05.03.2020 Aufrufe

Wina Februar 2020

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN

#2, Jg. 9 | Februar 2020 | Shwat, Adar 5780 | € 4,90 | wina-magazin.at

Österreichische Post AG / WZ 11Z039078W / JMV, Seitenstetteng. 4, 1010 Wien / ISSN 2307-5341

KAMPF GEGEN

• Antisemitismus

Ein Blick in das Regierungsprogramm von Türkis-Grün

• Vergessen

Der Verein erinnern.at und die AG Frauen im Exil sammeln

Erinnerungen und lassen die NS-Verbrechen nicht vergessen

• Radikalisierung

Jugendanwalt Nik Nafs Arbeit für eine wirksame Integration


Nachrichten

Meinung

Magazin

Wir geben Ihnen unser

Wort. Täglich aufs Neue.

Lesen und erleben Sie

Journalismus in höchster

Qualität, digital neu

gedacht und händisch

kuratiert für maximales

Lesevergnügen.

„Die Presse“

DIGITAL

jetzt um nur

18 €

pro Monat


Keine höhere Macht,

sondern ganz normale

Menschen, haben das Tor

zur Hölle von Auschwitz-

Birkenau geschmiedet.

Editorial

Vor 75 Jahren haben die Soldaten der sowjetischen Armee die

Tore zur Unterwelt geöffnet und die wenigen Überlebenden

des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau von ihren unvorstellbaren

Qualen befreit.

Auschwitz wurde zur Zäsur in der Geschichte der westlichen Welt

und steht für all das, was nicht Menschlichkeit ist. Für das Unvorstellbare

und Unbegreifbare. Für das Ende einer Gesellschaft, die sich aus

den Fängen dieser Hölle nie wieder wirklich befreien konnte.

Auschwitz stellt uns jene Fragen, die sich davor niemand

zu stellen getraut hätte: Kann noch an G-tt oder an das Gute

im Menschen geglaubt werden? Gibt es noch Kunst nach

Auschwitz? Haben die Überlebenden die Hölle wirklich

überlebt, und wie weit tragen wir sie alle ein Stück in uns

weiter? Was macht Auschwitz mit den Nachgeborenen? Und

was bedeuten Schuld, Pflicht und Vergebung nach den Krematorien?

Doch die Antworten auf all diese Fragen können

weder Auschwitz noch die dort vernichteten Seelen noch die

immer leiser werdenden Zeitzeugen geben. Und vor allem

kann die Frage nicht beantwortet werden, wie all das geschehen

konnte. Wie wurden ganz normale Menschen zu hassenden,

mordenden Bestien werden – und wie konnten Millionen

zu Opfern dieses tobend-geordneten Wahns werden?

Wir haben unzählige Antworten darauf – doch die eine

Antwort gibt es nicht. Hätten wir sie, so hätte die Gesellschaft

danach alles getan, um auch nur annähernd Ähnliches

zu verhindern – doch Tötung aus „rassistisch motivierten“

Gründen gab es auch nach 1945 – und auch in Europa.

Die Zahl der Chancen, Hoffnungen, Lieben und der Gelächter,

die in Auschwitz vernichtet wurde, ist nicht messbar

und vor allem nicht begreifbar. Generationen tragen die

Vernichtungslager in ihren Genen – ihr Denken, Fühlen

und Glauben wird noch durch die Gaskammern mitbestimmt.

Auschwitz ist ein Ort, ein Friedhof, eine Gedenkstätte.

Auschwitz ist eine Warnung, eine Alarmglocke, das

lauteste Signal, um daran zu erinnern, wozu der Mensch

fähig ist, wohin Rassismus, Verleumdung humanistischer

Werte und moralischer Zerfall führen.

75 Jahre nach der Befreiung leben wir in einer Welt, in der gesellschaftliche

Regeln und Normen infrage gestellt werden. In der die Gesellschaften

sich immer mehr polarisieren und isolieren. Eine Welt der

Ismen, die immer heftiger das Sprechen, Denken und Fühlen vergiften.

Die Gedenkkultur sollte sich heute nicht mehr im Erinnern erschöpfen,

denn sie ist eines der stärksten Instrumente im Kampf gegen den neuerlichen

Zerfall humanistischer und liberaler Werte. Sie hat die Möglichkeit,

uns alle daran zu erinnern, dass das Schienennetz in die Krematorien

über viele kleine Wiesenwege führte und dass die Aufseher

in Auschwitz nicht über Nacht durch böse Magie plötzlich verzaubert

wurden, sondern ganz normale Menschen waren, die aus Gier und Neid

und angeheizt durch das Streichholz populistischer Parolen ihre moralische

Grenzen zunehmend fallen ließen. Wir leben heute in einer anderen

Welt, und es sind nicht die gleichen Menschen. Aber es ist das gleiche

Böse. Doch das Böse ist kein Wesen, ist nicht Auschwitz, sind nicht

die miesen Ismen. Das Böse ist vermutlich etwas, das nur wir Menschen

im Menschen erkennen und aufhalten können. Denn das Böse ist keine

höhere Macht, sondern sehr menschlich.

Julia Kaldori

„Es gibt die

Ungeheuer,

aber sie sind zu

wenige, als dass

sie wirklich gefährlich

werden

könnten. Wer

gefährlich ist,

das sind die

normalen

Menschen“

Primo Levi

© Markus Schreiber / AP / picturedesk.com

wına-magazin.at

1


S. 42

Mateja Koležnik widmet sich mit

ihrer Inszenierung des Einakters

Der Henker dem Werk der vergessenen

Schriftstellerin Maria Lazar.

INHALT

OFFENLEGUNG GEM. § 25 MEDIENGESETZ:

Medieninhaber:

Jüdische Medien- und Verlags GmbH,

Seitenstettengasse 4, A-1010 Wien

Unternehmensgegenstand:

Herausgabe und Vertrieb des Magazins WINA

(10 x jährlich), diverse Sonderausgaben sowie

Betrieb des gleichnamigen Internetportals

wina-magazin.at

Geschäftsführung:

Jüdische Medien- und Verlags GmbH,

vertreten durch Julia Kaldori

Eigentumsverhältnisse:

Israelitische Kultusgemeinde Wien IKG (100 %)

Die IKG ist weiters Eigentümer des Magazins

Gemeinde Insider.

IMPRESSUM:

Medieninhaber (Verlag):

JMV – Jüdische Medien- und Verlags-

GmbH, Seitenstettengasse 4, 1010 Wien

Chefredaktion: Julia Kaldori,

office@jmv-wien.at

Redaktion/Sekretariat:

Inge Heitzinger (T. 01/53104–271)

Anzeigenannahme:

Manuela Glamm (T. 01/53104–272)

Redaktionelle Beratung: Matthias Flödl

Artdirektion: Noa Croitoru-Weissmann

Web & Social Media: Agnieszka Madany

Lektorat: Angela Heide

Druck: Print Alliance HAV Produktions GmbH.

MENSCHEN & MEINUNGEN

08 Kampf gegen Antisemitismus

Ein Blick in das Regierungsprogramm

von Türkis-Grün hinsichtlich Antisemitismus,

Rechtsextremismus, Erinnerungskultur

und Provenienzforschung.

10 „Erfolgreich scheitern“

Seit 20 Jahren kämpft der Verein

erinnern.at gegen das Vergessen

nationalsozialistischer Verbrechen.

Werner Dreier ist von Anfang an dabei.

13 Zwei Ringe der Erinnerung

Seit Kurzem hat die obersteirische

Stadt Judenburg ein Denkmal für ihre

einstige jüdische Gemeinde.

16 Lebensgeschichten im Exil

Die AG Frauen im Exil forscht zu Lebensgeschichten

von Frauen, die aus

Österreich geflüchtet sind.

19 Auswirkungen von Migration

Wie man mit spärlichem Material

eine ganze Familienchronik entstehen

lässt, zeigt der Historiker Pablo Rudich

in seiner Masterarbeit auf.

S. 35

Style-Vorlage. Im grauen

Februar beschäftigt sich WINA

mit der wahrscheinlich schönsten

Jugendkultur der Welt: den Mods!

20 „Zumeist die anderen“

Barbara Serloth zeigt in ihrem Buch

Nach der Shoah auf, wie hartnäckig

sich auch nach 1945 die antijüdischen

Vorurteile gehalten haben.

21 Die Rechte lässt grüßen

Politikwissenschaftler Matthias Falter

analysierte Nationalratsdebatten der

letzten Jahre und wie oft es dabei um

Rechtsextremismus ging.

22 „Abwertungen sind das Übel“

Der Wiener Kinder- und Jugendanwalt

Ercan Nik Nafs kämpft gegen die Radikalisierung

von Jugendlichen und

für eine wirksame Integration.

„Für FPÖ-

Wähler und Klimawandel-Leugner

habe ich kein

Verständnis.“

Shoshana Duizend-Jensen

S. 28

2 wına | Februar 2020


KULTUR

28 MenTschen

Als eine der ersten Frauen wurde

Shoshana Duizend-Jensen 2019

Mitglied des Tempelvorstands der IKG

und erhielt den Leon-Zelman-Preis.

30 „Wie eine Ziehharmonika“

Die unentbehrliche jüdische US-Hilfsorganisation

Joint Distribution Committee

schließt nach 100 Jahren ihre Pforten

in Wien.

32 Ein Wiener rettet New York

Der kürzlich verstorbene Felix Rohatyn

organisierte in den 1970er-Jahren die

Sanierung der insolventen Stadtverwaltung

der US-Metropole.

36 Florentin – bunt und anders

Die trendige Nachbarschaft im Süden

Tel Avivs ist laut der New Yorker

„Thrillist“ bei Insidern gleich nach New

Yorks Williamsburg gereiht.

42 Aus anderer Perspektive

Seit 2016 lebt der Israeli Itai Gruenbaum

in Wien. Das Leben hier gefällt

ihm gut. Am liebsten wäre ihm aber

ein Mix aus beiden Welten.

44 Entdeckung einer Begabten

Regisseurin Mateja Koležnik hat mit

Der Henker der vergessenen großen

Schriftstellerin Maria Lazar wieder

eine Stimme gegeben.

Coverfoto: Yonatan Sindel © flash 90

WINASTANDARDS

01 Editorial

24 Nachrichten aus Tel Aviv

Gisela Dachs über Gruppenzugehörigkeit

und Wahlverhalten in Israel

26 Warum Wien

Eine private Neuorientierung führte

Maurice Samuel Aigner nach Wien

34 Generation unverhofft

Wie Benjamin Abramov die

Spiritualität für sich entdeckte

35 WINA_Lebensart

Mods: die wahrscheinlich schönste

Jugendkultur der Welt

38 WINA_kocht

Wie stößt man mit Kindern auf das

Neujahrsfest der Bäume an?

39 Matok & Maror

Das iberische Tapas-Lokals Lola

41 Urban Legends

Alexia Weiss über weniger

Streamen für den Klimaschutz

46 KulturKalender

WINA-Tipps für den Februar

48 Das letzte Mal

Die Wiener Sängerin Isabel Frey über

Hoffnung in den Händen

„Wir haben uns mit

vielen Wissenschaftlerinnen

beschäftigt, und auch da sieht

man deutlich, dass sich Karrieren

entwickeln konnten,

die in Österreich

niemöglichgewesen

wären.“

Ilse Korotin

WINA ONLINE:

wina-magazin.at

facebook.com/winamagazin

S. 17

Die Historikerin und

Soziologin Ilse Korotin

leitet aktuell die 2002

gegründete Frauen-AG

und beschäftigt sich mit

Lebensgeschichten von

Frauen im Exil.

wına-magazin.at

3


12 wına | Dezember 2019

INTERVIEW MIT NOAH SCHEER & TALYA GOLDBERGER

diesen Herbst zum Präsidenten und zur Vizepräsidentin

der Jüdischen Österreichischen HochschülerInnen

gewählt. Auch sie wollen wie ihre Vorgänger an

der Spitze der jüdischen Studierenden die JÖH als

laute politische Stimme verstanden wissen.

Interview: Alexia Weiss, Fotos: Daniel Shaked

Talya Goldberger

und Noah Scheer.

Starke Stimmen

für die Jüdischen

Österreichischen

HochschülerInnen.

WINA: Die JÖH hat sich mit Benjamin Guttmann

und Benjamin Hess in den letzten Jahren sehr politisch

positioniert und ist klar gegen rechts und auch

gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ aufgetreten.

Wollen Sie diesen Kurs fortsetzen?

Noah Scheer: Ja! Die JÖH ist eine Organisation,

die die Interessen ihrer Mitglieder vertritt, und das

heißt für mich, gegen rechts und gegen Antisemitismus

aufzutreten. Die FPÖ ist für mich eine antisemitische

Partei, und deshalb ist es für mich ein

Auftrag der Mitglieder, gegen die FPÖ zu sein, aber

auch gegen die Normalisierung der Beziehungen

mit der FPÖ.

Warum ist es Ihnen als Studierendenorganisation

wichtig, sich auch politisch zu äußern?

Talya Goldberger: Wir sind die Stimme jüdischer

Studierender. In den letzten Jahren und insbesondere

in der letzten Regierungsperiode ist Antisemitismus

ein sehr präsentes Thema in Österreich.

Daher ist es wichtig, auch als JÖH lautstark aufzutreten

und dem Diskurs eine zweite jüdische

Stimme hinzuzufügen.

Noah: Ich glaube, dass sich junge Menschen heute

anderen Herausforderungen gegenüber sehen als

die Generation ihrer Eltern oder Großeltern. Ich

kann mir nicht vorstellen, wie mein Vater in den

1950er-Jahren in Wien aufgewachsen ist. Aber ich

weiß, wie es ist, heute in Österreich aufzuwachsen.

Wir fühlen uns grundsätzlich von der IKG repräsentiert,

aber junge Leute haben einen anderen Alltag.

Deshalb ist es wichtig, dass wir eine zweite Meinung

abgeben. Die jüdische Gemeinde ist nicht so

groß, und es ist schön, wenn wir mit einer Stimme

auftreten. Doch begrenzt das auch die Vielfältigkeit

des Dialogs. Wir wollen daher, dass es auch

eine junge jüdische Stimme gibt.

Sind Sie in Ihrem Alltag mit Antisemitismus konfrontiert?

Talya: Nein, ich persönlich in Wien noch nicht. Ich

muss allerdings anmerken, dass aus meinem Freundeskreis

in Deutschland antisemitische Übergriffe

berichtet wurden.

Noah: Ich bin in Graz aufgewachsen, wo es viel weniger

Juden gibt als in Wien. Ich persönlich habe

in der Schule Probleme gehabt. Mein Vater hat damals

gesagt, das ist, „weil du a Jud bist“. Ich habe

dem nie ganz zustimmen können.

Was für Probleme waren das?

Noah: Ich wurde eine Zeit lang gemobbt. Was interessant

daran war, dass es sich sehr auf meine

DIE JÜDISCHEN

ÖSTERREICHISCHEN

HOCHSCHÜLERINNEN

(JÖH)

wenden sich an alle

jüdischen Studierenden

in Österreich. Zum neuen

Vorsitzenden wurde diesen

Herbst Noah Scheer (geb.

1995 in Graz, aufgewachsen

in Graz und Hod Hasharon,

derzeit Master-Studium

der Humanmedizin an der

Sigmund-Freud-Universität

in Wien) gewählt, zu

seiner Stellvertreterin Talya

Goldberger (geb. 2000 und

aufgewachsen in Wien, derzeit

Diplomarbeit am Kolleg

für Grafik und Kommunikationsdesign

an der Höheren

Graphischen Bundes-Lehranstalt).

Insgesamt besteht

der Vorstand nun aus fünf

Frauen und zwei Männern.

Die weiteren Mitglieder

des Boards sind: Rahel

Esther Laubsch, Mark Elias

Napadenski, Lara Masliah-

Gilkarov, Eden Babacsayv

und Lara Guttmann.

joeh.at

INKLUSION EMPOWERMENT

„große“ Nase bezogen hat, die man doch als stereotypisch

jüdisch bezeichnen könnte. Mein Vater

hat diese Connection hergestellt. Ich habe es nicht

als antisemitisch verstanden, meine Schulkollegen

leugnen das bis heute, aber vielleicht war es unterbewusst

doch antisemitisch. Auf der Uni verstecke

ich es nicht, dass ich jüdisch bin, und werde weder

angefeindet noch sonst etwas.

Dann gibt es aber doch solche Begebenheiten: Bei

der letzten Uniparty, zu der ich gegangen bin, stehe

ich in der Schlange, da kommt ein anderer herein,

und der, der neben mir steht und den ich nicht

kenne, begrüßt ihn mit einem Holocaust-Joke. Und

ich habe mir gedacht, was ist denn jetzt los. Man

nimmt sich immer vor, dass man in so einem Fall

groß redet, und dann ist man überfordert. Deswegen,

glaube ich, ist es wichtig, dass man nicht so tut,

als gäbe es das nicht, weil es vielen in Wien und in

Europa schon passiert ist. Man muss den Tatsachen

ins Auge schauen, dass viele Menschen in Österreich

antisemitische Bemerkungen machen oder

irgendeinen Blödsinn zu Israel sagen, der eigentlich

antisemitisch ist. Manchmal aus Unwissenheit.

Manchmal aus Intoleranz. Manchmal, weil sie sich

dabei nichts gedacht haben. Und manchmal, weil

Menschen direkt gegen Juden hetzen. Das passiert,

und deshalb darf man das die Menschen nicht vergessen

lassen.

Wie sehen Sie die Zukunft junger Jüdinnen und

Juden in Österreich?

Talya: Wien ist für Juden eine gute Stadt. Die jüdische

Gemeinde bietet Infrastruktur für die unterschiedlichsten

jüdischen Ausrichtungen. In Bezug

auf Antisemitismus ist Wien auch nicht die „Leading

City“. Ich habe keine Bedenken, mit einer Kette

mit einem Davidsternanhänger auf die Straße zu

gehen, während das vergleichsweise in Berlin nicht

ideal und viel riskanter für jüdische Jugendliche oder

Studierende ist.

Noah: Ich komme aus Graz, einer Stadt ohne jüdisches

Leben, und habe auch drei Jahre in Israel gelebt.

Ich finde Diaspora-Judentum etwas Wunderschönes,

und finde es wichtig, dass Israel existiert.

Aber für mich ist zwischen Graz und Israel Wien

genau das Richtige. Es gibt hier einen Reichtum an

jüdischem Leben, es gibt jüdische Infrastrukturen.

Ich finde diese Kombination aus dem gemütlichen

Leben und den Möglichkeiten, mein jüdisches Leben

auszuleben, wie ich will, wunderbar.

Was könnte man verbessern, um Wien für junge

Jüdinnen und Juden noch attraktiver zu machen?

wına-magazin.at

13

LESERBRIEFE

Sehr geehrte

Chefredaktion !

Mit großem Interesse habe ich den

Artikel Weil es auch eine junge Stimme

braucht (WINA, Jänner 2020) gelesen.

Darin beschreiben Noah Scheer

und Talya Goldberger ihre politische

Ausrichtung in ihrer Arbeit als Präsident

bzw. Vizepräsidentin der Jüdischen

Österreichischen HochschülerInnen.

Es tut gut zu sehen, dass

junge, engagierte Juden sich ihres

Judentums bewusst sind und sich

proaktiv für unsere jüdischen Belange

einsetzen, was ja meist mit

großem Zeitaufwand verbunden ist.

Und Zeit ist im Stadium bekanntlich

sehr kostbar. Soweit Dank und

Anerkennung. Ein kleiner Wermutstropfen

verbitterte mir aber die Lektüre

des ansonsten sehr informativen

Weil es auch eine

junge Stimme braucht

Noah Scheer und Talya Goldberger wurden

Artikels. Und zwar die Anmerkung

des neuen Präsidenten Noah Scheer,

wenn er meint, dass er aus Graz, „einer

Stadt ohne jüdischen Leben“,

kommt. Der erste Teil seiner Aussage

ist richtig, er kommt aus Graz, und

zwar aus einer höchst angesehenen

Ärztefamilie. Mit Verlaub – in der

Synagoge habe ich ihn aber in den

letzten Jahren kaum gesehen. Das

erklärt auch den zweiten Teil seiner

Bemerkung, nämlich, dass es in Graz

kein jüdisches Leben gäbe. Wäre er

nämlich öfters in der Synagoge gewesen,

hätte er sehr wohl mitbekommen,

dass wir in Graz ein höchst vitales,

vielfältiges, religiös und kulturell

anspruchsvolles Leben führen, das

sowohl von den Gemeindemitgliedern

als auch von den Freunden der

jüdischen Gemeinde höchste Anerkennung

erfährt. Es würde hier den

Rahmen sprengen, alle Aktivitäten,

religiöse wie nichtreligiöse aufzuzählen.

Übrigens: Noah hätte sich nur

die Mühe machen können, eine der

letzten Ausgaben jener Zeitschrift zu

lesen, der er ein Interview gab, nämlich

WINA. Da wurde ja kürzlich erst

über die Grazer jüdische Gemeinde

berichtet.

Nichtsdestotrotz wünschen wir

Grazer Juden ihm und seiner sympathischen

Vizepräsidentin allen

erdenklichen Erfolg und würden

uns freuen, wenn er uns bei nächster

Gelegenheit in unserer Synagoge

besucht.

Prof. Mag. Albert Kaufmann

-----------------------------

Sehr geehrte

Damen und Herren!

In der letzten Ausgabe Ihres Magazins

wird Herr Noah Scheer im

Rahmen des Artikels Weil es auch

eine junge Stimme braucht zu meinem

großen Befremden wie folgt

zitiert: „Ich komme aus Graz, einer

Stadt ohne jüdisches Leben […].“

Im März des laufenden Jahres

werden es vier Jahre, seitdem ich

die Geschicke der Grazer jüdischen

Gemeinde leiten darf. Ich kann freilich

nicht für die Jahre der Kindheit

oder Jugend von Herrn Scheer

sprechen, muss aber nachdrücklich

festhalten, dass diese Aussage die

Gegenwart der Grazer jüdischen

Gemeinde keinesfalls widerspiegelt

und schlichthin falsch ist.

Neben einem geregelten jüdisch

religiösen Leben wie etwa der regelmäßigen

Abhaltung der Gebete

nach traditionellem Ritus, Feiern

zu den allen jüdischen Feiertagen,

regelmäßigem Religionsunterricht,

Shiurim etc. verfügt die jüdische Gemeinde

Graz heute auch ein viel beachtetes

Kulturprogramm, das auch

von einem breiten Teil der nichtjüdischen

Bevölkerung in Anspruch genommen

wird und von Stadt Graz

und Land Steiermark mit nicht unbeachtlichen

budgetären Mitteln gefördert

wird. So erhielt die jüdische

Gemeinde mit ihrem Projekt Mobiles

Bethaus im Rahmen des Kulturjahres

2020 einen der höchsten

Förderzuschläge mit einer Gesamtförderung

von über hunderttausend

Euro. Nicht fehlendes jüdisches Leben,

sondern eine (wieder) lebendige

jüdische Gemeinde und die Aktivitäten

derselben haben dazu geführt,

dass die Landeshauptstadt

Graz nach erfolgreichen Verhandlungen

2019 1,8 Millionen Euro für

die Adaptierung unserer Synagoge

zur Verfügung gestellt hat. Und zwar

gerade weil Stadt und Land ganz offensichtlich

ein förderungswürdiges

jüdisches Leben in Graz erblicken.

Schließlich ist die Stadt Graz nach

der Bundeshauptstadt Wien gerade

aufgrund der nachhaltigen Arbeit

unserer Gemeinde die einzige Stadt

Österreichs, die eine Anti-Antisemitismus-

und -BDS-Resolution

verabschiedet hat.

All dies hat unsere Gemeinde bewerkstelligt,

obwohl wir eine Reihe

von Gemeindemitgliedern aus den

Kindertagen von Herrn Scheer

durch Todesfälle oder Abwanderung

verloren haben. Auch der Großteil

der Familie von Herrn Scheer

ist in den letzten Jahren aus Graz

abgewandert oder nimmt am Gemeindeleben

nicht teil. Umso höher

sind daher die von Erfolg getragenen

Anstrengungen der gegenwärtigen

Mitglieder zu bewerten, wieder

eine funktionierende Gemeinde

zu reetablieren. Eine Gemeinde, die

auch wieder für Zuwanderer attraktiv

wird, was wir G-tt sei Dank wieder

allmählich feststellen können.

Umso befremdlicher empfinden

Gemeindemitglieder und ich

die in Rede stehende Aussage von

Herrn Noah Scheer. Ich selbst habe

ihn in den letzten vier Jahren auch

kein einziges Mal bei Gebeten in

der Synagoge bei uns willkommen

heißen dürfen. Woher Herr Scheer

daher sein Wissen, wonach Graz

(gegenwärtig) eine Stadt ohne jüdischen

Lebens sei, bezieht, ist mir

ein Rätsel. Aus eigener Wahrnehmung

der letzten Jahre kann dieses

vermeintliche Wissen ebenso wenig

stammen wie aus dem Studium jüdischer

Medien, die regelmäßig über

das jüdische Leben in Graz zu berichten

wissen.

Wir Grazer Juden erhoffen uns

nicht unbedingte Anerkennung für

das, was wir unter nicht allzu leichten

Bedingungen an jüdischem Leben

zu bewerkstelligen vermögen.

Wir können uns trotz historischer

Verantwortung leider auch nicht von

jedem Mitglied einen aktiven Beitrag

zum Erhalt jüdischen Lebens

erwarten. Dass das gegenwärtige jüdische

Leben in Graz aber gerade

von Personen, die zwar seit Jahren

gar nicht mehr aktiv unserer Gemeinde

angehören, aber doch um die

Widrig- oder Schwierigkeiten von

kleinen jüdischen Gemeinden Bescheid

wissen müssten, durch die in

Rede stehende Bemerkung empfundener

Maßen nicht wertgeschätzt

und heruntergespielt wird, schmerzt

außerordentlich. Es schmerzt, weil

der Kern unserer Mitglieder mit all

seiner Energie aktiv am Wiederaufbau

jüdischen Lebens in der zweitgrößten

jüdischen Gemeinde Österreichs

arbeiten. Weil wir durch diese

unsere Arbeit versuchen, Graz wieder

für Juden, die Wert auf jüdisches

Leben legen, attraktiv zu

machen. Und weil gerade Bemerkungen

wie jene von Herrn Noah

Scheer dem Image der gegenwärtigen

Gemeinde nicht zuträglich

sind und diese Arbeit erschweren.

Für Herrn Scheer mag seine Äußerung

eine Randbemerkung sein,

für uns ist sie aber durch ihre Öffentlichkeit

nicht ohne Weiteres

hinzunehmen.

KV MMag. Elie Rosen,

Präsident der Jüdischen Gemeinde

Graz

-----------------------------

Eine kurze Stellugnahme

von Noah Scheer :

Sehr geehrte Redaktion,

Liebe LeserInnen,

mein Name ist Noah Scheer und

ich bin 24 Jahre alt. Ich habe in

meinem Leben schon einige Sta-

IHRE MEINUNG IST UNS WICHTIG

4 wına | Februar 2020


tionen durchlebt. Ich bin im wunderschönen

Graz geboren und aufgewachsen,

mit 16 Jahren in ein

Internat nach Israel gegangen, wo

ich auch die Schule abgeschlossen

habe. Mit 19 Jahren bin ich nach

Wien gezogen, um Medizin zu studieren.

Ich kann mit gutem Gewissen

sagen, dass ich „jüdisches Leben“

in Graz kennengelernt und

auch selbst erlebt habe. Ich bin dort

geboren, wurde dort beschnitten,

hatte meine Bar Mitzwa in der Grazer

Synagoge und bin in den Religionsunterricht

gegangen. Seit 2012

lebe ich nicht mehr in Graz. In dieser

Zeit hat sich bestimmt vieles verändert

weswegen ich nur limitiert Aussagen

über das aktuelle „jüdische

Leben“ dort treffen kann. Meiner

Meinung nach ist die Definition von

„jüdischem Leben“ jedoch sehr individuell

und bedeutet für jede und

jeden etwas ganz anderes.

Ich bin Zuhause mit wunderschönen

jüdischen Traditionen groß geworden.

Meine Eltern haben mir

Wissen und Bewusstsein für die jüdische

Religion, Kultur und Geschichte

weitergegeben. Dafür bin

ich sehr dankbar!

Gleichzeitig hat die Gemeinde versucht

eine gewisse Infrastruktur zu

bieten. Für mich war das Rückblickend

nicht was ich heute unter „jüdischem

Leben“ verstehe. Ich habe

„jüdisches Leben“ in Israel und Wien

nochmal ganz neu und anders kennengelernt.

Ich bin sehr froh über

all diese verschiedenen Eindrücke,

die ich gewinnen konnte und welche

mich in meinem jüdischen Bewusstsein

und Identität prägen.

Abschließend möchte ich betonen,

dass ich mich sehr freue, dass die

jüdische Gemeinde Graz und ihre

Leitung sich um das aktive jüdische

Leben bemühen und wachsen! Ich

möchte ihnen für ihr unermüdliches

Engagement und wertvolle Arbeit

danken und wünsche ihnen nur das

Beste für die Zukunft.

Noah Scheer

Präsident der Jüdischen

Österreichischen Hochschüler

Knapp 7.000

Überlebende,

davon etwa 500 ausgehungerte

Kinder, fanden die Soldaten der

sowjetischen Armee bei ihrer Befrei-

ung des KZs Auschwitz-Birkenau am

Lagergelände vor. Viele überlebten

ihre Befreiung nur um einige Stun-

den. Insgesamt mehr als 1,1 Mil-

lionen Menschen, davon etwa 90

Prozent Juden, , wurden hier, in der

größten Vernichtungsmaschinerie

der Nationalsozialisten, ermordet.

yad-vashem.org

ZITAT DES MONATS

„Eine kleine sprachliche

Sache fällt mir

immer wieder auf,

wenn ich Europa besuche,

insbesondere die

deutschsprachigen Länder.

