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EXISTENZ NEU AUFBAUEN
Die Frauen-AG. Kathrin Sippel,
Traude Bollauf, Primavera Driessen
Gruber, Elisabeth Lebensaft (sitzend
von links) und Katharina Prager, Ilse
Korotin, Irene Messinger, Ursula Stern
(stehend von links).
Bristol begann sie über Vermittlung des Jüdischen
Hilfskomitees die Ausbildung zur
Krankenschwester. Englisch hatte sie bereits
in Wien erlernt, so kam sie gut zurecht.
Doch der Ausbruch des Krieges zwang
sie erneut weiterzuziehen. In Wales ergatterte
sie über den Czech Refugee Trust einen
schlecht bezahlten Job in einem Hostel
für Waldarbeiter. 1940 lernte sie den um
acht Jahre älteren slowakischen Flüchtling,
Kommunisten und Spanienkämpfer Ivan
Lipschitz kennen und heiratete ihn. So
konnte sie ihm nach London folgen, wo sie
in einem neuen Beruf zu arbeiten begann:
als Näherin. Als ihr Mann in die tschechoslowakische
Armee eingezogen wurde,
übersiedelte sie erneut, nun nach Oxford,
wo inzwischen ihre Mutter lebte, die sich
ebenfalls nach England retten hatte können.
Dort jobbte sie als Fabriksarbeiterin
in einer Metall verarbeitenden Fabrik und
besuchte zusätzlich die Abendschule, sie
wollte sich auf ein Studium vorbereiten.
Doch schon folgte der nächste Neuanfang:
Nun ging es nach Slough, dort hatte sie
eine Stelle als Laborantin in einer Buntmetallgießerei
ergattert. Als der Betrieb
einsparen musste, wurde sie gekündigt.
Dieses Mal machte sie jedoch einen Karrieresprung:
Sie wurde Mitarbeiterin und
Lektorin bei einer wissenschaftlichen metallurgischen
Zeitung in London.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
reiste sie zu ihrem Mann in die
Slowakei. Dort beherrschte sie aber die
Landessprache nicht und war überdies
als Deutschsprachige und Jüdin Anfeindungen
ausgesetzt. Während der Kriegsjahre
hatte sie es geschafft, mit Verwandten
und Freunden lose in Verbindung zu
bleiben. So erfuhr sie, dass Wolfgang Bock
nach Wien zurückgekehrt war, und machte
sich 1946 auf den Weg in ihre Heimatstadt
– teilweise zu Fuß. In Österreich galt
es zunächst, um die Wiedererlangung ihrer
Staatsbürgerschaft zu kämpfen. Bis sie
ihren Jugendfreund heiraten konnte, vergingen
weitere Jahre. Erst 1949 gelang die
© privat
Die Arbeitsgemeinschaft
„Frauen und Exil“
Begründet wurde die Arbeitsgemeinschaft
„Frauen und Exil“ 2002
von der bereits verstorbenen Exilforscherin
Siglinde Bolbecher. Heute
gehören dem Team der so genannten
„Frauen-AG“ an: die Historikerin und
Soziologin Ilse Korotin (Leitung), die Judaistin
und Historikerin Evelyn Adunka,
die Sozialarbeiterin und Psychotherapeutin
Heidi Behn, die Journalistin
und Zeithistorikerin Traude Bollauf, die
Literaturwissenschafterin Susanne
Blumesberger und Liesl Fritsch, die
selbst im Exil in England zur Welt kam
und als Kind mit ihrer Mutter nach
Österreich zurückkehrte, die Juristin
Primavera Driessen Gruber, die sich
seit vielen Jahren des Themas Musiker
und Musikerinnen im Exil annimmt, die
Theaterwissenschaftlerin Christine
Kanzler, die Museologin Hadwig Kräutler,
die Exilforscherin Elisabeth Lebensaft,
die Sozialwissenschaftlerin Irene
Messinger, die Kulturwissenschaftlerin
und Historikerin Katharina Prager, die
Übersetzerin und Historikerin Katrin
Sippel und Ursula Stern, die Koordinatorin
der Frauen-AG.
Wer zu diesem Kreis dazustoßen
möchte, ist jederzeit willkommen,
betont die Frauen-AG. Interessante
Einblicke in das Thema gibt es bei der
Vortragsreihe Exil von Frauen –
historische Perspektive und Gegenwart.
Das genaue Programm findet
sich auf: exilforschung.ac.at
komplizierte Scheidung von ihrem ersten
Mann.
Noch einmal musste sich Susanne
Bock in Wien eine neue Existenz aufbauen.
Über Freunde in der kommunistischen
Partei tat sich zunächst ein Posten als
Sekretärin und Lektorin in der britischen
Nachrichtenagentur auf. Als diese aufgelöst
wurde, begann sie im Sommer 1947
für das „American Jewish Joint Distribution
Committee“ zu arbeiten. 1951 wechselte
sie zur damals neu gegründeten israelischen
Fluglinie El Al, 1954 kam ihr Sohn
Peter zur Welt. Noch einmal wechselte sie
die Branche und machte sich mit einem
Sport- und Spielwarengeschäft selbstständig.
Später eröffnete sie mit einem
Geschäftspartner einen Betrieb für keramische
Wand- und Bodenbeläge. Ihr Arbeitsleben
beendete sie schließlich als Sekretärin
einer humanitären Organisation.
Exil der einfachen Frauen. Es sind so
vielfältige Geschichten wie jene von Susanne
Bock, welchen die Frauen der Arbeitsgemeinschaft
„Frauen und Exil“ im
Rahmen der Österreichischen Gesellschaft
für Exilforschung (öge) in ihrer Arbeit auf
der Spur sind. Wenn es um Menschen im
Exil geht, werden gerne die erfolgreichen
Wissenschaftler- oder Künstlerkarrieren
vorgeführt. Doch für viele bedeutete
die Flucht, sich anderswo eine völlig neue
Existenz aufzubauen. Lineare Lebensgeschichten
sind dabei die Ausnahme.
Der Frauen-AG in der öge war es seit ihrer
Gründung im Jahr 2002 immer ein Anliegen,
auch das Exil der einfachen Frauen
zu dokumentieren, sagt Ursula Stern. Sie
erzählt, dass gerade Susanne Bock selbst,
die sich von Beginn an in der Frauen-AG
engagierte und inzwischen Ehrenmitglied
ist, darauf gepocht hat, „dass man auch das
Exil der einfachen Frauen recherchiert“.
So widmet sich die Frauen-AG bis heute
grundsätzlich Frauenschicksalen im Exil.
Viele Tagungen hat man über die Jahre
schon abgehalten, noch mehr Vorträge
wına-magazin.at
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