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Wina Februar 2020

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CORPORATE TAKEOVERS

„Ich glaube, der Marktkapitalismus ist das

beste je erfundene ökonomische System. Aber

er muss fair sein, er muss reguliert sein, und er

muss ethisch sein.“ Felix Rohatyn

© Brendan Mcdermid / Reuters / picturedesk.com

worden und hatte es auch zu einem gewissen

Wohlstand gebracht.

Doch die Herkulesaufgabe sollte noch

kommen. 1975 stand die heimliche Welthauptstadt

New York City vor dem finanziellen

Kollaps. Dazu hatten mehrere

Entwicklungen beigetragen. Einige Jahre

schwacher Wirtschaftsentwicklung im

Gefolge der Ölkrise ließen Unternehmen

wie wohlhabende Privatleute abwandern,

die Steuerbasis verkleinerte sich. Dem gegenüber

weitete die städtische Bürokratie

ihre Angebote aus, genau wusste niemand,

wie viele Menschen für das Rathaus

arbeiteten, aber es waren mehr als 300.000.

Und schließlich wurde diese Service-Expansion

alles andere als solide finanziert.

Weil die Stadt keine langfristigen Anleihen

mehr verkaufen konnte, holte sie sich

immer wieder teure kurzfristige Gelder,

konnte sie aber nicht zurückzahlen und

brauchte weitere Kredite. Auf einmal sagten

die Banken nein. Die Zahlungsunfähigkeit

der Stadt stand unmittelbar bevor,

und auch der Staat New York war bedroht.

Dessen Gouverneur, Hugh Carey, ersuchte

Rohatyn, einen Notfallplan zu erarbeiten,

um die Insolvenz kurzfristig

abzuwenden, die unabsehbare Folgen haben

könnte: Massenarbeitslosigkeit, im

schlimmsten Fall eine nationale und internationale

Wirtschaftskrise. Mittelfristig

sollten die gesamten Finanzen der Stadt

auf solide Beine gestellt werden.

Es wurde über Monate ein Tanz auf

dem Vulkan. Die Grundidee war, eine

Auffanggesellschaft des Staates New York

zu gründen, die ihrerseits Anleihen

ausgeben konnte, die der Markt und

unterschiedliche Institutionen kaufen

würden. Die Bundesregierung

unter Präsident Gerald Ford verweigerte

jede Hilfe, sowohl in der

Form direkte Finanzierung wie auch

als Garantien. Ford, ein Republikaner,

nutzte die missliche Lage der

Großstadt für politisches Kleingeld:

Da sehe man, dass die linken Demokraten

nicht wirtschaften könnten.

Dennoch war Rohatyn erfolgreich,

nicht zuletzt, weil er die mächtigen

Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes

von seiner Seriosität überzeugen konnte,

ihnen klar machte, dass ihre Zustimmung

zu einem harten Sanierungskurs essenziell

sei. Er brachte sie sogar dazu, mit ihren

Pensionsfonds die neuen Anleihen zu

zeichnen, trotz eines Personalabbaus von

etwa 20 Prozent.

Von den Verhandlungen mit den Arbeiterführern

berichtete Rohatyn später,

man habe sich zu einzelnen Punkten oft

rasch im kleinen Kreis geeinigt, musste aber

der Basis harte nächtliche Verhandlungen

vorspielen. Dabei habe man gemeinsam

Fernsehen geschaut oder gepokert, in den

frühen Morgenstunden traten dann alle erschöpft

vor die Kameras und verkündigten

die schwierig errungen Einigung. Ganz

am Ende des Sanierungsprozesses gab es

dann doch noch Hilfe aus Washington, europäische

Regierungschefs wie Valerie Giscard

D’Estaing und Helmut Schmidt hatten

vor einer Eskalation gewarnt, und Ford

gab nach. Letzten Endes dürfte ihn aber

die harte Haltung die Wahl gekostet haben,

der Demokrat Jimmy Carter zog ins

Weiße Haus ein.

Rohatyn kehrte in seine Investmentbank

zurück, war auch in einer neuen intensiven

Phase von corporate takeovers immer

wieder bei entscheidenden Deals

führend dabei. Zu den bekanntesten gehörte

die Übernahme von RJR Nabisco, einem

Tabak- und Lebensmittelkonglomerat

durch die Investmentbank KKR, oder

jene der Unterhaltungsgruppe RCA (mit

ihren Universal Studios) durch den japanischen

Technologiekonzern Matsushita.

Doch Rohatyn war als seriöser, eher

konservativer Banker nicht mit allen Entwicklungen

einverstanden. So schienen

ihm Junk-Bond-Finanzierungen oftmals

unseriös und zu riskant, er beteiligte

sich nur selten an feindlichen Übernahmen,

kritisierte auch immer wieder die

enormen Boni und Profite, die sich Manager

bei den Deals selbst genehmigten,

gleichzeitig aber die Firmen brutal auf

Gewinn trimmten. „Ich bin ein Kapitalist.

und ich glaube daran, Profite zu erzielen.“

Aber all zu oft habe er die andere

Seite gesehen: Massenentlassungen, beschädigte

Gemeinden, Umverteilung von

den Arbeitnehmern weg. „Ich glaube, der

Marktkapitalismus ist das beste je erfundene

ökonomische System. Aber er muss

fair sein, er muss reguliert sein, und er muss

ethisch sein. Das habe ich in meinen fünfzig

Jahren in der Finanzwelt und in der

Politik gelernt.“

Rohatyn, politisch ein überzeugter Demokrat,

stand mehrmals knapp vor einem

Wechsel in die Politik, doch auch unter

Bill Clinton sollte es weder mit dem Chefposten

in der Weltbank noch mit einem

Direktorenjob bei der Bundesbank Fed

klappen. 1999 kehrte dann das ehemalige

jüdische Flüchtlingskind aus Wien nach

Europa zurück, als mächtiger amerikanischer

Botschafter in Paris und Chef von

1.000 Mitarbeitern. Nach seiner Pensionierung

engagierte er sich vor allem für eine

Wiederbelebung der maroden US-Infrastruktur,

argumentierte zäh für deren Modernisierung

und Ausbau.

Eine Börsenkrise erwischte ihn dann

doch noch persönlich. Rohatyn hatte

für Lehman als Berater für europäische

Märkte gearbeitet. Und wie viele andere

auch, musste er die Investmentbank nach

deren Zusammenbruch mit einem Karton

in den Händen verlassen. Seine Expertise

wurde aber schnell wieder nachgefragt, von

seinem jahrzehntelangen Arbeitgeber Lazard.

Rohatyn starb 91-jährig im Dezember

2019 in New York.

wına-magazin.at

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