Wenn die Leute mit mir reden

sprechen sie oft davon ‚was

damals passierte‘. ‚Damals‘,

das bedeutet dass früher,

in der Vergangenheit, Dinge

geschehen sind, die heute

nicht mehr geschehen; es ist

alles vorbei. Aber im Hebräischen,

oder im Jiddischen

(eigentlich in jeder Sprache,

wenn Juden über den Holocaust

sprechen) sagen die

Leute nie ‚damals‘. Sie sagen

‚dort‘. ‚Dort‘ bedeutet, dass

in diesem ‚dort‘ – nicht nur

in Deutschland, sondern im

Menschsein überhaupt – die

Dinge immer noch existieren.

Oder passieren. Und auf

alle Fälle ist es nicht vorbei.

Ganz bestimmt nicht für uns.“

David Grossman,

in Death as a way of Life

HIGHLIGHTS | 01

Knochen am

Gelände von

Auschwitz

freigeschwemmt

Durch riesige Regenmengen

wurden Ende Jänner tausende

Knochen auf dem Gelände des

ehemaligen Konzentrationslagers

freigelegt.

B esucher und Mitarbei-

ter der Gedenkstätte

Auschwitz-Birkenau alarmierten

nach der Entdeckung

der freigelegten Kno-

chen am Gelände die Mitarbeiter

der Organisation ZAKA und den

Dachverband für die Erhaltung

europäischer jüdischer Friedhöfe,

CPJCE.

Die Funde sind weit verstreut,

die meisten liegen um die ehemaligen

Krematorien im Todes-

lager Birkenau. Die Knochen

wurden vermutlich nach der Befreiung

von Bewohnern der Umgebung

im Lager zerstreut, wäh-

rend sie dieses gestürmt und

das Gelände nach Wertgegen-

ständen abgesucht haben.

Yehuda Meshi Zahav, Direktor

von ZAKA, betonte gegenüber

Journalisten von Ynet News, , dass

das Einsammeln der freigelegten

Knochen auf Grund der Menge

und der Größe des Fundortes

eine sehr komplexe Aufgabe sein

wird, für die seine Organisation in

jedem Fall humanitäre Unterstüt-

zung brauche. Wenige Tage vor

dem internationalen Holocaust-

gedenktag betonte er weiters,

dass nicht nur das Gedenken an

die Opfer selbst wichtig sei, son-

dern auch das Gedenken an ihre

Würde. red

wına-magazin.at

5


THEMA KURZTITEL

„Ich wünschte, sagen zu können:

Wir Deutsche haben für immer aus der

Geschichte gelernt. Aber das kann ich

nicht sagen, wenn Hass und Hetze sich

ausbreiten. Das kann ich nicht sagen,

wenn jüdische Kinder auf dem Schulhof

bespuckt werden. Das kann ich nicht

sagen, wenn unter dem Deckmantel

angeblicher Kritik an israelischer

Politik kruder Antisemitismus hervorbricht.

Das kann ich nicht sagen, wenn nur

eine schwere Holztür verhindert, dass ein

Rechtsterrorist an Jom Kippur in einer

Synagoge in Halle ein Blutbad anrichtet.

Natürlich: Unsere Zeit ist nicht dieselbe

Zeit. Es sind nicht dieselben Worte. Es

sind nicht dieselben Täter. Aber es ist

dasselbe Böse.“

Frank-Walter Steinmeier

Bundespräsident der Republik Deutschland

23. Jänner 2020, Yad Vashem

6

wına | Februar 2020


THEMA KURZTITEL

75. JAHRESTAG DER BEFREIUNG DES KZ AUSCHWITZ-BIRKENAU

Schuhe der Verschleppten und Ermordeten im

Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau.

In Auschwitz-Birkenau wurden mehr als

1.100.000 Juden, 70.000 Polen,

25.000 Sinti und Roma und etwa 15.000

Kriegsgefangene aus der Sowjetunion

und anderen Ländern ermordet.

© flash 90/Isaac Harari

„Umfragen zufolge geben mehr als

80 Prozent der Juden an, dass sie sich

heute in Europa unsicher fühlen. Mehr als

40 Prozent von ihnen geben an, dass sie

deshalb in Erwägung ziehen, den Kontinent

zu verlassen. […] In den letzten

Jahren sind jährlich etwa drei Prozent der

Juden aufgrund von Antisemitismus aus

Europa ausgewandert. Dies bedeutet,

dass es, wenn die aktuellen Trends

anhalten oder sich verschlechtern,

bis 2050 keine Juden mehr in Europa

geben könnte.“

Dr. Moshe Kantor

Stiftung World Holocaust Forum

23. Jänner 2020, Yad Vashem

wına-magazin.at 7


NEUES REGIERUNGSPROGRAMM

Kampf gegen

Antisemitismus

wird intensiviert

Handshake

gegen den

Antisemitismus:

Sebastian Kurz

und Werner

Kogler.

Das Regierungsprogramm von ÖVP

und Grünen setzt dabei an verschiedenen

Hebeln an: Im Visier ist sowohl

Antisemitismus von rechts wie auch

von islamistischer Seite. Das Kulturamt

ist nun im neuen Integrationsressort

angesiedelt. Eine Zusammenschau des

Arbeitsübereinkommens von Türkis

und Grün von Alexia Weiss.

ie neue türkis-grüne Regierung unter Kanzler

Sebastian Kurz und Vizekanzler Werner

Kogler hat sich auf verschiedenen

Ebenen dem Kampf gegen Antisemitismus

verschrieben und stellt

sich dabei, wie es im Koalitionsprogramm

formuliert wird, „an die Spitze

des Kampfes gegen Antisemitismus“.

Dabei soll ein ganzes Maßnahmenbündel

„gegen Extremismus und Terrorismus“

geschnürt werden. Aber auch

außenpolitisch will sich Österreich vor allem

auf europäischer Ebene „gegen Antisemitismus

und Antizionismus“ einsetzen.

Angeführt wird dabei „die konsequente Umsetzung

der 2018 angenommenen Ratserklärung

zur Bekämpfung von Antisemitismus in Europa“.

Österreich habe, wird festgehalten, „eine

besondere historische Verantwortung und aktuelle

Verbindung zum Staat Israel. Wir bekennen

uns zum Staat Israel als jüdischem und demokratischem

Staat sowie zu dessen Sicherheit.

Das Existenzrecht Israels darf nicht in Frage

gestellt werden.“ Österreich werde daher Initiativen

und Resolutionen in internationalen

Organisationen nicht unterstützen, die dem Bekenntnis

Österreichs zu Israel zuwiderlaufen.

In Sachen Nahostpolitik kündigt die neue Regierung

an, sich „für nachhaltige Friedenslösungen

im Nahen Osten“ einzusetzen, „im Falle des

israelisch-palästinensischen Friedensprozesses

mit dem Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung“. Der

Staat Israel solle in anerkannten und dauerhaft

sicheren Grenzen in Frieden neben einem unabhängigen,

demokratischen und lebensfähigen

palästinensischen Staat leben können. Österreich

werde zudem wie bisher zivilgesellschaftliche

israelisch-palästinensische Friedensinitiativen

unterstützen „und auch seinen Einsatz

für den Aufbau demokratischer palästinensischer

Institutionen und nachhaltiger Kommunal-

und Sozialeinrichtungen fortsetzen“.

National will die Regierung den Kampf gegen

Antisemitismus auf den verschiedensten Ebenen

angehen. Geplant ist die Erstellung eines

„Aktionsplans gegen Rechtsextremismus und

gegen den religiös motivierten politischen Extremismus

(politischer Islam)“ sowie eines „Aktionsplans

gegen Rassismus und Diskriminierung“.

An konkreten Maßnahmen gegen Antisemitismus

von rechter Seite nennt das Regierungsprogramm

dabei zum Beispiel die Verankerung

einer Forschungsstelle Rechtsextremismus und

Antisemitismus im Dokumentationsarchiv des

Österreichischen Widerstandes (DÖW), die

auch wieder einen jährlichen Rechtsextremismusbericht

erstellen soll. Künftig sollen auch

rechtsextreme Burschenschaften wieder beobachtet

und deren Aktivitäten entsprechend

eingeschätzt werden. Eingerichtet werden soll

eine mobile Kompetenzstelle gegen Rechtsextremismus,

Rassismus und Gewalt. Eine Informations-

und Aufklärungskampagne gegen

Rechtsextremismus und gruppenbezogene

Menschenfeindlichkeit soll Bewusstsein schaffen.

Eine Internetplattform soll über Rechtsextremismus

informieren. Distanzierungsarbeit

und Ausstiegsmöglichkeiten vor allem nach dem

Strafvollzug sollen zur Deradikalisierung beitragen.

Ins Visier nimmt die Regierung aber auch

verstärkt mögliche Bedrohungen von islamistischer

Seite. Vorgesehen ist die „Schaffung einer

unabhängigen staatlich legitimierten Dokumentationsstelle

zur wissenschaftlichen

© Georges Schneider/picturedesk.com

8 wına | Februar 2020


KAMPF GEGEN ANTISEMITISMUS

Erforschung, Dokumentation und Aufbereitung

von Informationen über den religiös motivierten

politischen Extremismus (politischer

Islam) sowie zur besseren Koordination der Präventions-

und Aufklärungsarbeit (nach Vorbild

des DÖW)“.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und

Terrorismusbekämpfung (BVT) soll neu aufgestellt

werden – als eines der Ziele wird die „Wiederherstellung

des Vertrauens seitens der Bevölkerung

und von Partnerdiensten“ angeführt.

Schwerpunkte der Arbeit des BVT sollen künftig

„rechtsextremer und politisch religiös motivierter

Extremismus“ sein.

Stärker ahnden will die Regierung zudem

„Gewalt und Hass im Netz“. Eingeführt werden

soll dabei etwa eine Ermittlungspflicht der

Strafverfolgungsbehörden. Opfer sollen stärker

als bisher unterstützt werden – dazu sollen

rechtliche Instrumente entwickelt werden, damit

sich Betroffene effektiver als bisher gegen

Hass im Netz zur Wehr setzen können. Geprüft

werden soll außerdem, wie Betroffene Sperren

gegen Accounts beantragen können, wenn

rechtswidrige Äußerungen festgestellt wurden.

In Sachen Erinnerungskultur wollen Türkis und

Grün eine Gedenkstrategie entwickeln „mit

dem Ziel, die unterschiedlichen Rechtsträger

der österreichischen Gedenkstätten, Sammlungen

und Museen zusammenzuführen unter dem

Dach des Parlaments die dauerhafte Finanzierung

sicherzustellen“. Die KZ-Gedenkstätte

Mauthausen soll weiterentwickelt werden und

dabei auch die Gedenkstätte Gusen angekauft

werden. Für Jugendliche soll es Erinnerungsangebote

inner- und außerhalb der Schulen geben.

Der Gedenkdienst (im Rahmen des Zivildienstes)

soll aufgewertet werden, die Trägerorganisationen

will die türkis-grüne Koalition

stärken.

Umgesetzt werden soll auch die Namensmauer

für Opfer der Schoah – und alle Schüler

und Schülerinnen sollen zumindest einmal

in ihrer Schulzeit die KZ-Gedenkstätte Mauthausen

besuchen können.

Ausbauen möchte die Regierung die Provenienzforschung.

Konkret heißt es dazu: „Provenienzforschung

und Kunstrückgabe sind ein

weltweites Erfolgsmodell und sollen jedenfalls

aufgrund des Kunstrückgabegesetzes auch in

der Stiftung Leopold weitergeführt werden. Die

Provenienzforschung sollte jedenfalls auch bei

Dauerleihgaben stattfinden.“

Neu ist, dass das Kulturamt in den Zuständigkeitsbereich

der Integrations- und Frauenministerin

Susanne Raab fällt. Insgesamt fällt im Regierungsprogramm

die starke Verknüpfung von

Religion und Integration auf, Beispiel Religionsunterricht:

Dieser soll „integrationsfördernd“

gestaltet sein. „In diesem Sinn soll sich der Religionsunterricht

an pädagogischer Qualität

und staatsbürgerlicher Erziehung orientieren,

unter anderem durch den stärkeren Austausch

der Schulaufsicht mit der Fachaufsicht.“ Bücher

und Materialien des Religionsunterrichts

sollen auch in Hinblick auf verfassungsrechtliche

Werte wie der Gleichstellung der Frau geprüft

werden – „Ziel unseres Bildungssystems ist

die Heranbildung freier, gebildeter, aufgeklärter

Menschen“. Verstärkte Kontrollen soll es dabei

auch in Kindergärten und Privatschulen geben.

Mehrmals wird dabei angeführt, dass „insbesondere

islamische“ Einrichtungen oder der „islamische

Religionsunterricht“ gemeint sei. Andere

Religionsgemeinschaften sind allerdings hier

nicht ausdrücklich ausgenommen – insgesamt

wird angeführt, dass es „klare Qualitätsstandards“

für alle, auch private Bildungseinrichtungen geben

müsse und es neue Errichtungsverfahren für

Privatschulen geben werde. Nur den Islam betrifft

das Kopftuchverbot für Schülerinnen bis

zum Alter von 14 Jahren.

Einsetzen will sich die Regierung aber auch

gegen die Bildung von Parallelgesellschaften.

Die neue Dokumentationsstelle für religiös motivierten

politischen Extremismus (politischer

Islam) soll einen jährlichen Bericht zur Entstehung

von Parallelgesellschaften beziehungsweise

„segregierten Milieus“ in Österreich erstellen.

Auch außenpolitisch

will

sich Österreich

vor allem auf

europäischer

Ebene „gegen

Antisemitismus

und Antizionismus“

einsetzen.

wına-magazin.at

9


INTERVIEW MIT WERNER DREIER

WINA: Sie sind Geschäftsführer von erinnern.at.

Wie sind Sie persönlich zu den Themen Holocaust

und Antisemitismus gekommen, denen dieser Verein

gewidmet ist?

Werner Dreier: Seit meinen Forschungen zur Vorarlberger

Landesgeschichte in den Zwanziger- und

Dreißigerjahren wurde ich das Thema Antisemitismus

nicht mehr los: 1988 gab ich einen Sammelband

zu „Antisemitismus in Vorarlberg“ heraus, und heute

arbeiten wir innerhalb von erinnern.at an aktuellen

Lernmaterialien. Ich wurde auch durch Begegnungen

mit ZeitzeugInnen geprägt, unvergesslich blieben

mir die Schulbesuche von Max Schneider, die

ich als junger Lehrer begleiten durfte.

Wie sieht Ihre Bilanz nach den ersten 20 Jahren

aus?

I Meine persönliche Bilanz ist etwas zwiespältig,

denn man könnte sagen, wir sind dabei, erfolgreich

zu scheitern. Einerseits erreichen wir hunderte Lehrpersonen,

die interessiert und engagiert sind und sich

auf einem hohen professionellen Niveau mit der Geschichte

des Nationalsozialismus, aber auch mit den

Folgen dieser Geschichte für unsere heutige Gesellschaft

auseinandersetzen. Wir sehen insbesondere

bei unseren jüngeren KollegInnen ein wachsendes

Interesse. Auch die Bereitschaft, ZeitzeugInnen einzuladen,

wächst, und es gibt einen sehr wertschätzenden

Umgang mit diesen. Es gelingt uns, den Holocaust

und den Umgang mit dem Völkermord an den

Jüdinnen und Juden in den Schulen in Österreich zu

einem relevanten Thema zu machen, und wir finden

interessierte Lehrer und Jugendliche. Das ist wirklich

sehr ermutigend und gar nicht selbstverständlich.

Andererseits beobachten wir in den letzten Jahren

Seit 20 Jahren kämpft der Verein erinnern.at vor

allem in Schulen gegen das Vergessen national-sozialistischer

Verbrechen. Seit 20 Jahren bringt sein Yad-

Vashem-Projekt österreichische Lehrpersonen zu Seminaren

nach Israel. Der Vorarlberger Historiker

Werner Dreier ist von Anfang an dabei.

Interview: Anita Pollak

„Der Begriff

Antisemitismus

ist

im neuen

Regierungsprogramm

sehr häufig

erwähnt.“

Werner Dreier

mit zunehmendem Erschrecken, wie der Antisemitismus,

der Antisemitismus in Zusammenhang

mit Israel, der Rassismus, der übersteigerte Nationalismus

auch in unserer Gesellschaft virulent sind.

Und da kann man sich schon manchmal fragen, ob

wir nicht erfolgreich scheitern.

In den letzten Jahren hat sich nicht zuletzt durch

die gesteigerte Zuwanderung von Menschen aus

islamischen Ländern, die mit dem Thema Holocaust

überhaupt nichts anfangen können, gesellschaftlich

einiges geändert. Man spricht auch von

einem importierten Antisemitismus. Beobachten

Sie das auch im schulischen Milieu?

I Was den Antisemitismus betrifft, so gibt es in allen

österreichweiten Befragungen zwischen einem

Viertel bis zu einem Drittel Menschen, die sich

auf die eine oder andere Weise antisemitisch äußern.

Das variiert in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen

ein bisschen. Es scheint einerseits

einen Zusammenhang mit der Bildung zu geben,

andererseits sehen wir doch, dass sich auch hochgebildete

Menschen antisemitisch äußern oder sogar

agitieren. Mit der Vorstellung, dass Antisemitismus

mit höherer Bildung verschwindet, und der

10 wına | Februar 2020


VIRULENTER ANTISEMITISMUS

WERNER DREIER

geb. 1956 in Bregenz, studierte

Geschichte und Germanistik,

war Lehrer und forschte und

publizierte zu Antisemitismus

und Nationalsozialismus. Seit

2000 Aufbau und Leitung von

erinnern.at, dort verantwortlich

für Lehrerbildung und EntwicklungvonUnterrichtsmaterialien,

zuletzt der Lern-App „Fliehen

vor dem Holocaust“. Mitglied

der österreichischen Delegation

zur International Holocaust

Remembrance Alliance (IHRA).

Beriet OSZE/ODIHR und Unesco

zu lehren und lernen über und

gegen Antisemitismus.

© privat

Zuweisung des Antisemitismus an Zuwanderergruppen

sollte man also vorsichtig sein.

Bei den Lehrpersonen, die mit uns zu den Seminaren

nach Israel nach Yad Vashem fahren, sind

manchmal auch muslimische Lehrkräfte dabei. Sie

haben teilweise andere Fragen und einen anderen

Hintergrund, aber sie sind gleichermaßen interessiert.

Deshalb fahren sie ja mit zu diesen anspruchsvollen

Seminaren. Lehrpersonen berichten uns auch

von migrantischen Kindern, deren Interesse an der

Frage von Massengewalt und Völkermord trotz anderer

kultureller und historischer Hintergründe ein

großes ist.

Beobachtet man konkret antisemitische Vorurteile

im schulischen Milieu, und was bedeuten die

gestiegenen Zahlen für Ihr Projekt?

I Es gibt Untersuchungen etwa in berufsbildenden

Schulen, die sagen, ja, es gibt einen bedenklichen

Anteil von antisemitischem Sprechen, z. B. an Berufsschulen.

Ich kenne keine validen Zahlen, was

dabei die Zuwanderer betrifft, es gibt aber Beobachtungen,

dass es bei muslimischen Jugendlichen

einen etwas höheren Anteil von antisemitischen

Äußerungen insbesondere im Zusammenhang mit

Israel gibt als in der Restbevölkerung. Für uns bedeutet

es, dass wir unsere Bemühungen in der Aufklärungsarbeit

über Antisemitismus und in der Präventionsarbeit

gerade in Berufsschulen verstärken.

Wie funktioniert das konkret?

I Wir entwickeln gerade gemeinsam mit bayrischen

und schweizerischen KollegInnen ein Projekt, das

Lehrpersonen in ihrer Ausbildung jene professionellen

Fähigkeiten und Kompetenzen, Haltungen

und Motivationen vermittelt, die es ihnen dann ermöglichen,

in ihrer Arbeit besser mit Antisemitismus

und Ähnlichem umgehen zu können. Weiters

bieten wir adäquate Materialien für heterogene

Klassen mit Jugendlichen ganz unterschiedlicher

wına-magazin.at

11


PROJEKT FLUCHTPUNKTE

Herkünfte an, in denen möglichst viele Jugendliche

einen Anknüpfungspunkt finden sollen. Das

heißt einen Punkt des Interesses, bei dem sie auch

empathisch sein können. Ein solches ist das Projekt

Fluchtpunkte. Dabei geht es um Menschen, die sich

in der Geschichte des 20. Jahrhunderts zwischen

dem Nahen Osten und dem europäischen Raum

bewegen, wie die Flucht von jüdischen Menschen

aus Europa nach Palästina oder die Flucht heute

von Syrien nach Europa, und dass man über diese

Flucht- und Migrationserfahrungen Lernen generieren

kann.

Sind derartige Ziele im Lehrplan festgeschrieben?

IDer Lehrplan in Österreich stellt nur einen Rahmen

dar, der aber diese Inhalte in den Schulen möglich

macht. In den meisten Lehrplänen ist auch das

Thema Antisemitismus verankert, d. h. es gibt Ankerpunkte,

die eine Bearbeitung dieses Themas notwendig

machen. Ebenso sind Nationalsozialismus

und Holocaust in allen österreichischen Schulen als

Lehrplaninhalte vorgesehen.

Inwiefern korreliert das mit dem Yad-Vashem-Projekt,

in dem es um persönliche Erfahrungen der

Lehrpersonen geht? Welche Auswirkungen zeigen

sich da?

I Es hat sich aus den hunderten persönlichen Kontakten

an vielen wichtigen Plätzen und Institutionen

in Österreich ein sehr schönes und tragfähiges

Netzwerk herausgebildet, das für uns sehr wichtig

ist, wenn wir z. B. Seminare anbieten oder Schulen

für Testungen neuer Lernmaterialien suchen. Mittlerweile

sind diese Seminare ja auch Teil von Hochschullehrgängen,

in die sie integriert sind, etwa der

Lehrgang über Pädagogik an Erinnerungsorten in

Oberösterreich.

Apropos Gedenkstättenpädagogik. Gibt es da vermehrt

Initiativen, Jugendliche an Holocaust-Orte

heranzuführen, oder kommt man davon eher ab.

Wie ist da die Tendenz?

I Es gab einen Erlass des Unterrichtministeriums,

der den Besuch von Gedenkstätten fördern sollte,

und es gibt auch von unserer Seite dazu viele Initiativen,

im Wesentlichen die Gedenkstätte in Mauthausen,

aber auch die Gedenkstätte Auschwitz betreffend.

Wir erarbeiten im Moment Materialien für die

neue Ausstellung der Gedenkstätte Auschwitz, und

erinnern.at ist auch in Mauthausen mit der Vor- und

Nachbereitung des Gedenkstättenbesuchs befasst.

DAS YAD-VASHEM-

PROJEKT

Seit dem ersten

Seminar für österreichische

Lehrpersonen

an der Gedenkstätte

Yad Vashem im Herbst

2000 besuchten fast

800 Lehrerinnen und

Lehrer in insgesamt

34 Seminaren Israel.

Dort erlebten sie an der

International School for

Holocaust Studies und

für einige Tage auch

am Center for Humanistic

Education an der

Gedenkstätte Lohamei

Hagetaot ein jeweils

zweiwöchiges Seminar.

Die Seminarkosten

werden vom Bundesministerium

für Bildung,

Wissenschaft und

Forschung getragen.

„Es gibt einen

bedenklichen

Anteil

von antisemitischem

Sprechen,

z. B. an Berufsschulen.“

Werner Dreier

Im Moment sind wir auch an einem neuen internetbasierten

Projekt beteiligt: einer Geodaten referenzierten

Landkarte zu NS-Erinnerungsorten, die für

unterschiedliche Endgeräte optimiert ist und einen

Besuch von regionalen, lokalen Gedenkorten sowie

eine Auseinandersetzung mit diesen ermöglichen soll.

Welchen Stellenwert haben die Aufarbeitung des

Holocaust und das Problem des steigenden Antisemitismus

im Programm der neuen Regierung?

I Der Begriff Antisemitismus ist darin jedenfalls sehr

häufig erwähnt, ebenso findet das Gedenken an den

Nationalsozialismus Erwähnung, und auch unsere

Arbeit ist im Regierungsprogramm angesprochen.

Ich bin optimistisch, dass es sich nicht nur um Lippenbekenntnisse

handelt, sondern auch um substanzielle

Inhalte.

Wie wird sich das im Budget niederschlagen, denn

derlei Initiativen kosten ja etwas?

I Das ist die Kernfrage, daran wird es sich zeigen, wie

ernsthaft das gemeint ist. Wir arbeiten seit 20 Jahren

unter ganz unterschiedlichen Regierungen und haben

das große Glück, auf der Beamtenebene immer

starke Unterstützung zu finden. Martina Maschke

und Manfred Wirtitsch vertreten das Unterrichtsministerium

im Vorstand von erinnern.at, und ich

erwarte mir die Fortsetzung dieser positiven Entwicklung.

Aus Ihrer Arbeit erwächst auch eine intensive Beziehung

zu Israel. Ist diese eine Einbahnstraße, oder

kommt da ein Austausch zustande?

I Wir sind gerade in einem sehr schönen Projekt, einem

Schulbuchdialog mit Israel involviert. Da analysieren

wir gemeinsam die österreichischen und israelischen

Schulgeschichtsbücher und untersuchen,

wie Themen wie jüdische Geschichte, Nationalsozialismus,

Antisemitismus und Israel in österreichischen

Geschichts- und Geografiebüchern dargestellt

werden. Die israelischen KollegInnen analysieren die

Darstellung Österreichs in israelischen Schulbüchern.

Das ist ein teilweise sehr komplexer Dialog.

Welche Rolle spielt Österreich in diesen israelischen

Schulbüchern?

I Josef II. und die Anerkennung der jüdischen Religion

wie auch der Zionismus und Herzl spielen zum

Beispiel eine größere Rolle, während interessanterweise

der Nationalsozialismus im Wesentlichen als

deutsches Phänomen abgehandelt wird.

12 wına | Februar 2020


AUSGANGSPUNKT SCHULPROJEKT

Zwei Ringe

der Erinnerung

Seit Kurzem hat die obersteirische Stadt Judenburg ein Denkmal

für ihre einstige jüdische Gemeinde, aber nicht bloß für

jene vor 1938, sondern auch für die im 15. Jahrhundert.

InitatorInnen.

Künstler Clemens

Neugebauer,

Katja Heiden,

Professorin am

Judenburger Gymnasium,

Michael

Schiestl, Leiter des

Stadtmuseums.

(v. l. n. r.).

Text und Fotos: Reinhard Engel

Es sind vom Hauptplatz hierher

nur wenige Schritte. Auf

einem kleinen, etwas erhöhten

Rasenstück zwischen

engen Gässchen steht das

Denkmal zur Erinnerung an die ausgelöschte

jüdische Gemeinde: „Zwei Ringe

im Strom der Zeit.“ Es handelt sich um

elliptische weiße Betonskulpturen, in die

stählerne gekrümmte Platten eingefügt

sind. „Wenn man die Ringe betritt, und

das soll man auch, kann man gegen das

Licht die aus dem Stahl herausgefrästen

Namen lesen“, erklärt Katja Heiden, Professorin

für bildnerische Erziehung am

Judenburger Gymnasium und Initiatorin

des Denkmals.

Es gibt auch an anderen Orten Tafeln

mit den Namen vertriebener und ermordeter

Jüdinnen und Juden, meist geht es

dabei um die Opfer der Nazi-Verfolgung

ab 1938. Ihrer wird auch hier gedacht, aber

eben nicht ausschließlich. „Das Denkmal

steht im alten jüdischen Viertel“, erklärt

Michael Schiestl, Leiter des Stadtmuseums,

denn „es gab im 15. Jahrhundert

hier eine blühende jüdische Gemeinde.“

40 Namen aus der Zeit vor der Vertreibung

1496 stehen auf einem der beiden

Ringe, 97 weitere von 1938 auf dem zweiten.

„Man muss betonen, dass diese Listen

nicht wirklich vollständig sind“, so Frau

Heiden.

Gestaltet und errichtet wurde das

Denkmal vom steirischen Künstler Clemens

Neugebauer (siehe Kasten: Erinnerung

auch in Leoben). Er verweist noch

auf weitere Details der Plastik: „Die Ringe

sind unterbrochen als Symbol für die brutale

zweimalige Unterbrechung der Leben

der Judenburger Juden. Und auch die

Stahlplatten mit den Namen sind nicht

makellos. Sie zeigen Spalten, Risse wie

Blitze, so wie das Unheil ganz plötzlich

über diese Menschen hereingebrochen

ist.“ Die mit einer Art Edelrost überzogenen

Stahlplatten hinterlassen nach jedem

Regen ihre Spuren auf dem weiß gestrichenen

Betonrund – je nach Interpretation

bluten oder weinen sie.

Auch wenn Neugebauer für die Umsetzung

verantwortlich zeichnet, geht das

Ring-Denkmal auf die Ideen und Konzepte

einer größeren Gruppe zurück. Der

Ausgangspunkt war dabei eine Schulprojekt,

das Heiden initiierte und über Jahre

hin weiterverfolgte, bis zur praktischen

physischen Umsetzung im Herbst 2019.

Brutale Endpunkte. Beteiligt waren

Schülerinnen und Schüler aus Judenburg

und aus der Wiener Zwi-Perez-Chajes-

Schule. Der ursprüngliche Entwurf von

Jonathan Djanachvili, Magdalena Winter,

Daniela Gruber-Veit, Nechama Zvia

Hermon, Teresa Mösslacher, Christina

Pally und Helene Riegelhaupt wurde

später adaptiert. Er hatte für die beiden

Ringe noch Mosaiken vorgesehen, auf

diese wurde aber aus praktischen Gründen

und der Furcht vor frühzeitiger Verwitterung

schließlich verzichtet. Die endgültige

Form entstand im Schuljahr 2017/18

in Judenburg gemeinsam mit dem Atelier

Neugebauer.

wına-magazin.at

13


JÜDISCHES LEBEN

Doch das Projekt hatte viel früher

und grundlegender begonnen, auch unter

Einbindung von Geschichts- und Religionslehrern.

„Nachdem es hier kein jüdisches

Leben mehr gibt, wollten wir den

Jugendlichen dieses vermitteln. Man arbeitet

nicht über jemanden, sondern mit

jemandem.“ Also nahm Heiden Kontakt

mit ihrer Kollegin Anna Erdelyi an der

ZPC-Schule auf. „Wir haben uns sofort

verstanden und sind heute gut befreundet.“

Das Projekt sollte dann die steirischen

Jugendlichen einer siebenten Klasse nach

Wien führen, wo sie die ZPC-Schule

besuchten sowie das Museum am Judenplatz.

