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XXXXXXXXX FAMILIENLEBEN <strong>KÄNGURU</strong> 11 I 19 23 Wenn der Herbst kommt, pusten viele Eltern den Staub von der Spielesammlung und bereiten sich auf lange Winterabende vor. Mit Memory, Monopoly und Co. lassen sich schöne gemeinsame Stunden erleben. Vier von zehn Familien sitzen mehrmals im Monat bei einem Brett- oder Kartenspiel zusammen. Pädagogen und Entwicklungspsychologen nicken dazu beifällig, denn das Spiel ist nicht nur eine Auszeit im hektischen Alltag, sondern für die kindliche Entwicklung überaus wichtig. Von Janina Mogendorf „Spielen ist ein bedeutsamer Baustein der Erziehung“, sagt Entwicklungspsychologin Birgit Träuble, von der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln. Neben motorischen und sprachlichen Fähigkeiten lernen die Kinder, sich zu konzentrieren, Probleme gemeinsam zu lösen, gegen andere zu gewinnen oder auch mal zu verlieren. Im Spiel verinnerlichen sie Regeln, lernen, Konventionen einzuhalten und die Perspektive der Mitspielenden einzunehmen. Schon kleinere Kinder unter drei sind in der Lage, Spielregeln zu verstehen. Sie begreifen, dass es Gebote und Verbote gibt, die nur für die Spielsituation gelten. „Lassen Sie die Kinder ruhig eigene Regeln für das Spiel aufstellen“, ermutigt Träuble. „Das ist ein gutes Training, weil sie voraussehen müssen, wie das Spiel ablaufen wird.“ Wichtig sei, die Regeln vorab festzulegen und während des Spiels auch einzuhalten. Warum mogeln gut ist Kinder ab etwa fünf Jahren lernen, eine andere Perspektive einzunehmen, also Vermutungen darüber anzustellen, was ein anderer denken, fühlen oder als Nächstes tun könnte. In Rollenspielen, die im Kindergartenalter sehr beliebt sind, üben sie das intensiv. „Wenn Kinder Bäckerei spielen, dann müssen sie sich in die Rolle des Bäckers hineinversetzen, zugleich aber auch die Rolle der Kunden verstehen. Das ist sehr komplex“, sagt Träuble. Ein klassisches Beispiel für einen Perspektivwechsel beim Gesellschaftsspiel ist das Mogeln. „Es geht darum, sich in den Mitspieler hineinzudenken und seinen Geist zu manipulieren. Ich mache ihn glauben, dass ich diese oder jene Spielfarbe noch auf der Hand habe, und beeinflusse sein Verhalten so, dass es mir nutzt.“ Wer schummelt, beweist, dass er flexibel zwischen Perspektiven wechseln kann. „Fünfjährige machen das schon ganz hervorragend“, sagt Träuble und empfiehlt zum Üben einfache taktische Spiele, in denen man auch ein bisschen täuschen muss. Ganz grundsätzlich stärken Spiele das Selbstvertrauen. Gerade bei Kindern zwischen eins und drei ist das Thema Autonomie sehr wichtig. Sie möchten alles alleine machen. „Im Spiel lässt sich das sehr gut umsetzen“, sagt Träuble und rät: „Auch wenn es nicht auf Anhieb klappt, das Puzzlestück richtig einzusetzen: erst mal machen lassen.“ Kinder lernen sich auf diese Weise selbst kennen und erfahren, was sie gut können, aber auch, woran sie scheitern und wie sie Grenzen überwinden können. „Die Erfahrung, dass ich mich mit Ausdauer und Übung verbessern kann, ist für später ganz wichtig.“ Wenn Kinder nicht verlieren können Viele Eltern wissen aus leidiger Erfahrung, wie es sich anhört, wenn die Kleinen im Spiel an ihre Grenzen stoßen. Kinder, die dreimal hintereinander bei „Mensch ärgere Dich nicht“ rausfliegen und immer noch ruhig und entspannt bleiben, sind doch eher die Ausnahme. Viel wahrscheinlicher sind erhöhte Dezibelwerte, knallende Türen und Würfel, die man ein halbes Jahr später beim Frühjahrsputz hinterm Sofa findet. Die Gründe dafür sind vielfältig. „Oft fehlt ihnen noch die emotionale Distanz zum Spiel, sie nehmen die Niederlage sehr persönlich“, erklärt Birgit Träuble. Auch Erwachsene verlieren nicht gerne, können ihren Unmut aber entweder gut verbergen oder sich damit trösten, dass es eben „nur“ ein Spiel ist. Kinder können ihre Emotionen noch nicht so gut regulieren und reagieren mit Wutanfällen. „Das ist bis zu einem gewissen Grad ganz normal“, sagt der Brühler Kindertherapeut Dirk Detampel und erklärt: „Je heftiger ein Kind reagiert, desto größer ist sein innerer Konflikt.“ Spielen Geschwister miteinander, kann es auch schon mal explosiv zugehen. „Wenn es vorher Stress gab oder sie sehr in Konkurrenz stehen, geht es beim Wutanfall vielleicht gar nicht um das Spiel selber“, so Träuble. Vielmehr werden Gefühle aus der Beziehung in die Spielsituation hineintransportiert. Damit die Situation nicht eskaliert, sollten Eltern bei Wettkampfspielen dabeibleiben. Alternativ bieten sich Spiele an, die auf Teamfähigkeit setzen. Wie der Klassiker „Obstgarten“ – ein kooperatives Spiel, bei dem die Kinder ab drei Jahren gemeinsam gegen einen frechen Raben antreten. Kommt es bei Spielabenden wiederholt zu Tobsuchtsanfällen, vergeht auch den Geduldigsten irgendwann die Lust. Damit das gemeinsame Spielen wieder Freude macht, muss das Kind verlieren lernen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber Eltern können ihre Kinder dabei gut unterstützen. Grundsätzlich gilt: ruhig bleiben, tief durchatmen und keine Vorwürfe machen. Stattdessen kleine Wutzwerge lieber in den Arm nehmen und ausweinen lassen. Sobald sich das Kind beruhigt hat, kann man über die Situation sprechen und es ermuntern weiterzuspielen. Wichtig ist auch das Vorbildverhalten der älteren Spieler. Wenn sie verlorene Spielrunden gelassen und humorvoll wegstecken, geben sie ein gutes Beispiel und vermitteln dem Kind, dass es Schlimmeres gibt. Keinesfalls sollte der Gewinner den Verlierer ärgern oder verhöhnen, das befeuert die Frustration nur noch. Dirk Detampel empfiehlt, Kinder hin und wieder auch gewinnen zu lassen. „Um ein gesundes Selbstbewusstsein aufzubauen, müssen die Kleinen auch mal gegen die Großen und Starken siegen. Auf diese Weise verringern sich unbewusste Konflikte und das Kind reagiert beim nächsten Mal vielleicht schon besonnener.“