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CORPORATE TAKEOVERS
„Ich glaube, der Marktkapitalismus ist das
beste je erfundene ökonomische System. Aber
er muss fair sein, er muss reguliert sein, und er
muss ethisch sein.“ Felix Rohatyn
© Brendan Mcdermid / Reuters / picturedesk.com
worden und hatte es auch zu einem gewissen
Wohlstand gebracht.
Doch die Herkulesaufgabe sollte noch
kommen. 1975 stand die heimliche Welthauptstadt
New York City vor dem finanziellen
Kollaps. Dazu hatten mehrere
Entwicklungen beigetragen. Einige Jahre
schwacher Wirtschaftsentwicklung im
Gefolge der Ölkrise ließen Unternehmen
wie wohlhabende Privatleute abwandern,
die Steuerbasis verkleinerte sich. Dem gegenüber
weitete die städtische Bürokratie
ihre Angebote aus, genau wusste niemand,
wie viele Menschen für das Rathaus
arbeiteten, aber es waren mehr als 300.000.
Und schließlich wurde diese Service-Expansion
alles andere als solide finanziert.
Weil die Stadt keine langfristigen Anleihen
mehr verkaufen konnte, holte sie sich
immer wieder teure kurzfristige Gelder,
konnte sie aber nicht zurückzahlen und
brauchte weitere Kredite. Auf einmal sagten
die Banken nein. Die Zahlungsunfähigkeit
der Stadt stand unmittelbar bevor,
und auch der Staat New York war bedroht.
Dessen Gouverneur, Hugh Carey, ersuchte
Rohatyn, einen Notfallplan zu erarbeiten,
um die Insolvenz kurzfristig
abzuwenden, die unabsehbare Folgen haben
könnte: Massenarbeitslosigkeit, im
schlimmsten Fall eine nationale und internationale
Wirtschaftskrise. Mittelfristig
sollten die gesamten Finanzen der Stadt
auf solide Beine gestellt werden.
Es wurde über Monate ein Tanz auf
dem Vulkan. Die Grundidee war, eine
Auffanggesellschaft des Staates New York
zu gründen, die ihrerseits Anleihen
ausgeben konnte, die der Markt und
unterschiedliche Institutionen kaufen
würden. Die Bundesregierung
unter Präsident Gerald Ford verweigerte
jede Hilfe, sowohl in der
Form direkte Finanzierung wie auch
als Garantien. Ford, ein Republikaner,
nutzte die missliche Lage der
Großstadt für politisches Kleingeld:
Da sehe man, dass die linken Demokraten
nicht wirtschaften könnten.
Dennoch war Rohatyn erfolgreich,
nicht zuletzt, weil er die mächtigen
Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes
von seiner Seriosität überzeugen konnte,
ihnen klar machte, dass ihre Zustimmung
zu einem harten Sanierungskurs essenziell
sei. Er brachte sie sogar dazu, mit ihren
Pensionsfonds die neuen Anleihen zu
zeichnen, trotz eines Personalabbaus von
etwa 20 Prozent.
Von den Verhandlungen mit den Arbeiterführern
berichtete Rohatyn später,
man habe sich zu einzelnen Punkten oft
rasch im kleinen Kreis geeinigt, musste aber
der Basis harte nächtliche Verhandlungen
vorspielen. Dabei habe man gemeinsam
Fernsehen geschaut oder gepokert, in den
frühen Morgenstunden traten dann alle erschöpft
vor die Kameras und verkündigten
die schwierig errungen Einigung. Ganz
am Ende des Sanierungsprozesses gab es
dann doch noch Hilfe aus Washington, europäische
Regierungschefs wie Valerie Giscard
D’Estaing und Helmut Schmidt hatten
vor einer Eskalation gewarnt, und Ford
gab nach. Letzten Endes dürfte ihn aber
die harte Haltung die Wahl gekostet haben,
der Demokrat Jimmy Carter zog ins
Weiße Haus ein.
Rohatyn kehrte in seine Investmentbank
zurück, war auch in einer neuen intensiven
Phase von corporate takeovers immer
wieder bei entscheidenden Deals
führend dabei. Zu den bekanntesten gehörte
die Übernahme von RJR Nabisco, einem
Tabak- und Lebensmittelkonglomerat
durch die Investmentbank KKR, oder
jene der Unterhaltungsgruppe RCA (mit
ihren Universal Studios) durch den japanischen
Technologiekonzern Matsushita.
Doch Rohatyn war als seriöser, eher
konservativer Banker nicht mit allen Entwicklungen
einverstanden. So schienen
ihm Junk-Bond-Finanzierungen oftmals
unseriös und zu riskant, er beteiligte
sich nur selten an feindlichen Übernahmen,
kritisierte auch immer wieder die
enormen Boni und Profite, die sich Manager
bei den Deals selbst genehmigten,
gleichzeitig aber die Firmen brutal auf
Gewinn trimmten. „Ich bin ein Kapitalist.
und ich glaube daran, Profite zu erzielen.“
Aber all zu oft habe er die andere
Seite gesehen: Massenentlassungen, beschädigte
Gemeinden, Umverteilung von
den Arbeitnehmern weg. „Ich glaube, der
Marktkapitalismus ist das beste je erfundene
ökonomische System. Aber er muss
fair sein, er muss reguliert sein, und er muss
ethisch sein. Das habe ich in meinen fünfzig
Jahren in der Finanzwelt und in der
Politik gelernt.“
Rohatyn, politisch ein überzeugter Demokrat,
stand mehrmals knapp vor einem
Wechsel in die Politik, doch auch unter
Bill Clinton sollte es weder mit dem Chefposten
in der Weltbank noch mit einem
Direktorenjob bei der Bundesbank Fed
klappen. 1999 kehrte dann das ehemalige
jüdische Flüchtlingskind aus Wien nach
Europa zurück, als mächtiger amerikanischer
Botschafter in Paris und Chef von
1.000 Mitarbeitern. Nach seiner Pensionierung
engagierte er sich vor allem für eine
Wiederbelebung der maroden US-Infrastruktur,
argumentierte zäh für deren Modernisierung
und Ausbau.
Eine Börsenkrise erwischte ihn dann
doch noch persönlich. Rohatyn hatte
für Lehman als Berater für europäische
Märkte gearbeitet. Und wie viele andere
auch, musste er die Investmentbank nach
deren Zusammenbruch mit einem Karton
in den Händen verlassen. Seine Expertise
wurde aber schnell wieder nachgefragt, von
seinem jahrzehntelangen Arbeitgeber Lazard.
Rohatyn starb 91-jährig im Dezember
2019 in New York.
wına-magazin.at
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