Hier konnten sie erstmals mit

jüdischen Gleichaltrigen diskutieren. Umgekehrt

reisten die jüdischen Wiener Kids

in die Obersteiermark, erhielten vom Museumsleiter

Schiestl einen Überblick über

die Gemeindegeschichte von Judenburg,

über Blütezeiten und brutale Endpunkte,

besuchten die ehemals jüdischen Orte

in der Stadt. Erst dann arbeiteten sie in

Teams an den künstlerischen Entwürfen

für das künftige Denkmal.

Dieses war das vordergründige Ziel des

Projekts, und die Gemeinde Judenburg

hatte sich bereiterklärt, es zu finanzieren.

Dahinter aber stand eine viel gegenwärtigere

Absicht, im Konzept so formuliert:

„Ein weiteres Ziel war es, dass den

Jugendlichen im Rahmen dieses Projekts

die Möglichkeit gegeben wurde und wird,

einander zu begegnen, Verschiedenartigkeit

in der Kultur, Religion und Identität

zu erfahren, aber vor allem auch Gemeinsamkeit

zu erleben, übereinander etwas zu

lernen und einander zu verstehen.“

„Allein hätten wir das nicht machen

können“, gibt sich Heiden realistisch. „Es

hat nicht zuletzt auch deshalb funktioniert,

weil die jüdischen Schüler da waren

und andere mitgezogen haben.“ Und

es war auch in Judenburg eine besonders

kreative, intelligente Klasse

in diesem Jahrgang. Heiden,

nachdenklich: „Mit

manchen anderen wäre das

eventuell nicht gegangen.“

Wie ist sie eigentlich zu

dem Thema gekommen?

„Ich stamme aus Graz und

habe vor meiner Arbeit hier

an der Schule in Wien gelebt.

Ich habe zunächst einmal

einfach wissen wollen,

woher der Name Judenburg

kommt.“ Und sie hatte be-

40 Namen aus

der Zeit vor der

Vertreibung 1496

stehen auf einem

der beiden Ringe,

97 weitere von

1938.

„Die Ringe sind unterbrochen

als Symbol

für die brutale

zweimalige Unterbrechung

der Leben der

Judenburger Juden.“

Clemens Neugebauer

Begegnung bei den Entwürfen für das Denkmal:

Schülerinnen und Schüler aus Judenburg

und der Wiener Zwi-Perez-Chajes-Schule.

14 wına | Februar 2020


OBERSTEIERMARK

reits gute Erfahrungen mit Schulprojekten

gesammelt, wusste, dass man auch

fächerübergreifend viel erreichen kann,

wenn man die Jugendlichen fordert. Was

war der politisch-historische Hintergrund

in der steirischen Stadt selbst? Der Historiker

Schiestl, der einiges über das jüdische

Leben in der Region publiziert hat,

wählte bei der Eröffnung im Herbst 2019

klare Worte:

„Von der Geschichte der Judenburger

Juden zu erzählen, das heißt in erster

Linie, sich durch ein Dickicht von Legenden,

von Mythen und Vorurteilen zu

bewegen, die Jahrhunderte lang und bis

in die Gegenwart diese Geschichte verdunkelt

und bis zur Unkenntlichkeit entstellt

haben. Und es gehört wirklich zu

den bedauernswerten Kapiteln der lokalen

Geschichtsschreibung, dass sie dieser

Legendenbildung nicht nur nichts entgegengesetzt

hat – nämlich die schlichten

Fakten, die aus den Schriftquellen zu erzählen

wären –, sondern sie hat an dieser

Mythenbildung und vor allem am Verfälschen

und am Verschweigen aktiv mitgewirkt.

[…] Die Geschichte der Juden

bleibt dabei so gut wie unsichtbar, wie ein

unliebsames und […] aus der Art geschlagenes

Mitglied der Verwandtschaft, dessen

Existenz man lieber verschweigt, weil

man sich sonst unangenehmen Fragen zu

stellen hätte.“

Stadt jüdischer Gelehrsamkeit. Schiestl

erinnerte in seiner Rede an die blühende

kleine mittelalterliche jüdische Gemeinde

von Judenburg „mit einer umfassenden

religiösen Infrastruktur, mit einer Synagoge,

mit rituellem Bad, einem Spital, einem

Friedhof und anderen sozialen und

Erinnerung an

den jüdischen

Friedhof und die

Zeremonienhalle

im obersteirischen

Leoben.

religiösen Einrichtungen“. Judenburg war

auch eine Stadt jüdischer Gelehrsamkeit,

wie Pergamentfunde belegten. Geblieben

sei aber nur das Vorurteil vom jüdischen

Geldverleiher, damals eine der wenigen

ökonomischen Aktivitäten, die der Landesfürst

den Juden zugestand, bis er sie

wieder vertreiben ließ.

Und auch zu den Jahren 1938 und 1945

fand der Historiker klare Worte, nämlich

„dass bei diesem Diebeszug durch die jüdischen

Geschäfte und Häuser alles geraubt

wurde, was den neuen ‚Herrenmenschen‘

begehrenswert erschien: Möbel, Kleidungsstücke,

Motorräder, Automobile,

Teppiche, Musikinstrumente, Schmuck,

Geschirr […], ganze Privatsammlungen,

z. B. Porzellan- und Zinngeschirrsammlungen,

und Bibliotheken haben praktisch

über Nacht den Besitzer gewechselt.“

Schon im November 1938 wurde

der Gauleitung in Graz stolz gemeldet,

die Stadt sei „judenfrei“.

Darüber hinaus möge man nicht vergessen,

„dass die meisten Protagonisten

und die Profiteure dieses Raubzuges

nach 1945 als ehrenwerte Bürgerinnen

und Bürger weiterhin für das Wohl dieser

Stadt gewirkt haben und ihre Mordsgesinnung

an die folgenden Generationen

weitergeben durften.“

„Es ist wirklich einer der bitteren postumen

Siege des Nationalsozialismus, dass

er nach der Vertreibung und nach der Ermordung

der meisten jüdischen Familien

dieser Stadt auch das Wissen und die Erinnerung

an diese reiche und lebendige

jüdische Tradition ausgelöscht hat.“ Dem

solle das Denkmal und die kreative Zusammenarbeit

der Jugendlichen deutlich

Widerspruch entgegensetzen.

ERINNERUNG

AUCH IN LEOBEN

C

lemens

Neugebauer, der

Künstler, der für die Umsetzung

des Judenburger

Denkmals verantwortlich zeichnet,

hat sich nicht zum ersten

Mal mit der unrühmlichen Vergangenheit

der Obersteiermark auseinandergesetzt.

Er ist ein vielseitig kreativer Kopf: Musiker,

Komponist, Keramiker, Maler, Unternehmer.

In seiner Firma „3D Kunst“ hat er

etwa den riesigen stählernen Stier am Red-

Bull-Ring in Spielberg geplant und aufgestellt

und auch das mächtige Bühnenbild

für Verdis Aida im burgenländischen Steinbruch

St. Margarethen aus Styroporteilen

gefertigt.

In seinen Jahren als Kunsterzieher am Leobener

Gymnasium betreute er zwei historische

Projekte. Im ersten ging er mit einer

siebenten Klasse der Lebensgeschichte

des 1921 in Leoben geborenen jüdischen

Violinisten und Bratschisten Gideon Röhr

nach. Dieser hatte als Kind in Leoben an

der Musikschule seine Grundausbildung erhalten

und dann – nach der Flucht mit seinen

Eltern nach Palästina – in Israel und in

Schweden Karriere gemacht. Bei diesem

Projekt fanden die Jugendlichen heraus,

dass es bis 1938 im Haus der Musikschule

einen jüdischen Betraum gegeben hatte.

Heute erinnern daran – und an Röhr – zumindest

Wandtafeln.

In einem weiteren Projekt forschte Neugebauer

mit 18-jährigen Mädchen zum einstigen

jüdischen Friedhof in Leoben. „Er war

in einer Ecke an der Mauer des großen städtischen

Friedhofs untergebracht“, erzählt er.

„Die Nazis haben alle Grabsteine geraubt

und für den Straßenbau verwendet, die

Gräber selbst sind geblieben, man weiß nur

nicht, wer wo liegt.“ Als Erinnerung setzten

die Schülerinnen 57 Granitplatten in eine

Wiese, die Namen der hier begrabenen Jüdinnen

und Juden findet man an einer Tafel

an der Friedhofsmauer. Und auch die Umfänge

der längst abgerissenen kleinen jüdischen

Zeremonienhalle machten die Schülerinnen

mit einer Art Fundament wieder

sichtbar. Es reicht sogar über die heutige

Friedhofsmauer hinaus bis zur Straße.

wına-magazin.at

15


LEBEN MIT BRÜCHEN

Frauen bot das Exil auch

NEUE PERSPEKTIVEN

Die Arbeitsgemeinschaft „Frauen im Exil“ forscht seit 2002 im Rahmen der

Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung zu Lebensgeschichten von

Frauen, die aus Österreich geflüchtet sind. Das Gros dieser Arbeit erfolgt unbezahlt.

Insgesamt ist die Exilforschung unterdotiert und konnte bisher nicht

an den Universitäten breit etabliert werden. WINA machte einen Blick darauf,

was diese Art der Forschung leistet.

Text: Alexia Weiss, Foto: Daniel Shaked

Susanne Bock hat sich den Traum eines

Universitätsstudiums erst spät erfüllt.

1978, bereits im Ruhestand, begann

sie, Sprachwissenschaft und Anglistik

zu studieren. 1983 schloss sie mit dem Magisterium

ab, 1993 setzte sie ein Doktorat darauf.

Ihre Vita ist durchzogen von Brüchen – doch

eines hat sie nie verloren: ihre Kraft. Heute lebt

sie, fast 100-jährig, in einem Seniorenheim in

Wien.

Geboren wurde sie 1920 als Susanne Hackl.

Die jüdische Familie lebte im neunten Bezirk

in eher ärmlichen Verhältnissen. Bocks Elternhaus

war assimiliert. Politisch sozialisiert

wurde das Mädchen bei den Roten Falken. Sie

war eine gute Schülern und schaffte den Übertritt

von der Hauptschule

in das Gymnasium. Fast

führte ihr politisches Engagement

jedoch dazu,

dass sie von der Schule

flog: Ab Februar 1934

galten ihre politischen

Aktivitäten als illegal, 1936 wurde sie verhaftet

und für einige Tage inhaftiert. Es gelang jedoch,

den Schulausschluss zu verhindern. Ab

April 1938 musste sie – da war sie bereits in

der Maturaklasse – eine jüdische Sammelklasse

besuchen. Die Matura konnte sie im Juni noch

ablegen, sofort danach flüchtete sie aus Wien.

In Cesenatico hatte sie im Sommer 1937 in

einem Ferienheim Wolfgang Bock kennengelernt.

Ihre Jugendliebe musste sie jedoch zurücklassen,

als sie erneut nach Italien aufbrach.

Mailand war die erste Station ihres Exils: Dort

arbeitete sie bis Februar 1939 als Kindermädchen.

Dann floh sie erneut, gelangte über

Frankreich nach England. Es folgten ein Umzug,

eine Umschulung, eine neue Tätigkeit auf

die andere. In Surrey arbeitete sie zunächst als

Hilfskraft in einem Rekonvaleszentenheim, in

Ilse Korotin: Die

Historikerin und Soziologin

leitet aktuell

die 2002 gegründete

Frauen-AG.

16 wına | Februar 2020


EXISTENZ NEU AUFBAUEN

Die Frauen-AG. Kathrin Sippel,

Traude Bollauf, Primavera Driessen

Gruber, Elisabeth Lebensaft (sitzend

von links) und Katharina Prager, Ilse

Korotin, Irene Messinger, Ursula Stern

(stehend von links).

Bristol begann sie über Vermittlung des Jüdischen

Hilfskomitees die Ausbildung zur

Krankenschwester. Englisch hatte sie bereits

in Wien erlernt, so kam sie gut zurecht.

Doch der Ausbruch des Krieges zwang

sie erneut weiterzuziehen. In Wales ergatterte

sie über den Czech Refugee Trust einen

schlecht bezahlten Job in einem Hostel

für Waldarbeiter. 1940 lernte sie den um

acht Jahre älteren slowakischen Flüchtling,

Kommunisten und Spanienkämpfer Ivan

Lipschitz kennen und heiratete ihn. So

konnte sie ihm nach London folgen, wo sie

in einem neuen Beruf zu arbeiten begann:

als Näherin. Als ihr Mann in die tschechoslowakische

Armee eingezogen wurde,

übersiedelte sie erneut, nun nach Oxford,

wo inzwischen ihre Mutter lebte, die sich

ebenfalls nach England retten hatte können.

Dort jobbte sie als Fabriksarbeiterin

in einer Metall verarbeitenden Fabrik und

besuchte zusätzlich die Abendschule, sie

wollte sich auf ein Studium vorbereiten.

Doch schon folgte der nächste Neuanfang:

Nun ging es nach Slough, dort hatte sie

eine Stelle als Laborantin in einer Buntmetallgießerei

ergattert. Als der Betrieb

einsparen musste, wurde sie gekündigt.

Dieses Mal machte sie jedoch einen Karrieresprung:

Sie wurde Mitarbeiterin und

Lektorin bei einer wissenschaftlichen metallurgischen

Zeitung in London.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs

reiste sie zu ihrem Mann in die

Slowakei. Dort beherrschte sie aber die

Landessprache nicht und war überdies

als Deutschsprachige und Jüdin Anfeindungen

ausgesetzt. Während der Kriegsjahre

hatte sie es geschafft, mit Verwandten

und Freunden lose in Verbindung zu

bleiben. So erfuhr sie, dass Wolfgang Bock

nach Wien zurückgekehrt war, und machte

sich 1946 auf den Weg in ihre Heimatstadt

– teilweise zu Fuß. In Österreich galt

es zunächst, um die Wiedererlangung ihrer

Staatsbürgerschaft zu kämpfen. Bis sie

ihren Jugendfreund heiraten konnte, vergingen

weitere Jahre. Erst 1949 gelang die

© privat

Die Arbeitsgemeinschaft

„Frauen und Exil“

Begründet wurde die Arbeitsgemeinschaft

„Frauen und Exil“ 2002

von der bereits verstorbenen Exilforscherin

Siglinde Bolbecher. Heute

gehören dem Team der so genannten

„Frauen-AG“ an: die Historikerin und

Soziologin Ilse Korotin (Leitung), die Judaistin

und Historikerin Evelyn Adunka,

die Sozialarbeiterin und Psychotherapeutin

Heidi Behn, die Journalistin

und Zeithistorikerin Traude Bollauf, die

Literaturwissenschafterin Susanne

Blumesberger und Liesl Fritsch, die

selbst im Exil in England zur Welt kam

und als Kind mit ihrer Mutter nach

Österreich zurückkehrte, die Juristin

Primavera Driessen Gruber, die sich

seit vielen Jahren des Themas Musiker

und Musikerinnen im Exil annimmt, die

Theaterwissenschaftlerin Christine

Kanzler, die Museologin Hadwig Kräutler,

die Exilforscherin Elisabeth Lebensaft,

die Sozialwissenschaftlerin Irene

Messinger, die Kulturwissenschaftlerin

und Historikerin Katharina Prager, die

Übersetzerin und Historikerin Katrin

Sippel und Ursula Stern, die Koordinatorin

der Frauen-AG.

Wer zu diesem Kreis dazustoßen

möchte, ist jederzeit willkommen,

betont die Frauen-AG. Interessante

Einblicke in das Thema gibt es bei der

Vortragsreihe Exil von Frauen –

historische Perspektive und Gegenwart.

Das genaue Programm findet

sich auf: exilforschung.ac.at

komplizierte Scheidung von ihrem ersten

Mann.

Noch einmal musste sich Susanne

Bock in Wien eine neue Existenz aufbauen.

Über Freunde in der kommunistischen

Partei tat sich zunächst ein Posten als

Sekretärin und Lektorin in der britischen

Nachrichtenagentur auf. Als diese aufgelöst

wurde, begann sie im Sommer 1947

für das „American Jewish Joint Distribution

Committee“ zu arbeiten. 1951 wechselte

sie zur damals neu gegründeten israelischen

Fluglinie El Al, 1954 kam ihr Sohn

Peter zur Welt. Noch einmal wechselte sie

die Branche und machte sich mit einem

Sport- und Spielwarengeschäft selbstständig.

Später eröffnete sie mit einem

Geschäftspartner einen Betrieb für keramische

Wand- und Bodenbeläge. Ihr Arbeitsleben

beendete sie schließlich als Sekretärin

einer humanitären Organisation.

Exil der einfachen Frauen. Es sind so

vielfältige Geschichten wie jene von Susanne

Bock, welchen die Frauen der Arbeitsgemeinschaft

„Frauen und Exil“ im

Rahmen der Österreichischen Gesellschaft

für Exilforschung (öge) in ihrer Arbeit auf

der Spur sind. Wenn es um Menschen im

Exil geht, werden gerne die erfolgreichen

Wissenschaftler- oder Künstlerkarrieren

vorgeführt. Doch für viele bedeutete

die Flucht, sich anderswo eine völlig neue

Existenz aufzubauen. Lineare Lebensgeschichten

sind dabei die Ausnahme.

Der Frauen-AG in der öge war es seit ihrer

Gründung im Jahr 2002 immer ein Anliegen,

auch das Exil der einfachen Frauen

zu dokumentieren, sagt Ursula Stern. Sie

erzählt, dass gerade Susanne Bock selbst,

die sich von Beginn an in der Frauen-AG

engagierte und inzwischen Ehrenmitglied

ist, darauf gepocht hat, „dass man auch das

Exil der einfachen Frauen recherchiert“.

So widmet sich die Frauen-AG bis heute

grundsätzlich Frauenschicksalen im Exil.

Viele Tagungen hat man über die Jahre

schon abgehalten, noch mehr Vorträge

wına-magazin.at

17


EINFLUSS AUF SOZIALARBEIT

organisiert, und auch das eine oder andere

Buch ist entstanden. Stellvertretend

kann hier etwa der Band Wissenschafterinnen

in und aus Österreich, herausgegeben

von Brigitta Keintzel und Ilse Korotin,

genannt werden. Die Historikerin und

Soziologin Korotin ist auch die Leiterin

der Frauen-AG.

Die beiden Wissenschaftlerinnen Irene

Messinger und Katharina Prager, ebenfalls

Mitglieder der Frauen-AG, veröffentlichten

zuletzt das Buch Doing Gender in Exile.

Geschlechterverhältnisse, Konstruktionen und

Netzwerke in Bewegung, nachdem sie zuvor

eine gleichnamige Konferenz organisiert

hatten. Was ihnen im Rahmen ihrer

Recherchen über die Jahre auffiel: Sich

im Exil eine neue Existenz aufzubauen,

war zwar durchaus beschwerlich. Mehr

als Männer nützten Frauen die neue Situation

aber auch für einen persönlichen

Aufbruch. „Vielen standen plötzlich

mehr selbstbestimmte Möglichkeiten offen“,

sagt Messinger. „Das Beispiel, das ich

sehr eindringlich finde, ist, dass das Leben

junger orthodoxer Jüdinnen klar vorgezeichnet

gewesen wäre: Heirat und Kinder.

Durch das erzwungene Exil hatten sie

auch andere Optionen, die manche ergriffen

haben.“

Aber auch für Frauen, die in der alten

Heimat bereits studiert hatten, eröffneten

sich im Exil neue Möglichkeiten, betont

Korotin. „Wir haben uns mit vielen Wissenschafterinnen

beschäftigt, und auch

da sieht man deutlich, dass sich Karrieren

entwickeln konnten, die in Österreich nie

möglich gewesen wären.“ Sie nennt dabei

die Bereiche Psychologie, Psychotherapie

und Psychoanalyse in den USA, in denen

einige Frauen aktiv wurden. Kehrten

sie nach dem Sieg der Alliierten über die

Nationalsozialisten allerdings wieder nach

Österreich zurück, „hatten sie im Berufsleben

wieder kaum Chancen gegenüber den

Männern“, bedauert Stern. Schon vor der

NS-Zeit hätten zudem Frauen, die zum

Beispiel Medizin studiert hatten, oftmals

unentgeltlich gearbeitet.

Messinger kennt aber auch andere Facetten.

Sie lehrt an der Fachhochschule für

soziale Arbeit in Wien und forscht dort

derzeit über das Exil von Fürsorgerinnen,

das waren die Sozialarbeiterinnen der

1920er- und 1930er-Jahre. Abseits weniger

herausragender Einzelbiografien sei die

Geschichte der Vertreibung und des Exils

dieser Berufsgruppe noch nicht bearbeitet

und bilde eine Leerstelle in der Professionsgeschichte.

Auch eine andere Gruppe

„Wir haben uns mit

vielen Wissenschaftlerinnen

beschäftigt,

und auch da sieht

man deutlich, dass

sich Karrieren entwickeln

konnten, die in

Österreich nie möglich

gewesen wären.“

Ilse Korotin

sei noch nicht beforscht, „jene, die im Exil

social work studiert haben und dann nach

Österreich zurückgekommen sind und hier

das Selbstverständnis der Sozialarbeit stark

beeinflusst haben“. Das will sie in ihrem

aktuellen Projekt gemeinsam mit Thomas

Wallerberger sichtbar machen.

Messinger kann ihrer Forschungsarbeit

im Rahmen ihrer Tätigkeit für die

Fachhochschule nachgehen, gefördert

vom Zukunftsfonds und Nationalfonds.

Andere Projekte im Bereich der Exilforschung

erhielten ebenfalls Forschungsförderungen,

für Publikationen kann man um

Druckkostenförderung ansuchen. Ein Teil

der Forschungsarbeit erfolge jedoch unbezahlt

– und es fehle auch an den Mitteln,

um nötige Infrastruktur zu finanzieren.

Die Frauen-AG verfügt beispielsweise

über keine eigenen Räumlichkeiten und

wäre daher nicht einmal in der Lage, einen

Nachlass zu übernehmen, um diesen

aufzuarbeiten, bedauert Korotin.

Fehlende Mittel. Bereits bei der Gründung

der Exilgesellschaft 2002 und kurz

darauf der Frauen-AG habe die inzwischen

verstorbene Mitbegründerin, die

Exilforscherin Siglinde Bolbecher, auf die

Etablierung eines Lehrstuhls für Exilforschung

sowie eine Ausstellung zum Thema

gepocht, erzählt Stern. Beides wurde trotz

vieler Gespräche bisher nicht realisiert. Die

finanzielle Situation verschärft sich zudem

zusehends, so Korotin. Nicht nur, dass es

keine Mittel für die Frauen-AG gebe, auch

Förderungen für einzelne Projekte seien

immer schwerer zu lukrieren. Zuletzt habe

etwa die Österreichische Nationalbank

die Förderung von geisteswissenschaftlichen

Forschungsarbeiten eingestellt. Das

bedeute prekäres Arbeiten – und mache

die Exilforschung auch für junge Wissenschaftlerinnen

unattraktiv.

Was Korotin zudem ebenfalls bedauert:

Über die Jahre habe sie viele spannende

Projekte mitverfolgt, doch nach

dem Ende der Laufzeit wurden die biografischen

Unterlagen nicht vernetzt dokumentiert.

Hier fehle die Nachhaltigkeit.

Die Frauen-AG betont, dass es dringend

eine Datenbank brauche, welche die Nachlässe

und Interviews mit Zeitzeugen auffindbar

mache. Oft seien die Hinterlassenschaften

verstreut, Teile befänden sich

in Archiven, andere bei Nachkommen. In

einem elektronischen Archiv könnten die

Bestände digital zusammengetragen und

für die wissenschaftliche Bearbeitung erschlossen

werden.

Dass der Exilforschung bisher so ein

niedriger Stellenwert eingeräumt wurde,

bedauern Stern, Korotin und Messinger.

Sehr zuversichtlich sind sie nicht, dass sich

da in absehbarer Zeit etwas ändert. Sie

werden aber nicht müde, für die Anliegen

der Exilforschung Bewusstsein zu schaffen

– und dabei vor allem für das Erforschen

von Frauenschicksalen. Frauen, das

betrifft nicht nur das Exil, sondern auch

den Widerstand, eine die Eigenschaft, im

Nachhinein ihre Rolle herunterzuspielen,

obwohl sich gerade Frauen nach der

Flucht oft besser im Alltag zurechtfanden

als Männer, so Korotin. Ihre Errungenschaften

nachzuzeichnen, sei daher auch

aus der feministischen Perspektive spannend

– und könne nicht zuletzt, wie Messinger

betont, auch herangezogen werden,

wenn es um die Situation von geflüchteten

Frauen heute gehe.

Das ist auch Stern ein wichtiges Anliegen.

Sie betont, dass es in der Exilforschung

einen Paradigmenwechsel von der ausschließlichen

Befassung des historischen

Exils während der Ära des Nationalsozialismus

sowie des Austrofaschismus hin zu

einer Erweiterung des Forschungsgegenstandes

auf die gegenwärtigen Flucht- und

Migrationsbewegungen gebe. Die Fragen,

die zu stellen seien: „Gibt es vergleichbare

Aspekte zwischen dem Exil von Frauen

zwischen 1933 und 1945 und dem Asyl

von Frauen heute? Was sind die Gemeinsamkeiten,

was sind die Unterschiede? Ist

der Beitrag zur Erinnerung an die Verfolgung

konstitutiv für unsere Haltung gegenüber

heutigen Fluchtbewegungen, und

führt die eigene Flüchtlingserfahrung, sei

es zur Zeit der Schoah, sei es in den Jahren

nach 1945, zu praktizierter Solidarität

mit den heute Verfolgten?“

18 wına | Februar 2020


IDENTITÄTSKONSTRUKTIONEN

© Pablo Rudich/privat

Pablo Rudich:

DAZWISCHENDASEIN.

Jüdisches Leben

zwischen Czernowitz,

Wien und Montevideo.

Mandelbaum Verlag

2019, 142 S., 20 €

Es gab weder Briefe noch Tagebücher,

und dem persönlichen Gespräch

über die Jugend in Wien

verweigerte sich der jüdische Vater im

uruguayischen Exil. Dennoch wollte der

Sohn, der 1964 in Montevideo geboren

wurde und 1978 in die Geburtsstadt

seines Vaters übersiedelte, die Familiengeschichte

recherchieren. Als Historiker

wählte Pablo Rudich für die Spurensuche

zum Lebensweg seiner jüdischen

Großeltern und seines Vaters den akademischen

Zugang: In seinem Buch DA-

ZWISCHENDASEIN. Jüdisches Leben

zwischen Czernowitz, Wien und Montevideo

stellt er das Schicksal einer jüdischen

Familie exemplarisch in den größeren

Zusammenhang von Vertreibung,

Flucht und Exil.

Die „globale“ Bukowina und Czernowitz,

die Kriegsflüchtlinge im Ersten

Weltkrieg sind ebenso Thema wie die

„Zugehörigkeit und Identitätskonstruktionen

im Lichte von Staatsbürgerschaft

und Heimatrecht“. Aber auch Zufälle

interessieren Rudich: „Ich war dreizehn

Jahre alt, als ich in Wien ankam, mein

Vater Alfred Rudich dreiundfünfzig. Als

er 1938 gezwungenermaßen aus Wien

fliehen musste, kam er als Dreizehnjähriger

in meiner Geburtsstadt Montevideo

an, sein Vater, Wolf Rudich, war damals

dreiundfünfzig“, erzählt der Autor.

Dem Vater sollte es auch nicht nützen,

dass er seine Erinnerungen verdrängte

und diese seinen Kindern vorenthielt.

„In der Gegenwart holt uns des Vaters

Vergangenheit ein. Wie aus Zufall hat

jedes von uns vier erwachsenen Kindern

nun eine Wohnung im 2. Bezirk, der Leopoldstadt“,

so Pablo. „Ein großer Teil dieses

Bezirks ist seit der Anlage des ersten

jüdischen Ghettos Anfang des 17. Jahrhunderts

mit der Geschichte der Juden

und Jüdinnen eng verbunden.“

Die Auswirkungen

von Migration

Wie man sich mit

spärlichem Material eine

Familienchronik bastelt,

zeigt der Historiker

Pablo Rudich in

seiner Masterarbeit auf.

Von Marta S. Halpert

Die Großeltern des Historikers, Serafine

König und Wolf Rudich, stammten

aus Czernowitz, aus dem östlichen Randgebiet

der Habsburgermonarchie. Die

Hauptstadt der Bukowina, ein Hort des

blühenden jüdischen Lebens, der Vielsprachigkeit

und einer immens reichen

Kulturtradition, gehört heute zur Ukraine.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs

1914 mussten die Großeltern vor einer

russischen Offensive nach Wien flüchten.

1918 kehrten sie vorübergehend nach

Czernowitz zurück, ließen sich aber später

in Wien an verschiedenen Adressen

nieder. „Mein Großvater war Jurist, viel

mehr ist den vorhandenen Quellen nicht

zu entnehmen. Nur dass ein beträchtlichen

Teil von ‚Buko-Wienern‘ damals in

Wien lebte“, lacht Pablo Rudich, der später

auch in Barcelona und Stuttgart lebte.

In dieser Masterarbeit, die zum gut

leserlichen Buch wurde, bemüht er sich,

das Schicksal von Jüdinnen und Juden

mit ähnlich gelagerten Lebenssituationen

nachzuzeichnen. „Diese Untersuchung

hat den Anspruch, nicht nur die

Frage der jüdischen Identität zu behandeln,

sondern in einem breiteren Sinn den

Fokus auf die Auswirkungen von Migrationen

auf die individuelle und kollektive

Identität der betroffenen Menschen

zu lenken“, schreibt Pablo Rudich.

Er stellt sich angesichts der – erzwungenen

– kosmopolitischen Lebenssituation

seiner Familie die Frage, wie Migranten

von ihrem Zielland beeinflusst

werden und umgekehrt dieses beeinflussen.

„Dass dieser kulturelle Austausch negative

Folgen haben soll, ist ein mani-

pulatives, häufig von Angst schürenden

Politikern hervorgebrachtes Argument“,

lautet das Fazit des Historikers.

