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Wina Februar 2020

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EXISTENZ NEU AUFBAUEN

Die Frauen-AG. Kathrin Sippel,

Traude Bollauf, Primavera Driessen

Gruber, Elisabeth Lebensaft (sitzend

von links) und Katharina Prager, Ilse

Korotin, Irene Messinger, Ursula Stern

(stehend von links).

Bristol begann sie über Vermittlung des Jüdischen

Hilfskomitees die Ausbildung zur

Krankenschwester. Englisch hatte sie bereits

in Wien erlernt, so kam sie gut zurecht.

Doch der Ausbruch des Krieges zwang

sie erneut weiterzuziehen. In Wales ergatterte

sie über den Czech Refugee Trust einen

schlecht bezahlten Job in einem Hostel

für Waldarbeiter. 1940 lernte sie den um

acht Jahre älteren slowakischen Flüchtling,

Kommunisten und Spanienkämpfer Ivan

Lipschitz kennen und heiratete ihn. So

konnte sie ihm nach London folgen, wo sie

in einem neuen Beruf zu arbeiten begann:

als Näherin. Als ihr Mann in die tschechoslowakische

Armee eingezogen wurde,

übersiedelte sie erneut, nun nach Oxford,

wo inzwischen ihre Mutter lebte, die sich

ebenfalls nach England retten hatte können.

Dort jobbte sie als Fabriksarbeiterin

in einer Metall verarbeitenden Fabrik und

besuchte zusätzlich die Abendschule, sie

wollte sich auf ein Studium vorbereiten.

Doch schon folgte der nächste Neuanfang:

Nun ging es nach Slough, dort hatte sie

eine Stelle als Laborantin in einer Buntmetallgießerei

ergattert. Als der Betrieb

einsparen musste, wurde sie gekündigt.

Dieses Mal machte sie jedoch einen Karrieresprung:

Sie wurde Mitarbeiterin und

Lektorin bei einer wissenschaftlichen metallurgischen

Zeitung in London.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs

reiste sie zu ihrem Mann in die

Slowakei. Dort beherrschte sie aber die

Landessprache nicht und war überdies

als Deutschsprachige und Jüdin Anfeindungen

ausgesetzt. Während der Kriegsjahre

hatte sie es geschafft, mit Verwandten

und Freunden lose in Verbindung zu

bleiben. So erfuhr sie, dass Wolfgang Bock

nach Wien zurückgekehrt war, und machte

sich 1946 auf den Weg in ihre Heimatstadt

– teilweise zu Fuß. In Österreich galt

es zunächst, um die Wiedererlangung ihrer

Staatsbürgerschaft zu kämpfen. Bis sie

ihren Jugendfreund heiraten konnte, vergingen

weitere Jahre. Erst 1949 gelang die

© privat

Die Arbeitsgemeinschaft

„Frauen und Exil“

Begründet wurde die Arbeitsgemeinschaft

„Frauen und Exil“ 2002

von der bereits verstorbenen Exilforscherin

Siglinde Bolbecher. Heute

gehören dem Team der so genannten

„Frauen-AG“ an: die Historikerin und

Soziologin Ilse Korotin (Leitung), die Judaistin

und Historikerin Evelyn Adunka,

die Sozialarbeiterin und Psychotherapeutin

Heidi Behn, die Journalistin

und Zeithistorikerin Traude Bollauf, die

Literaturwissenschafterin Susanne

Blumesberger und Liesl Fritsch, die

selbst im Exil in England zur Welt kam

und als Kind mit ihrer Mutter nach

Österreich zurückkehrte, die Juristin

Primavera Driessen Gruber, die sich

seit vielen Jahren des Themas Musiker

und Musikerinnen im Exil annimmt, die

Theaterwissenschaftlerin Christine

Kanzler, die Museologin Hadwig Kräutler,

die Exilforscherin Elisabeth Lebensaft,

die Sozialwissenschaftlerin Irene

Messinger, die Kulturwissenschaftlerin

und Historikerin Katharina Prager, die

Übersetzerin und Historikerin Katrin

Sippel und Ursula Stern, die Koordinatorin

der Frauen-AG.

Wer zu diesem Kreis dazustoßen

möchte, ist jederzeit willkommen,

betont die Frauen-AG. Interessante

Einblicke in das Thema gibt es bei der

Vortragsreihe Exil von Frauen –

historische Perspektive und Gegenwart.

Das genaue Programm findet

sich auf: exilforschung.ac.at

komplizierte Scheidung von ihrem ersten

Mann.

Noch einmal musste sich Susanne

Bock in Wien eine neue Existenz aufbauen.

Über Freunde in der kommunistischen

Partei tat sich zunächst ein Posten als

Sekretärin und Lektorin in der britischen

Nachrichtenagentur auf. Als diese aufgelöst

wurde, begann sie im Sommer 1947

für das „American Jewish Joint Distribution

Committee“ zu arbeiten. 1951 wechselte

sie zur damals neu gegründeten israelischen

Fluglinie El Al, 1954 kam ihr Sohn

Peter zur Welt. Noch einmal wechselte sie

die Branche und machte sich mit einem

Sport- und Spielwarengeschäft selbstständig.

Später eröffnete sie mit einem

Geschäftspartner einen Betrieb für keramische

Wand- und Bodenbeläge. Ihr Arbeitsleben

beendete sie schließlich als Sekretärin

einer humanitären Organisation.

Exil der einfachen Frauen. Es sind so

vielfältige Geschichten wie jene von Susanne

Bock, welchen die Frauen der Arbeitsgemeinschaft

„Frauen und Exil“ im

Rahmen der Österreichischen Gesellschaft

für Exilforschung (öge) in ihrer Arbeit auf

der Spur sind. Wenn es um Menschen im

Exil geht, werden gerne die erfolgreichen

Wissenschaftler- oder Künstlerkarrieren

vorgeführt. Doch für viele bedeutete

die Flucht, sich anderswo eine völlig neue

Existenz aufzubauen. Lineare Lebensgeschichten

sind dabei die Ausnahme.

Der Frauen-AG in der öge war es seit ihrer

Gründung im Jahr 2002 immer ein Anliegen,

auch das Exil der einfachen Frauen

zu dokumentieren, sagt Ursula Stern. Sie

erzählt, dass gerade Susanne Bock selbst,

die sich von Beginn an in der Frauen-AG

engagierte und inzwischen Ehrenmitglied

ist, darauf gepocht hat, „dass man auch das

Exil der einfachen Frauen recherchiert“.

So widmet sich die Frauen-AG bis heute

grundsätzlich Frauenschicksalen im Exil.

Viele Tagungen hat man über die Jahre

schon abgehalten, noch mehr Vorträge

wına-magazin.at

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