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Wina Februar 2020

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OBERSTEIERMARK

reits gute Erfahrungen mit Schulprojekten

gesammelt, wusste, dass man auch

fächerübergreifend viel erreichen kann,

wenn man die Jugendlichen fordert. Was

war der politisch-historische Hintergrund

in der steirischen Stadt selbst? Der Historiker

Schiestl, der einiges über das jüdische

Leben in der Region publiziert hat,

wählte bei der Eröffnung im Herbst 2019

klare Worte:

„Von der Geschichte der Judenburger

Juden zu erzählen, das heißt in erster

Linie, sich durch ein Dickicht von Legenden,

von Mythen und Vorurteilen zu

bewegen, die Jahrhunderte lang und bis

in die Gegenwart diese Geschichte verdunkelt

und bis zur Unkenntlichkeit entstellt

haben. Und es gehört wirklich zu

den bedauernswerten Kapiteln der lokalen

Geschichtsschreibung, dass sie dieser

Legendenbildung nicht nur nichts entgegengesetzt

hat – nämlich die schlichten

Fakten, die aus den Schriftquellen zu erzählen

wären –, sondern sie hat an dieser

Mythenbildung und vor allem am Verfälschen

und am Verschweigen aktiv mitgewirkt.

[…] Die Geschichte der Juden

bleibt dabei so gut wie unsichtbar, wie ein

unliebsames und […] aus der Art geschlagenes

Mitglied der Verwandtschaft, dessen

Existenz man lieber verschweigt, weil

man sich sonst unangenehmen Fragen zu

stellen hätte.“

Stadt jüdischer Gelehrsamkeit. Schiestl

erinnerte in seiner Rede an die blühende

kleine mittelalterliche jüdische Gemeinde

von Judenburg „mit einer umfassenden

religiösen Infrastruktur, mit einer Synagoge,

mit rituellem Bad, einem Spital, einem

Friedhof und anderen sozialen und

Erinnerung an

den jüdischen

Friedhof und die

Zeremonienhalle

im obersteirischen

Leoben.

religiösen Einrichtungen“. Judenburg war

auch eine Stadt jüdischer Gelehrsamkeit,

wie Pergamentfunde belegten. Geblieben

sei aber nur das Vorurteil vom jüdischen

Geldverleiher, damals eine der wenigen

ökonomischen Aktivitäten, die der Landesfürst

den Juden zugestand, bis er sie

wieder vertreiben ließ.

Und auch zu den Jahren 1938 und 1945

fand der Historiker klare Worte, nämlich

„dass bei diesem Diebeszug durch die jüdischen

Geschäfte und Häuser alles geraubt

wurde, was den neuen ‚Herrenmenschen‘

begehrenswert erschien: Möbel, Kleidungsstücke,

Motorräder, Automobile,

Teppiche, Musikinstrumente, Schmuck,

Geschirr […], ganze Privatsammlungen,

z. B. Porzellan- und Zinngeschirrsammlungen,

und Bibliotheken haben praktisch

über Nacht den Besitzer gewechselt.“

Schon im November 1938 wurde

der Gauleitung in Graz stolz gemeldet,

die Stadt sei „judenfrei“.

Darüber hinaus möge man nicht vergessen,

„dass die meisten Protagonisten

und die Profiteure dieses Raubzuges

nach 1945 als ehrenwerte Bürgerinnen

und Bürger weiterhin für das Wohl dieser

Stadt gewirkt haben und ihre Mordsgesinnung

an die folgenden Generationen

weitergeben durften.“

„Es ist wirklich einer der bitteren postumen

Siege des Nationalsozialismus, dass

er nach der Vertreibung und nach der Ermordung

der meisten jüdischen Familien

dieser Stadt auch das Wissen und die Erinnerung

an diese reiche und lebendige

jüdische Tradition ausgelöscht hat.“ Dem

solle das Denkmal und die kreative Zusammenarbeit

der Jugendlichen deutlich

Widerspruch entgegensetzen.

ERINNERUNG

AUCH IN LEOBEN

C

lemens

Neugebauer, der

Künstler, der für die Umsetzung

des Judenburger

Denkmals verantwortlich zeichnet,

hat sich nicht zum ersten

Mal mit der unrühmlichen Vergangenheit

der Obersteiermark auseinandergesetzt.

Er ist ein vielseitig kreativer Kopf: Musiker,

Komponist, Keramiker, Maler, Unternehmer.

In seiner Firma „3D Kunst“ hat er

etwa den riesigen stählernen Stier am Red-

Bull-Ring in Spielberg geplant und aufgestellt

und auch das mächtige Bühnenbild

für Verdis Aida im burgenländischen Steinbruch

St. Margarethen aus Styroporteilen

gefertigt.

In seinen Jahren als Kunsterzieher am Leobener

Gymnasium betreute er zwei historische

Projekte. Im ersten ging er mit einer

siebenten Klasse der Lebensgeschichte

des 1921 in Leoben geborenen jüdischen

Violinisten und Bratschisten Gideon Röhr

nach. Dieser hatte als Kind in Leoben an

der Musikschule seine Grundausbildung erhalten

und dann – nach der Flucht mit seinen

Eltern nach Palästina – in Israel und in

Schweden Karriere gemacht. Bei diesem

Projekt fanden die Jugendlichen heraus,

dass es bis 1938 im Haus der Musikschule

einen jüdischen Betraum gegeben hatte.

Heute erinnern daran – und an Röhr – zumindest

Wandtafeln.

In einem weiteren Projekt forschte Neugebauer

mit 18-jährigen Mädchen zum einstigen

jüdischen Friedhof in Leoben. „Er war

in einer Ecke an der Mauer des großen städtischen

Friedhofs untergebracht“, erzählt er.

„Die Nazis haben alle Grabsteine geraubt

und für den Straßenbau verwendet, die

Gräber selbst sind geblieben, man weiß nur

nicht, wer wo liegt.“ Als Erinnerung setzten

die Schülerinnen 57 Granitplatten in eine

Wiese, die Namen der hier begrabenen Jüdinnen

und Juden findet man an einer Tafel

an der Friedhofsmauer. Und auch die Umfänge

der längst abgerissenen kleinen jüdischen

Zeremonienhalle machten die Schülerinnen

mit einer Art Fundament wieder

sichtbar. Es reicht sogar über die heutige

Friedhofsmauer hinaus bis zur Straße.

wına-magazin.at

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