Pablo Rudich, der auch als Fremdenführer

tätig ist, hat zwei Söhne und eine

Tochter; seine Schwester Julieta Rudich

ist Lateinamerika-Expertin im ORF-

Fernsehen und gestaltet umfassende Reportagen

für das Weltjournal. „Obwohl

der Vater uns nie explizit etwas von jüdischer

Identität mitgegeben hat, sind wir

ohne eindeutige Absicht im bis 1938 jüdischsten

Viertel Wiens angekommen,

Pablo Rudich (rechts) mit seinem Vater Wolf

Ruddich und seinen drei Geschwistern.

man könnte auch sagen ‚beheimatet‘. Und

das, obwohl die Rückkehr meines Vater

nach Wien für seine Kinder zu einer Entwurzelung

von deren eigenem Geburtsland

Uruguay führte.“ Prägend war für

die vier Rudich-Geschwister auch, dass

sie aus einer nomadischen Genealogie

stammen und zwischen 1973 und 1978

dreimal das Land gewechselt haben. „So

wird für mich die wiederholt gestellte

Frage, woher ich bin, zu welchem Land

ich mich zugehörig fühle, immer schwerer

zu beantworten.“

wına-magazin.at

19


AUSGRENZENDE HALTUNG

Barbara Serloth:

Nach der Shoah.

Politik und Antisemitismus

in Österreich

nach 1945.

Mandelbaum Verlag,

304 S., 25 €

„Antisemiten sind

zumeist die anderen“

Barbara Serloth zeigt in ihrem Buch Nach der Shoah

auf, wie hartnäckig sich auch nach 1945 die antijüdischen

Vorurteile in Österreich gehalten haben.

Von Marta S. Halpert

Wer die früheren Bücher und

Publikationen von Barbara

Serloth kennt, weiß, dass die

Politikwissenschaftlerin nicht nur akribisch

recherchiert und schonungslos

aufdeckt, sondern sich auch keineswegs

scheut, die Aufmerksamkeit auf wunde

Punkte der österreichischen Innenpolitik

zu lenken. 2016 legte sie im Mandelbaum

Verlag ihre Arbeit Von Opfern, Tätern und

jenen dazwischen vor (siehe dazu Wie Antisemitismus

die Republik mitbegründete in

WINA 12/17). Jüngst erschient im gleichen

Verlag Nach der Shoah. Politik und

Antisemitismus in Österreich nach 1945.

Serloth stellt sich die Frage, wie sich

trotz aller gegenteiliger Beteuerungen der

tief verwurzelte Antisemitismus in der

„beobachteten Demokratie“ der Nachkriegsjahre

halten konnte. Dieser wirkte

sich nämlich brutal skrupel- und schamlos

auf die Forderungen der österreichischen

Juden und Jüdinnen nach Restitution

und Gleichberechtigung aus. „Österreich

macht es sich heute mit dem Nationalsozialismus

nicht mehr so einfach. Man

stellt sich – wenn auch nicht ganz – der

Mitschuld an dessen Gräueltaten, doch

der Opfermythos gehört noch immer zum

gängigen Narrativ“, stellt die Autorin fest.

„Aber im Gegensatz zum Nationalsozialismus

geht man mit dem Antisemitismus

auch jetzt noch relativ sorglos um – zumindest

dann, wenn es um den eigenen

geht. Antisemiten sind zumeist die anderen.“

Für das rechte politische Lager existiere

vor allem der muslimische Judenhass,

für die Linken der rechtsradikale. Ferner

konstatiert Serloth, dass die Konservativen

den christlichen Antisemitismus genauso

gerne ausblenden wie die Linken

den antizionistischen.

„Der Nationalsozialismus und seine Untaten wurden

kurzerhand exterritorialisiert und als Gesamtpaket

der Bundesrepublik Deutschland übergeben.“

Stereotype verfestigt. Die langjährige

Lektorin des Instituts für Staatswissenschaften

der Universität Wien ist auch

Leiterin der politischen Dokumentation

der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion.

In ihrem neuen Buch analysiert

sie sowohl die politischen und parlamentarischen

Diskurse wie auch die Gesetzwerdungsprozesse

und letztlich die Restitutionsgesetze

seit 1945. Mit äußerster

Sorgfalt zeigt sie die ambivalente, ausgrenzende

Haltung der damaligen politischen

Eliten auf: Das Vorurteil, dass

Juden und Jüdinnen, die ihr Eigentum

zurückforderten, sich bereichern wollten,

blieb dabei zentral. „Die Gruppe der Geflohenen

wurde in den politischen Narrativen

zumeist auch nach 1945 aus der

Wir-Gemeinschaft der ‚echten‘ Österreicherinnen

und Österreicher entfernt. Damit

ging nicht immer, aber auffallend häufig

die Delegitimation ihrer politischen

Wortmeldungen und/oder rechtlichen

Ansprüche einher“, stellt die Wissenschaftlerin

fest. So hätten sich in der langen

Nachkriegszeit die antisemitischen

Stereotype innerhalb der demokratischen

Strukturen verfestigt. Erst in den späten

1980er-Jahren wurde mit dem Aufbrechen

des Opfermythos – auch infolge

der Waldheim-Affäre – mit der Aufarbeitung

der NS-Vergangenheit und der

Restitutionsfrage begonnen. „Der Nationalsozialismus

und seine Untaten wurden

kurzerhand exterritorialisiert und als Gesamtpaket

der Bundesrepublik Deutschland

übergeben.“

Die tiefer liegenden Wurzeln für das

Verhalten nach der Schoah sieht Serloth

in der Ausblendung des Austrofaschismus

in Österreich zwischen 1934 und

1938: Einerseits hätte seine Erwähnung

die Mär von der demokratischen Kontinuität

infrage gestellt, andererseits war

man bedacht, die politischen Gräben des

Bürgerkrieges zuzuschütten. Das politische

Ziel sei es gewesen, die erzählte Einigkeit,

die österreichische „Schicksalsgemeinschaft“

nicht mit Aufarbeitungen

der geschichtlichen Realität zu entzaubern.

„Nur durch die Erzählung, dass die

österreichische Demokratie allein wegen

der Okkupation durch das als fremde

und feindliche Macht dargestellte Hitler-Deutschland

gewaltsam unterbrochen

worden war, konnten der Opfermythos

gestärkt und die Unschuldsthese abgesichert

werden.“

Die Autorin beschreibt die Integration

der „Ehemaligen“ anhand von Beispielen,

die beweisen, wie diese Gruppe verhätschelt

und politisch umworben wurde, bei

gleichzeitiger Verniedlichung ihrer Taten.

Und sie zeigt auf, wie die Arisierungen

heruntergespielt und abgewertet wurden,

während die Flucht „ins sichere Ausland,

wo es ihnen so gut ging“ brutal verharmlost

wird.

20 wına | Februar 2020


TEIL DER NORMALITÄT

Matthias Falter:

Die Grenzen der Demokratie.

Politische Auseinandersetzungen

um

Rechstextremismus

im österreichischen

Nationalrat.

Facultas Verlag,

289 S., 60,70 €

Die Rechte

lässt grüßen

Das Thema Rechtsextremismus

ist in Debatten des österreichischen

Parlaments sehr präsent.

Zu diesem Ergebnis kommt der Politikwissenschaftler

Matthias Falter in seiner

Dissertation, die nun unter dem Titel Die

Grenzen der Demokratie auch als Buch erschienen

ist. Genauer angesehen hat er

sich dabei die politischen Auseinandersetzungen

um Rechtsextremismus im österreichischen

Nationalrat in den Jahren

1999 bis 2013.

Dabei erstaunt dann doch, wie oft über

Rechtsextremismus diskutiert wurde:

Falter fand in 39 Prozent aller Nationalratssitzungen

themenspezifische Kontroversen,

Äußerungen oder Zwischenrufe.

Besonders stachen dabei die Jahre

1999 bis 2002 – damals kam es zur ersten

schwarz-blauen Koalition – heraus. Der

Politikwissenschaftler spricht hier von

Rechtsextremismus als „Querschnittsmaterie“,

denn debattiert wurde darüber

„oftmals unabhängig von den jeweiligen

Tagesordnungspunkten“.

Ein Beispiel: Gleich die erste Sitzung

des damals neu gewählten Nationalrats

Ende Oktober 1999 entwickelte sich als

Reaktion auf Aussagen des FPÖ-Kandidaten

für das Amt des Zweiten Nationalratspräsidenten,

Thomas Prinzhorn,

zu einer Debatte über Rassismus und

eben auch Rechtsextremismus, wie Falter

nachzeichnet. „Während des Wahlkampfs

hatte Prinzhorn in einem Interview

behauptet, dass AusländerInnen mit

staatlicher Unterstützung fruchtbarkeitssteigernde

Hormonpräparate bekommen

würden, während dies InländerInnen oft

verwehrt bliebe. Prinzhorn reproduzierte

damit verschwörungstheoretisch aufgeladene

rassistische Diskurse, die eine Be-

Der Politikwissenschaftler

Matthias Falter analysierte

Nationalratsdebatten,

um festzustellen,

wie oft es dabei um

Rechtsextremismus ging.

Die Forschungsergebnisse

sind ernüchternd.

Von Alexia Weiss

drohung der imaginierten biologischen,

d.h. ‚völkischen‘ Substanz konstruieren.

Vergangenheitspolitische Dimension

bekam die Debatte um Prinzhorn noch

durch Medienberichte über die Verwicklung

von Prinzhorns Konzern in Arisierungen

während der NS-Zeit.“

Rechte Tendenzen. Die Debatte um

Prinzhorn habe sich in der Folge zu einer

generellen Debatte über extrem rechte

Tendenzen in der FPÖ und einen allgemeinen

gesellschaftlichen Rechtsruck

entwickelt. Politischer Hintergrund war

der große Erfolg der FPÖ unter Jörg

Haider bei der vorangegangenen Nati-

onalratswahl. Prinzhorns Äußerung sei

im Kontext eines von ethnischen Feindbildern

geprägten Wahlkampfes der FPÖ

gefallen. „Mit dem affichierten Plakatslogan

‚Stop der Überfremdung‘ hatten

die Freiheitlichen einen Begriff aus

dem historischen und zeitgenössischen

rechtsextremen Denken in den offiziellen

Wahlkampf eingeführt und damit

auch zu einer Normalisierung beigetragen“,

analysiert Falter. „Spitzenkandidat

Prinzhorn und Parteichef Haider wurden

auf einem weiteren Wahlplakat als

‚zwei echte Österreicher‘ präsentiert, das

an ein ÖVP-Plakat von 1970 erinnerte,

in dem sich der ÖVP-Spitzenkandidat

Josef Klaus als ‚echter Österreicher‘ gegenüber

dem jüdischen SPÖ-Kandidaten

Bruno Kreisky präsentierte.“

Man merkt bei der Lektüre des Buches

also rasch: Hier ist man mitten in der

österreichischen Verfasstheit der Gesellschaft,

die zwar in Nationalratsdebatten

oft diskutiert, aber in der Realität kaum

verändert wird. Davon zeugten nicht zuletzt

die Vorkommnisse und Debatten

unter der türkis-blauen Koalition von Sebastian

Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian

Strache (FPÖ) in den vergangenen

Jahren. Falter spricht von einem „uneindeutigen

Verhältnis zwischen Rechtsextremismus

und der demokratischen

Gesellschaft“ und konstatiert: „Dem abstrakten,

parteiübergreifenden Konsens

der Ablehnung von Rechtsextremismus

steht die Normalisierung extrem rechter

Positionen und Politiken gegenüber.

Rechtsextremismus ist Teil der österreichischen

Normalität und manifestiert

sich im semiprivaten Raum ebenso wie

in der politischen und medialen Öffentlichkeit.“

wına-magazin.at

21


ZUNEHMENDE RADIKALISIERUNG

Der Wiener Kinder- und Jugendanwalt Ercan Nik Nafs

kämpft an vielen Fronten gegen die zunehmende Radikalisierung

von Jugendlichen und für eine wirksame Integration.

erfolgung, Radikalisierung und Bedrohung

kennt Ercan Nik Nafs aus

der eigenen Familiengeschichte. Er

stammt aus dem kurdisch-armenischen

Teil der Türkei, in dem die meisten Alewiten

leben, eine von der Türkei nicht anerkannte

Glaubensgemeinschaft, die sich

immer außerhalb des Islams gesehen hat.

„Das Gebiet war über Jahrhunderte

hinweg von Verfolgung betroffen, es gab

Genozide an Armeniern und Kurden.

Meine Großeltern gehörten einer Generation

elternloser Kinder an, denn deren

Eltern kamen in einem Genozid um.“

Diesen Background einerseits und

seine Erfahrung, „wie das Leben anders

sein kann in Freiheit und Sicherheit“, die

er in Österreich machte, erkennt er rückblickend

als prägend.

„1992 bin ich als Student nach Wien

gekommen, 1992 wurde in Wien auch die

Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA)

gegründet.“ Seit 2014 leitet Ercan Nik

Nafs als ausgewiesener Extremismusexperte

diese Stelle in der Alserbachstraße.

„Wir sind als Ombudsstelle mit der

Wahrung der Rechte von Kindern und Jugendlichen

beauftragt. Man kann sich an

uns wenden, wenn man glaubt, dass diese

Rechte verletzt werden. Es kommen Beschwerden

über Schulen und Anfragen zu

Jugendschutz, und es gibt eine Netzwerkarbeit

mit anderen Behörden.“

Diese führte 2014 über einen Gemeinderatsbeschluss

auch zum „Netzwerk Demokratiekultur

und Prävention“, das sich

dem Thema Dschihadismus widmete, der

tausende junge Menschen aus Europa in

die Kriegsgebiete zog.

„Unser Ziel war es, Jugendliche vor

Mord und Tod zu bewahren, davor, sich

selbst oder anderen zu schaden. Wir haben

mit einer Vielzahl von Jugendlichen

und deren Eltern gearbeitet, unterstützt

von den Präventionsabteilungen der Polizei,

dem LKA und dem BVT gemeinsam

mit vielen Dienststellen. Unser Ziel

ist mittlerweile nicht nur der Kampf gegen

den Dschihadismus. Unser Rezept gegen

Extremismus ist die Stärkung der Demokratiekultur

und der Menschenrechte und

Von Anita Pollak

andererseits der Schutz vor Armut, Diskriminierung

und vor Gewalt, Menschen,

die von Ausgrenzung bedroht sind, zu integrieren,

einen Platz in der Gesellschaft

anzubieten und entschieden gegen nationalistische

Gruppen vorzugehen.“

Alarmierende Studie. Trotz aller derartigen

Bemühungen stellte der Soziologe

Kenan Güngör in einer aktuellen Studie

fest, dass die Radikalisierung unter

Jugendlichen alarmierend zugenommen

hat, obwohl es, was das Demokratieverständnis

betrifft, sogar eine positive Entwicklung

gab. Gleichzeitig nehmen Gewaltbereitschaft

und Antisemitismus zu.

Auch Frauenfeindlichkeit und Homophobie

sind verstärkt wahrnehmbar.

Haben sich diese Tendenzen seit der

Einwanderungswelle 2015 und danach, in

der doch viele Jugendliche aus Afghanistan

und Syrien zu uns kamen, verstärkt?

„Sie haben sich verändert. Die erste Studie

von 2016, die in Wiener Jugendeinrichtungen

gemacht wurde, hatte, was die

Gewaltbereitschaft betraf, ebenso alarmierende

Ergebnisse, und auch die abwertenden

Einstellungen, also Antisemitismus,

Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Sexismus

und ethnokulturelle Abwertungen

waren sehr hoch, aber diese Untersuchung

betraf nur Jugendliche in gewissen

Jugendeinrichtungen. Die aktuelle Studie

bezieht sich auf etwa 800 Jugendliche

in ganz Wien in einer Face-to-face-Befragung.

Alarmierend ist dabei die ausgeprägte

Homophobie und dass es beim An-

tisemitismus ganz unterschiedliche Werte

gibt. Bei aus Bosnien stammenden Jugendlichen

hat nur beim Antisemitismus eine

ungeheure Steigerung stattgefunden.“

Immerhin zwei Drittel dieser an sich

gut integrierten bosnischen Jugendlichen

sind der Überzeugung, so stellen die Studienautoren

fest, dass Juden „zu viel Einfluss

auf der Welt“ hätten. Mehr als die

Hälfte afghanischer Jugendlicher wünscht

sich an der Spitze des Staates eine religiöse

Führerfigur und bejaht Gewalt als legitimes

Mittel, „wenn die Ehre beleidigt wird“.

Die Ursachen dieser schockierenden

Ergebnisse ortet Ercan Nik Nafs unter

anderem in Gewalterfahrungen im Elternhaus,

prägenden Einstellungen in

der Familie und in sogenannten Diskriminierungserfahrungen

in Bildungseinrichtungen.

„Was den Antisemitismus betrifft, sind

für mich auch die seit Jahren laufende Propaganda

gegen Israel, die antisemitischen

Kampagnen im Iran und der Türkei und

rechtsextremer Gruppen dafür verantwortlich.

Beim Al-Quds-Tag hat man in Berlin

israelische Fahnen verbrannt. In der Türkei

zieht der Präsident praktisch jeden Tag gegen

Israel ins Feld, und türkische Zeitungen

fordern Muslime dazu auf, Jerusalem

zurückzuerobern. Aber eine antisemitische

Tradition gibt es auch in Europa seit Ewigkeiten,

und in den islamischen Ländern

sind der Judenhass und die Verfolgung der

Juden auch nichts Neues.“

Zur antisemitischen Indoktrinierung in

den Herkunftsländern komme die mittlerweile

globale Verhetzung in den sozialen

Netzwerken, die auch hierzulande bekämpft

werden müsse.

Spitze des Eisbergs. Gibt es, wenn man

das Beispiel der antisemitischen bosnischen

Jugendlichen betrachtet, die ja seit

den 1990er-Jahren da sind, überhaupt

Hoffnung auf Aufklärung?

„Abwertungen

sind das Grundübel

katastrophaler Zeiten“

22 wına | Februar 2020


THEMA KURZTITEL

© Robert Newald/picturedesk.com

„Nur in Europa oder Österreich zu sein,

reicht nicht. In Österreich waren in den

letzten Jahren islamistische und rechtsextreme

Gruppen enorm aktiv, und es

gab kein systematisches Vorgehen dagegen.

Wir haben wohl Enormes gegen den

Dschihadimus unternommen, aber der ist

nur die Spitze des Eisbergs der Barbarei.

Darunter gib es weit mehr. Jetzt hoffen

wir, in diesem Jahr einmal den Eisberg

anzufassen. Wir fordern seit einigen Jahren

eine Beobachtungsstelle für Islamismus,

um zu erfahren, welche Gruppen tatsächlich

demokratiefeindliche Haltungen

propagieren, und dasselbe fordern wir auch

für Rechtsextreme und dass darüber Stellen

wie die unsere informiert werden, damit

wir wissen, mit welchen gefährlichen

Gruppen wir es zu tun haben.“

Immer wieder werden, was die religiöse

Radikalisierung betrifft, auch die Koranschulen

erwähnt, in die man ja nicht

wirklich hineinleuchten kann.

„Alle geschlossenen Räume, in denen

Kinder und Jugendliche sind, müssen geöffnet

werden. Wir hatten bereits 2015 gemeinsam

mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft

Initiativen zur Erarbeitung

von Leitlinien auf Grundlage der modernen

Pädagogik und der Kinderrechte gestartet,

was aber leider nicht zustande gekommen

ist.“

Aktiv werden kann die KJA nur, wenn

ein Mandat in Form einer Beschwerde

vorliegt, stellt Nik Nafs fest, aber jede Art

von Indoktrinierung stelle Gewalt dar.

„Kinder, die in einer gewissen Abwertungseinstellung

gegen ihre Umwelt aufwachsen,

entwickeln auf Dauer Haltungen,

die für ihre Entwicklung und die Gesellschaft

schädlich sind. Abwertungen sind

das Grundübel katastrophaler Zeiten gewesen,

wenn wir uns nur an Nazi-Deutschland

erinnern.“

Wie gelangt man aber über die Diagnose

zur Therapie oder vielleicht sogar zur

Prophylaxe?

„Viele Studien sagen, Vorurteile werden

abgebaut, wenn Gruppen und Cliquen

durchmischt sind. Demokratie- und Menschenrechtsbildung

müssen aber gelernt

werden, da gibt es den gesellschaftlichen

Bildungsauftrag. Viele Kinder, Jugendliche,

aber auch Frauen erleben Gewalt in

den eigenen vier Wänden, daher ist Gewaltprävention

in den Familien vorrangig.

Das sind schwierige, aber nicht unlösbare

Aufgaben, man muss sie jedoch verfolgen.

Viele Empfehlungen dazu sind bis jetzt

auf Bundesebene nicht umgesetzt worden.

Im neuen Regierungsprogramm

stehen aber

einige Dinge, die wir

seit Jahren fordern, wie

eine Dokumentationsstelle

Rechtsextremismus,

ein Aktionsplan

zur Demokratiebildung

und eine Dokumentationsstelle

des politischen

Islams, die zum

Islamismus in Österreich

forschen und alle

zuständigen Stellen

informieren soll. Dazu

müsste aber zuerst eine

Definition des politischen

Islams oder Islamismus

vorliegen, d. h.

wir sind noch ganz am

Beginn unserer Bestrebungen.

Wenn aber

diese Stelle weisungsfrei

wäre und mit den

notwendigen Mitteln

als multiprofessionelle

Einheit entsprechend

personell ausgestattet

werden würde, könnte

es in einigen Jahren

durchaus Erfolge geben.

Weiters gibt es seit 2002 in Österreich

keinen Rechtsextremismusbericht

mehr. Dieser müsste ebenso erstellt werden

wie ein nationaler Aktionsplan gegen

Rechtsextremismus. Ansätze sind da, aber

diese müssten so etabliert werden, dass sie

Erfolge haben können.“

Rechtsextreme Mitte. Gerade in Zusammenhang

mit dem neuen Regierungsprogramm

ortet die Linguistin Ruth Wodak

„rechtsextreme Narrative“ und warnt

vor einer schleichenden Normalisierung

rechtsextremer Positionen, die sich auf die

Mitte der Gesellschaft zubewegen. Auch

„In Österreich

ist eine neue

Zeit angebrochen,

die uns andere Türen

öffnet.“

Ercan Nik Nafs

Ercan Nik Nafs sieht diese

Gefahr und darin auch einen

weiteren Auftrag für

seine Arbeit. „Bei Radikalisierungsprozessen

wie auch

in den sogenannten Turboradikalisierungen

der letzten

Jahre spielen ganz unterschiedliche Faktoren

eine Rolle. Einerseits persönliche

biografische Brüche, andererseits Abwertungseinstellungen,

die fast so alt wie die

Menschheit sind und immer reproduziert

werden. Es gibt ja auch Parteien, die solche

Ideologien fördern. Die Arbeit, Abwertungsideologien

zu bekämpfen, wird nie

aufhören. Seit eineinhalb Jahren läuft das

Programm AWID gegen Abwertungseinstellungen,

das Informationsmaterial für

Schulen etablieren soll. Bis wir aber merken,

dass es ein Problem gibt, und danach

ein Programm entwickeln können, das zu

Lösungsansätzen führt, vergehen Jahre.

D. h. dieses Rad muss ständig am Laufen

gehalten werden. Wir leben in besonderen,

unsicheren Zeiten, es gibt weltweit eine

Kontinuität der Konflikte, und das macht

vielen Menschen Angst. Ich denke aber, in

Österreich ist eine neue Zeit angebrochen,

die uns andere Türen öffnet.“

Ercan Nik Nafs.

„Meine Großeltern

gehörten einer Generation

elternloser

Kinder an, denn

deren Eltern kamen

in einem Genozid

um.“

wına-magazin.at

23


NACHRICHTEN AUS TEL AVIV

Klappe,

die Dritte

Trotz aller politischen Debatten entscheidet vor allem

die Gruppenzugehörigkeit über das Wahlverhalten der

Israelis. Allzu viel Spielraum ist da nicht.

Man darf allerdings bezweifeln, dass

Netanjahus Likud-Partei diesmal mehr

Stimmen bekommt als beim letzten Mal.

Diesmal wird es ein Montag sein,

nicht wie üblich ein Dienstag,

ansonsten hat sich auch beim

dritten Anlauf innerhalb eines

Jahres nicht viel verändert: Am

2. März finden (schon wieder)

Wahlen statt, und niemand kann mit Sicherheit

vorhersagen, dass diesmal dabei am Ende eine Regierung

herauskommt.

Einmal abgesehen von den Kosten, die mit diesem

Limbo verbunden sind, und den vielen aufgeschobenen

Entscheidungen, die an Budgets

gebunden sind, funktioniert das Land aber eigentlich

ziemlich gut. Die Menschen stehen wie immer

morgens auf, gehen zur Arbeit, bereiten sich

auf immer mögliche kriegerische Auseinandersetzungen

vor, planen Ferien und teilen in diversen

WhatsApp-Gruppen Gleichgesinnten mit, was sie

so von der Lage halten.

Als beim letzten Raketenalarm in Tel Aviv, das

war um halb acht in der Früh im November, der

gesamte Unterricht in den Schulen abgesagt wurde,

erinnerte zwei Minuten später ein Elftklässler seine

Mitschüler daran, dass ja gerade Dienstag sei. „Vielleicht

könnte man das doch gleich ausnutzen und

Wahlen abhalten“, witzelte er, wo doch schon

die Klassenzimmer – wenn auch aus anderen

Gründen – freigeräumt seien. Bisher haben die

Wahltage den Kindern immerhin schon drei zusätzlich

freie Tage in einem Jahr gebracht.

Bei den älteren Jahrgängen, die fast alle Whats-

App-Gruppen haben, die sie mit ihren Mitschülern

von einst verbinden, kursiert gerade ein anderer

Witz: Ein Roboter serviert Drinks in einer Bar

und führt mit den Gästen Gespräche auf Augenhöhe.

Dazu fragt er vorher immer jeweils nach ihrem

IQ. Als ein Mann mit einem IQ von 150 zu ihm

kommt, diskutiert der Roboter mit ihm über Gentechnologie

und Klimawandel. Der Mann nimmt

sich daraufhin vor, den Roboter zu testen. Er geht

hinaus und kommt als Gast mit IQ 100 zurück. Der

Roboter redet mit ihm prompt über Fußball und

Frauen. Schließlich probiert derselbe Gast noch einen

dritten Anlauf – mit IQ 50. Daraufhin wendet

sich der Roboter an ihn und startet, langsam und

deutlich, das Gespräch mit: „Und … du … wirst

… nun ... wieder … Bibi … wählen?“

Gegen das Image der Unterbelichteten wehrten

sich in einer mehrteiligen Fernsehreportrage Likud-Aktivisten.

Seit Netanjahu offiziell angeklagt

wurde, gehen sie für ihn auf die Straße. Ihre Botschaft

lautete: Man könne für Bibi sein und trotzdem

noch klar denken. Ihr Hauptargument: Ein

erfolgreicher Regierungschef sollte nicht von Richtern

oder Staatsanwälten abgesetzt werden dürfen,

dafür wären allein die Wähler zuständig.

Man darf allerdings bezweifeln, dass Netanjahus

Likud-Partei diesmal mehr Stimmen bekommt als

beim letzten Mal. Die jüngsten Umfragen bestätigen

den Abwärtstrend. Auch lag Benny Gantz von

Blau-Weiß erstmal vorne bei der Frage, wer als

Ministerpräsident am meisten geeignet wäre.

Tektonische Veränderungen des Wahlverhal-

Von Gisela Dachs

24 wına | Februar 2020


© Hadas Parush/flash90

tens sind aber nicht zu erwarten. Denn letztlich

gehe es bei den Wahlen weder um die Anklagen

gegen Bibi oder um die Annektierung des Jordantals

noch um Säkularisierung, schreibt Chefredakteur

Aluf Benn in Haaretz. In seinem Artikel mit

dem Titel Sag mir, wo du wohnst, und ich sage dir,

was du wählst erinnert er daran, dass all diese heiß

debattierten Themen nur ein Deckblatt seien für

den Kampf zwischen rivalisierenden „Stämmen“ –

wie sie Präsident Rivin in seiner berühmten Rede

2015 beschrieben hatte. Rivlin thematisierte dabei

die sozioökonomischen Veränderungen der israelischen

Gesellschaft, die aus sich zahlenmäßig

immer mehr angleichenden vier Gruppen bestehe:

säkulare, nationalreligiöse, ultraorthodoxe und arabische

Israelis. Benn zieht ähnliche Linien, was das

Wahlverhalten angeht. Gestützt durch statistische

Daten, lassen sich die (säkularen und gebildeten)

wohlhabenderen Schichten und die arabischen Israelis

auf der Linken verorten und die Gottesfürchtigen

und die breite Mittelschicht auf der Rechten.

Kein Wunder, dass sich Blau-Weiß als Zentrumspartei

präsentiert.

In der Hoffnung auf ein klareres Wahlergebnis

und um verlorene Stimmen zu verhindern, haben

sich nun Politiker auf beiden Seiten in gemeinsamen

Listen zusammengetan. Seitdem die Sperrklausel

2015 auf 3,25 Prozent angehoben wurde, ist

die Sorge kleiner Parteien groß, den Sprung in die

Knesset nicht zu schaffen. Wie es aussieht, werden

es diesmal die Kandidaten von nur acht Parteilisten

ins Parlament schaffen, so wenig wie noch nie.

So hat auch der Chef der Israelischen Arbeitspartei

haAwoda, Amir Peretz, letztlich zähneknirschend

einer Allianz mit Meretz zugestimmt. Die

Sorge war groß, dass es die historische Gründer-

Groß oder

klein? Am Ende

der aktuellen

Entwicklungen

könnten nur

noch zwei Großparteien

bestehen

bleiben

– oder zahllose

personalisierte

„Mikroparteien“.

partei des Landes alleine vielleicht gar nicht mehr

ins Parlament schaffen würde. Amir kann bestenfalls

mit einer Handvoll an Knesset-Abgeordneten

rechnen. Das ist heute alles, was übrig geblieben ist

von der Partei, die das Land in der ersten Hälfte

seiner Geschichte allein regiert hat. Damit liegen

die israelischen Sozialdemokraten aber voll im europäischen

Trend.

