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Magazyn Polonia 15/16

Zeitschrift der Polen in Deutschland Kwartalnik Polaków w Niemczech

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GESCHICHTE

man damit etwas machen muss. Tomek ist einer der Taufpaten

des Buches, er nahm Kontakt mit Jüdischem Institut

in Warschau auf und schlug dort vor, dass wir, er und

ich, eine Vorlesung über Urgroßmutter und die von ihr

gegründete Schule vorbereiten werden.

Kurz darauf kam ich mit dem fertigen Referat nach

Warschau. Frau Zofia Borzymińska, die seitens des Instituts

für den Vortrag verantwortlich war, war begeistert

von meiner Familie. Sie hatte zudem die Idee, mein Buch

als erstes Buch in der vom Jüdischen Institut geplanten

Serie „Jüdische Familien in Warschau“ drucken zu lassen.

Nach diesem Gespräch setzte ich mich hin, das Buch war

nach ca. einem Jahr fertig. Dreimal schrieb ich es um und

verschickte es sodann ans Institut. Frau Borzymińska ließ

mich wissen, dass das Buch sehr gut sei. Nach dieser Begeisterungswelle

schrieb ich sofort an Tomek. Er antwortete:

„Pass auf, es werden noch viele Enttäuschungen

kommen”. Leider beschwor er es herauf, das Buch steckte

im Institut fest, nichts passierte. Nach einem Jahr hackte

ich nach. Frau Borzymińska sagte, die Zeiten hätten sich

geändert und das Institut werde diese Serie nicht herausgeben.

Sie versprach mich davon auch schriftlich in

Kenntnis zu setzen. Nach weiteren zwei-drei Monaten erhielt

ich eine endgültige Absage: der Institutsleiter möchte

keine Serien herausgeben. Im selben Augenblick dachte

ich: „Das war es wohl, ich werde nur einige Exemplare

für die Familie und Tomek herausgeben, das Thema ist

erledigt“. Am selben Tag, an dem ich die Absage erhielt,

hatte meine Tante in Warschau Besuch von einem Herrn,

der die von ihr für meinen Blog geschriebenen Erzählungen

herausgegeben hat. Sie saßen gemeinsam am Computer,

als sie ihm „Lubliners“ zeigte: „Was ist das?”, fragte

er. „Ein Buch, das Ewa über die Lubliners schrieb“, antwortete

meine Tante. „Ich werde es herausgeben“. Am

genau demselben Tag, an dem ich die Absage des Instituts

erhielt, rief meine Tante bei mir an und fragte, ob ich

damit einverstanden bin, dass Herr Geismer in Zielonka

das Buch herausgibt. Er hat schließlich bereits die Geschichte

meines Großvaters, des Vaters meiner Tante,

Großvater Wiktor, und ein Buch mit Erzählungen meiner

Tante über die Familie Lubliner herausgegeben, „Lubliners“

sollte das dritte Buch über die Familie Lubliner aus

Zielonka sein.

Joanna Trümner: Deine Mutter und dein Vater

sind bereits tot, wie reagierte der Rest der Familie

auf dein Buch?

Ewa Maria Slaska:Man kann es kurz fassen: meistens

gab es überhaupt keine Reaktion. Alle in der Familie

haben sich damit abgefunden, dass ich das Geheimnis,

von dem nur die Tante wusste, entdeckt habe. Ohne darüber

zu sprechen fand sich die Familie damit ab, auch

wenn sie bei weitem nicht begeistert war. Eigentlich niemand

außer meiner Nichte, die nach mir das Interesse für

die jüdischen Themen übernahm und nach Israel fuhr.

Wir beide sind einmal gemeinsam nach Israel gefahren

und haben an einem Workshop mit jüdischen Tänzen teilgenommen.

Niemand war von diesen Aktivitäten begeistert,

das Thema wird übrigens vorsichtshalber bis heute

verschwiegen.

Joanna Trümner: In jeder Generation deiner Familie

wiederholt sich das Motiv der starken Frauen,

Frauen, die einfach ihr Leben lebten, ich denke dabei

sowohl an dich als auch an deine Urgroßmutter,

die vier bzw. fünf Kinder geboren hat, und danach

ein Studium aufnahm.

Ewa Maria Slaska: Ja, es waren starke Frauen, wie

die Ururgroßmutter, die die Aufständischen unterstützte

und Briefe von Waryński schmuggelte (Lud-wik Waryński,

ein polnischer Politiker und Gründer der ersten polnischen

Arbeiterpartei „Proletariat“ (1882), Anm. des Übersetzers).

Selbstverständlich gab es in jeder Generation

Cioteczna babcia, siostra Anieli), Karolina Lubliner-Mianowska

(Karusia) z nami dwiema: ja siedzę, a Karusia trzyma moją

siostrę (rok 1953)

auch interessante Männer, trotzdem war es faszinierend,

dass sämtliche Frauen meiner Familie seit Mitte des XIX

Jahrhunderts genau wussten, was sie machen wollten und

es einfach machten. Über mich sagte jemand einmal, dass

eine Frau ein seltsames Geschöpf sei, das eigentlich nicht

genau weiß, was es erreichen möchte, dennoch nicht aufhört,

bis es erreicht wurde.

Joanna Trümner: Wie kamen die Männer damit

zurecht?

Ewa Maria Slaska: Ich weiß nicht, ob du dich an die

Szene erinnerst, in der der Urgroßvater seine Kollegen

während eines Ärztekongresses trifft. Einer der Herren

hat seiner Ehefrau einen Zobelpelz gekauft, der andere

ein Brillantencollier, mein Urgroßvater spendierte seiner

Ehefrau Unterhalt für zwölf bzw. zwanzig Waisenkinder.

Die Lehrer und der Unterhalt der Kinder wurden von meinen

Urgroßeltern bezahlt, auf der zweiten Etappe der Tä-

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MAGAZYN POLONIA 2019 15/16

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