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Wina Februar 2020

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SCHARFSICHTIGE JOURNALISTIN

Ich kann aus heutiger Sicht nicht beurteilen

oder bewerten, aus welchen

Motiven das schriftstellerische Werk

von Maria Lazar vor und nach dem Zweiten

Weltkrieg verdrängt wurde: Weil sie

eine Frau war oder weil sie eine jüdische

Frau war? Tatsache ist, dass sie trotz ihres

Talentes vergessen wurde“, sinniert Mateja

Koležnik über die Autorin des Einakters

Der Henker, ihrer jüngsten Regiearbeit

am Wiener Akademietheater. Jedenfalls ist

es der slowenischen Regisseurin und der

Dramaturgin Sabrina Zwach zu danken,

dass der Person und dem Schaffen Maria

Lazars, 1895 in Wien geboren, endlich die

gebührende Aufmerksamkeit zuteilwird.

„Es ist faszinierend, wie weitsichtig

diese junge Frau war: Bereits mit 20 Jahren

schrieb sie unter dem Eindruck der Gräuel

des Ersten Weltkrieges den Einakter Der

Henker. Sie hat damals schon intellektuell

und emotional begriffen, welche Ausrede

von den Akteuren danach benutzt werden

würde, und zwar: ‚Ich habe meine Pflicht

getan‘“, erläutert Koležnik und fügt hinzu:

„Dieser Satz ist ja nach dem Zweiten Weltkrieg

und bei allen kriegerischen Konflikten

seither unser ständiger Begleiter.“

Es ist kein Zufall, dass Koležnik, die bereits

2017 für Josefstadt-Direktor Herbert

Föttinger mit ihrer Inszenierung von Ibsens

Wildente einen großen Erfolg einfuhr,

an der Wiedergeburt von Lazars Der Henker

beteiligt war. Doch Zufall war es, dass

Sabrina Zwach, Dramaturgin am Berliner

Ensemble und am Wiener Burgtheater,

im Rahmen ihrer Recherche nach weiblichen

Romanautorinnen aus Wien auf Maria

Lazar stieß. „Lazar absolvierte ebenso

wie Helene Weigel das berühmte Mädchengymnasium

der Eugenie Schwarzwald.

Diese Pädagogin war eine ihrer größten

Förderinnen“, erzählt Zwach. Über

Schwarzwald wurde sie auf Lazar aufmerksam

und fand bald reichlich Publikationen,

darunter auch das 1921 an der

Neuen Wiener Bühne uraufgeführte Stück

Der Henker. „Ich war sehr aufgeregt und

auf Anhieb mächtig beeindruckt, deshalb

wollte ich, dass etwas aus meinem Fundstück

entsteht.“

Die gebürtige Heidelbergerin hatte bereits

sowohl mit Martin Kušej wie auch

mit Mateja Koležnik zusammengearbeitet:

„Ich wusste, dass sie an das Burgtheater

kommt und spürte sofort, dass Lazar jene

spannende Autorin sein könnte, die ihr liegen

würde“, so Zwach, „Mateja Koležnik

verfügt über eine puristische und so bestimmte

Theatersprache, dass es ihr ge-

Wiederentdeckung

einer Begabten

Maria Lazar: Die verdrängte und vergessene jüdische

Schriftstellerin aus dem Schottenhof. Mit dem Einakter

Der Henker hat ihr die Regisseurin Mateja Koležnik

wieder eine Stimme gegeben.

Von Marta S. Halpert

lingt, verborgene performative Qualitäten

in den Schauspielern zu erwecken.“ Mit

ihrer Begeisterung steckte Zwach sowohl

ihre Kollegen in der Burgtheater-Dramaturgie

an wie auch letztendlich Koležnik:

„Ich wusste, dass das nur eine Regisseurin

kann, die über eine Phantasie verfügt, die

über diese sprachlich anspruchsvollen 21

Seiten hinausgeht.“

So entstand im Verbund von drei starken

Frauen die Produktion von Der Henker:

Im neunzigminütigen Einakter wird

man Zeuge der letzten Stunden eines

zum Tode verurteilten Mörders, der seinen

Henker kennenlernen will und diesen

zwingt, den Akt der Hinrichtung nicht

als professionelle Pflichterfüllung, sondern

aus tiefster persönlicher Überzeugung oder

zumindest mit einem Gefühl – Hass – zu

vollziehen. In der Todeszelle werden moralische

Standpunkte und Haltungen durchexerziert.

Der Mörder wird zum Herausforderer

des Henkers in einer ethischen

Debatte, die kompromisslos und überraschend

bis zu Ende geführt wird.

Doch wer war diese Maria Lazar, die

in Eugenie Schwarzwalds Salon 1916 von

Oskar Kokoschka (Dame mit Papagei) porträtiert

wurde? Diesen Salon frequentierten

so prominente Schriftsteller wie Jakob

Wassermann, Egon Friedell, Robert Musil

und auch Elias Canetti.

In Vergessenheit geraten. Maria Lazar

war das jüngste von acht Kindern einer

jüdisch-großbürgerlichen Wiener Familie,

die im Schottenhof im ersten Bezirk

wohnte. Ihr Vater war Eisenbahndirektor,

ihr Bruder Erwin ein berühmter Kinderarzt

am AKH. Die ältere Schwester Auguste

begründete die sozialistische Kinder-

und Jugendliteratur.

Nach der Matura 1914 und acht Semestern

Studium der Geschichte an der

Universität Wien schreibt Lazar während

ihrer Anstellung als Lehrerin an Schwarz-

© Lukas Beck/Burgtheater

44 wına | Februar 2020

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