In den vergangenen sieben Jahren hat sich das

linke Spektrum stark verkleinert. Hatten es 2013

noch acht zentristisch-linke Listen in diese 19.

Knesset geschafft, werden es jetzt in der 23. Knesset

nur mehr drei sein: Blau-Weiß, Arbeitspartei-

Wie es aussieht, werden es diesmal die Kandidaten

von nur acht Parteilisten ins Parlament

schaffen, so wenig wie noch nie zuvor.

Gesher-Meretz und die Vereinte arabische Liste.

Während die Listenzahl insgesamt abgenommen

hat, nahm aber die Zahl der Parteien innerhalb

dieser Listen zu. 2013 gab es insgesamt neun Parteien

in den Blöcken, heute bestehen die drei Listen

aus zehn Parteien: drei in Blau-Weiß, drei in Arbeitspartei-Gesher-Meretz

und vier in der Vereinten

Liste. Beim Israelischen Demokratischen Institut

(IDI) fragt man sich, ob dies nur eine vorübergehende,

technische Angelegenheit sei oder eine neue

Entwicklung, an deren Ende zwei Großparteien stehen

könnten, ähnlich wie in den Vereinigten Staaten.

Andernfalls könnten künftig noch mehr „Mikroparteien“

entstehen, die eine Entwicklung hin zur

politischen Personalisierung reflektieren.

wına-magazin.at

25


ARUM

WIEN

Foto & Redaktion: Ronnie Niedermeyer

Maurice Samuel

Aigner:

„Ich kann es mir gar

nicht mehr vorstellen,

woanders zu leben

als in Wien – außer

natürlich in Israel!“

26 wına | Februar 2020

MAURICE SAMUEL AIGNER

wurde 1953 in München geboren und arbeitete

dort als selbstständiger Unternehmer. Eine berufliche

und private Neuorientierung führte ihn

2009 nach Wien, wo er zuerst für eine Hausverwaltung,

dann für Privatstiftungen administrativ

tätig war. Seit einem Jahr ist er in Pension.

Ich kam in München als Sohn einer Jüdin zur Welt

und wusste lange Zeit nicht, was das für mich bedeutet.

Dass ich überhaupt begann, mich mit meinem Judentum

zu beschäftigen und damit auch meine weitläufige

Verwandtschaft in Israel kennenlernte, verdanke ich

meiner zweiten Ehefrau. So erfuhr ich nach und nach:

Die Großeltern meiner Mutter waren georgische Juden.

Nach der Oktoberrevolution flüchteten sie in die Türkei

– manche Verwandte gingen nach Persien, andere

nach Erez Israel. Der Großvater meiner Mutter wurde

Rabbiner an der Shalom-Synagoge in Istanbul. Ihre Eltern

organisierten für sie ein Schidduch mit einem türkischen

Juden – von dem wollte meine Mutter aber nichts

wissen und ging zu Verwandten nach Paris. Im Winter

1941/1942 wurde sie dort von der Gestapo gefasst.

Sie kam in ein Außenlager des KZs Dachau, betrieben

von der Deutschen Sprengchemie Geretsried, die Dynamit

herstellte. Mit gefälschten Papieren konnte meine

Mutter glücklicherweise zurück nach Frankreich flüchten,

wo sie bis Kriegsende in einem katholischen Kloster

versteckt wurde. Während ihrer Flucht lernte sie meinen

nichtjüdischen Vater kennen – einen Münchner, der sie

nach dem Krieg in seine Heimatstadt holte. Als ich dort

heranwuchs, war Judentum bei uns nie Thema. Weil sie

einen Goj geheiratet hatte, gab es auch keinen Kontakt

zu den Großeltern. Meine Mutter überlegte, mir einen

jüdischen Namen zu geben, doch mein Vater war dagegen

– da sie Französisch miteinander sprachen, einigten

sie sich auf Maurice. Und wie schon vorhin erwähnt, war

erst meine zweite Ehefrau „schuld“ daran, dass ich mich

heute überhaupt als Jude sehe. Ihre Eltern waren nämlich

Wiener Juden, die nach München gezogen waren –

so hatte ich zu Wien bereits eine gewisse Affinität. Wir

waren öfters hier zu Besuch – auch in der jüdischen Abteilung

am 4. Tor des Zentralfriedhofs, wo das Grab ihrer

Großmutter liegt. Durch diese Beschäftigung mit den

Wurzeln spürte ich in Paris meine eigene Großmutter auf,

die inzwischen von Istanbul dorthin gezogen war. Zum

Glück konnte ich noch viel Zeit mit ihr verbringen und

erfuhr so meine Familiengeschichte, die mir daheim verschwiegen

worden war. Wie es aber im Leben so oft ist,

erlebte ich in München nach und nach einen beruflichen,

einen gesundheitlichen und letztlich auch einen privaten

Bankrott. Wien war in mehrfacher Hinsicht ein naheliegender

Fluchtort. Im Stadttempel fand ich eine neue seelische

Heimat. Dort lernte ich Judith kennen: Ich hatte

Jahrzeit auf meine Mutter und sie auf ihren Vater. Die

Blicke trafen einander, wir begannen zu reden – nu, was

soll ich sagen, inzwischen sind wir seit sieben Jahren ein

Paar. Und ich kann es mir gar nicht mehr vorstellen, woanders

zu leben als in Wien – außer natürlich in Israel!

TIPP: Das Pariser Café „La Mercerie“ (Ecke Berggasse/

Servitengasse) importiert seine eigenen Éclairs au chocolat

direkt aus Frankreich. Bessere wirst du in Wien nicht finden.


HIGHLIGHTS | 02

Der Freund der Welt

Zum 142. Geburtstag des theologischen

Universalgelehrten Martin

Buber zwischen Berlin, Heppenheim

und Jerusalem.

Eigentlich gab es neben den drei großen

Psychologen des 20. Jahrhunderts

Freud, Jung und Alfred Adler niemanden

in den letzten 120 Jahren, der

das dialogische Prinzip dermaßen verkörperte

wie Martin Buber (1878–1965).

Dies auch mathematisch. Jeder, der in Jerusalem

seinen Nachlass einsieht, wird

staunen – rund 50.000 Briefe liegen dort,

die meisten bisher nicht gedruckt. Und

das sind nur jene, die sich erhalten haben!

Wien, seine Geburtsstadt, Lemberg,

Berlin, Heppenheim bei Worms, ab 1938

Jerusalem waren die äußeren Stationen.

Die inneren, intellektuellen, geistesgeschichtlichen

und religiösen waren weltumspannend.

Dass der Privatgelehrte,

Philosoph und Bibelexeget, Publizist, Übersetzer

und Chassidismus-Kenner, Lehrer

und Kontaktknüpfer in Rehavia, Jerusalem,

der Jahre 1948ff. im jungen, armen

Staat Israel einen großbürgerlichen Haushalt

mit Dienstpersonal unterhielt, war

ein Widerspruch, den Buber aushielt. Genauso

wie er aushielt, sich nach 1945 mit

Deutschen zu treffen, die Täter waren und

Nazis wie der Philosoph Martin Heidegger.

Aussöhnung, Versöhnung und Frieden

waren für ihn keine leeren Worte. Er

füllte sie intensiv mit Leben.

Dominique Bourels jüngste Biografie

über Buber erschien 2015

in Frankreich, zwei Jahre später

auf Deutsch. Mit fast 1.000 Seiten,

auf denen reichlich aus Korrespondenzen

zitiert wird, ist sie

monumental im Umfang und reicht

dennoch immer noch nicht aus, um

das Leben Bubers zwischen Dialog und

Widerspruch – allzu gerne legte er sich

mit den Mächtigen an, unter anderem mit

David Ben-Gurion –, Allwissenheit und

Weisheit, Spiritualität und weltlichem Dauerwirken

zu erfassen. A.K.

www.tipp

Drew Binskys Weltreise

Dem 28-jährigen Weltenbummler,

Drew „Binsky“ Goldberg fehlen

nur noch fünf Länder, bis er von

sich behaupten kann, alle von der

UN anerkannten Staaten der Erde

besucht zu haben. Seit acht Jahren

ist er unterwegs, hat bereits

zwei Guinness-Weltrekorde aufgestellt

und veröffentlicht seine Reisevideos

regelmäßig auf seinem

YouTube-Kanal und sozialen Medien.

Ein besonderes Highlight:

sein Besuch beim letzten Juden

in Afghanistan.

youtube.com/drewbinsky

Martin Buber,

ein Gigant des

20. Jahrhunderts

zwischen Dialog

und Widerspruch.

WINA PLOTKES

Red-Bull-Athlet

Fabio Wibmer bikt

durch Israel

Der Osttiroler Fabio Wibmer inszeniert

Israels Städte und Landschaften

auf eine neue Art. Seine

aufsehenerregenden Mountainbike-Videos

haben ihn bekannt gemacht. Vor

Kurzem ist er einer Einladung nach Israel

gefolgt. Gemeinsam mit dem israelischen

Tourismusministerium und

seinem neuen Canyon-Torque-Mountainbike

präsentierte er unter dem

Motto „Israel ist mein Spielplatz“ waghalsige

Tricks vor der Kamera.

Der 24-Jährige aus dem Team der Red

Bull Athletes reiste mit einer Crew quer

durch Israel und zeigte sich begeistert.

Nachdem er sich mit der Topografie,

Land und Leuten vertraut gemacht

hatte, wurden die spektakulären Kulissen

ausgewählt und in Szene gesetzt.

Von Eilat über den Timna-Nationalpark,

die Negev-Wüste und die Salzinseln

am Toten Meer über die Altstadtmauern

von Jerusalem, die Strandpromenade

in Tel Aviv und Jaffa – überall

filmte er kunstvolle Bike-Stunts. Prominente

Unterstützung bekam er in seinem

Video von Magier Uri Geller.

Wibmer hat in den vergangenen Jahren

zahlreiche Wettbewerbe gewonnen,

und sein YouTube-Kanal zählt

bereits fast vier Millionen Abonnenten.

Auf seinen Social-Media-Kanälen

schwärmt der Mountainbiker von Israel

und schreibt: „Wahrscheinlich der

coolste Ort, an den ich je gereist

bin!“ I.L.

Aus der Zweiradperspektive:

Der österreichische

Mountainbiker

Fabio Wibmer macht

Israel zu seinem Spielplatz.

© Ullstein/Abraham Pisarek/picturedesk.com; Michael Hayter; Instagram

wına-magazin.at

27


28 wına | Februar 2020

„Für FPÖ-

Wähler und

Klimawandelleugner

habe

ich kein

Verständnis.“


MEN T SCHEN: SHOSHANA DUIZEND-JENSEN

„Innerhalb der Halacha haben

Frauen ungeahnte Möglichkeiten“

Als eine der ersten Frauen wurde Shoshana Duizend-Jensen im Frühjahr

2019 Mitglied des Tempelvorstands der IKG. Die Historikerin, die sich auf

Wiener jüdisches Leben spezialisiert, erhielt im selben Jahr den Leon-

Zelman-Preis. Redaktion und Fotografie: Ronnie Niedermeyer

WINA: Sie wollten vor der Schiffschul fotografiert werden.

Welchen Bezug haben Sie zu diesem Haus?

Shoshana Duizend: Die Schiffschul – 1864 von ungarisch-jüdischen

Zuwanderern in der Großen Schiffgasse 8

errichtet – verkörpert für mich das konsequente Eintreten

für Thoratreue inmitten einer bereits sehr antisemitischen,

feindseligen und gewaltbereiten Umwelt. In der Schiffschul

wurde Gebet und Talmudlernen gelebt, sie vergab

Kaschrutzertifikate für die frommen jüdischen Institutionen,

und sie bildete Generationen von Talmud-Thora-

Schülern aus. Während des Novemberpogroms wurde das

Hauptgebäude grausam gesprengt: Noch heute klafft an

diesem Platz nahe des Donaukanals eine wild verwachsene

Baulücke. Nur das dazugehörige Gebäude des ehemaligen

Beith Hamidrasch ist heute noch übrig. Sogar

dieses steht noch immer nicht unter Denkmalschutz, ist

also dem Verfall preisgegeben.

Sie beschäftigen sich beruflich mit der Geschichte des Judentums

in Wien. Erleben Sie dabei Situationen, bei denen

Ihr objektiver Zugang als Historikerin von Ihrem persönlichen

Zugang als Jüdin beeinflusst wird?

❙ Wenn ich jüdische Vereine erforsche und ihre Akten lese,

erfreue ich mich an dem vergangenen vielfältigen jüdischen

Leben, das darin abgebildet wird. Besonders beeindruckend

war die große Anzahl der wohltätigen Organisationen in

Wien – von Wöchnerinnen bis zu Greisinnen und Greisen

fanden viele dort Unterstützung und Fürsorge. Die Adressen

aller Synagogen und Bethäuser Wiens schwirren mir

im Kopf herum. Ich versetze mich in eine Art Zeitreise

und versuche anhand von Bauplänen und Beschreibungen

zu rekonstruieren, welche Atmosphäre dort vorhanden war.

Diese Beschäftigung ist aber auch schmerzlich, da das jüdische

Leben Wiens in seiner damaligen Form für immer

verschwunden ist.

Dennoch konnten Jahrhunderte an Diskriminierung und Verfolgung

die jüdische Präsenz in Wien nicht auslöschen. Welche

Bedeutung hat Wien für Jüdinnen und Juden – und welche

Bedeutung hat umgekehrt das Judentum für Wien?

❙ Bis zur großen Katastrophe der Schoah haben beide Seiten

enorm voneinander profitiert. Wie ein roter Faden zieht

es sich durch die Geschichte Wiens: Juden haben einen

wesentlichen Teil der Gesellschaft und Ökonomie geprägt

und gefördert. Dafür erhielten sie auch relative Freiheiten,

sich weiterzuentwickeln und – wenn sie es wollten – auch

ihre Identität beizubehalten. Auch nach 1945 lässt sich dieses

Phänomen beobachten, als Rückkehrer aus den KZs in

Wien wieder prosperierende Unternehmen gründeten. Im

Wiener Stadt- und Landesarchiv sind tausende Beweise

dieser staunenswerten Entwicklung zu finden.

Für Außenstehende scheint das orthodoxe Judentum sehr

traditionelle Rollenbilder für Männer und Frauen zu propagieren.

Inwieweit entspricht das der alltäglichen Realität?

❙ Die Rollenbilder sind oft nicht sehr gut zu verstehen, wenn

man sie nicht selbst lebt. Wer zum Beispiel weiß, dass Frauen

davon befreit sind, ihre täglichen Gebete an bestimmten

ortsgebundenen Plätzen wie Synagogen zu verrichten, sondern

dies neben und mit ihren Kindern zu Hause tun können,

wird diese Erleichterung zu schätzen wissen. Ich denke,

dass es in vielen orthodoxen Familien schon weit fortgeschritten

ist, sich auch als Vater im Haushalt und in der

Kinderbetreuung einzubringen. Die Tradition, dass Männer

Thora lernen und Frauen Berufen nachgehen, hat doch auch

etwas sehr Selbstbestimmendes für Frauen. Wenn ich zu

Wohltätigkeitsveranstaltungen der orthodoxen Frauen gehe,

bewundere ich, wie perfekt sie sich selbst organisieren und

ihr eigenes Leben führen. Zudem ist es ja für Frauen nicht

verboten, Thora und Talmud zu studieren. Innerhalb des

Rahmens der Halacha haben Frauen ungeahnte Möglichkeiten,

ihre Identität zu wahren, Großartiges zu leisten und

in der Gesellschaft einen gleichberechtigten Platz zu finden.

Welche Entwicklungen würden Sie sich dennoch wünschen?

❙ Wir als fromme Jüdinnen und Juden dürfen allgemeine

gesellschaftliche Anliegen nicht außer Acht lassen. Wer

weiterhin den Klimawandel leugnet oder als Jude bzw. Jüdin

FPÖ wählt, weil diese Partei angeblich israelfreundlich

ist – dafür habe ich kein Verständnis.

wına-magazin.at

29


JEWISH JOINT

„Der Joint arbeitet wie

eine Ziehharmonika“

Eine unentbehrliche jüdische US-Hilfsorganisation

schließt nach 100 Jahren ihre Pforten in Wien – vorläufig.

Von Marta S. Halpert

30 wına | Februar 2020

Auf die eine oder andere Art ist fast

für jeden in der jüdischen Community

der Name Joint ein Begriff“,

sagt Wolfgang Weninger. Dass man

ab Februar 2020 in Österreich nur mehr in

der Vergangenheitsform über das American

Jewish Joint Distribution Committee

(JDC), kurz: Joint, wird sprechen können,

stimmt den Leiter des Österreich-Büros

nachdenklich: „Damit geht die 100-jährige

Geschichte dieser jüdisch-amerikanischen

Flüchtlingshilfsorganisation in Wien vorläufig

zu Ende. Aber man vergleicht den

Joint mit einer Ziehharmonika: Wenn es

Arbeit gibt, dehnt er sich wieder aus.“

Warum wird das Büro des JDC jetzt geschlossen?

Dafür gibt es mehrere hoch politische

Ursachen, und die erläutert Amir

Shaviv, der Geschäftsführer des Transmigrationsprogramms

in New York: „In den

letzten Jahren fokussierte sich die Arbeit

in Wien auf die Betreuung der jüdischen

Asylanten aus dem Iran. Während sie auf

ihre endgültigen Ausreisepapiere in die

USA warteten, unterstützte sie das JDC

in allen humanitären und religiösen Belangen,

und die HIAS*, als offizielle US-

Agency, erledigte den bürokratischen

Aufwand.“ Doch im Jänner 2017 erteilte

Präsident Trump den Erlass, die Einwanderung

aus sieben muslimischen Staaten,

darunter auch dem Iran, zu stoppen. Daraufhin

stellte auch die österreichische Regierung

die Erteilung von Transitvisa aus

Teheran nach Wien ein.

„Infolge dessen konnte das Wiener

Joint-Büro seine ursächlichste Mission

nicht mehr erfüllen, vor allem, weil seit

zwei Jahren kein einziger jüdischer Flüchtling

aus dem Iran hier ankam“, erläutert

Shaviv. „Leider gibt es keinerlei Anzeichen

dafür, dass sich die amerikanische Politik in

nächster Zukunft ändert.“ Ab den 1980er-

Jahren bis 2017 waren rund zehntausend

iranische Juden auf der Durchreise in Wien

auf ihrem Weg in die USA. Signifikant

Verlegung von 1.000 jüdischen

Flüchtlingen aus dem

Salzburger Displaced-Persons-

Lager in neue Quartiere in der

Nähe von München unterstützt

durch das JDC.

abgenommen hatte der Flüchtlingsstrom

schon ab 2010, als pro Jahr nur mehr zirka

einhundert Personen hier durchreisten.

Hat der große Freund Israels auch die

Auswanderung für Juden in seinem Erlass

inkludiert? „Ja“, sagt Wolfgang Weninger,

„aber mit dem Lautenberg-Amendment,

einer Gesetzesnovelle aus dem Jahr 1990,

konnten wir da ein legales Schlupfloch

finden.“ Diese Abänderung wurde in den

1990-Jahren eigentlich zur Erleichterung

der Einwanderung von russischen Juden

gemacht und besagte, dass die religiösen

Minderheiten nicht Verfolgung nachweisen

müssten, sondern, dass es auch genüge,

wenn sie „Furcht vor Verfolgung“ angaben.

„Das bezog sich dann natürlich ebenso

auf verfolgte Christen und Bahai aus dem

Iran“, erklärt der Büroleiter.

Das JDC war ursprünglich 1914 gegründet

worden, um die jüdischen Opfer

des Ersten Weltkriegs zu unterstützen.

In der Zwischenkriegszeit waren zunächst

die verarmten jüdischen Gemeinden in der

Sowjetunion und in Osteuropa im Fokus

der jüdisch-amerikanisch Wohlfahrt. Ab

1933 konzentrierte sich JDC auf die Unterstützung

der jüdischen Bevölkerung in

Deutschland und in den von der Wehrmacht

besetzten Gebieten Ost- und Westeuropas:

etwa durch Spenden für Krankenund

Waisenhäuser, für Nahrungsmittel

und zum Teil auch für den bewaffneten

jüdischen Widerstand. Außerdem half die

NGO mit eigenen Büros in zahlreichen

europäischen Ländern bei der Organisation

der Emigration und übernahm auch

Reise- und Visakosten.

Dieser Teil der Arbeit nahm nach den

Novemberpogromen 1938 stark zu, bei

Kriegsbeginn erhöhte sich die Zahl der

Flüchtlinge noch einmal. Der US-Rabbiner

Joseph J. Schwartz übernahm 1940 in

Paris das Amt des europäischen Direktors

des JDC. Seine Bemühungen um Hilfeleistung

gingen mitunter über die Grenze

der Legalität hinaus – so zahlte das Komitee

auch für falsche Papiere. Schwartz

sorgte nicht nur dafür, dass jüdische

Flüchtlinge, die Lissabon mit gültigen

Reisepapieren erreichten, von dort aus mit

dem Schiff weiterreisen konnten. Er unter-

* HIAS steht für Hebrew Immigrant Aid Society und wurde 1881 gegründet, um Juden aus Russland zu helfen, die vor den Pogromen flohen.

In Wien ist HIAS keine jüdische Agency, sondern ein non-sectarian refugee support center.

© Science Source / PhotoResearchers / picturedesk.com; United States Information Servic / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com


DISTRIBUTION COMMITTEE

15 Millionen Dollar hatte das

JDC mit der Kampagne SHARE bis

zum Ende des Krieges lukriert, um

damit jüdisches Leben in Europa

zu retten. Plakat: Johnstone Burke

Studios. Lithographie.

stützte auch Insassen französischer Internierungslager

sowie französische Krankenhäuser,

Waisenheime und Suppenküchen.

Auch in das Ghetto Theresienstadt, nach

Polen und in andere von den Deutschen

besetzte Gebiete wurden Lebensmittelpakete

und Geld geschickt.

Ab Juni 1940, nach der deutschen Besetzung

von Paris, wurden die Hilfsaktionen

von Lissabon aus koordiniert: Die portugiesische

Hauptstadt wurde zu einer der

zentralen Transitstationen auf dem Weg

nach Übersee. Diese Aktivitäten wurden

durch den Kriegseintritt der USA erschwert,

da das JDC ab diesem Zeitpunkt

keine Büros in feindlichen Ländern mehr

unterhalten durfte. Mit Hilfe des in der

Schweiz ansässigen JDC-Mitarbeiters

Saly Mayer gelang es jedoch, Finanzhilfen

weiterhin in Osteuropa zu verteilen

und damit zahlreiche lebensnotwendige

Mittel zur Verfügung zu stellen.

Nach dem Krieg war das JDC die wichtigste

jüdische Hilfsorganisation für Überlebende

der Schoah. Es betreute die Displaced

Persons (DPs) in den Auffanglagern

in Deutschland, Österreich, Italien und

Osteuropa und finanzierte Nahrungsmittel,

Kleidung und Berufsausbildung. Nach

der Staatsgründung Israels im Mai 1948

organisierte das JDC auch den Transport

jüdischer Auswanderer dorthin. Die Organisation

beteiligte sich auch an der Claims

Conference und dem daraus folgenden

Claims Committee.

100 Jahre in Wien aktiv. Doch wie

kommt der Leiter des Wiener Büros

Wolfgang Weninger auf das 100-Jahr-Jubiläum

in Wien? „Soweit ich das aus den

geschichtlichen Unterlagen recherchieren

konnte, kam bereits während des Ersten

Weltkrieges Hilfe über die niederländische

diplomatische Vertretung hierher“,

so der ehemalige Student der Geschichte.

„Es gab zwar kein JDC-Büro, aber Delegationen

aus den USA kümmerten sich regelmäßig

um jüdische Kriegsflüchtlinge.

Finanzielle Hilfe ist erst ab 1919 gekommen,

kolportiert wird eine Million Dollar.“

Stolz zeigt Weninger ein vergilbtes

Schwarz-weiß-Foto, das er in alten Dokumenten

gefunden hat: Es zeigt die Verteilung

von Mazza für Pessach und anderer

Lebensmittel im Jahr 1929 im Leopoldstädter

Tempel, der 1938 vollkommen niedergebrannt

wurde. „Es wurden Suppenküchen

errichtet, wichtig war vor allem die

medizinische Versorgung der Alten und

der Kinder.“ Für diese Zeit sehr fortschrittlich,

wurden Mikrokredite vergeben, damit

Menschen wieder Fuß fassen konnten.

Bereits 1987 hat Weninger bei der amerikanischen

Hilfsorganisation angedockt,

um bei der Abwicklung der Ausreise von

Juden aus der Sowjetunion zu helfen.

„Die Emigrationswelle ist damals förmlich

explodiert“, erzählt der Wiener. „In

den 1970er-Jahren kamen auch viele Juden

über Wien. 1979 mit dem Einmarsch

der Russen in Afghanistan war dann Pause.

Erst unter Präsident Gorbatschow gingen

die Zahlen wieder hinauf.“ Parallel

zu der russischen Auswanderung wurde

ab 1979/80, nach dem Sturz des Schahs

von Persien, auch ein Hilfsprogramm für

jüdische Iraner eingerichtet. „Es handelte

sich großteils um Familienzusammenführung,

fast alle Personen hatten bereits Verwandte

in den USA. Bemerkenswert war

der hohe Ausbildungsgrad der Iraner“, berichtet

Weninger. Zuerst übersetzte er medizinische

Befunde für jene Personen, die in

Spitälern versorgt werden mussten. „Bis auf

ein Jahr Unterbrechung für den Zivildienst

1990 bin ich da picken geblieben“, lacht er.

Wie sah es mit der Hilfe in den Bundesländern

aus? „Ich weiß nur von den Hilfsaktionen,

die nach 1945 in der amerikanischen

Besatzungszone in Oberösterreich

und Salzburg stattfanden – und ein jüdisches

DP-Lager gab es auch in der Obersteiermark.“

Im März 2019 wurde in der

Grazer Kultusgemeinde eine berührende

Gedenkveranstaltung für einen JDC-Helfer

abgehalten: „Im November 1945 eröffnete

der erst 26-jährige britische Staatsbürger

Hyman Yantian ein Joint-Büro und

organisierte für die DPs nicht nur Nahrungsmittel,

Kleidung

und Bildungsprogramme,

sondern

finanzierte in der

Steiermark Erholungsheime

für jüdische

Kinder und Erwachsene

sowie ein

„In den letzten

Jahren fokussierte

sich die Arbeit

in Wien auf die

Betreuung der

jüdischen Asylanten

aus dem

Iran.“ Amir Shaviv

jüdisches Studentenheim

in Graz.“

Auch beim Wiederaufbau

der Gemeinde

für die wenigen

nach Graz

zurückgekehrten Jüdinnen

und Juden spielte der Joint eine wesentliche

Rolle. „Die finanzielle Unterstützung

kam immer aus den USA, aber ohne

die logistische Hilfe der Israelitischen Kultusgemeinde

sowie die medizinische Betreuung

durch ESRA hätten wir das alles

nicht schaffen können“, sind Amir Shaviv

und Wolfgang Weninger überzeugt. „Wir

haben immer einen Ansprechpartner in

der IKG gehabt und sind mit unseren Asylanten

auch zu den Feiertagen und diversen

Veranstaltungen eingeladen worden.“

Auch wenn es im Wiener Joint-Office

in den letzten beiden Jahren ruhig geworden

ist, war die Hilfsorganisation im

Jahr 2019 in 28 Ländern in Zentral- und

Osteuropa aktiv, insbesondere im Aufbau

des jüdischen Gemeindelebens nach dem

Kommunismus. Die Republiken der ehemaligen

Sowjetunion ausgenommen, hilft

der Joint in Ländern wie Deutschland,

Ungarn, Polen, Bulgarien, Rumänien, der

Tschechischen Republik, auf dem Balkan

und in den baltischen Staaten. Aber auch

ganz neue und innovative Projekte fördert

Joint heute: Das Mozaik Hub in Budapest

zum Beispiel ist ein Inkubator für jüdische

Sozialunternehmer, die dort ein Trainingsprogramm

absolvieren, um eine neue Generation

an Führungskräften für das Community

Building vorzubereiten.

An welches menschliche Erlebnis

während der Flüchtlingsbetreuung erinnert

sind Wolfgang Weninger gerne zurück?

„Von der iranischen Gastfreundschaft

war ich immer wieder überwältigt:

Egal, wie wenig sie hatten, auch damit haben

sie einen überhäuft.“ Tief berührt hat

ihn auch das Erlebnis mit einer jungen Iranerin,

die sich länger in Wien aufhalten

musste, weil sie einmal abgelehnt wurde.

„Wir haben mit den Durchreisenden verschiedene

Programme gemacht, Ausflüge,

Museumsbesuche – und auch eine Reise

zur Gedenkstätte des KZs Mauthausen.

Das war wichtig, denn die Iraner

wussten sehr wenig über

den Holocaust.“ Die 20-Jährige

bat dort einen polnischen

Überlebenden um ein gemeinsames

Foto, das sie auch

machen durfte. Im Jahr darauf

war die junge Frau bei der

Befreiungsfeier im Mai wieder

dabei und traf den weit

über Neunzigjährigen erneut.

Nach den freudigen Umarmungen

fragte sie ihn dieses

Mal auch über seine Jugenderlebnisse

als Häftling aus.

wına-magazin.at

31


FINANZWELT POLITIK

Eine Zigarette habe ihm einst das

Leben gerettet, erzählte Felix

Rohatyn. Die Zigarette zündete

sich ein Deutscher Wachsoldat an und

winkte abgelenkt das Auto seiner Familie

durch, die im Jahr 1940 vom besetzten

Paris in Richtung Marseille unterwegs

war, von wo sie in die neue Welt flüchten

wollte. Im Rückspiegel habe er gesehen,

dass schon das nächste Fahrzeug wieder

kontrolliert wurde.

Feliks Jerzy Rohatyn wurde 1928 in

Wien als Sohn bürgerlicher jüdischer polnischer

Eltern geboren. Er sollte in den

USA eine beispiellose Karriere als Investmentbanker

machen, die ihn auch in die

höchsten politischen Kreise führte. Sein

Meisterstück war die Rettung der Stadtverwaltung

von New York, die 1975 an der

Kippe zur Zahlungsunfähigkeit stand. Später

wurde er noch US-Botschafter in Paris.

