EDUCATION 4.19
Klimawandel
Klimawandel
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Volksschule | Ecole obligatoire<br />
Integrierte Sonderschulbildung<br />
Yes, she can<br />
Tina Uhlmann<br />
Foto: Keystone<br />
Rund 600 Schülerinnen und Schüler mit geistiger<br />
Behinderung besuchen im Kanton Bern die<br />
Regelschule. Eine davon war Fiona. Soeben 16 geworden,<br />
hat sie die obligatorische Schulzeit in<br />
einer Stadtberner Sekundarklasse abgeschlossen<br />
und nun eine zweijährige Lehre begonnen. Warum<br />
Fionas Integration gelungen ist, zeigt der Rückblick<br />
auf zwölf bewegte Jahre.<br />
«Wenn Sie mit Fiona* sprechen, werden Sie vielleicht gar<br />
nicht merken, dass sie kognitiv beeinträchtigt ist», meint<br />
Daniel Haudenschild, Schulleiter Oberstufe im Berner<br />
Schulhaus Hochfeld 1, am Telefon.<br />
«Sie ist ein besonderes Kind», beginnt Johanna<br />
Dürst, Schulleiterin der Heilpädagogischen Schule, ein<br />
Gespräch im Sitzungszimmer.<br />
«Ich habe von meiner Tochter sehr viel gelernt»,<br />
resümiert Mutter Carola Moser* am Küchentisch in ihrer<br />
Dachwohnung – Susanne Balmer, Heilpädagogin, ergänzt:<br />
«Ich kenne keinen positiveren Menschen als dich, Fiona.»<br />
Und was sagt Fiona, die ebenfalls am Tisch sitzt?<br />
Erst mal nicht viel. Sie lächelt, sichtlich geschmeichelt.<br />
«Ich wollte das unbedingt durchziehen», erklärt sie dann,<br />
nach ihrer Schulzeit befragt. «Ich wollte sehen, dass ichs<br />
kann.» Und auch wenn ihr Weg bis in die neunte Regelklasse<br />
manchmal holprig war, zeigte sich immer wieder:<br />
Yes, she can! So würde es Barack Obama ausdrücken,<br />
der als erster Afroamerikaner US-Präsident geworden<br />
ist. Ebenso unvorstellbar war bis vor Kurzem, was Fiona<br />
geschafft hat: mit einer geistigen Behinderung die öffentliche<br />
Schule zu durchlaufen und erfolgreich abzuschliessen.<br />
* Namen der Redaktion bekannt<br />
Les noms sont connus de la rédaction<br />
Fiona* ist gut unterwegs auf ihrem Lebensweg (Symbolbild).<br />
Fehlstart nach Diagnose<br />
Geistige Behinderung? Tatsächlich fällt es schwer, dieses<br />
Etikett mit der hochgewachsenen jungen Frau, die im<br />
Gespräch immer wieder den direkten Blickkontakt sucht,<br />
in Einklang zu bringen. Als sie noch klein war, merkten<br />
auch die Eltern nichts. Die Familie lebte in Münchenbuchsee,<br />
wo Fiona in den Kindergarten kam; sie selbst weiss<br />
noch, dass sie dort gern im Sandkasten gespielt habe.<br />
Bald aber erreichten Fragen der Kindergärtnerin die Eltern,<br />
Abklärungen wurden gemacht, und als es auf die<br />
Einschulung zuging, stand eine Diagnose im Raum. «Es<br />
hiess, unser Kind habe eine geistige Behinderung», erzählt<br />
die Mutter. Sie sei völlig überrumpelt gewesen, da<br />
sie ihre Tochter bis dahin als ganz normal empfunden<br />
habe. Der Neurologe sprach von einem IQ unter 70, die<br />
Erziehungsberatung empfahl Sonderschulung.<br />
Fiona kam in eine Klasse für besondere Förderung.<br />
Sie habe ein halbes Jahr lang rein gar nichts gelernt, resümiert<br />
die Mutter. «Da habe ich die Klasse besucht und<br />
war schockiert: Es herrschte ein Tohuwabohu, jedes Kind<br />
machte, was es gerade wollte, die Lehrerin schien völlig<br />
überfordert.» Fiona war nach der Schule jeweils sehr<br />
müde. Es ging ihr nicht gut, damals. Die Eltern trennten<br />
sich, die Mutter zog mit ihr nach Bern und erreichte, dass<br />
sie im Schulkreis Länggasse-Felsenau ab Mitte zweiter<br />
Klasse den Regelunterricht als integrierte Sonderschülerin<br />
besuchen durfte.<br />
38<br />
<strong>EDUCATION</strong> <strong>4.19</strong>