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LITERARISCHER EXPRESSIONISMUS
Regisseurin und Hauptdarsteller:
Mateja Koležnik und
Itay Tiran. Der israelische
Schauspieler kreierte den
Mörder in Maria Lazars Der
Henker.
© bpk / Staatsgalerie Stuttgart
„Sie hat damals schon
begriffen, welche Ausrede
von den Akteuren
danach benutzt werden
würde: ‚Ich habe
meine Pflicht getan.‘“
Mateja Koleznik
walds Landerziehungsheim am Semmering
ihren ersten Roman Die Vergiftung,
der 1920 erscheint. „Dieser fulminante
erste Roman ist eine der gnadenlosesten
Abrechnungen mit der bürgerlichen
Lebenswelt in Österreich vor Beginn des
Ersten Weltkriegs und damit einer der
überzeugendsten weiblichen Beiträge
zum literarischen Expressionismus“,
schreibt der 1990 in München geborene
Germanist Albert Eibl, der den programmatischen
Verlag „Das vergessene Buch“
in Wien betreibt und dem die erneute Publikation
von Die Vergiftung im Jahr 2014
zu danken ist.
Als Lazar in den 1920er-Jahren für ihren
Roman Viermal ich keinen Verleger findet,
wendet sie sich der journalistischen
Arbeit zu und veröffentlicht bis 1933 über
hundert Beiträge im Wiener Tag und fallweise
auch in der Arbeiter-Zeitung. Trotz
ihres Renommees als scharfsichtige Journalistin
befindet sie sich ständig in finanziellen
Nöten. 1923 heiratet sie Friedrich
Strindberg, den Sohn Frank Wedekinds
und Frieda Uhls, die mit August Strindberg
verheiratet war. Die Ehe, der Tochter
Judith entstammt, wird bald wieder
geschieden. Die schwedische Staatsbürgerschaft,
die sie durch die Heirat erworben
hatte, sollte ihr später das Leben retten.
Als alleinerziehende Mutter kämpft
Lazar um ihren Lebensunterhalt: Vergeblich
versucht sie dem Zsolnay Verlag Übersetzungen
der skandinavischen Literatur
schmackhaft zu machen. Genia Schwarzwald
interveniert mehrmals für sie. Der
Kiepenheuer Verlag bekundet tatsächlich
Interesse für die Übertragungen aus dem
Dänischen und Schwedischen. Lazar fasst
den Entschluss, ihren nächsten Roman Veritas
verhext die Stadt unter dem nordischen
Pseudonym Esther Grenen erscheinen zu
lassen, und gibt sich als dänische Übersetzerin
aus. „Diese raffinierte Taktik, sich auf
dem literarischen Markt zu behaupten, ist
nach Lazars Antwort auf die abwartende
Haltung großer Verlage angesichts des aufsteigenden
Nationalsozialismus und Antisemitismus
zu sehen“, zeigt sich der Germanist
Johann Sonnleitner überzeugt. Er
widmet seine Recherchen als Professor für
neuere deutsche Literatur an der Universität
Wien zahlreichen jüdischen Exilautorinnen.
Schon Mitte 1933 emigriert Lazar angesichts
der Sorge um den Aufstieg der
Nazis mit ihrer Tochter sowie Bertolt
Brecht und Helene Weigel nach Dänemark.
Sie wohnen alle in einem Haus bei
der Schriftstellerin Karin Michaëlis auf der
Insel Fünen. 1935 übersiedelt Lazar nach
Kopenhagen, 1939 flieht sie vor den vorrückenden
Nazis nach Schweden, wo sie
in einem Archiv arbeitet. Aus einem ihrer
letzten, sehr berührenden Gedichte – Die
schöne Stadt – wird offensichtlich, warum
sie 1945 eine Rückkehr nach Österreich
ablehnt: Zwei ihrer Schwestern wurden
in der Schoah ermordet. An einer unheilbaren
Knochenkrankheit leidend, nimmt
sie sich am 30. März 1948 in Stockholm
das Leben.
In ihrem großen Exilroman Die Eingeborenen
von Maria Blut befasst sie sich
mit der schleichenden Entwicklung des
Nazismus in der österreichischen Provinz.
Ein Kapitel daraus erschien 1937 in der
von Brecht, Lion Feuchtwanger und Willi
Bredel herausgegebenen deutschsprachigen
Moskauer Exilzeitschrift Das Wort.
Mit der Drucklegung dieses Werkes 2015
hat der junge Verleger Albert Eibl einen
weiteren großen Schritt zur Wiederentdeckung
dieser völlig zu Unrecht in Vergessenheit
geratenen Autorin gemacht.
Schmales, starkes Gesamtwerk. Maria
Lazars Gesamtwerk umfasst acht Romane,
drei Dramen, eine Zitatensammlung, Gedichte,
einige Essays und zahlreiche Artikel
als Publizistin.
Trotz ihrer Vernetzung mit der Wiener
Kunstszene funktionierte die Ausgrenzungs-
und Abwertungsmaschinerie der
männlich dominierten Gesellschaft: Maria
Lazar fehlt in fast allen Anthologien
und Sammelbänden. „Man fragt sich, wie
so eine Begabung in Vergessenheit geraten
konnte“, wundert sich Dramaturgin Sabrina
Zwach, deren Recherchen sie auch
in das Thomas-Mann-Haus in Los Angeles
führten: „Dort zuckte man nur mit den
Achseln, als ich nach Maria Lazar fragte.
Das ist ein Phänomen, denn man muss viel
Kraft aufwenden, um sie in all diesen Männerbiografien
zu ignorieren. Aus Schwarzwalds
Salon und über ihre Literatur hatte
sie enge intellektuelle Beziehungen zu den
Großen dieser Zeit.“
In ihrem Einakter Der Henker stellt Maria
Lazar fünf Männer und nur eine Frau
auf die Bühne – das hat, meint Regisseurin
Mateja Koležnik, mehr als nur gesellschaftspolitische
Bedeutung: „Diese Männer
sprechen nur über ihre Pflicht, keiner
fühlt sich schuldig, keiner redet von einer
ideologischen Überzeugung, geschweige
denn über Leidenschaft. Faszinierend
ist, in welcher präzisen, modernen Sprache
sich diese Täter artikulieren.“ Als einen
Glücksfall dieser derzeit laufenden
Produktion bezeichnet Sabrina Zwach
das Zusammenwirken von Koležnik und
dem israelischen Schauspieler Itay Tiran in
der Hauptrolle des Mörders. „Mateja und
Itay kommen aus Gesellschaften, in denen
kriegerische Auseinandersetzungen stattgefunden
haben“, erzählt Zwach, und die
angesprochene Regisseurin fügt hinzu: „Jedes
Mal, wenn ich sagte, ich kenne Menschen
mit dem posttraumatischen Syndrom,
hat Itay gerufen ‚ich auch‘.“
wına-magazin.at
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