Sein Urgroßvater sei Rabbiner in einem

polnischen Städtel gewesen, erzählte Rohatyn.

Der Name leitet sich jedenfalls von einem

Ort in Westgalizien her, der damals

zur Donaumonarchie gehörte und in dem

es eine jüdische Einwohnermehrheit gab.

Sein Vater Alexander managte von Wien

aus mehrere Brauereien, an denen die Familie

Anteile hielt, in Österreich, Rumänien

und in Jugoslawien. Felix wurde in

ein Internat in der Schweiz geschickt, damit

er eine solide Ausbildung erhalte und

Französisch lerne.

Doch die Rohatyns konnten auch die

politischen Zeichen der Zeit lesen. Schon

1935 übersiedelten sie vor dem Hintergrund

zunehmender nationalsozialistischer

Macht nach Paris. Als die Deutschen

Frankreich im Blitzkrieg besiegt hatten

und zunächst Paris und den Norden und

Westen besetzten, entschloss sich die Familie

zur Flucht. Dabei handelte es sich

um Mutter, Großmutter und den Stiefvater

von Felix – sein Vater blieb zurück und

überlebte den Krieg als U-Boot in Orleans.

Nach dem knapp gelungenen Übertritt

in das noch nicht besetzte Vichy-Frankreich

sollten die Rohatyns noch einmal

Glück haben. Sie standen auf den Listen

des brasilianischen Diplomaten Luís

Martins de Souza Dantas, der – entgegen

den Anweisungen seines eigenen Außenministeriums

– 800 Visa für Juden ausstellte

und diesen damit die Schiffsreise

über Casablanca auf den amerikanischen

Kontinent ermöglichte (siehe Der vergessene

Judenretter in WINA 2/19). Nach einer

Wartezeit in Brasilien zog die Familie

schließlich in die USA.

Ein Wiener

RETTET NEW YORK

Im Dezember 2019 starb der bekannte Investmentbanker

Felix Rohatyn. Er war an zahlreichen großen

Firmenübernahmen beteiligt, Mitte der 1970er-Jahre

organisierte er die Sanierung der insolventen Stadtverwaltung

der US-Metropole.

Von Reinhard Engel

Felix ging in Manhattan zur Schule und

studierte dann Physik im Middlebury College

in Vermont. Allerdings interessierte

er sich deutlich mehr fürs Skifahren als

für die akademischen Angebote, schrieb

er später in seiner Autobiografie Dealings.

Um etwas anderes von der Welt zu sehen

und eventuell seinem Vater beruflich

nachzufolgen, kehrte er nach dem Krieg

nach Frankreich zurück, wo dieser wieder

als Brauer Fuß gefasst hatte. Felix schuftete

in einer Brauerei, wurde aber von den

kommunistischen Arbeitern als Sohn des

Bosses schikaniert. „Ich sah bald, dass weder

Bier noch Frankreich meine Zukunft

sein sollten. Also kehrte ich zurück nach

Middlebury und beendete mein Studium.“

Nach seinem Abschluss wusste er nicht

so recht, was er machen sollte, da bot sich

ihm durch Zufall ein Sommerjob in einer

kleinen Privatbank an, bei Lazard Frères.

Daraus sollten Jahrzehnte einer außergewöhnlichen

Karriere werden.

Ein weiterer Zufall setzte Rohatyn

innerhalb des Bankgeschäfts auf die zukunftsträchtigsten

Geleise. Ursprünglich

hatte er im Devisenhandel begonnen, sich

dort eingearbeitet und auch schon recht

ordentlich verdient. Doch der Vater einer

Freundin, der Whiskey-Mogul und

Gründer von Seagram’s, Samuel Bronfman,

gab ihm den Rat, ins Investment

Banking zu wechseln, dort spiele künftig

die Musik. Er möge kurzfristig mit

weniger Gehalt zufrieden sein und sich

parallel dazu in Abendkursen ordentlich

für diese Aufgabe vorbereiten. Roha-

tyn folgte diesem Rat, sein Chef, André

Meyer, stimmte diesem Wechsel zu.

Im Übernahmekarussell. Rohatyn sollte

tatsächlich die richtige Wahl getroffen haben.

In den späten 1950er-Jahren begann

sich das Übernahmekarussell in der US-

Wirtschaft bereits zu drehen, und er war

mitten drin. So mischte er bereits bei einem

der ersten großen Takeovers mit, als

ITT, bis dahin vor allem ein Telekomausstatter

außerhalb der USA, eine große regionale

Versicherung übernahm – und damit

in Richtung branchenübergreifendes

Konglomerat marschierte. Rohatyn sollte

dann lange Jahre im Board von ITT sitzen

und zahlreiche weitere Akquisitionen

mit betreuen.

Doch bald kam eine erste öffentliche

Aufgabe auf ihn zu. In Vertretung der

kleinen, feinen Privatbank Lazard hatte

er einen Direktorenposten bei der New

Yorker Börse erhalten. Und dort standen

die Zeichen auf Sturm. 1970 hatte sich

eine ganze Reihe kleinerer Investmentbanken

übernommen, sie hielten zu viel

Risiko in den Büchern und drohten unterzugehen,

dabei zahlreiche Investoren

mitzureißen. Rohatyn gehörte zum engen

Kreis an der New York Stock Exchange,

der mit der Einrichtung eines Notfonds

und dem Anstoß zur Übernahme wackeliger

Marktteilnehmer dafür sorgte, dass

keine größere Krise à la Lehman daraus

wurde. Nach dieser Sanierung widmete

er sich wieder seinen eigentlichen Geschäften,

er war inzwischen Partner ge-

32 wına | Februar 2020


CORPORATE TAKEOVERS

„Ich glaube, der Marktkapitalismus ist das

beste je erfundene ökonomische System. Aber

er muss fair sein, er muss reguliert sein, und er

muss ethisch sein.“ Felix Rohatyn

© Brendan Mcdermid / Reuters / picturedesk.com

worden und hatte es auch zu einem gewissen

Wohlstand gebracht.

Doch die Herkulesaufgabe sollte noch

kommen. 1975 stand die heimliche Welthauptstadt

New York City vor dem finanziellen

Kollaps. Dazu hatten mehrere

Entwicklungen beigetragen. Einige Jahre

schwacher Wirtschaftsentwicklung im

Gefolge der Ölkrise ließen Unternehmen

wie wohlhabende Privatleute abwandern,

die Steuerbasis verkleinerte sich. Dem gegenüber

weitete die städtische Bürokratie

ihre Angebote aus, genau wusste niemand,

wie viele Menschen für das Rathaus

arbeiteten, aber es waren mehr als 300.000.

Und schließlich wurde diese Service-Expansion

alles andere als solide finanziert.

Weil die Stadt keine langfristigen Anleihen

mehr verkaufen konnte, holte sie sich

immer wieder teure kurzfristige Gelder,

konnte sie aber nicht zurückzahlen und

brauchte weitere Kredite. Auf einmal sagten

die Banken nein. Die Zahlungsunfähigkeit

der Stadt stand unmittelbar bevor,

und auch der Staat New York war bedroht.

Dessen Gouverneur, Hugh Carey, ersuchte

Rohatyn, einen Notfallplan zu erarbeiten,

um die Insolvenz kurzfristig

abzuwenden, die unabsehbare Folgen haben

könnte: Massenarbeitslosigkeit, im

schlimmsten Fall eine nationale und internationale

Wirtschaftskrise. Mittelfristig

sollten die gesamten Finanzen der Stadt

auf solide Beine gestellt werden.

Es wurde über Monate ein Tanz auf

dem Vulkan. Die Grundidee war, eine

Auffanggesellschaft des Staates New York

zu gründen, die ihrerseits Anleihen

ausgeben konnte, die der Markt und

unterschiedliche Institutionen kaufen

würden. Die Bundesregierung

unter Präsident Gerald Ford verweigerte

jede Hilfe, sowohl in der

Form direkte Finanzierung wie auch

als Garantien. Ford, ein Republikaner,

nutzte die missliche Lage der

Großstadt für politisches Kleingeld:

Da sehe man, dass die linken Demokraten

nicht wirtschaften könnten.

Dennoch war Rohatyn erfolgreich,

nicht zuletzt, weil er die mächtigen

Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes

von seiner Seriosität überzeugen konnte,

ihnen klar machte, dass ihre Zustimmung

zu einem harten Sanierungskurs essenziell

sei. Er brachte sie sogar dazu, mit ihren

Pensionsfonds die neuen Anleihen zu

zeichnen, trotz eines Personalabbaus von

etwa 20 Prozent.

Von den Verhandlungen mit den Arbeiterführern

berichtete Rohatyn später,

man habe sich zu einzelnen Punkten oft

rasch im kleinen Kreis geeinigt, musste aber

der Basis harte nächtliche Verhandlungen

vorspielen. Dabei habe man gemeinsam

Fernsehen geschaut oder gepokert, in den

frühen Morgenstunden traten dann alle erschöpft

vor die Kameras und verkündigten

die schwierig errungen Einigung. Ganz

am Ende des Sanierungsprozesses gab es

dann doch noch Hilfe aus Washington, europäische

Regierungschefs wie Valerie Giscard

D’Estaing und Helmut Schmidt hatten

vor einer Eskalation gewarnt, und Ford

gab nach. Letzten Endes dürfte ihn aber

die harte Haltung die Wahl gekostet haben,

der Demokrat Jimmy Carter zog ins

Weiße Haus ein.

Rohatyn kehrte in seine Investmentbank

zurück, war auch in einer neuen intensiven

Phase von corporate takeovers immer

wieder bei entscheidenden Deals

führend dabei. Zu den bekanntesten gehörte

die Übernahme von RJR Nabisco, einem

Tabak- und Lebensmittelkonglomerat

durch die Investmentbank KKR, oder

jene der Unterhaltungsgruppe RCA (mit

ihren Universal Studios) durch den japanischen

Technologiekonzern Matsushita.

Doch Rohatyn war als seriöser, eher

konservativer Banker nicht mit allen Entwicklungen

einverstanden. So schienen

ihm Junk-Bond-Finanzierungen oftmals

unseriös und zu riskant, er beteiligte

sich nur selten an feindlichen Übernahmen,

kritisierte auch immer wieder die

enormen Boni und Profite, die sich Manager

bei den Deals selbst genehmigten,

gleichzeitig aber die Firmen brutal auf

Gewinn trimmten. „Ich bin ein Kapitalist.

und ich glaube daran, Profite zu erzielen.“

Aber all zu oft habe er die andere

Seite gesehen: Massenentlassungen, beschädigte

Gemeinden, Umverteilung von

den Arbeitnehmern weg. „Ich glaube, der

Marktkapitalismus ist das beste je erfundene

ökonomische System. Aber er muss

fair sein, er muss reguliert sein, und er muss

ethisch sein. Das habe ich in meinen fünfzig

Jahren in der Finanzwelt und in der

Politik gelernt.“

Rohatyn, politisch ein überzeugter Demokrat,

stand mehrmals knapp vor einem

Wechsel in die Politik, doch auch unter

Bill Clinton sollte es weder mit dem Chefposten

in der Weltbank noch mit einem

Direktorenjob bei der Bundesbank Fed

klappen. 1999 kehrte dann das ehemalige

jüdische Flüchtlingskind aus Wien nach

Europa zurück, als mächtiger amerikanischer

Botschafter in Paris und Chef von

1.000 Mitarbeitern. Nach seiner Pensionierung

engagierte er sich vor allem für eine

Wiederbelebung der maroden US-Infrastruktur,

argumentierte zäh für deren Modernisierung

und Ausbau.

Eine Börsenkrise erwischte ihn dann

doch noch persönlich. Rohatyn hatte

für Lehman als Berater für europäische

Märkte gearbeitet. Und wie viele andere

auch, musste er die Investmentbank nach

deren Zusammenbruch mit einem Karton

in den Händen verlassen. Seine Expertise

wurde aber schnell wieder nachgefragt, von

seinem jahrzehntelangen Arbeitgeber Lazard.

Rohatyn starb 91-jährig im Dezember

2019 in New York.

wına-magazin.at

33


GENERATION UNVERHOFFT

Von Person A zu

Person Benjamin

Wie der 22-jährige Benjamin Abramov die

Spiritualität für sich entdeckte.

Text & Foto:

Anna

Goldenberg

Es sind hektische Tage für Benjamin Abramov.

Er muss zum Friseur, gleich

kommt die Möbellieferung, die Arbeit

ruht nicht, und zudem sind noch die

letzten Kleinigkeiten für den Sonntag

zu klären. Da ist nämlich die Hochzeit

des 22-Jährigen. „Für so etwas braucht es materielle und

spirituelle Vorbereitung“, sagt Benjamin an diesem Donnerstag

Mitte Jänner. „Es geht nicht um die Hochzeit,

sondern um das Leben danach.“

„Doch dann hab ich gemerkt, im

Ökosystem sitzt jemand anderer

an oberster Stelle.“

Mit diesen philosophischen Sinnsprüchen passt er

in sein Umfeld. Gerade sitzt er in einem dunkelvertäfelten

Raum des Bet Halevi, des 2006 eröffneten Gemeindezentrums

am Augarten. Betrieben von Chabad,

werden hier sefardische Bräuche mit der chassidischen

Tradition kombiniert. Das Schönste an Chabad sei die

„gute Stimmung“, so Benjamin: „Jeder hat einen kleinen

Funken. Egal, was du gestern getan hast – heute kannst

du eine Mizwa erfüllen.“

Dass sich Benjamin in dem religiösen Umfeld wohlfühlt,

war nicht immer so. Er wuchs in einem traditionellem

Haushalt auf, Kaschrut, Schabbat und Feiertage

ja, aber so gläubig wie heute war er damals nicht.

Eine „Light Version“ des Judentums lebte er damals, sagt

Benjamin. Die Eltern kommen aus dem heutigen Usbekistan;

wie viele in der bucharischen Gemeinde wanderten

sie erst nach Israel aus und kamen später nach

Wien, wo Benjamin und seine beiden älteren Schwestern

geboren sind.

Seine gesamte Schulkarriere absolvierte er an der

ZPC-Schule; nach der Matura schrieb er sich für mehrere

Studien in Wien ein. Architektur, Informatik,

Stadtplanung. Nichts passte gut. Erst bei einem Diplomlehrgang

in Grafikdesign und Onlinemarketing an

der Deutschen Pop, einer Privatakademie, fand er sich

wieder.

Die Orientierungslosigkeit beim Studienbeginn war

damals nicht die einzige Schwierigkeit. Im Jahr nach seiner

Matura hatte Benjamin gesundheitliche Probleme;

eine Operation war notwendig. Nichts Lebensbedrohliches,

alles lief gut – doch die Sache erschreckte ihn. „In

dem Alter denkt man, man hat die Kontrolle über alles“,

erzählt er. „Doch dann hab ich gemerkt, im Ökosystem

sitzt jemand anderer an oberster Stelle.“ Eine

„Kettenreaktion“ begann, Benjamin entdeckte die Spiritualität

für sich.

Er engagierte sich bei der Jugendorganisation Jadbejad,

wo ihn ein neugewonnener Freund ins Bet Halevi

mitnahm. Hier beschäftigte er sich mit der Torah.

„Ich hab mich neu kennengelernt“, erzählt er. „Bet Halevi

ist wie eine Fabrik. Du gehst als Person A rein und

kommst als Person B wieder raus.“ Wobei Person Benjamin

hier gar nicht so oft rauskommt. Mittlerweile arbeitet

er nämlich auch für das Zentrum, organisiert Veranstaltungen

und übernimmt Grafik und Marketing

– und seit Kurzem ist auch seine Wohnung gleich dort.

Nur die Möbellieferung fehlt noch.

34 wına | Februar 2020


LEBENS ART

Style-Vorlage

Im grauen Februar beschäftigt sich WINA mit der wahrscheinlich

schönsten Jugendkultur der Welt: den Mods!

Christopher Just:

Der Moddetektiv

Milena Verlag.

504 S., € 21

Der letzte Dandy. Der Wiener

Autor Christopher Just erklärt

den Mod – und seinen

Romanhelden Sandemann.

Fun Fact

Beim Vorspielen für die spätere

Mod-Kultband The Who (Tommy,

Quadrophenia) fragte Sänger Roger

Daltrey den Gitarristen Pete

Townshend lediglich: „Can you

play E? Can you play B? And can

you play Hava Nagila?“

thewho.com

WINA: Mod-Sein ist eine Jugendkultur der 1960er-Jahre.

An welchen Orten kann man sie in Wien heute noch finden?

Christopher Just: Da ich in den 1980er-Jahren Mod gewesen

bin, habe ich den Kontakt zur gegenwärtigen Szene längst

verloren und weiß auch nicht, wie viele es überhaupt noch

gibt. Auf Alt-Wiener-Mods stößt man aber am ehesten im

Abbey Road Shop in der Zieglergasse, wenn der Laden etwa

ein Special mit 60s-DJs initiiert, oder am Donnerbrunnen,

wenn sie sich im Frühjahr zu einer Scooter-Ausfahrt treffen.

Und natürlich auf Konzerten von Mod-Bands wie The

Who oder bei Paul Weller, dann allesamt in Parkas und mit

aufgeputzten Vespas und Lambrettas.

Was kann man von ihr lernen?

❙ Ein gewisses Gefühl für Stil und Ästhetik bei Mode und

Design. Wie ein gut geschnittener Anzug aussieht, wie man

sich exzentrisch kleidet, ohne affig auszusehen. Klassischer

Stil, statt kurzlebigen Trends hinterherzuhecheln. Und mit

Leidenschaft anders als die anderen sein zu wollen (obwohl

dies wiederum dem Gruppengefüge widerspricht, ein Dilemma,

mit dem auch Sandemann hadert).

Popmusik verbindet!

Die fantastische siebenköpfige

Band Men of North Country

kommt aus Tel Aviv. Die Inspirationsquelle

für ihre Songs

findet sich jedoch im US-amerikanischen

Soul, der in den

1960er-Jahren im Norden Englands

für volle Tanzflächen und

die Entstehung der legendären

Northern-Soul-Szene sorgte.

menofnorthcountry.com

„Die anderen Mods, die Soulallnighters, die Scooter Runs,

das Partycrashen, das Popperbashen – all das interessierte

ihn nicht mehr wirklich. Geblieben war ihm der Style –

denn es war der einzige Style.“ Aus: Der Moddetektiv

Unique Uniform

Stilsicheres Kleiden ist für Mods

kein Problem. So lange die akkuraten

Hemden, Hosen und

ikonischen Parkas aus dem

Regal von Ben Sherman

aka Arthur Benjamin Sugarman

stammen. Der

in Brighton geborene

Sohn eines jüdischen

Verkäufers gründete

1963 die Firma, um

junge Londoner Jazzfans

mit den beliebten

amerikanische

Button-down-Hemden

zu versorgen, die von

Jazzkünstlern wie Miles

Davis und Dizzy Gillespie

getragen wurden.

Der Rest ist Mod-Geschichte

bensherman.com

Warum ist der Titelheld und Privatermittler Sandmann als

Mod angelegt?

❙ Ich wollte einen lonesome Hero als Protagonisten, jemand,

der sich isoliert, sich freiwillig aus der Gesellschaft ausschließt

und dadurch längst den Bezug zur Gegenwart verloren hat.

Jemand, der mit sich selbst und seinen Erinnerungen allein

bleibt und seinen Gedanken an „die gute alte Zeit“ nachhängt.

Sandemann ist einerseits eine schrullige, tragikomische

Figur, weil er sich seit Jahrzehnten nicht mehr wesentlich

verändert hat, ein übriggebliebener, einsamer Saurier, der

selbst den Kontakt zu seinen „Artgenossen“ abgebrochen hat.

Wenn so ein Charakter plötzlich gezwungen wird, sich der

Gegenwart zu stellen, hagelt es lustige Situationen. Andererseits

hat Sandemann auch etwas Strahlendes, ist ein Ehrenmann,

ein Ritter – der letzte Dandy und Individualist, der

sich dem Mainstream elegant verweigert.

Was wird bei Ihnen selbst immer im Mod-Modus bleiben?

❙ Ich werde niemals eine Vespa mit einem späteren Baujahr

als 1978 fahren – die letzten Vespas, die noch runde Hinterbacken

hatten. Und im Großen und Ganzen: mein Dandytum

und ein leichter Hang zur Exzentrik.

Rocking Roller

Einem echten Mod kommen freilich

nur originale Scooter in den

Stall. Für Neueinsteiger eignet

sich vielleicht aber auch die

Lambretta V200 – sie springt

verlässlich an, ist schick und

schnell genug, um sich vor dem

natürlichen Feind des Mods

(dem Rocker!) zu retten.

lambretta.com

© Julia Stix; Hersteller

wına-magazin.at

35


STÄNDIG IM UMBRUCH

Florentin –

bunt und anders

Die trendige Nachbarschaft im Süden Tel Avivs ist laut

der New Yorker „Thrillist“ bei den Insidern gleich an

zweiter Stelle nach New Yorks Williamsburg gereiht

und verspricht Fun, Art und gutes Essen.

Von Daniela Segenreich-Horsky

s geht vorbei an Kartons und

Plastiksäcken mit Textilien, die

vor Großhandelslokalen abgestellt

sind, an funky Hostels, Schneidereien,

schäbigen Fassaden mit bunter

Graffiti, an Galerien und Pop-up-Shops,

Bars und übervollen Cafés. Neben dem

Levinsky-Markt findet man Girlanden

und Plastikdekorationen in schrillen

Farben, Schaufenster voller Perlen

und bunter Steine für Modeschmuck,

endlos viele Lampen und Luster in der

Wolfson-Straße, und hinter den runden

Bauten des modernen Reviat-Florentin-

Komplex sind noch einige der alten Metallhandlungen,

Tischlerwerkstätten und

Garagen versteckt.

Das ist Florentin, ein schräges Viertel

zwischen den neueren Teilen von Tel

Aviv und dem alten Jaffo. Einst Wohnort

von mittellosen jüdischen Immigranten

sowie billige Arbeitsstätte von Garagen-

und Werkstättenbetreibern, erweist

es sich heute als noch gerade erschwingliche

Alternative für junge Menschen und

Künstler: Teils schäbig, teils farbenfroh,

mit einer ganz speziellen Atmosphäre

und den angesagtesten Bars von Tel Aviv.

In der WhatsApp-Gruppe der Nachbarschaft

warnen junge Anrainer vor dem

Polizisten, der gerade in der Abarbanel

Street Strafmandate verteilt, Hundesitter

werden gesucht, Insider-Witze weitergeleitet.

Ein junger Mann bietet einmal

pro Woche indisches Abendessen zu

günstigen Preisen in seiner Florentiner

Wohnung an. Man kann aber auch Yogagruppen,

Kunsthandwerk und Maniküre

finden …

Einer der beliebtesten Spots des Viertels

ist der Levinsky-Markt. Hier kann

man eingelegte Früchte, exotische Gewürze,

Nüsse und Mandeln in jeglicher

Form und vieles mehr findet. Vor dem

„Cafe Levinsky“ von Benny Briga findet

sich jeden Freitag eine Warteschlange ein.

Begonnen hatte Briga vor sechs Jahren

mit Kaffee und Keksen, inzwischen hat

der Tel Aviver mit der grauen Mähne das

„Gazoz“, das erfrischende Limonadengetränk,

mit dem sich die Israelis schon in

den 1930er-Jahren an heißen Sommertagen

Kühlung verschafften, wieder zum

Hit gemacht. Jetzt ist sein etwa drei Quadratmeter

großer Laden Fixpunkt für Besucher

des Markts geworden, die dann die

schwere Entscheidung zu treffen haben,

ob sie ihr Gazoz „gadol o katan“ – „groß

oder klein“ wollen. Der Rest wird für den

Kunden entschieden, denn es ist „Limonade

Free Style“: Jedes Glas wird ein Unikat,

mit echter Guave, eingelegtem Hibiskus

und Kirschen, Granatapfelkernen,

Mandarinenstücken, Melone, verschiedenen

grünen Blättern, Kambuga-Tee

und dazu Sirup und Soda.

Hunderte farbenfrohe Gläser von eingelegtem

Obst und Likören zieren den

Laden. Man findet hier so ziemlich alles,

was man aus den Früchten und Blättern

von Brigas Dachgarten und den

Produkten des Marktes machen kann.

Demnächst soll es auch selbstgemachte

Marmeladen geben. Vor dem kleinen

Geschäft steht Brigas Truck, auf dem es

Sitzplätze für die Kunden gibt. Wenn er

nicht gerade ein Getränk kreiert, sitzt der

Besitzer mit Freunden auf Schemeln vor

seinem Laden auf der Straße, heute, wie er

versichert, schon seit sechs Uhr früh: „Du

wirst es nicht glauben, aber der erste Gast

ist heute schon um 6.15 Uhr gekommen.“

Gleich nebenan sperren mehr und

mehr junge Designergeschäfte und trendige,

coole Cafés auf: Neben „Tony und

Esther“, dessen Tische die Seitengasse der

Levinsky-Straße verstellen, gibt es den

neuen Pop-up-Shop „Capriza“ von Omer.

Sie verkauft Vintage und junge Designer

und betreibt auch die Galerie mit Künstlern

aus dem Viertel: „Es ist leider schon

etwas teuer hier, wir werden bald ein anderes

Lokal suchen müssen …“, erzählt die

Jungunternehmerin, während ein Auto mit

Sesam Street-artigen tanzenden Stoffpuppen

und lauter Musik vorbeifährt, dessen

großes Poster einen guten und heiteren

Tag wünscht.

Nicht weit vom Markt hat Amit Oved

vor sieben Monaten ihren Shop „Badyna“

mit asiatischen Stoffen, Kleidern

und Schmuck eröffnet: „Es ist hier immer

noch billiger als in Tel Aviv. Das hier wird

einmal wie Soho in London, und ich will

ein Teil davon sein.“ Früher hat sie gleich

nebenan bei ihrem Großvater in seinem

Großhandel für Modeschmuckzubehör

gearbeitet, jetzt kreiert sie ihren eigenen

Schmuck aus afrikanischen Perlen, Draht

und indischer Seide.

Gil Lemel lebt schon seit sieben Jahren

in Florentin und schwärmt: „Ich mag

diese Nachbarschaft, sie ist voller Inspiration

und junger Leute, die etwas kreieren.

Es gibt hier eine ganz spezielle Energie,

eine spezielle Gemeinschaft von Menschen.

Hier hat die Kunst ihren Platz, und

jeder kann sagen: ‚Ich bin, was ich bin.‘ “

Vor mittlerweile zwei Jahren begann die

junge Designerin, trendige Rucksacktaschen

zu nähen und von ihrer Wohnung

aus zu verkaufen. Jetzt beschäftigt sie schon

zwei Näherinnen und vertreibt ihre Designs

auf diversen Märkten und weltweit

über das Internet. Die stylischen Rucksäcke

eignen sich auch bestens für Vegans,

denn sie sind aus Stoffen und Kunstleder

gefertigt. Ihr Lieblingscafé in der Gegend

ist „Hamalabiya“: „Da gibt es guten Malabi

und sehr gute Preise!“

Schmutzig, aber fun. Shilat Ifergan entwirft

und fertigt in ihrem Studio an der

Nahalat Binyamin Mall exklusive Brautkleider.

Sie liebt die Arbeit an den kleinen

Details: „Durch die Handarbeit mit

den Perlen und Spitzen ist jedes Kleid ein

wenig anders. Es ist ein sehr entwickelter,

gefragter Markt hier, und die Klientel ist

urban und modisch.“ Ifergan hat vorher

© Daniela Segenreich-Horsky; Shilat Ifergan; Gil Lemel

36 wına | Februar 2020


STEIGENDE IMMOBILIENPREISE

Gil Lemel designt stylische Rucksäcke

auch für Vegans (li).

Shuk Levinsky, einer der beliebtesten

Spots des Viertels (re).

„Ich mag diese

Nachbarschaft, sie

ist voller Inspiration

und junger Leute, die

etwas kreieren. Es

gibt hier eine ganz

spezielle Energie.“

Gil Lemel

Shilat Ifergan entwirft

exklusive Brautkleider (li).

bei einem bekannten Designer gearbeitet,

wollte sich aber immer schon selbstständig

machen und wählte für ihr Studio ein ehemaliges

Büro in einem der alten Häuser

aus den Sechzigerjahren: „Ich liebe Florentin,

es ist ein bisschen schmutzig, aber

fun! Und es ist so praktisch, weil ich hier

so nahe an den Stoff- und Nähzubehörgeschäften

bin.“ Ihre bevorzugten Cafés

sind „Aqua Terra“, wo man auch Pflanzen

erwerben kann, und „Tony ve Esther“.

Die frischesten Blumen gibt es gleich

vis a vis bei „Karmi“, wo man seinen Strauß

zu günstigen Preisen selbst zusammenstellen

kann. Und hier ist auch das „Kiosko“

ein kleines Straßencafé mit herrlichen

hausgebackenen Kuchen und kleinen

Imbissen. Im Innenraum, der eher an ein

Wohnzimmer erinnert,

sitzen junge Menschen

bei Kaffee und Snacks

an ihren Laptops.

Überall im Viertel

und vor allem am

Rande von Florentin, in

der Salame-Straße, wird

rege gebaut, und die Immobilienpreise

klettern

ständig aufwärts. Während

man die alten schäbigen

Wohnungen noch

recht günstig erwerben

kann, sind die Wohnungspreise

in den Neubauten inzwischen

bei über 10.000 Euro pro Quadratmeter

angelangt.

Nur wenige Straßenzüge weiter östlich

glaubt man sich in Afrika angelangt.

Hier, in der Nähe des Levinsky-Parks

und rund um die Bialik-Rogozin-Schule,

deren Schüler zu etwa 90 Prozent Ausländer

sind, haben sich die großteils illegalen

afrikanischen und sonstigen Einwanderer

und Flüchtlinge niedergelassen

und betreiben ihre kleinen Läden. In diesen

Straßen ist weit und breit kein Weißer

zu sehen. Es gibt allerlei afrikanische

Speisen in einfachen, schlecht beleuchteten

Buden. In einem Lokal verfolgt eine

Gruppe von Männern ein Fußballspielspiel,

Frauen gehen nicht ins Café, nur

die Besitzerin ist hier.

