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Destination Magazin Nr.2/2019 DE

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UNBERECHENBARE NATUR:<br />

<strong>DE</strong>R MATTMARKSEE UND DAS SAASTAL<br />

Am 14. September findet der «Mattmark Memorial<br />

1965 Halbmarathon» im Gedenken an<br />

den Gletschersturz vom 30. August 1965 statt.<br />

88 Menschen starben an dem Tag. Aber die<br />

Geschichte ist viel länger.<br />

Text: Nicole Bielander<br />

Bild: Christof Schmidt<br />

Die Katastrophe von 1965 war nicht das<br />

einzige durch den Allalingletscher ausgelöste<br />

Unglück. Dessen wilde Urgewalt<br />

hatte die Saaser Bevölkerung immer<br />

wieder in ihrer Existenz bedroht. Seinen<br />

Ursprung hat der Gletscher auf dem 4190<br />

Meter hohen Strahlhorn, das zusammen<br />

mit dem Allalinhorn, dem Alphubel und<br />

dem Rimpfischhorn zur Allalingruppe gehört.<br />

Die Gletscherzunge des Allalingletschers; Stand 11. August 1919,<br />

mit Angaben zu den historischen Vorstössen.<br />

Eis als unverlässliche Staumauer<br />

Während der Kleinen Eiszeit vom 15. bis Anfang des 20. Jahrhunderts<br />

wächst der Allalingletscher, von Autor Otto Supersaxo auch «Drache<br />

im Talboden von Mattmark» genannt, wiederholt mächtig an. In dieser<br />

Zeit schiebt er sich immer wieder quer über die gesamte Talbreite der<br />

Saaser Vispa und staut den Mattmarksee auf. Beim Abschmelzen<br />

der Eisbarriere flutet der Gletscherstausee mehrfach das Saastal. 26<br />

Überschwemmungen sind festgehalten. Zum Teil verwandeln sie das<br />

Ackerland und die Weiden für Jahre in Sand- und Geröllwüsten und<br />

zwingen Teile der Saaser Bevölkerung zum Auswandern.<br />

Der Domherr Peter Joseph Ruppen berichtet in seinem 1851<br />

veröffentlichten Werk «Die Chronik des Thales Saas» von Sturzfluten<br />

in den Jahren 1633, 1680 und 1772. Besonders schlimm waren sie<br />

1633 und 1680.<br />

Verheerende Zerstörungen im Tal<br />

Immer wieder steckt die Saaser Bevölkerung Naturkatastrophen wie<br />

Lawinen-, Mur- und Geröllabgänge weg, bestreitet mit harter Arbeit<br />

ein bescheidenes Leben und arrangiert sich mit der Natur. Doch<br />

die Mattmarksee-Flutwelle vom 4. August 1633 trifft die Menschen<br />

bis ins Mark. Mit Schlamm, Geröll sowie Treibgut angereicherte<br />

Wassermassen des Mattmarksees ergiessen sich bis nach Visp und<br />

verwüsten auch dort Kulturland. Der Sandschutt begräbt Häuser,<br />

Weiden und Felder tief unter sich. Je nach Quelle verliert von den<br />

rund 750 Saaser Talbewohnern ein Drittel bis die Hälfte auf einen<br />

Schlag alles und wandert aus.<br />

Wer bleibt, sieht sich jahrelang der Wiederurbarmachung des Geländes<br />

gegenüber. Ledige geloben, nicht zu heiraten, bis die Wiederaufbauarbeiten<br />

vollendet sind. In den nächsten 14 Jahren findet in der<br />

Kirchgemeinde Saas keine einzige Hochzeit statt. Ähnliches wiederholt<br />

sich beim schweren Seeausbruch von 1680, der sogar 18 Häuser<br />

in Visp zerstört. Traumatisiert von den Verwüstungen schwören die<br />

zurückgebliebenen Saaser, 40 Jahre lang nicht zu tanzen, zu spielen<br />

oder zu feiern. Dieses Gelöbnis wurde von Notar Peter Anthamatten<br />

am 14. Juli 1680 festgehalten.<br />

Tatsächlich verhält sich der «Drache» danach fast ein ganzes<br />

Jahrhundert lang eher ruhig. Dann, am 17. September 1772, frisst sich<br />

das Wasser nach zweitägigen heftigen Regenfällen wieder durch den<br />

Gletscherwall und schiesst mit zerstörerischer Gewalt talabwärts.<br />

Erste Baumassnahmen<br />

1833 droht das Wasser im Mattmarksee erneut über die Ufer zu<br />

treten. Die Saaser erhalten von der Regierung 200 Franken (entspricht<br />

etwa CHF 4000), um einen «6 Schuh tiefen» Abflusskanal<br />

zu erstellen, 1 Schuh entspricht etwa 29 cm. Bereits ein Jahr später<br />

bricht der See erneut aus und schwemmt neun Brücken im Tal weg.<br />

1834 wird eine Galerie durch den Allalingletscher gebohrt, und das<br />

angestaute Wasser fliesst geordnet ab. Aber nicht lange: 1837 reckt<br />

sich der «Drache» von Mattmark wieder, das Wasser staut sich auf<br />

und bricht durch.<br />

Traumatisiert von den Verwüstungen<br />

schwören die Saaser, 40 Jahre lang nicht zu<br />

tanzen, zu spielen oder zu feiern.<br />

Blick auf den Mattmark-Stausee, auf der<br />

Wanderung «Hinter dem Mittaghorn» von<br />

Felskinn Richtung Plattjen.<br />

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