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SCHARFSICHTIGE JOURNALISTIN
Ich kann aus heutiger Sicht nicht beurteilen
oder bewerten, aus welchen
Motiven das schriftstellerische Werk
von Maria Lazar vor und nach dem Zweiten
Weltkrieg verdrängt wurde: Weil sie
eine Frau war oder weil sie eine jüdische
Frau war? Tatsache ist, dass sie trotz ihres
Talentes vergessen wurde“, sinniert Mateja
Koležnik über die Autorin des Einakters
Der Henker, ihrer jüngsten Regiearbeit
am Wiener Akademietheater. Jedenfalls ist
es der slowenischen Regisseurin und der
Dramaturgin Sabrina Zwach zu danken,
dass der Person und dem Schaffen Maria
Lazars, 1895 in Wien geboren, endlich die
gebührende Aufmerksamkeit zuteilwird.
„Es ist faszinierend, wie weitsichtig
diese junge Frau war: Bereits mit 20 Jahren
schrieb sie unter dem Eindruck der Gräuel
des Ersten Weltkrieges den Einakter Der
Henker. Sie hat damals schon intellektuell
und emotional begriffen, welche Ausrede
von den Akteuren danach benutzt werden
würde, und zwar: ‚Ich habe meine Pflicht
getan‘“, erläutert Koležnik und fügt hinzu:
„Dieser Satz ist ja nach dem Zweiten Weltkrieg
und bei allen kriegerischen Konflikten
seither unser ständiger Begleiter.“
Es ist kein Zufall, dass Koležnik, die bereits
2017 für Josefstadt-Direktor Herbert
Föttinger mit ihrer Inszenierung von Ibsens
Wildente einen großen Erfolg einfuhr,
an der Wiedergeburt von Lazars Der Henker
beteiligt war. Doch Zufall war es, dass
Sabrina Zwach, Dramaturgin am Berliner
Ensemble und am Wiener Burgtheater,
im Rahmen ihrer Recherche nach weiblichen
Romanautorinnen aus Wien auf Maria
Lazar stieß. „Lazar absolvierte ebenso
wie Helene Weigel das berühmte Mädchengymnasium
der Eugenie Schwarzwald.
Diese Pädagogin war eine ihrer größten
Förderinnen“, erzählt Zwach. Über
Schwarzwald wurde sie auf Lazar aufmerksam
und fand bald reichlich Publikationen,
darunter auch das 1921 an der
Neuen Wiener Bühne uraufgeführte Stück
Der Henker. „Ich war sehr aufgeregt und
auf Anhieb mächtig beeindruckt, deshalb
wollte ich, dass etwas aus meinem Fundstück
entsteht.“
Die gebürtige Heidelbergerin hatte bereits
sowohl mit Martin Kušej wie auch
mit Mateja Koležnik zusammengearbeitet:
„Ich wusste, dass sie an das Burgtheater
kommt und spürte sofort, dass Lazar jene
spannende Autorin sein könnte, die ihr liegen
würde“, so Zwach, „Mateja Koležnik
verfügt über eine puristische und so bestimmte
Theatersprache, dass es ihr ge-
Wiederentdeckung
einer Begabten
Maria Lazar: Die verdrängte und vergessene jüdische
Schriftstellerin aus dem Schottenhof. Mit dem Einakter
Der Henker hat ihr die Regisseurin Mateja Koležnik
wieder eine Stimme gegeben.
Von Marta S. Halpert
lingt, verborgene performative Qualitäten
in den Schauspielern zu erwecken.“ Mit
ihrer Begeisterung steckte Zwach sowohl
ihre Kollegen in der Burgtheater-Dramaturgie
an wie auch letztendlich Koležnik:
„Ich wusste, dass das nur eine Regisseurin
kann, die über eine Phantasie verfügt, die
über diese sprachlich anspruchsvollen 21
Seiten hinausgeht.“
So entstand im Verbund von drei starken
Frauen die Produktion von Der Henker:
Im neunzigminütigen Einakter wird
man Zeuge der letzten Stunden eines
zum Tode verurteilten Mörders, der seinen
Henker kennenlernen will und diesen
zwingt, den Akt der Hinrichtung nicht
als professionelle Pflichterfüllung, sondern
aus tiefster persönlicher Überzeugung oder
zumindest mit einem Gefühl – Hass – zu
vollziehen. In der Todeszelle werden moralische
Standpunkte und Haltungen durchexerziert.
Der Mörder wird zum Herausforderer
des Henkers in einer ethischen
Debatte, die kompromisslos und überraschend
bis zu Ende geführt wird.
Doch wer war diese Maria Lazar, die
in Eugenie Schwarzwalds Salon 1916 von
Oskar Kokoschka (Dame mit Papagei) porträtiert
wurde? Diesen Salon frequentierten
so prominente Schriftsteller wie Jakob
Wassermann, Egon Friedell, Robert Musil
und auch Elias Canetti.
In Vergessenheit geraten. Maria Lazar
war das jüngste von acht Kindern einer
jüdisch-großbürgerlichen Wiener Familie,
die im Schottenhof im ersten Bezirk
wohnte. Ihr Vater war Eisenbahndirektor,
ihr Bruder Erwin ein berühmter Kinderarzt
am AKH. Die ältere Schwester Auguste
begründete die sozialistische Kinder-
und Jugendliteratur.
Nach der Matura 1914 und acht Semestern
Studium der Geschichte an der
Universität Wien schreibt Lazar während
ihrer Anstellung als Lehrerin an Schwarz-
© Lukas Beck/Burgtheater
44 wına | Februar 2020