DER RISSENER 68
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LOKALES <strong>DER</strong> <strong>RISSENER</strong> | 15<br />
Elb-<br />
Geschichten<br />
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<strong>RISSENER</strong><br />
<strong>DER</strong><br />
Mit BLANKENESE SÜLLDORF WEDEL<br />
Der Engel von Blankenese ist immer noch im Dienst<br />
44 Jahre lang fast jeden Arbeitstag<br />
5400 Stufen bewältigen und Post für<br />
720 Haushalte liefern. Treppauf, treppab,<br />
quer über den Süllberg. Bei Wind und<br />
Wetter: Blankeneses ehemaliger Postbote<br />
Jochen Engel brauchte kein Fitnessprogramm<br />
in seiner Freizeit. Jetzt, nach<br />
einem Jahr im Ruhestand, trägt er wieder<br />
aus: Seine Postkartenkalender persönlich<br />
in „seinem“ ehemaligen Austragebezirk<br />
an den Mann und an die Frau bringen –<br />
das lässt er sich nicht nehmen. Unsere<br />
Redakteurin Michelle Kossel hat ihn begleitet.<br />
BLANKENESE. Schnellen Schrittes eilt<br />
er durchs Treppenviertel, wie vor<br />
einem Jahr, als er noch im Dienst war<br />
und jeden Tag die Post brachte. Jetzt<br />
ist Jochen Engel wieder unterwegs.<br />
Mit einer gelb-grauen Tasche mit<br />
Posthorn. „Da sind meine Postkartenkalender<br />
drin. Ich habe hier ein paar<br />
Bestellungen, die bringe ich persönlich<br />
vorbei“, sagt er. Herausgegeben werden<br />
sie im KJM-Buchverlag.<br />
Kurz werden ein paar seiner alten<br />
Kunden begrüßt, die im Garten arbeiten.<br />
„Mit 90 Prozent hier bin ich inzwischen<br />
per Du“, sagt er. Das bliebe<br />
nicht aus. „Ich hab immer gerne mit<br />
Jochen Engel und sein Hobby: Historische<br />
Postkarten sammeln. Hier ein besonders schönes<br />
Exemplar von 1913 mit einem Postler.<br />
den Leuten geredet, hab mich wirklich<br />
dafür interessiert, wie es ihnen geht“,<br />
berichtet er und erzählt von der alten<br />
Dame, die nicht mehr viel Besuch<br />
bekam, von der Nachbarin, deren<br />
Mann gestorben war, von den Leuten<br />
gegenüber, bei denen er im Urlaub<br />
mal nach dem rechten geschaut hat.<br />
„Da wirst Du Teil der Familie irgendwie.<br />
Das Vertrauen, das freut mich<br />
schon sehr.“ Und das hat ihn so manchen<br />
Tag vergessen lassen, dass sein<br />
Arbeitsalltag nicht zu den leichtesten<br />
gehörte. „Ja, weißt Du, um 4 Uhr aufstehen,<br />
um 5 Uhr aus dem Haus, dann<br />
um 6 Uhr die Post sortieren. Wenig<br />
später abzischen.“ Mit einer schweren<br />
Tasche, nicht „mit dem Miniding, das<br />
ich heute dabeihab‘. Die hab ich übrigens<br />
als Abschiedsgeschenk bekommen,<br />
bevor ich in den Ruhestand<br />
ging.“<br />
Ab und an gab es während der Arbeit<br />
besondere Herausforderungen. „Ich<br />
musste die gelben Müllsäcke austragen.<br />
Innerhalb von zwei bis drei Tagen<br />
drei- bis vierhundert Stück. Da hast<br />
Du die 5400 Stufen gegen Feierabend<br />
doch gemerkt.“ Wenn er abends im<br />
TV Sendungen über Bergbesteigungen<br />
angeschaut hatte, „hab ich gedacht,<br />
so den Mount Everest,<br />
das würd ich auch<br />
schaffen.“ Aber „sein“ Treppenviertel,<br />
das ist ihm viel<br />
lieber. „Die wunderschönen<br />
Gärten, die Häuser, der<br />
Blick auf die Elbe – davon<br />
kann ich nicht genug bekommen.“<br />
Überhaupt ist Hamburg die<br />
Lieblingsstadt des geborenen<br />
Harzers. Das erklärt<br />
seine Leidenschaft für historische<br />
Postkarten. „Ganz<br />
tolle Sache. Du lernst die<br />
schöne Stadt richtig kennen,<br />
wenn Du Dich mit den<br />
alten Karten beschäftigst.<br />
Als Postbote ist das sowieso<br />
mein Ding.“ Deshalb<br />
geht Jochen Engel regelmäßig<br />
auf Postkartenbörsen.<br />
Was er da an Schätzen geborgen<br />
hat, kann man nun<br />
in seinen Kalendern mit<br />
Immer wieder trifft Jochen Engel Bekannte in seinem ehemaligen Zustellbezirk.<br />
Und wie früher schnackt er gerne mit ihnen – wie hier mit Dorrit Johannsen.<br />
Fotos: mk<br />
Motiven aus – ganz klar – Blankenese,<br />
der Alster und dem Hafen - bewundern.<br />
„Ich hab‘ schon immer einen<br />
Bezug zur See, zum Wasser gehabt.“<br />
Auch deshalb zog er 1973 nach Hamburg.<br />
„Da hat damals so manch einer<br />
gesagt, was ich als Ausländer denn<br />
hier will.“ Doch Berührungsängste<br />
wurden schnell abgebaut. Auch zu<br />
Prominenten. „Also, Willi Bartels dem<br />
„König von St. Pauli“, dem ja viele<br />
Häuser dort gehörten, der wohnte bei<br />
Baurs Park. Da war ich an Weihnachten<br />
zum Frühstück eingeladen. Das<br />
fand ich sehr nett.“ Den Ufa-Schauspieler<br />
Heinz Rühmann und Jürgen<br />
Flimm, den ehemaligen Intendanten<br />
vom Thalia Theater, hatte er ebenfalls<br />
kennen gelernt. „Auf Du und Du mit<br />
den Stars“, sagt er und lacht.<br />
Inzwischen sind wir am Elbstrand angekommen<br />
und beobachten am Anleger<br />
Op´n Bulln ein vorbeiziehendes<br />
Kreuzfahrtschiff. Würde er auch gerne<br />
im Treppenviertel leben? „Wäre schon<br />
toll, ist aber leider zu teuer. Ich wohne<br />
in Eimsbüttel, da gefällt es mir auch<br />
gut.“<br />
Und dann holt Jochen Engel einen<br />
Postkartenschatz aus seiner Tasche.<br />
„Da war ich zehn Jahre hinterher“,<br />
sagt er und zeigt eine Karte aus dem<br />
Jahr 1913 mit einem Postler, der eine<br />
Tasche mit Fotos dabei hat. Darin finden<br />
sich Aufnahmen von Blankenese.<br />
„Das ist einfach mein Leben. Hier bin<br />
ich glücklich“, sagt er leise und schaut<br />
auf „sein“ Treppenviertel.<br />
Michelle Kossel