Es ist nicht klar, wie lange diese Menschen

noch in diesem Teil Tel Avivs geduldet

sein werden, das Viertel ist in ständigem

Umbruch begriffen, der Boden wird

immer teurer. Wer Mut hat, kauft hier jetzt

eine Wohnung und wartet ab.

wına-magazin.at

37


WINAKOCHT

Wie stößt man mit Kindern auf das

Neujahrsfest der Bäume an, …

... und warum steckt man Messer zum Kaschern in die Erde? Die Wiener Küche steckt

voller köstlicher Rätsel, die jüdische sowieso. Wir lösen sie ab sofort an dieser Stelle. Ob

Koch-Irrtum, Kaschrut oder Kulinargeschichte: Leser fragen, WINA antwortet.

Werte WINA-Kochexperten,

bei uns werden zum Tu-BiSchwat-Seder neben

Früchten auch vier verschiedene Gläser Wein

gereicht. Woher kommt dieser Brauch, und wie

kann ich ihn kindgerecht teilen?

Michaela S. aus Wien

Tu BiSchwat gehört zu den jüngeren Feiertagen

– obwohl sein Datum schon in der

Mischna erwähnt wird. Im 16. Jahrhundert

entwickelten Mystiker aus Safed den Tu-Bi-

Schwat- nach dem Muster des Pessach-Seder.

Auch zum Neujahrsfest der Bäume trinkt man

vier Gläser Wein, doch steht dabei die Verbundenheit

mit Erez Israel im Vordergrund. Weshalb

traditionell auch 15 verschiedene Früchte

gereicht werden, die in Israel wachsen.

Dort war das Datum ursprünglich ein

Stichtag für die Berechnung der Zehntabgaben:

Es markierte nämlich den Beginn einer

neuen Vegetations- und Pflanzperiode, den

Frühlingsanfang. Um diese Entwicklung vom

Winter (weiß) zum Sommer (rot) und zudem

den Aufstieg von der materiellen zur geistigen

Welt zu symbolisieren, beginnen wir beim

Trinken mit Weißwein. Das zweite Glas enthält

Weiß- mit einigen Tropfen Rotwein, das

dritte Glas mehr Rot- als Weißwein und das

vierte nur Rotwein. Kindgerecht ließe sich

diese Symbolik durch das Anbieten von vier

Fruchtsäfte umsetzen – beginnend bei Apfelsaft,

über Orangen- und Ananassaft bis hin zu

rotem Traubensaft. Um den Nachwuchs zudem

für das traditionelle Früchteessen zu begeistern,

probieren Sie doch mal unser Rezept

für „Couscous seffa“ aus.

Im Laufe der langen Geschichte hat sich die

ursprüngliche Bedeutung übrigens mit neuen

Sinnzusammenhänge verbunden: In der modernen

Zeit ist Tu BiSchwat auch ein Fest,

an dem wir uns dankbar zeigen für die Natur

und ihre Geschenke. So hat sich Tu BiSchwat

heute in Israel zum Tag des Umweltschutzes

entwickelt, an dem vor allem Schüler Bäume

pflanzen. Dafür ist es in Österreich im Februar

freilich noch zu kalt. Aber warum säen Sie mit

SÜSSER FRÜCHTE-

COUSCOUS

ZUTATEN (FÜR 4 PERSONEN):

500 g Couscous

750 ml Milch

eine Prise Salz

1 EL Butter

70 g Staubzucker

1 Prise Zimt

250 g gehackte Trockenfrüchte

nach Belieben

(Rosinen, Datteln, Feigen,

Aprikosen, Bananen, Äpfel,

Birnen, Beeren …)

80 g gehackte Mandeln

100 ml Orangenblütenwasser

Kerne eines Granatapfels

ZUBEREITUNG:

Die Milch mit Butter, Staubzucker,

Zimt und Salz erhitzen,

den Couscous in einer

großen Schüssel damit übergießen

und quellen lassen.

Gehackte Trockenfrüchte

und Mandeln untermischen.

Den Couscous mit dem Orangenblütenwasser

durchfeuchten.

Zum Servieren in

eine runde Schüssel füllen

und stürzen. Mit Granatapfelkernen

dekorieren.

Ihren Kindern nicht ein paar Früchtesamen im

Kisterl auf der Fensterbank aus?

Liebe Redaktion,

nachdemichversehentlicheinFleischmesserzum

Schneiden von Käse verwendet hatte, riet meine

Mutter, es zum Kaschern in die Erde zu stecken.

Reicht das denn?

Selma K. aus Wiener Neustadt

War der Käse kalt, können Sie dem Rat

Ihrer Mutter durchaus folgen und das

fleischige Messer zehnmal in die Erde stecken.

Dadurch werden Fettreste und Käsegeschmack

vom Messer entfernt. Diese Vorgehensweise leitet

sich aus dem Talmud ab, in dem folgende

Geschichte erzählt wird: Einst saßen Mar Jehuda

und Bati bar Tobi vor dem Perserkönig

Sapor, der eine Zitrusfrucht aß. Er bot Bati bar

Tobi davon an. Bevor er aber auch Mar Jehuda

eine Scheibe abschnitt, steckte er das Messer

zehnmal in die Erde. Erstaunt über die Ungleichbehandlung

fragte Bati bar Tobi: „Bin ich

etwa kein Israelit?“ Der König, der jedem der

beiden nach persischer Sitte eine Frau in das

Gemach gesandt und gesehen hatte, dass nur

Bati bar Tobi sie auch behalten hatte, erwiderte:

„Von Mar Jehuda bin ich überzeugt, dass er die

Gebote streng einhält.“

Grundsätzlich sind die Kaschernregeln

aber ein bisschen umfangreicher. Denn war

der fragliche Käse warm, reicht ein In-die-

Erde-Stecken nicht. Das Besteck muss abgebrüht

oder durch Feuer fast zum Glühen

gebracht werden. Aus hygienischen und praktischen

Gründen verfährt man allgemein am

besten so: Hat man das Besteck verwechselt,

lässt man es 24 Stunden ungenutzt. Danach

wird es in kochendes Wasser gesteckt und anschließend

kalt abgespült. Jetzt ist es parve und

kann wieder eingesetzt werden – entweder für

Fleischiges oder Milchiges.

Wenn auch Sie kulinarisch-kulturelle

Fragen haben, schicken Sie sie bitte an

office@jmv-wien.at, Betreff „Frag WINA“.

© 123RF

38 wına | Februar 2020


MATOK & MAROR

Spanien in der City

Unter die lebendigen iberischen und lateinamerikanischen Gäste des Tapas-Lokals

Lola dürfen sich ruhig auch mehr Wienerinnen und Wiener wagen.

Wollen Sie teilen?“ Es ist die

erste Frage des freundlichen

Spaniers beim Tisch, der sich

dann als Geschäftsführer Sanchez Maldonado

herausstellt. Gerne, denn es ist

wohl die beste Art, im Lola das vielfältige

Angebot zu genießen: Jeder Gast

bekommt einen mittelgroßen Teller, die

Speisen werden in schneller Reihenfolge

in der Tischmitte eingestellt.

„Wir stammen aus allen Regionen

Spaniens“, erklärt Maldonado auf die

Frage nach der Spezialisierung der Küche.

„Deshalb finden sich bei uns auch

Gerichte aus den unterschiedlichsten

Gegenden des Landes.“ Tapas sind

hier nicht die – oft mayonnaiselastigen

– Minibrötchen, wie man sie etwa in

den Pintxo-Bars des Baskenlandes findet.

Diese bestellt der Gast dort an der

Theke, nimmt sie meist gleich selbst vor

Ort zu sich und nippt dazu sein kleines

Bier vom Fass oder sein Glas Rotwein, eigentlich

schon wieder auf dem Absprung

ins nächst Lokal.

Im Lola geht es gemütlicher zu. Hier

wird am Tisch serviert, und Küchenchef

Francisco Medina bietet kreative Raciones

an, also Portionen kalter und warmer

Gerichte. Diese sind etwas kleiner

als unsere mitteleuropäischen Hauptspeisen,

aber deutlich größer als bloße Häppchen.

Die ideale Lösung ist also das gemeinsame

Mahl. „Wir wollten hier in

Wien ein typisch spanisches Tapas-Lokal

aufmachen“, erinnert Maldonado an

die Anfänge vor mehr als fünf Jahren.

„Und nach wie vor importieren wir einen

Teil der Lebensmittel und Weine selbst,

da man nicht alles in Österreich bekommen

kann.“ Das Restaurant im ehemaligen

Textilviertel im Ersten Bezirk besteht

aus einem einzigen Raum, auf einer

Seite von einem riesigen Spiegel dominiert,

am anderen von einer Bar mit typisch

spanischen Keramikfliesen. „Es ist

auch von einem spanischen Architekten

„Wir stammen aus allen

Regionen Spaniens.

Deshalb finden sich

bei uns auch Gerichte

aus den unterschiedlichsten

Gegenden des

Landes.“

Teilen und

genießen

gehört zum festen

Genusspogramm

des Lola.

WINA- TIPP

LOLA − SPANISCHES TAPASRESTAURANT

Gonzagagasse 14, 1010 Wien

Mo.− Fr., 17.30−23 Uhr

+43/(0)1 532 30 71

reservierung@lolatapas.at

lolatapas.at

geplant worden“,

so der Geschäftsführer.

„Seine

Anregungen hat

er aus dem Stil

der 1920er-Jahre

genommen.“

Ganz frisch

sind hingegen die

– nicht koscheren

– Speiseangebote.

Es beginnt zum

Aperitif mit dem

Klassiker Pan con

Tomate, dünnem Toastbrot mit Paradeisfruchtfleisch

und Olivenöl darauf. Dann

kommen schon die Pimientos de Padrón,

mittelscharfe gebratene Pfefferoni mit

ganz dünner Haut, gewälzt in Meersalz

(€ 7,50). Fischig kann man mit gegrilltem

Tosta de Salmón fortfahren, Lachs auf

Toast mit Avocadocreme (€ 9,50), oder

mit einer Mojama de atún, einem Carpaccio

von geräuchertem Tunfisch, Olivenöl

und Mandeln, dazu ein süßes Fruchtchutney

(€ 9,80). Wer vegetarisch

weitermachen

will, mag sich eventuell für

eine Torrecita de queso de cabra

entscheiden, einen kleinen

Turm aus Ziegenkäse

mit gegrillten Melanzani

und „balsámico de chocolate“

(€ 11,90). Als warme

Hauptspeise gibt es Lomos de dorada, gegrillte

Goldbrassenfilets auf einer Paprikasoße

(€ 23,90).

Für die Desserts sollte man sich etwas

Platz lassen. Crema Catalana, die spanische

Version der Crème brûlée, eine Art

Pudding mit geflammtem Karamelldeckel

(€ 5,50), oder eine Schokocrêpe

(€ 5,50) sollten sich noch ausgehen.

Und es gibt ein umfassendes, seriös

kalkuliertes Weinangebot, das seinerseits

aus den unterschiedlichsten Regionen

Spaniens kommt. Paprikasch

© Reinhard Engel

wına-magazin.at

39


HIGHLIGHTS | 03

Der Herr der Jeans

„Levi Strauss: A History of American

Style“. Eine Ausstellung im Contemporary

Jewish Museum in San Francisco

Was haben Jeans mit dem Goldrausch

zu tun? Und was das beschauliche Buttenheim

in Oberfranken mit strapazierfähigen

Arbeitshosen, die von Kalifornien aus die

Welt eroberten?

1853 landete Levi (eigentlich: Löb) Strauss

aus Buttenheim zwischen Bamberg und Erlangen

24-jährig in San Francisco, der wuseligen

Hafenstadt in Nordkalifornien. 20 Jahre

später wurde ein Patent auf nietenverstärkte

Hosen von ihm und Jacob Davis eingereicht,

der ein Jahr zuvor die Taschen von Arbeitshosen

aus Denim so verstärkte, dass sie nicht

mehr einrissen. Aus dem Stand war die Nachfrage

nach diesen „Waist Overalls“ groß, auch

weil das Marketing clever war. 1890 erhielten

die Kupferniethosen (die elf Jahre später

eine zweite rückseitige Tasche aufgenäht

bekamen) die Nummer „501“. Strauss starb

1902 im Alter von 73 Jahren. Erst 1937 – da

gab es seit drei Jahren mit „Lady Levi’s“

das erste Frauenhosenmodell – wurden

die Nieten verdeckt. Eine Generation

später wurden Jeans Ausdruck

der jugendlichen Protestkultur, dann

Modeobjekt, dies bis heute. Das Contemporary

Jewish Museum in San

Francisco zeigt nun die bis dato größte

Levi’s-Ausstellung, bestückt mit mehr als

200 Exponaten, mehrheitlich aus den gut

gehüteten Firmenarchiven. A.K.

ARISIERTE KINOLANDSCHAFT

In die faszinierenden Bestände des Wiener

Stadt- und Landesarchivs im Gasometer

D bieten die wechselnden Foyer-

Ausstellungen stets spannende Einblicke.

Ab 2. März widmet sich die neue Schau

der bewegenden Geschichte der Wiener

Kinos vom „Lichtspieltheater zum

Multiplex“. In ihrem Eröffnungsvortrag

geht Angela Heide (WINA) u. a. auf die

oft langwierigen und hoch emotionalen

Rückstellungsverfahren ab Ende 1945

ein. 3. März 2020, ab 18 Uhr

Nutz- und Kultobjekt.

Levi Strauss’

Erfindung ist heute

fixer Modebestandteil

der Menschheit.

Bis 9. August 2020

thecjm.org

André Derains

Illustration von Apollinaires

L’Enchanteur

pourrissant (1909).

Bis 23. Februar 2020

zadkine.paris.fr

Der geträumte Wald

„Le rêveur de la forêt“: eine Ausstellung

im Pariser Musée Zadkine

Das weiße Atelierhaus Ossip Zadkines

(1890−1967) ist von der Rue d’Assas

im Pariser 6. Arrondissement nicht zu sehen.

Ein sich weitender Durchgang führt

zu dem eingeschossigen, ruhigen Ateliergebäude

mit kleinem Garten, das umzingelt

ist von hohen Mietshäusern und daran

erinnert, wie noch im Jahr 1928 Montparnasse

aussah, als Zadkine dieses Studio bezog,

in dem er bis zu seinem Tod arbeitete.

„Komm“, schrieb er kurz nach dem Einzug,

„und schau dir meinen Wahnsinn von Assas

an, und du wirst verstehen, dass sich das

Leben eines Menschen ändern kann durch

einen Taubenschlag, durch einen Baum.“

Letzteres nimmt die Schau Le rêveur de la

forêt wörtlich – Arbeiten in vielerlei Arten, Stilen

und Manieren über Bäume und das

Motiv des Waldes. Aus mehr als einem

Jahrhundert stammen die rund hundert

Exponate. Zu sehen sind Arbeiten

von sehr bis weltbekannten Künstlern,

Picasso, Giacometti und Gauguin, Max

Ernst und Constantin Brancusi, fast interessanter

sind Werke jener Künstlerinnen

und Künstler, die in Lexika

stehen, jedoch stiefmütterlich vom musealen

Betrieb behandelt werden, der

Surrealist Victor Brauner, André Masson

oder die Bildhauerin Germaine Richier,

daneben jüngere, hochinteressante

wie Laure Provost. A.K.

MUSIK TIPPS

MOSZKOWSKI

Wie so viele virtuose Pianis-

ten-Komponisten der zweiten

Hälfte des 19. Jahrhunderts

ist auch Moritz Moszkowski (1854−1925)

heute mehr vergessen denn Repertoire.

Dabei sind seine Werke für Klavier wie Or-

chester noch immer beeindruckend und

hörenswert. Ian Hobson und die Sinfonia

Varsovia präsentieren nun mit Orchestral

Music, Volume One (Tocca) die Welterstein-

spielung von Johanna d’Arc, , ein eindrucks-

volles musikalisches Fresko.

ARTIE SHAW

Wenn die Zeiten so düster wer-

den wie die Wintertage, dann

braucht man einen akusti-

schen Vitaminschub, der Energie bringt.

Dafür sorgt der großartig swingende Kla-

rinettist Artie Shaw (1910−2004). Auf

These Foolish Things: The Decca Years

(Sepia) finden sich 47 Aufnahmen, die

Shaw von 1949 bis 1955 für dieses La-

bel aufnahm, darunter Standards wie Se-

renade in Blue, Travelin oder These Foo-

lish Things. . Wer wippt da nicht mit.

KURT WEILL

New York, New York! Wer

meint, Leonard Bernstein,

später Martin Scorsese hät-

ten den hektischen Puls der Metropole am

Hudson eingefangen, der irrt. Kurt Weill

tat es am Broadway schon 1947 mit dem

Musical Street Scene. . „Meine Kreativität

ist kein Vogel“, verriet Weill, „sondern ein

Flugzeug“. Das zeigt diese hochdynami-

sche Produktion des Orchestra Teatro Real

Madrid (Regie: Tim Murray) auf DVD und

Blu-Ray: hinreißend schwungvoll. A.K.

© ADAGP, Paris, 2019; Musée d’Art Moderne de Paris/Roger Viollet; Labels; CJM, Levi Strauss Co Archives

40 wına | Februar 2020


URBAN LEGENDS

Zwischen Genuss und

Verzicht

Die dritte Staffel von The Marvelous Mrs. Maisel ist inhaliert, und

für Ende Februar kündigt sich bereits das nächste Serienhighlight an:

Hunters mit Al Pacino. Doch die Umwelt schreit auf.

Das Internet und die zunehmende

Digitalisierung haben

die Welt näher zusammengebracht.

Das bringt auch für Juden

und Jüdinnen in der Diaspora große

Vorteile. Einerseits sind Flüge nach Israel

über die Jahre immer günstiger geworden,

VON ALEXIA WEISS vor allem lassen sie sich nun übers Netz auch

sehr kurzfristig leicht von zu Hause buchen.

Andererseits wurden Laptop und Smartphone auch zum

globalen Shoppingcenter. Mit wenigen Klicks kann ich

Kerzen für die Chanukkia oder Partydekoration für eine

Bar-Mizwa-Feier aus den USA, England oder Israel bestellen

und nach Österreich versenden lassen.

Vor allem aber bringen Streamingdienste wie Netflix

und Amazon Prime jüdisches Lebensgefühl in das eigene

Wohnzimmer. Einerseits bekommt man nun auch leicht

Zugriff auf israelische Serien wie Shtisel, Fauda, When heroes

fly oder Srugim. Andererseits produzieren diese Streamingdienste

nicht nur Mainstreamware, sondern auch viele

Nischenprodukte. Hier sei The Marvelous Mrs. Maisel genannt,

deren dritte Staffel mir rund um Chanukka wunderbare

Fernsehstunden beschert hat.

Interessanterweise wurde gerade diese Serie über eine

jüdische Stand-up-Comedian in den 1950er-Jahren weit

über jüdische Communitys hinaus zu einem Serienerfolg.

Man könnte auch sagen: Die Nische goes Mainstream.

Eine Serie, die schon im Vorfeld alleine auf Grund der Besetzung

verspricht, ein Quotenerfolg zu werden, ist Hunters.

Zu sehen ist die Geschichte von Holocaust-Überlebenden,

die in den USA Nazis jagen, ab 21. Februar auf Amazon

Prime. Al Pacino wird dabei einen der Jäger spielen.

Ich weiß also schon, was ich mir Ende Februar ansehen

werde. Gleichzeitig plagt mich dann doch ein Stück weit

das schlechte Gewissen. Denn umso mehr die Welt durch

gemeinsamen Konsum zusammenrückt, desto schneller

schreitet auch die Zerstörung des Planeten voran.

Jedes Paket, das um die halbe Welt reist, sorgt für zu vermeidenden

CO 2

-Ausstoß. Jedes Streamen ebenso. Gerade

der Onlinekonsum von Serien ist äußerst umweltschädlich.

Eine halbe Stunde Streaming produziert laut Berechnungen

des französischen Think Tanks The Shift Project Emissionen,

die 1,6 Kilogramm Kohlendioxid entsprechen. Das

Streamen war 2018 für den Ausstoß von Treibhausgasen

in der Höhe jener verantwortlich, die in dem Jahr in ganz

Spanien produziert wurden. Doch diese Menge werde sich

in den kommenden Jahren noch verdoppeln, schätzt The

Shift Project. Heute entstehen bereits 34 Prozent des globalen

Datenverkehrs durch das Streamen.

Wie werden wir die Umwelt retten und den Klimawandel

verlangsamen? Da gibt es individuelle Ansätze (etwa

durch persönliche Einschränkungen), aber auch den Ruf

nach staatlichen Regulierungen (Verboten). Persönlich

meine ich: Es wird wohl eine Kombination aus beidem

Umso mehr die Welt durch gemeinsamen Konsum zusammenrückt,

desto schneller schreitet auch die Zerstörung des Planeten voran.

nötig sein. Da das Thema allerdings zu ernst ist, um einfach

abzuwarten – nicht zuletzt aus Verantwortung für das

eigene Kind, die eigenen Kinder, versuche ich doch jetzt

schon, auch den Schutz der Umwelt in mein eigenes Konsumverhalten

miteinzubeziehen.

Interessanterweise fällt es sehr leicht, auf den eigenen

Pkw zu verzichten und vorrangig den öffentlichen Verkehr

zu nutzen. Fleisch esse ich ohnehin seit Kindheitstagen

nicht. Auf die Annehmlichkeiten des Netzes zu verzichten,

ist da schon ungemein schwerer. Gerade das Ansehen

einer gut gemachten Serie lässt einen für einige Stunden

in eine andere Welt eintauchen, das entspannt und erfreut.

Ist hier nun Verzicht das Gebot der Stunde? Ich bin unentschlossen.

Immerhin kann nicht jeder alles richtig machen.

Darüber reflektieren sollte man aber allemal. Und

dann vielleicht entscheiden, was ist mir wirklich wichtig

anzusehen, und worauf kann ich doch verzichten. Denn

auch solche Serien zu streamen, die ohnehin permanent

auf diversen TV-Kanälen laufen, fällt dann doch unter vermeidbar.

Zeichnung: Karin Fasching

wına-magazin.at

41


ZWEIERLEI MASS

Österreich lag so gar nicht auf

seinem Radar. Schon längere

Zeit wollte Itai Gruenbaum

für ein paar Jahre nach Europa

ziehen. Vorgeschwebt war ihm dabei

etwa Deutschland oder Großbritannien.

Doch dann reihte sich Zufall an Zufall,

und so landete er schließlich 2016 in Wien.

Da waren zunächst die Österreicher, die

er im Kuba-Urlaub kennenlernte. Sie luden

ihn nach Wien ein, von hier aus reiste

er nach Budapest, nach Berlin. Auf einem

Flug hörte er, wie sich Israelis, die

in Wien lebten, miteinander unterhielten,

nach der Landung kam er mit ihnen ins

Gespräch. Sie erzählten ihm von der Facebook-Gruppe

„Israelis in Wien“, dort postete

er, dass er auf der Suche nach einem

Job sei. Kurz darauf bekam er ein verlockendes

Angebot bei Emarsys, einem von

einem Israeli gegründeten Wiener Anbieter

von Marketing-Software.

Itai Gruenbaum ist mehr als technikaffin.

Nach seinem Armeedienst studierte

er sowohl Mathematik wie auch Industrial

Engineering. Für seinen ergänzenden

MBA wählte er einen Managementstudiengang

mit Spezialisierung auf IT. Noch

während des Studiums arbeitete er bei Intel,

nach seinem Abschluss bis zu seinem

Aufbruch nach Europa war er sieben Jahre

in Israels Hightechbranche tätig, war im

Produktmanagement tätig, unterstützte

den Aufbau neuer Unternehmen und half,

neue Einnahmequellen zu erschließen.

In Europa wollte er sich die hiesige way

of life ansehen. Ihn interessierten aber zunehmend

auch der Consulting-Bereich

und die Start-up-Branche. Er entwickelte

sich dabei dennoch in eine andere Richtung:

Heute stehen NGOs und Startups

im Sozialbereich, aber auch generell

Unternehmen, die auf einer soliden Basis

stehen wollen, bei ihm im Fokus. Ihnen

möchte er mit Hilfe von Technologie helfen,

sich langfristig selbst finanzieren und

damit nachhaltig agieren zu können. „Oft

ist es so, dass NGOs über Projektfinanzierungen

arbeiten. Das heißt dann aber auch,

dass ein Projekt nicht fortgeführt werden

kann, wenn das Funding endet.“ Er trennte

sich von Emarsys, wurde zunächst selbstständig

und ist heute Partner der Consulting-Agentur

freims.

Für seine Tätigkeit bei Emarsys ist er im

Rückblick dankbar, sie ermöglichte einen

guten Start in Wien. Er hatte aber das Gefühl,

dass das dort englischsprachige Um-

AUS ANDERER

PERSPEKTIVE

Seit 2016 lebt der Israeli Itai Gruenbaum in Wien.

Das Leben hier gefällt ihm gut, dennoch möchte er

eines Tages wieder zurück in seine Heimat gehen.

Am liebsten wäre ihm ein Mix beider Welten.

Text: Alexia Weiss, Foto: Daniel Shaked

42 wına | Februar 2020


EUROPEAN WAY OF LIFE

Itai Gruenbaum lebt

observant, was hier

nicht immer ganz

einfach ist. Zurück in

Israel will er beide Lebensweisen

behalten.

feld auch seine Bemühungen torpedierte,

gut Deutsch zu lernen und sich in die hiesige

Gesellschaft zu integrieren. Er besuchte

Deutschkurse und freut sich heute,

es bis zur B1-Prüfung geschafft zu haben.

Er hatte zudem das Bedürfnis, die neue

Sprache auch mehr in seinen Alltag integrieren

zu wollen. So kam der Sport ins

Spiel.

Im Kindesalter hatten seine Eltern ihn

zum Judotraining geschickt. „Judo lehrt

dich Disziplin, macht dich stärker, schult

die Koordination und sorgt für Kondition.

Judo macht dich aber auch mental stärker.

Meine Eltern wollten, dass ich sportlicher

und selbstbewusster werde. Mich hat der

Sport insgesamt stärker gemacht.“

Das kam ihm bei seinem Armeedienst

zugute. Dort war er zunächst Fallschirmspringer.

Nach seiner Ausbildung zum Offizier

arbeitete er als Verbindungsoffizier

zu den palästinensischen Behörden. Dabei

half, dass er gut Arabisch spricht. Dieses

lernte er in der Schule. Zu Hause wurde

es nicht gesprochen, obwohl seine Mutter

– sie kam als 18-Jährige aus dem Irak nach

Israel – arabischsprachig ist.

In Wien beschloss er, wieder mit dem

Judotraining anzufangen, und suchte sich

einen Verein. Dort wurde seinem Bedürfnis,

auf ein Ziel hin zu trainieren, entsprochen.

Was Gruenbaum an Österreich

schätzt, dass es hier eine Wettbewerbskultur

auch für über 30-Jährige gebe. Seit einigen

Jahren nimmt er an den internationalen

österreichischen Meisterschaften des

Judoverbandes teil. 2019 errang er in der

Klasse 40 bis 44 Jahre und bis 81 Kilo Platz

eins. Das spornt den Kampfgeist auch für

das heurige Jahr an.

Im Judoverein kam er aber auch mehr

mit Deutsch Sprechenden in Kontakt als

in seinem ersten Wiener Arbeitsumfeld.

Man lerne eine Sprache nur gut, wenn man

sie auch im Alltag anwende, ist er überzeugt.

Im Verein freundete er sich aber

auch mit einem syrischen Flüchtling an,

der damals weder Deutsch noch Englisch,

sondern nur Arabisch sprach. Inzwischen

haben der Mann und seine Familie Asyl,

und er arbeitet in seinem Beruf als Automechaniker.

Itai Gruenbaum erzählt, dass er gerne

mit Menschen ins Gespräch kommt –

auch über Israel. Syrer hätten allesamt von

klein auf Israel als Feind vermittelt bekommen,

so seine Erfahrung. Dann gebe es die

einen, die sagen, wir sind in diesen Konflikt

geboren worden, es ist aber nicht unser

Konflikt und schon gar nicht, seitdem wir

hier in Österreich ein neues Leben angefangen

haben. Es gebe aber auch die anderen,

die ihren Hass auf Israel weiter pflegen.

Bei ihnen sehe er auch die Differenzierung

zwischen Israel und Juden allgemein nicht.

Gerne würde Itai Gruenbaum ein positiveres

Israel-Bild vermitteln. Er bedauert,

dass sein Land nur dann in die Schlagzeilen

komme, wenn es zu bewaffneten

Auseinandersetzungen mit Palästinensern

komme. Das sei auch das Erste, worauf

ihn Österreicher ansprechen würden.

„Immer wieder werde ich von Menschen

gefragt: Ich würde so gerne Urlaub in Israel

machen, aber ist es nicht sehr gefährlich

dort?“

Relaxtes Wien. Angesprochen

darauf, dass es ja

tatsächlich ein höheres Anschlagsrisiko

in Israel gebe

als in Österreich, meint

Gruenbaum: Das stimme.

Aber es komme auch darauf

an, in welchem Teil

Israels man sich aufhalte.

Er meint allerdings, dass

das wiederum ein gutes

Beispiel dafür sei, wie mit

zweierlei Maß gemessen

werde, wenn es um Israel

gehe. „Hier in Österreich

kann sich keiner vorstellen,

wie es ist, mit Raketen angegriffen

zu werden.“ Vor

dieser Gewalt fürchte man sich. Gleichzeitig

werde Israel aber von vielen verurteilt,

wenn es sich gegen solche Angriffe wehre.

Was Gruenbaum an Österreich schätzt,

ist der gut ausgebaute Sozialstaat. Dinge

wie den guten öffentlichen Verkehr, fünf

Urlaubswochen, die Babykarenz würde er

sich auch für Israel wünschen. Andererseits

funktioniere hier vieles viel langsamer als in

seiner Heimat: von der Lieferfrist für Möbeln

bis hin zu Leistungen der Stadtverwaltung.

Er ortet darin auch den Grund,

dass viele Menschen hier in Bezug etwa auf

den Wechsel eines Telekomanbieters recht

träge seien. „Dinge sind teils zu kompliziert

und dauern zu lange.“ Ideal wäre eine Mischung

der Lebensweise in Österreich und

Israel, meint er – und natürlich vermisst er

das Meer und das gute Essen in Tel Aviv.

