Thema | Dossier 24 <strong>EDUCATION</strong> <strong>4.19</strong>
Thema | Dossier Klimawandel Mittagessen zwischen den Tannen Lukas Tschopp Die Klimastreikbewegung mobilisiert Tausende Jugendliche und Erwachsene für Umweltanliegen. Die Tagesschule Rubigen lebt die Beziehung zwischen Mensch und Natur seit Jahren vor. EDUCA- TION war auf Schulbesuch – beim Mittagessen im Wald. Beim Waldrand hat der Bauer das hohe Gras gemäht. Bereits kreisen die Milane am königsblauen, wolkenlosen Himmel, auf der Suche nach Beute, unten auf dem Feld. Am Schatten ists angenehm kühl, an der Sonne brütend heiss. Mittagszeit an der Primarschule Rubigen. Nach Unterrichtsende treffen sich die angemeldeten Tagesschülerinnen und Tagesschüler üblicherweise drinnen in der Schule, um gemeinsam das Mittagessen einzunehmen. Doch in dieser einen Juniwoche verlegen Brigitte Bula und ihr Team den Mittagstisch nach draussen, ins nahe gelegene Schattholz. «Bei diesem Sonnenschein ist mit der Mahlzeit im schattigen Wald allen gedient», freut sich die Tagesschulleiterin. Dass die Tagesschule Rubigen kurzerhand in den Wald umzieht, hat jedoch System – und ist nicht allein den sommerlichen Temperaturen geschuldet. «In allen vier Jahreszeiten verschieben wir den Betrieb während je einer Woche ins Schattholz. Seit nunmehr sechs Jahren.» So kommt es schon mal vor, dass Köchin Franziska Schwyter das Essen über dem Feuer bei dichtem Schneefall zubereitet. Nicht so im Juni. Heute auf der Speisekarte: Cervelats, Brot, Senf, Reis, rohes Gemüse – und Brennnesselchips. Ein Gaumenschmaus, passend zum Sommerwetter. Brennnesselchips und Büchsenbrot In der Bratpfanne, über dem grosszügig eingeheizten Feuer, brutzeln die Brennnesselblätter im Rapsöl vor sich hin. Gleichzeitig werden mit Brotteig gefüllte Konservendosen in die gleissende Glut gestellt. «Büchsenbrot» nennt sich diese alternative Variante des Brotbackens. «Neue Rezepte auszutesten, fernab der Mainstreamküche, ist meine Leidenschaft», sagt Franziska Schwyter. Als gelernte Ernährungberaterin arbeitet sie seit der Gründung der Tagesschule vor nunmehr zehn Jahren als deren leitende Köchin. «Ich achte darauf, dass ich viele verschiedene Komponenten zubereite, ohne sie zu vermischen. So entdecken die Kinder neue Leckereien. Der klassische Eintopf hingegen kommt nicht so gut an.» Während der Waldwochen achtet sie darauf, dass die Kinder selbst Hand anlegen können bei der Zubereitung. Die Cervelats brätelt jede und jeder selbst über dem Feuer. Weil der Dorfladen Rubigen die meisten Lebensmittel direkt zur Schule liefert, «sind die wichtigen Kriterien der saisonalen und regionalen Kost von vornherein erfüllt». Franziska Schwyter arbeitet jahrein jahraus mit demselben, etablierten Menüplan, den sie je nach Feedback der Kinder kürzt, erweitert oder ergänzt. «Wir versuchen, die Wünsche der Kinder so gut als möglich zu berücksichtigen. Gemüse aber muss sein», schmunzelt die Küchenchefin. Auf dem Tischtennistisch neben der Feuerstelle schnippelt Brigitte Kunkler derweil Karotten und Kohlrabi zurecht. Seit sechs Jahren ist sie als Betreuerin fester Bestandteil des Tagesschulteams. «Der Wald ist eine echte Bereicherung, sowohl für die Kinder als auch für uns Mitarbeitende.» Von Generation zu Generation verbringt man mehr Zeit drinnen am Computer und weniger Zeit draussen an der frischen Luft. «Umso wichtiger sind solche Ausflüge, die den Kindern den Wald als Lebensraum auf unterschwellige Art und Weise näherbringen.» Leiterin Brigitte Bula betont, dass die Tagesschule keine gezielte Vermittlungsarbeit leisten kann. «Bei uns wird in erster Linie gelebt und nicht gelernt. Zwischen den klassischen Unterrichtseinheiten dürfen die Kinder auch mal wild, schmutzig und laut sein, ihrer Neugier und Kreativität freien Lauf lassen.» Zuerst wird gemeinsam gegessen, danach können die Kinder nach Lust und Laune in die faszinierende Atmosphäre des Waldes eintauchen, inmitten von Tannenbäumen und Tannzapfen, Wildpflanzen, Geäst, Insekten oder Krabbeltieren. Stets in Achtung vor der Natur. Wenn die Kinder in der Tagesschule etwas lernen sollen, dann nämlich den rücksichtsvollen Umgang mit Mensch und Umwelt – so auch im Wald. Tannzapfenschlacht zum Dessert Franziska Schwyter hat die Brennnesselchips inzwischen vom Feuer genommen und auf Haushaltspapier ausgelegt. Auch das Büchsenbrot, in untypischer Kreisform, scheint gelungen: aussen knusprig, innen weich und frisch. Kurz vor zwölf treffen bei der Feuerstelle in der Waldlichtung die ersten Schulkinder ein. Diesen Montagmittag sind 30 Kinder angemeldet. Von den insgesamt 230 Schülerinnen und Schüler aus Rubigen verbringen rund 90 ihre unterrichtsfreie Zeit in der Tagesschule. ▶ <strong>EDUCATION</strong> <strong>4.19</strong> 25