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Wina Februar 2020

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DISTRIBUTION COMMITTEE

15 Millionen Dollar hatte das

JDC mit der Kampagne SHARE bis

zum Ende des Krieges lukriert, um

damit jüdisches Leben in Europa

zu retten. Plakat: Johnstone Burke

Studios. Lithographie.

stützte auch Insassen französischer Internierungslager

sowie französische Krankenhäuser,

Waisenheime und Suppenküchen.

Auch in das Ghetto Theresienstadt, nach

Polen und in andere von den Deutschen

besetzte Gebiete wurden Lebensmittelpakete

und Geld geschickt.

Ab Juni 1940, nach der deutschen Besetzung

von Paris, wurden die Hilfsaktionen

von Lissabon aus koordiniert: Die portugiesische

Hauptstadt wurde zu einer der

zentralen Transitstationen auf dem Weg

nach Übersee. Diese Aktivitäten wurden

durch den Kriegseintritt der USA erschwert,

da das JDC ab diesem Zeitpunkt

keine Büros in feindlichen Ländern mehr

unterhalten durfte. Mit Hilfe des in der

Schweiz ansässigen JDC-Mitarbeiters

Saly Mayer gelang es jedoch, Finanzhilfen

weiterhin in Osteuropa zu verteilen

und damit zahlreiche lebensnotwendige

Mittel zur Verfügung zu stellen.

Nach dem Krieg war das JDC die wichtigste

jüdische Hilfsorganisation für Überlebende

der Schoah. Es betreute die Displaced

Persons (DPs) in den Auffanglagern

in Deutschland, Österreich, Italien und

Osteuropa und finanzierte Nahrungsmittel,

Kleidung und Berufsausbildung. Nach

der Staatsgründung Israels im Mai 1948

organisierte das JDC auch den Transport

jüdischer Auswanderer dorthin. Die Organisation

beteiligte sich auch an der Claims

Conference und dem daraus folgenden

Claims Committee.

100 Jahre in Wien aktiv. Doch wie

kommt der Leiter des Wiener Büros

Wolfgang Weninger auf das 100-Jahr-Jubiläum

in Wien? „Soweit ich das aus den

geschichtlichen Unterlagen recherchieren

konnte, kam bereits während des Ersten

Weltkrieges Hilfe über die niederländische

diplomatische Vertretung hierher“,

so der ehemalige Student der Geschichte.

„Es gab zwar kein JDC-Büro, aber Delegationen

aus den USA kümmerten sich regelmäßig

um jüdische Kriegsflüchtlinge.

Finanzielle Hilfe ist erst ab 1919 gekommen,

kolportiert wird eine Million Dollar.“

Stolz zeigt Weninger ein vergilbtes

Schwarz-weiß-Foto, das er in alten Dokumenten

gefunden hat: Es zeigt die Verteilung

von Mazza für Pessach und anderer

Lebensmittel im Jahr 1929 im Leopoldstädter

Tempel, der 1938 vollkommen niedergebrannt

wurde. „Es wurden Suppenküchen

errichtet, wichtig war vor allem die

medizinische Versorgung der Alten und

der Kinder.“ Für diese Zeit sehr fortschrittlich,

wurden Mikrokredite vergeben, damit

Menschen wieder Fuß fassen konnten.

Bereits 1987 hat Weninger bei der amerikanischen

Hilfsorganisation angedockt,

um bei der Abwicklung der Ausreise von

Juden aus der Sowjetunion zu helfen.

„Die Emigrationswelle ist damals förmlich

explodiert“, erzählt der Wiener. „In

den 1970er-Jahren kamen auch viele Juden

über Wien. 1979 mit dem Einmarsch

der Russen in Afghanistan war dann Pause.

Erst unter Präsident Gorbatschow gingen

die Zahlen wieder hinauf.“ Parallel

zu der russischen Auswanderung wurde

ab 1979/80, nach dem Sturz des Schahs

von Persien, auch ein Hilfsprogramm für

jüdische Iraner eingerichtet. „Es handelte

sich großteils um Familienzusammenführung,

fast alle Personen hatten bereits Verwandte

in den USA. Bemerkenswert war

der hohe Ausbildungsgrad der Iraner“, berichtet

Weninger. Zuerst übersetzte er medizinische

Befunde für jene Personen, die in

Spitälern versorgt werden mussten. „Bis auf

ein Jahr Unterbrechung für den Zivildienst

1990 bin ich da picken geblieben“, lacht er.

