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IDENTITÄTSKONSTRUKTIONEN
© Pablo Rudich/privat
Pablo Rudich:
DAZWISCHENDASEIN.
Jüdisches Leben
zwischen Czernowitz,
Wien und Montevideo.
Mandelbaum Verlag
2019, 142 S., 20 €
Es gab weder Briefe noch Tagebücher,
und dem persönlichen Gespräch
über die Jugend in Wien
verweigerte sich der jüdische Vater im
uruguayischen Exil. Dennoch wollte der
Sohn, der 1964 in Montevideo geboren
wurde und 1978 in die Geburtsstadt
seines Vaters übersiedelte, die Familiengeschichte
recherchieren. Als Historiker
wählte Pablo Rudich für die Spurensuche
zum Lebensweg seiner jüdischen
Großeltern und seines Vaters den akademischen
Zugang: In seinem Buch DA-
ZWISCHENDASEIN. Jüdisches Leben
zwischen Czernowitz, Wien und Montevideo
stellt er das Schicksal einer jüdischen
Familie exemplarisch in den größeren
Zusammenhang von Vertreibung,
Flucht und Exil.
Die „globale“ Bukowina und Czernowitz,
die Kriegsflüchtlinge im Ersten
Weltkrieg sind ebenso Thema wie die
„Zugehörigkeit und Identitätskonstruktionen
im Lichte von Staatsbürgerschaft
und Heimatrecht“. Aber auch Zufälle
interessieren Rudich: „Ich war dreizehn
Jahre alt, als ich in Wien ankam, mein
Vater Alfred Rudich dreiundfünfzig. Als
er 1938 gezwungenermaßen aus Wien
fliehen musste, kam er als Dreizehnjähriger
in meiner Geburtsstadt Montevideo
an, sein Vater, Wolf Rudich, war damals
dreiundfünfzig“, erzählt der Autor.
Dem Vater sollte es auch nicht nützen,
dass er seine Erinnerungen verdrängte
und diese seinen Kindern vorenthielt.
„In der Gegenwart holt uns des Vaters
Vergangenheit ein. Wie aus Zufall hat
jedes von uns vier erwachsenen Kindern
nun eine Wohnung im 2. Bezirk, der Leopoldstadt“,
so Pablo. „Ein großer Teil dieses
Bezirks ist seit der Anlage des ersten
jüdischen Ghettos Anfang des 17. Jahrhunderts
mit der Geschichte der Juden
und Jüdinnen eng verbunden.“
Die Auswirkungen
von Migration
Wie man sich mit
spärlichem Material eine
Familienchronik bastelt,
zeigt der Historiker
Pablo Rudich in
seiner Masterarbeit auf.
Von Marta S. Halpert
Die Großeltern des Historikers, Serafine
König und Wolf Rudich, stammten
aus Czernowitz, aus dem östlichen Randgebiet
der Habsburgermonarchie. Die
Hauptstadt der Bukowina, ein Hort des
blühenden jüdischen Lebens, der Vielsprachigkeit
und einer immens reichen
Kulturtradition, gehört heute zur Ukraine.
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs
1914 mussten die Großeltern vor einer
russischen Offensive nach Wien flüchten.
1918 kehrten sie vorübergehend nach
Czernowitz zurück, ließen sich aber später
in Wien an verschiedenen Adressen
nieder. „Mein Großvater war Jurist, viel
mehr ist den vorhandenen Quellen nicht
zu entnehmen. Nur dass ein beträchtlichen
Teil von ‚Buko-Wienern‘ damals in
Wien lebte“, lacht Pablo Rudich, der später
auch in Barcelona und Stuttgart lebte.
In dieser Masterarbeit, die zum gut
leserlichen Buch wurde, bemüht er sich,
das Schicksal von Jüdinnen und Juden
mit ähnlich gelagerten Lebenssituationen
nachzuzeichnen. „Diese Untersuchung
hat den Anspruch, nicht nur die
Frage der jüdischen Identität zu behandeln,
sondern in einem breiteren Sinn den
Fokus auf die Auswirkungen von Migrationen
auf die individuelle und kollektive
Identität der betroffenen Menschen
zu lenken“, schreibt Pablo Rudich.
Er stellt sich angesichts der – erzwungenen
– kosmopolitischen Lebenssituation
seiner Familie die Frage, wie Migranten
von ihrem Zielland beeinflusst
werden und umgekehrt dieses beeinflussen.
„Dass dieser kulturelle Austausch negative
Folgen haben soll, ist ein mani-
pulatives, häufig von Angst schürenden
Politikern hervorgebrachtes Argument“,
lautet das Fazit des Historikers.
Pablo Rudich, der auch als Fremdenführer
tätig ist, hat zwei Söhne und eine
Tochter; seine Schwester Julieta Rudich
ist Lateinamerika-Expertin im ORF-
Fernsehen und gestaltet umfassende Reportagen
für das Weltjournal. „Obwohl
der Vater uns nie explizit etwas von jüdischer
Identität mitgegeben hat, sind wir
ohne eindeutige Absicht im bis 1938 jüdischsten
Viertel Wiens angekommen,
Pablo Rudich (rechts) mit seinem Vater Wolf
Ruddich und seinen drei Geschwistern.
man könnte auch sagen ‚beheimatet‘. Und
das, obwohl die Rückkehr meines Vater
nach Wien für seine Kinder zu einer Entwurzelung
von deren eigenem Geburtsland
Uruguay führte.“ Prägend war für
die vier Rudich-Geschwister auch, dass
sie aus einer nomadischen Genealogie
stammen und zwischen 1973 und 1978
dreimal das Land gewechselt haben. „So
wird für mich die wiederholt gestellte
Frage, woher ich bin, zu welchem Land
ich mich zugehörig fühle, immer schwerer
zu beantworten.“
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