Magazyn Polonia 15/16
Zeitschrift der Polen in Deutschland Kwartalnik Polaków w Niemczech
Zeitschrift der Polen in Deutschland
Kwartalnik Polaków w Niemczech
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GESCHICHTE
tigkeit von Sylwana, d. h. in der Zeit eines Internats für
geistig behinderte Kinder aus dem Dorf zahlten meine Urgroßeltern
einfach alles.
Joanna Trümner: Es lohnt sich darüber zu schreiben,
heute gibt es kaum noch solche Ideale
Ewa Maria Slaska: Aus diesem Grund wollte Tomek
darüber ein Buch schreiben, ich hoffe nach wie vor,
dass er es tut. Wir konzertieren uns meistens mehr auf
Janusz Korczak oder seine Mitarbeiter, im Film
„Siłaczki“ (dt.: Frauen der ersten Stunde) wurden solche
Frauen des Positivismus wie Dulemianka und Konopnicka
gezeigt, es muss aber viel mehr Frauen wie
meine Urgroßmutter gegeben haben. In dem Buch von
Cecylia Walewska „Nasze Wojownice“(dt.: Unsere
Kämpferinnen) über Patriotinnen, Revolutionärinnen,
Reformerinnen usw. wird meine Urgroßmutter erwähnt.
Ich bin Tomek für die Einsicht sehr dankbar, dass es
viele derartige Frauen gab, Frauen, die während der Teilungen,
des Krieges, der Zwischenkriegszeit wussten, was
sie tun wollten.
Joanna Trümner: Deine Mutter ist in diesem Buch
keine starke Person, ich habe das Gefühl, dass der
Krieg sie irgendwie zerbrach
Ewa Maria Slaska: Einerseits ja, andererseits denke
ich, dass sie einen eisernen Charakter hatte. Sie war so
entschlossen, alles zu verstecken und verschweigen, übrigens
wie jeder von denen, die überlebt haben. Sie hielt
ihren Lebenslauf fest in der Hand und bewachte ihn auf
eine konsequente und unerbittliche Art, ich glaube nicht,
dass ich dazu fähig gewesen wäre. Wahr ist, dass sie auf
Deutsch gesagt „nicht aus der Reihe tanzen wollte”. Angesichts
dessen, dass sie sich hauptsächlich zu Hause aufhielt,
wollte sie nicht auf eine Hausfrau reduziert werden
und war diesbezüglich eine starke Persönlichkeit. Sie
hatte das Sagen zu Hause, sie beschloss, welche intellektuellen
Werte von Bedeutung sind, sie vertrat den Standpunkt,
dass es unsere patriotische Pflicht ist, klug zu sein.
Joanna Trümner: Gott sei Dank für solche
Mütter!
Ewa Maria Slaska: In Erinnerung meiner Schwester
ist das ewige Abfragen bis heute noch ein Albtraum. Ich
hingegen glaube, dass danach Schularbeiten unter dem
Motto „Was wollte uns der Autor dadurch sagen?” mit
links zu schaffen waren.
Joanna Trümner: Ich habe das Gefühl, dass die
Familiengeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg ruhiger
wird. Waren die Familienmitglieder nicht
durch den Sicherheitsdienst verhört, hat sie das Jahr
1968 nicht betroffen? Davon erzählt das Buch nicht,
dabei waren sämtliche Familienmitglieder doch in
der Heimatarmee.
Ewa Maria Slaska: Sie haben gelernt, alles zu verstecken.
Nur so gelang es ihnen den Sicherheitsdienst und
das Jahr 68 (antisemitische Kampagne, die den niedergeschlagenen
Studentenunruhen im März 1969 folgte, Anm.
des Übersetzers) zu überleben. In diesem Verstecken waren
sie sich einig und erfolgreich, sogar vor uns. So hat z.
B. mein Vater bereits nach den politischen Veränderungen
in Polen die sog. drei Lebensläufe geschrieben. Einer
davon war sein Lebenslauf in der Heimatarmee, mein Vater
vermerkt dort, wo er war und was er gemacht hatte.
Ich habe mit Absicht diese Nachkriegszeit ausgelassen,
die Themen waren noch nicht genug zeitlich entfernt. Außerdem
ging es um meine Tante und meinen verstorbenen
Onkel, Lutek, ich wollte ihr Leben nicht vorführen. Zudem
hat mein Vater eine Biografie geschrieben, eigentlich
eine Autobiografie, die wir gemeinsam mit meiner Schwester
vor einigen Jahren herausgegeben haben. Aus diesem
Buch zitiere ich an einigen Stellen ausgiebig, ich wollte
mich nicht wiederholen. Ich weiß, dass Menschen manche
Bücher immer wieder umschreiben, als Beispiel kann
hier ein Roman von Urszula Ussakowska-Wulf über Irena
Sendler dienen. Dieses Buch wurde bereits siebzehn Mal
geschrieben, jede Ausgabe konzentriert sich auf einen anderen
Aspekt. Ich bin dagegen, etwas, was geschrieben
worden ist, ist geschrieben. Außerdem glaube ich, dass es
besser ist weniger Bäume zu fällen, um Bücher zu drucken.
Erst wenn es ein Buch noch nicht gibt, soll man es
herausgeben. Das Sammeln und Vortragen der Tatsachen
aus der Familiengeschichte in der Zeitspanne von einhundert
Jahren – von dem Januaraufstand bis zum Tod von
Karusia - ist ein Riesenerfolg. Ich glaube nicht, dass viele
Familien es mit Rücksicht auf die Zäsur des Zweiten Weltkriegs
und des Kommunismus schaffen, die meisten Erinnerungen
vor und nach dem Krieg sind einfacher aufzuschreiben.
Mit allen Familien, die in Pommern lebten, es betraf
auch meine Familie, passierte dasselbe: eigentlich hatten
die Städte, in denen sie lebten, seit der Teilung Polens gar
keine Geschichte. Erst später erschienen Ruinen, Kriegsende,
Volksrepublik Polen und wir, die junge Generation.
Joanna Trümner: Wer soll dieses Buch deiner
Meinung nach lesen? Abgesehen von der Familiengeschichte,
glaubst du, dass es universelle Werte
enthält?
Ewa Maria Slaska: Auch wenn es seltsam ist, so über
das eigene Buch zu reden, so glaube ich dennoch, dass
die „wahren“ Polen es lesen sollten, um etwas über das
Schicksal von jüdischen Familien zu erfahren. Diese Lebensläufe
waren doch keine Protokolle der Weisen von
Zion, keine Verschwörungen, es waren einzelne individuelle
Entscheidungen von Familien. In jeder Generation
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MAGAZYN POLONIA 2019 15/16