Wie sah es mit der Hilfe in den Bundesländern

aus? „Ich weiß nur von den Hilfsaktionen,

die nach 1945 in der amerikanischen

Besatzungszone in Oberösterreich

und Salzburg stattfanden – und ein jüdisches

DP-Lager gab es auch in der Obersteiermark.“

Im März 2019 wurde in der

Grazer Kultusgemeinde eine berührende

Gedenkveranstaltung für einen JDC-Helfer

abgehalten: „Im November 1945 eröffnete

der erst 26-jährige britische Staatsbürger

Hyman Yantian ein Joint-Büro und

organisierte für die DPs nicht nur Nahrungsmittel,

Kleidung

und Bildungsprogramme,

sondern

finanzierte in der

Steiermark Erholungsheime

für jüdische

Kinder und Erwachsene

sowie ein

„In den letzten

Jahren fokussierte

sich die Arbeit

in Wien auf die

Betreuung der

jüdischen Asylanten

aus dem

Iran.“ Amir Shaviv

jüdisches Studentenheim

in Graz.“

Auch beim Wiederaufbau

der Gemeinde

für die wenigen

nach Graz

zurückgekehrten Jüdinnen

und Juden spielte der Joint eine wesentliche

Rolle. „Die finanzielle Unterstützung

kam immer aus den USA, aber ohne

die logistische Hilfe der Israelitischen Kultusgemeinde

sowie die medizinische Betreuung

durch ESRA hätten wir das alles

nicht schaffen können“, sind Amir Shaviv

und Wolfgang Weninger überzeugt. „Wir

haben immer einen Ansprechpartner in

der IKG gehabt und sind mit unseren Asylanten

auch zu den Feiertagen und diversen

Veranstaltungen eingeladen worden.“

Auch wenn es im Wiener Joint-Office

in den letzten beiden Jahren ruhig geworden

ist, war die Hilfsorganisation im

Jahr 2019 in 28 Ländern in Zentral- und

Osteuropa aktiv, insbesondere im Aufbau

des jüdischen Gemeindelebens nach dem

Kommunismus. Die Republiken der ehemaligen

Sowjetunion ausgenommen, hilft

der Joint in Ländern wie Deutschland,

Ungarn, Polen, Bulgarien, Rumänien, der

Tschechischen Republik, auf dem Balkan

und in den baltischen Staaten. Aber auch

ganz neue und innovative Projekte fördert

Joint heute: Das Mozaik Hub in Budapest

zum Beispiel ist ein Inkubator für jüdische

Sozialunternehmer, die dort ein Trainingsprogramm

absolvieren, um eine neue Generation

an Führungskräften für das Community

Building vorzubereiten.

An welches menschliche Erlebnis

während der Flüchtlingsbetreuung erinnert

sind Wolfgang Weninger gerne zurück?

„Von der iranischen Gastfreundschaft

war ich immer wieder überwältigt:

Egal, wie wenig sie hatten, auch damit haben

sie einen überhäuft.“ Tief berührt hat

ihn auch das Erlebnis mit einer jungen Iranerin,

die sich länger in Wien aufhalten

musste, weil sie einmal abgelehnt wurde.

„Wir haben mit den Durchreisenden verschiedene

Programme gemacht, Ausflüge,

Museumsbesuche – und auch eine Reise

zur Gedenkstätte des KZs Mauthausen.

Das war wichtig, denn die Iraner

wussten sehr wenig über

den Holocaust.“ Die 20-Jährige

bat dort einen polnischen

Überlebenden um ein gemeinsames

Foto, das sie auch

machen durfte. Im Jahr darauf

war die junge Frau bei der

Befreiungsfeier im Mai wieder

dabei und traf den weit

über Neunzigjährigen erneut.

Nach den freudigen Umarmungen

fragte sie ihn dieses

Mal auch über seine Jugenderlebnisse

als Häftling aus.

wına-magazin.at

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