Anderes sieht er in Österreich ambivalent.

Menschen seien hier relaxter – aber

oft eben schon zu relaxt. Und: Es werde

hier sehr viel Wert auf den Schutz der eigenen

Privatsphäre gelegt. Das sei durchaus

positiv, aber oft schon zu stark ausgeprägt

– dann etwa, wenn selbst Nachbarn

einander nicht kennen. „Das gibt es in Israel

nicht. Dort weiß

„[In Israel]

weiß rasch

jeder alles

über den anderen.

Das mag

manchmal

grenzüberschreitend

sein,

dafür hilft man

einander auch.“

Itai Gruenbaum

rasch jeder alles über

den anderen. Das mag

manchmal grenzüberschreitend

sein, dafür

hilft man einander

auch.“

Itai Gruenbaum lebt

observant – das sei in

Israel leichter als in

Österreich. „Wenn ich

in Wien koscher leben

möchte, muss ich strikter

sein.“

In nicht allzu ferner

Zukunft möchte Gruenbaum

wieder zurück

nach Israel gehen. Begleiten

wird ihn seine

Freundin, die er hier

kennengelernt hat und die sich schon auf

das Leben in Israel freue. Für sich mitnehmen

möchte Itai Gruenbaum ein wenig

von der „European way of life“, der europäischen

Lebensweise. Die hat er ja zur

Hälfte auch in seinen Genen: Sein Großvater

väterlicherseits floh aus Deutschland

vor den Nazis, von ihm hat er auch seinen

Familiennamen. Seine Großmutter

stammte aus Italien.

wına-magazin.at

43


SCHARFSICHTIGE JOURNALISTIN

Ich kann aus heutiger Sicht nicht beurteilen

oder bewerten, aus welchen

Motiven das schriftstellerische Werk

von Maria Lazar vor und nach dem Zweiten

Weltkrieg verdrängt wurde: Weil sie

eine Frau war oder weil sie eine jüdische

Frau war? Tatsache ist, dass sie trotz ihres

Talentes vergessen wurde“, sinniert Mateja

Koležnik über die Autorin des Einakters

Der Henker, ihrer jüngsten Regiearbeit

am Wiener Akademietheater. Jedenfalls ist

es der slowenischen Regisseurin und der

Dramaturgin Sabrina Zwach zu danken,

dass der Person und dem Schaffen Maria

Lazars, 1895 in Wien geboren, endlich die

gebührende Aufmerksamkeit zuteilwird.

„Es ist faszinierend, wie weitsichtig

diese junge Frau war: Bereits mit 20 Jahren

schrieb sie unter dem Eindruck der Gräuel

des Ersten Weltkrieges den Einakter Der

Henker. Sie hat damals schon intellektuell

und emotional begriffen, welche Ausrede

von den Akteuren danach benutzt werden

würde, und zwar: ‚Ich habe meine Pflicht

getan‘“, erläutert Koležnik und fügt hinzu:

„Dieser Satz ist ja nach dem Zweiten Weltkrieg

und bei allen kriegerischen Konflikten

seither unser ständiger Begleiter.“

Es ist kein Zufall, dass Koležnik, die bereits

2017 für Josefstadt-Direktor Herbert

Föttinger mit ihrer Inszenierung von Ibsens

Wildente einen großen Erfolg einfuhr,

an der Wiedergeburt von Lazars Der Henker

beteiligt war. Doch Zufall war es, dass

Sabrina Zwach, Dramaturgin am Berliner

Ensemble und am Wiener Burgtheater,

im Rahmen ihrer Recherche nach weiblichen

Romanautorinnen aus Wien auf Maria

Lazar stieß. „Lazar absolvierte ebenso

wie Helene Weigel das berühmte Mädchengymnasium

der Eugenie Schwarzwald.

Diese Pädagogin war eine ihrer größten

Förderinnen“, erzählt Zwach. Über

Schwarzwald wurde sie auf Lazar aufmerksam

und fand bald reichlich Publikationen,

darunter auch das 1921 an der

Neuen Wiener Bühne uraufgeführte Stück

Der Henker. „Ich war sehr aufgeregt und

auf Anhieb mächtig beeindruckt, deshalb

wollte ich, dass etwas aus meinem Fundstück

entsteht.“

Die gebürtige Heidelbergerin hatte bereits

sowohl mit Martin Kušej wie auch

mit Mateja Koležnik zusammengearbeitet:

„Ich wusste, dass sie an das Burgtheater

kommt und spürte sofort, dass Lazar jene

spannende Autorin sein könnte, die ihr liegen

würde“, so Zwach, „Mateja Koležnik

verfügt über eine puristische und so bestimmte

Theatersprache, dass es ihr ge-

Wiederentdeckung

einer Begabten

Maria Lazar: Die verdrängte und vergessene jüdische

Schriftstellerin aus dem Schottenhof. Mit dem Einakter

Der Henker hat ihr die Regisseurin Mateja Koležnik

wieder eine Stimme gegeben.

Von Marta S. Halpert

lingt, verborgene performative Qualitäten

in den Schauspielern zu erwecken.“ Mit

ihrer Begeisterung steckte Zwach sowohl

ihre Kollegen in der Burgtheater-Dramaturgie

an wie auch letztendlich Koležnik:

„Ich wusste, dass das nur eine Regisseurin

kann, die über eine Phantasie verfügt, die

über diese sprachlich anspruchsvollen 21

Seiten hinausgeht.“

So entstand im Verbund von drei starken

Frauen die Produktion von Der Henker:

Im neunzigminütigen Einakter wird

man Zeuge der letzten Stunden eines

zum Tode verurteilten Mörders, der seinen

Henker kennenlernen will und diesen

zwingt, den Akt der Hinrichtung nicht

als professionelle Pflichterfüllung, sondern

aus tiefster persönlicher Überzeugung oder

zumindest mit einem Gefühl – Hass – zu

vollziehen. In der Todeszelle werden moralische

Standpunkte und Haltungen durchexerziert.

Der Mörder wird zum Herausforderer

des Henkers in einer ethischen

Debatte, die kompromisslos und überraschend

bis zu Ende geführt wird.

Doch wer war diese Maria Lazar, die

in Eugenie Schwarzwalds Salon 1916 von

Oskar Kokoschka (Dame mit Papagei) porträtiert

wurde? Diesen Salon frequentierten

so prominente Schriftsteller wie Jakob

Wassermann, Egon Friedell, Robert Musil

und auch Elias Canetti.

In Vergessenheit geraten. Maria Lazar

war das jüngste von acht Kindern einer

jüdisch-großbürgerlichen Wiener Familie,

die im Schottenhof im ersten Bezirk

wohnte. Ihr Vater war Eisenbahndirektor,

ihr Bruder Erwin ein berühmter Kinderarzt

am AKH. Die ältere Schwester Auguste

begründete die sozialistische Kinder-

und Jugendliteratur.

Nach der Matura 1914 und acht Semestern

Studium der Geschichte an der

Universität Wien schreibt Lazar während

ihrer Anstellung als Lehrerin an Schwarz-

© Lukas Beck/Burgtheater

44 wına | Februar 2020


LITERARISCHER EXPRESSIONISMUS

Regisseurin und Hauptdarsteller:

Mateja Koležnik und

Itay Tiran. Der israelische

Schauspieler kreierte den

Mörder in Maria Lazars Der

Henker.

© bpk / Staatsgalerie Stuttgart

„Sie hat damals schon

begriffen, welche Ausrede

von den Akteuren

danach benutzt werden

würde: ‚Ich habe

meine Pflicht getan.‘“

Mateja Koleznik

walds Landerziehungsheim am Semmering

ihren ersten Roman Die Vergiftung,

der 1920 erscheint. „Dieser fulminante

erste Roman ist eine der gnadenlosesten

Abrechnungen mit der bürgerlichen

Lebenswelt in Österreich vor Beginn des

Ersten Weltkriegs und damit einer der

überzeugendsten weiblichen Beiträge

zum literarischen Expressionismus“,

schreibt der 1990 in München geborene

Germanist Albert Eibl, der den programmatischen

Verlag „Das vergessene Buch“

in Wien betreibt und dem die erneute Publikation

von Die Vergiftung im Jahr 2014

zu danken ist.

Als Lazar in den 1920er-Jahren für ihren

Roman Viermal ich keinen Verleger findet,

wendet sie sich der journalistischen

Arbeit zu und veröffentlicht bis 1933 über

hundert Beiträge im Wiener Tag und fallweise

auch in der Arbeiter-Zeitung. Trotz

ihres Renommees als scharfsichtige Journalistin

befindet sie sich ständig in finanziellen

Nöten. 1923 heiratet sie Friedrich

Strindberg, den Sohn Frank Wedekinds

und Frieda Uhls, die mit August Strindberg

verheiratet war. Die Ehe, der Tochter

Judith entstammt, wird bald wieder

geschieden. Die schwedische Staatsbürgerschaft,

die sie durch die Heirat erworben

hatte, sollte ihr später das Leben retten.

Als alleinerziehende Mutter kämpft

Lazar um ihren Lebensunterhalt: Vergeblich

versucht sie dem Zsolnay Verlag Übersetzungen

der skandinavischen Literatur

schmackhaft zu machen. Genia Schwarzwald

interveniert mehrmals für sie. Der

Kiepenheuer Verlag bekundet tatsächlich

Interesse für die Übertragungen aus dem

Dänischen und Schwedischen. Lazar fasst

den Entschluss, ihren nächsten Roman Veritas

verhext die Stadt unter dem nordischen

Pseudonym Esther Grenen erscheinen zu

lassen, und gibt sich als dänische Übersetzerin

aus. „Diese raffinierte Taktik, sich auf

dem literarischen Markt zu behaupten, ist

nach Lazars Antwort auf die abwartende

Haltung großer Verlage angesichts des aufsteigenden

Nationalsozialismus und Antisemitismus

zu sehen“, zeigt sich der Germanist

Johann Sonnleitner überzeugt. Er

widmet seine Recherchen als Professor für

neuere deutsche Literatur an der Universität

Wien zahlreichen jüdischen Exilautorinnen.

Schon Mitte 1933 emigriert Lazar angesichts

der Sorge um den Aufstieg der

Nazis mit ihrer Tochter sowie Bertolt

Brecht und Helene Weigel nach Dänemark.

Sie wohnen alle in einem Haus bei

der Schriftstellerin Karin Michaëlis auf der

Insel Fünen. 1935 übersiedelt Lazar nach

Kopenhagen, 1939 flieht sie vor den vorrückenden

Nazis nach Schweden, wo sie

in einem Archiv arbeitet. Aus einem ihrer

letzten, sehr berührenden Gedichte – Die

schöne Stadt – wird offensichtlich, warum

sie 1945 eine Rückkehr nach Österreich

ablehnt: Zwei ihrer Schwestern wurden

in der Schoah ermordet. An einer unheilbaren

Knochenkrankheit leidend, nimmt

sie sich am 30. März 1948 in Stockholm

das Leben.

In ihrem großen Exilroman Die Eingeborenen

von Maria Blut befasst sie sich

mit der schleichenden Entwicklung des

Nazismus in der österreichischen Provinz.

Ein Kapitel daraus erschien 1937 in der

von Brecht, Lion Feuchtwanger und Willi

Bredel herausgegebenen deutschsprachigen

Moskauer Exilzeitschrift Das Wort.

Mit der Drucklegung dieses Werkes 2015

hat der junge Verleger Albert Eibl einen

weiteren großen Schritt zur Wiederentdeckung

dieser völlig zu Unrecht in Vergessenheit

geratenen Autorin gemacht.

Schmales, starkes Gesamtwerk. Maria

Lazars Gesamtwerk umfasst acht Romane,

drei Dramen, eine Zitatensammlung, Gedichte,

einige Essays und zahlreiche Artikel

als Publizistin.

Trotz ihrer Vernetzung mit der Wiener

Kunstszene funktionierte die Ausgrenzungs-

und Abwertungsmaschinerie der

männlich dominierten Gesellschaft: Maria

Lazar fehlt in fast allen Anthologien

und Sammelbänden. „Man fragt sich, wie

so eine Begabung in Vergessenheit geraten

konnte“, wundert sich Dramaturgin Sabrina

Zwach, deren Recherchen sie auch

in das Thomas-Mann-Haus in Los Angeles

führten: „Dort zuckte man nur mit den

Achseln, als ich nach Maria Lazar fragte.

Das ist ein Phänomen, denn man muss viel

Kraft aufwenden, um sie in all diesen Männerbiografien

zu ignorieren. Aus Schwarzwalds

Salon und über ihre Literatur hatte

sie enge intellektuelle Beziehungen zu den

Großen dieser Zeit.“

In ihrem Einakter Der Henker stellt Maria

Lazar fünf Männer und nur eine Frau

auf die Bühne – das hat, meint Regisseurin

Mateja Koležnik, mehr als nur gesellschaftspolitische

Bedeutung: „Diese Männer

sprechen nur über ihre Pflicht, keiner

fühlt sich schuldig, keiner redet von einer

ideologischen Überzeugung, geschweige

denn über Leidenschaft. Faszinierend

ist, in welcher präzisen, modernen Sprache

sich diese Täter artikulieren.“ Als einen

Glücksfall dieser derzeit laufenden

Produktion bezeichnet Sabrina Zwach

das Zusammenwirken von Koležnik und

dem israelischen Schauspieler Itay Tiran in

der Hauptrolle des Mörders. „Mateja und

Itay kommen aus Gesellschaften, in denen

kriegerische Auseinandersetzungen stattgefunden

haben“, erzählt Zwach, und die

angesprochene Regisseurin fügt hinzu: „Jedes

Mal, wenn ich sagte, ich kenne Menschen

mit dem posttraumatischen Syndrom,

hat Itay gerufen ‚ich auch‘.“

wına-magazin.at

45


FEBRUAR KALENDER

FESTIVAL

div. Spielorte und Beginnzeiten

ikg-kultur.at

13. BIS 27. FEBRUAR 2020

LACHEN UND STAUNEN

Die diesjährige Ausgabe des Festivals

der jüdischen Kultur steht ganz unter

dem Motto „jüdischer Humor“. Wie facetten-

und traditionsreich, aktuell und

relevant dieser Aspekt jüdischen Lebens

ist, stellen u. a. Vivian Kanner in ihrem

Eröffnungskonzert (13.2., Porgy &

Bess), Roman Grinberg und Paul Chaim

Eisenberg in ihrem gemeinsamen Humor-Programm

Oj, hab ich gelacht!

(25.2., Urania, ACHTUNG: Ausverkauft!)

und die beiden Stand-up-Comedians

Shahar Hason und Yohay Sponder in ihrem

Funny Monday-Programm (18.2.,

Werk X am Petersplatz; 19.2., Urania)

unter Beweis. Die „Open Mic“-Funny

Night lädt alle Interessierten zur aktiven

Teilnahme am 17. Februar in das Werk X

am Petersplatz ein (Anmeldung unter

kultur@ikg-wien.at nur noch bis 2.2.!).

Und mit Woody Allen (Manhatten, 16.2.)

und John Turturro (Fading Gigolo, 23.2.)

im Votiv Kino sind auch zwei große Komikerpersönlichkeiten

des jüdischen

Films heuer mit dabei.

Ein besonderes Highlight der diesjährigen

Ausgabe ist der große Abschlussabend

am 27. Februar in der Wiener

Urania (19.30 Uhr) mit dem aus Israel

stammenden international vielbeschäftigten

Mentalisten Roy Yozevitch. Unter

dem Titel Mind Games with Dr. Roy beweist

Yozevitch in seiner weltweit tourende

neuen Show, dass die Kunst des

Gedankenlesens auch beste Unterhaltung

bietet.

KONZERT

19 Uhr

Zentrum Im Werd,

Im Werd 6,

1020 Wien

zentrumimwerd.at

14. FEBRUAR 2020

UNVORSTELLBAR?

Die beiden jungen in Wien

lebenden Sängerinnen Esther

Wratschko und Isabel

Frey (S. 48) fragen im Debütkonzert

des von ihnen

gegründeten jiddischen A-

cappella-Duos Wratschko

& Frey nach den Geheimnissen

einer Welt, die schöner

wäre als die, in der

wir seit Jahrtausenden zu

(über)leben gelernt haben.

Wie wäre es In a shener

velt, so auch der Titel

des Konzertes; wie lassen

sich die Ambivalenzen zwischen

dem Leid in unserer

Welt und dem Wunsch, ihm

zu entkommen, musikalisch

fassen; und welche Position

und Funktion nimmt dabei

die Tradition des jiddischen

Volksliedes ein? Das zweistimmige

Programm versammelt

unter anderem sozialkritisches

Wiegenlied,

Klagelied über Mädchenhandel

und antikapitalistische

Nigun und verdeutlicht,

dass das jiddische

Volkslied für unsere Welt relevant

ist und bleibt.

FILM & GESPRÄCH

15.30 Uhr

Österreichisches Filmmuseum,

Augustinerstraße 1, 1010 Wien

filmmuseum.at

9. & 16. FEBRUAR 2020

500 VON 150.000

Elf Stunden, fünf Nachmittage lang interviewte

1997 der österreichische Historiker

Albert Lichtblau den bis zuletzt unermüdlichen,

streitbaren und heute aus der österreichischen

Zeitgeschichte nicht mehr

wegzudenkenden Architekten, Autor und

Zeitzeugen Simon Wiesenthal. Der Schoah-

Überlebende erinnert sich, erzählt, lacht

und verzweifelt in diesen langen Stunden

des Erinnerns an Verfolgung, Ermordung

und Nichtaufarbeitung. Wiesenthal

formuliert sein Credo – „Recht, nicht Rache“

– und macht deutlich: Nazis sollten

uns nicht regieren! Am Ende stehen das

Unerreichte und die Ungeduld der letzten

Tage. „Man hätte 100.000 Büros“ wie das

seine gebraucht, resignierte der müde gewordene

Nimmermüde vor bald 25 Jahren.

Was hat sich seither getan, was wurde weiter

aufgedeckt, angesprochen, aufgearbeitet?

Expert*innen und Weggefährt*innen

erzählen im Rahmen von Ich bin einer der

500 von 150.000 seit Jänner und noch bis

Mitte Februar auf Einladung des Wiener

Wiesenthal Institutes nach der Projektion

der fünf Teile des historischen Filmdokuments

über ihre Begegnungen mit Wiesenthal,

selbst Erlebtes, wissenschaftliche

Erkenntnisse der letzten Jahre und aktuelle

Diskurse.

9.2.: Interview v. 20.11.1997 (Film, 56 Min.), danach

Dagi Knellessen (VWI) im Gespräch mit René

Bienert, Claudia Kuretsidis-Haider und Heidemarie

Uhl; 16.2.: Interview v. 21.11.1997 (Film, 116

Min.), danach Béla Rásky und Éva Kovács (VWI) im

Gespräch mit dem Ehrenpräsidenten der IKG Wien,

Ariel Muzicant

© Sascha Osaka (Otto Lechner); Müller/Divjak; Privatsammlung Kinsky (Café Palmhof); IKG Kultur (Kulturwoche); USC Shoa Foundation

46 wına | Februar 2020


Von Angela Heide

MUSIKFESTIVAL

div. Orte und Beginnzeiten

akkordeonfestival.at

AUSSTELLUNG

Jüdisches Museum,

Dorotheergasse 11, 1010 Wien

jmw.at

22.FEB.BIS22.MÄRZ2020

DIE KUNST DES AKKORDEONS

Von 22. Februar an findet heuer

zum 21. Mal das Internationale

Akkordeonfestival Wien statt. Wie

stets unter der künstlerischen Gesamtleitung

von Initiator und Gründer

Friedl Preisl zeichnet dieses

Jahr bereits zum sechsten Mal die

Musikerin und Musikkuratorin Franziska

Hatz für die inhaltliche Zusammenstellung

des dichten Programms

verantwortlich. An dessen

rund 50 musikalischen Events nehmen

mehr als 200 hochkarätige

Künstlerinnen und Künstler teil, darunter

Akkordeon-Legende Otto

Lechner (Foto), der auch gleich

die Eröffnungsgala mit dem französischen

Duo Arnott – Themenschwerpunkt

ist dieses Jahr „Vive

la France“ – bestreitet. An zahlreichen

Wiener Spielstätten bietet das

Festival wie jedes Jahr vielseitige

Veranstaltungen, in dessen Zentrum

die schier unendlichen Facetten

des Akkordeons stehen. Neben

Konzerten von Publikumslieblingen,

gerne gesehenen Festivalgästen

und spannenden Newcomern

gibt es Stummfilme mit musikalischer

Begleitung, Workshops sowie

ein bereitgefächertes Rahmenangebot

rund um das Akkordeon. Neu ist

die Reihe „Moving Accordions“, die

viel Bewegung auf und abseits der

Bühne verspricht!

22. JÄNNER BIS 1. JUNI 2020

UNWIEDERBRINGLICH

Da, wo sich ab 1919, kurz nach Ende des

Ersten Weltkrieges und zu Beginn der ersten

großen Jahre des „Roten Wien“, das beliebte

„Café Palmhof“ von Otto und Karl Pollak befunden

hat, auf der Mariahilfer Straße 135

in Wien-Fünfhaus, geht man heute in einen

Supermarkt. Einst wurde hier getanzt, Theater

gespielt und das gesellschaftliche Leben

Wiens der Zwischenkriegszeit mit geprägt.

Konzerte, die hier stattfanden, wurden regelmäßig

von der RAVAG (Radio Verkehrs AG)

übertragen und zählten zum kulturellen Alltag

der Stadt. 1938 wurde das beliebte Kaffeehaus

„arisiert“, die Familie nach Theresienstadt

deportiert. Karl wurde nur drei Tage

nach der Ankunft nach Auschwitz deportiert

und dort ermordet, Otto, der im Ersten Weltkrieg

ein Bein verloren hatte, verdankte diesem

Umstand sein Überleben. Anfang der

1950er-Jahre wurde der Betrieb rückgestellt,

doch Otto, von zwei Kriegen, Verfolgung

und Ermordung seiner Familie schwer

traumatisiert, lehnte es ab, hier erneut einen

„Unterhaltungsbetrieb“ zu eröffnen.

In der von Theresa Eckstein und Janine

Zettl kuratierten Ausstellung Wir bitten zum

Tanz. Der Wiener Cafetier Otto Pollak des

Jüdischen Museums Wien steht die Lebensgeschichte

Otto Pollaks im Zentrum. Beispielhaft

zeichnet sein Schicksal die Situation

jüdischer Träger des Wiener Kultur- und

Gesellschaftslebens der Zwischenkriegszeit

nach und macht deren eminente Bedeutung

anhand des beliebten Vorstadtcafés Palmhof

deutlich.

AUSSTELLUNG

Künstlerhaus Bregenz,

Gallusstraße 10,

6900 Bregenz

mueller-divjak.art

BIS 1. MÄRZ 2020

VIELSCHICHTIGER

PARCOURS DER POESIE

Mit ihrer aktuellen Ausstellung laden

die seit 15 Jahren im Team arbeitenden

Künstler*innen Jeanette

Müller und Paul Divjak im Künstlerhaus

Bregenz anhand eines Parcours

rund um die von ihnen entwickelte

Kunstfigur „Berta“ zur

„sinnlichen Entdeckung und Entwicklung

neuer Denk- und Handlungsräume

gegen die Zersplitterung

der Welt“ ein. Die Schau

unternimmt unter dem Titel 77.000

GENERATIONS – Berta says: We

need to find a new conception of

man auch ein „Plädoyer für die

Ausweitung von Zeithorizonten und

die Möglichkeiten des gemeinsamen

Wirkens“. Raumgreifende Installationen,

Skulpturen, Sound- und

Bild-Collagen, Texte, Performances

und speziell komponierte Düfte

zählen zu den ästhetischen Ausdrucksweisen

des erfolgreichen

Künstler*innenduos, das in seiner

neuen Arbeit auch auf das umfangreiche

Archiv des Bertalanffy Centers

for the Study of Systems Science

(BCSSS) zurückgreift.

Führungen: 7. u. 27.2.2020, 16 Uhr

Haben auch Sie einen Veranstaltungstipp?

Schreiben Sie uns einfach unter:

wina.kulturkalender@gmail.com

wına-magazin.at

47


DAS LETZTE MAL

Das letzte Mal ...

Das letzte Mal, dass mir Musik geholfen

hat, war ...

... als ich angefangen habe, jiddische

Revolutionslieder zu singen und sich

plötzlich meine bürgerliche Familie meine

„radikalen“ politischen Gedanken gerne

anhörte.

Das letzte Mail eine Revolution gestartet

habe ich ...

... als ich auf der Donnerstagsdemo mein

Lied Daloy Politsey/Nieder mit HC gegen

die schwarz-blaue Regierung vorgetragen

habe und zwei Wochen später die Koalition

wegen des Ibiza-Skandals tatsächlich

auseinandergebrochen ist. Auf der Kundgebung

am Ballhausplatz habe ich das

Lied dann noch ein letztes Mal mit dem

Zusatz „Heute ist Straches

letzter Tag“ gesungen.

Das letzte Mal, dass ich mir „a shener

velt“ gewünscht habe, war ...

... als ich das neue Regierungsprogramm

gesehen habe, in dem rassistische Politik

mit halbherzigen ökologischen Reformen

verknüpft ist. Ich sehne mich nach

Klimagerechtigkeit, nicht nach Ökofaschismus.

Das letzte Mal, dass ich dachte:

„So schlecht ist die Welt eigentlich

gar nicht“, war ...

... als ich an den „Fridays for Future“

teilgenommen habe und mir der Mut,

die Kreativität und der Kampfgeist der

neuen Generation Hoffnung für eine

bessere Welt gemacht hat.

Das letzte Mal ein neues jiddisches

Wort gelernt habe ich ...

... in einem sozialkritischen Wiegenlied,

das ich mit meinem neuen A-capella-Duo

Wratschko & Frey arrangiert habe. Da

singt eine Mutter ihrem Kind vor, dass

die Reichen in schönen Palästen leben,

während der arme Mann an Rheuma

leidet, weil ihm „Vilgotsch“ (= Feuchtigkeit)

von den Wänden rinnt.

ES LEBE DIE

REVOLUTION

Es gibt immer ein erstes Mal – aber auch ein letztes. In dieser

Ausgabe erzählt die Wiener Sängerin Isabel Frey über

Hoffnung in den Händen und „Vilgotsch“ an den Wänden.

Die Wienerin Isabel Frey (25) singt jiddische Revolutions- und

Widerstandslieder. Am 14. Februar um 19 Uhr findet das

Debütkonzert ihres jiddischen A-capella-Duos Wratschko & Frey statt.

Gemeinsam mit Esther Wratschko werden dabei unter dem Titel „In a

shener velt“ zweistimmig jiddische Volkslieder – vom sozialkritischen

Wiegenlied bis zum antikapitalistischen Nigun – vorgetragen.

Infos unter isabelfrey.com

© Erika Kapin

48 wına | Februar 2020


Josef Polleros

OJ, HAB ICH GELACHT!

JüDISCHER HUMOR In WORT & MUSIK

Roman Grinberg: Humor & Gesang

Sasha Danilov: Klarinette

Special Guest: Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg

MInD GAMES WITH DR. ROY

Dr. Roy Yozevitch: Mentalist

David Stein

Dienstag

25. Februar

19:30 Uhr

Urania

Mittlerer Saal

1., Uraniastraße 1

Der jüdische Humor ist dicht und

dichterisch, überraschend und

verständlich zugleich, aus dem Leben

gegriffen, erdacht, erlebt und überliefert

von dem Volk, das über die eigenen

Schwächen und Unzulänglichkeiten so

herrlich lachen kann.

Mit „Oj, hab ich gelacht! Der jüdische

Humor in Wort und Musik“ präsentiert

Roman Grinberg eine Collage aus 100

Jahren jüdischer Tradition verpackt

in Liedern, Witzen, Geschichten und

Gedichten.

Roman Grinberg gilt als einer der

vielseitigsten und gefragtesten

Experten Wiens in Sachen jüdischer

Kultur & Humor. Als renommierter

Musiker sowie als Kenner und Sammler

jüdischer Witze, ist er weit über die

Landesgrenzen bekannt. In Kombination

mit Special Guest Oberrabbiner Prof.

Paul Chaim Eisenberg erwartet Sie ein

erfrischender Abend, an dem Tränen

in den Augen und Bauchschmerzen

vor Lachen garantiert sind.

„Oj, hab ich gelacht“ werden auch Sie

nach diesem humoristischen Abend

sagen können.

Donnerstag

27. Februar

19:30 Uhr

Urania

Mittlerer Saal

1., Uraniastraße 1

Dr. Roy Yozevitch ist ein internationaler

Mentalist aus Israel, der

mit seinen Shows bereits in Indien,

den Vereinigten Staaten, China

und in vielen Städten Europa

aufgetreten ist und sein Publikum

mit seiner Gabe begeisterte.

Die Kunst des Gedankenlesens

ist wie keine andere Form der

Unterhaltung. Es ist eine Achterbahnfahrt

durch die Fähigkeiten

des menschlichen Geistes. Auf

der Reise durch die aufregende

Welt der Gedanken, wird Sie Dr.

Roy Yozevitch begleiten. Er hat das

Talent, zufällige und willkürliche Gedanken,

Vorahnungen oder Bauchgefühle,

die sich oft schon wenig

später als richtig herausstellen, zu

erkennen und zu beeinflussen.

Dr. Yozevitch demonstriert auf

humorvolle, intelligente und

interaktive Weise die Kunst

des Gedankenlesens sowie der

mentalen Beeinflussung und wird

Sie gleichzeitig zum Lachen,

aber auch zum Staunen bringen.

Lassen Sie sich verzaubern!

Kartenpreis: 18 – 30€ • Karten erhältlich unter: www.ikg-kultur.at

Cover_0220_GR.indd 3 29.01.2020 11:25:11


Eröffnungskonzert Vivian Kanner • Open Mic Funny Night •

Stand Up Comedy Shahar Hason & Yohay Sponder •

Jüdischer Humor in Wort & Musik Roman Grinberg und

Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg •

Mentalist Dr. Roy Yozevitch

Mehr Informationen unter: www.ikg-kultur.at

Cover_0220_GR.indd 4 29.01.2020 11:25:13

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!