern.<br />
Ins Unendliche verlängert, wird ‚Leben‘ zum Postulat der Unsterblichkeit. Unsterblichkeit<br />
und Ewiges Leben sind die wirkungsvollsten Ideen in der Verheißung<br />
vieler Religionen. Selbstaufopferung geschieht dann um des ewigen<br />
Lebens willen. Dabei setzt die Negation des Todes eben die Tatsache des Todes<br />
voraus: Die religiöse Idee erhebt sich immer noch aus der biologischen Landschaft.<br />
Der Ernst des Religiösen, den wir tief erfühlen können, widerspiegelt<br />
gleichsam die harten Felsen, die Gefahren und Beschränkungen dieser Landschaft<br />
und folgt doch der Provokation des Lebens. Die im Wort gestaltete geistige<br />
Welt sucht sich darüber zu erheben — und bleibt doch an diese gebunden,<br />
insofern sie von sterblichen Personen entworfen und getragen ist. Extremisten<br />
mögen versuchen, sich aus alledem herauszusprengen; sie verschwinden damit,<br />
sofern sie nicht doch schließlich zurückfallen in den alten Fluß.<br />
Am 11. März 2015 verstarb der Züricher Professor der Altphilologie und Gräzist<br />
Walter Burkert. Dem vielseitigen Gelehrten, Ehrendoktor der Universitäten<br />
Fribourg, Neuendettelsau und Oxford, Träger des Balzanpreises und Ritter des<br />
Orden pour le mérite verdanken wir zahlreiche Anregungen. Wir drucken daher<br />
mit freundlicher Genehmigung von Cornelius Burkert diesen Auszug aus: Walter<br />
Burkert, Kulte des Altertums, Biologische Grundlagen der Religion.<br />
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