Magazyn Polonia 15/16
Zeitschrift der Polen in Deutschland Kwartalnik Polaków w Niemczech
Zeitschrift der Polen in Deutschland
Kwartalnik Polaków w Niemczech
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GESCHICHTE
erschienen junge Leute, die studieren und nach vorne gehen
wollten, die für Polen arbeiteten.
Es war für mich sehr wichtig und ich möchte, dass
diese „wahren” Polen darüber erfahren. Ich möchte mich
auch der Stimmung, die sowohl in Polen als auch in
Deutschland herrscht „Wir Juden gegen euch Polen“ widersetzen.
Ich behaupte, dass meine gesamte Familie aus
dieser Verfolgungszeit, dem Krieg, dem Sicherheitsdienst,
dem Jahr 1968 halbwegs heil rausging, weil wir Polen und
Selbstverständlich gab es in jeder
Generation auch interessante
Männer, trotzdem war es
faszinierend, dass sämtliche Frauen
meiner Familie seit Mitte des XIX
Jahrhunderts genau wussten, was
sie machen wollten und es einfach
machten. Über mich sagte jemand
einmal, dass eine Frau ein seltsames
Geschöpf sei, das eigentlich nicht
genau weiß, was es erreichen
möchte, dennoch nicht aufhört,
bis es erreicht wurde.
Patrioten waren, darüber hinaus halfen uns in besonderen
Augenblicken Polen. Dieses Buch ist keine Diskussion
über die polnisch-jüdischen bzw. deutsch-jüdischen
Aspekte, ich vertrete einfach einen anderen Standpunkt
und möchte, dass Menschen darüber lesen und in Erfahrung
bringen, dass es andere Aspekte gibt als „Ihr Polen
habt uns in Jedwabne getötet und in euren Schuppen beim
lebendigen Leibe verbrannt.” (Das Massaker von Jedwabne
im Nordosten Polens am 10.07.1941 war ein Pogrom
polnischer Bürger von Jedwabne und Umgebung an
jüdischen Einwohnern, Anm. des Übersetzers). Ich negiere
diese Tatsachen nicht, ich bin der Meinung, dass
sich auch Anderes abspielte.
Joanna Trümner: Deine Familie ist seit einigen Generationen
elitär, gebildete Menschen mit Erfolgen
Ewa Maria Slaska: Ja, aber sie stammen aus denselben
Pinkos, über die Singer schreibt. Für mich ist es auch
wichtig, dass sie dank eigener Arbeit, Bildung, halbwegs
guten Ehen, Werten, denen sie treu waren, immer höher
auf der Gesellschaftsleiter aufsteigen konnten.
Ja, diese Ehen, abgesehen von meiner, waren sehr gut
und einig und konservativ. Sie waren sehr fortschrittlich
in Hinblick auf die Gleichstellung der Frau oder soziales
Denken, warum sollte beispielsweise eine Mutter von vier
oder fünf Kindern nicht studieren? In der nächsten Generation
studierten die Frauen in der Schweiz. Sie waren
fortschrittlich, was ihre Ansichten betraf, dennoch sehr
konservativ in ihrer Lebensweise. Sie waren elitär, elitär
durch ihre Werte sowie durch die Tatsache, dass sie polonisierte
Juden waren. Genau genommen waren sie Polen.
Auch wenn die Polen sie nicht wollten und sie nicht mehr
zu den Juden zählten. Erst im Ghetto hat Stefan eine neue
Karte in der jüdischen Geschichte der Familie aufgedeckt.
Vorher war er Pole, ein Frauenheld in „Adria”.
Joanna Trümner: Stefan war eine der interessantesten
Figuren in dem Buch. Gelang es dir, die Frau,
der er ins Ghetto folgte zu finden?
Ewa Maria Slaska: Ich bin mir relativ sicher, meine
Tante hat es aber mit „Nein, keinesfalls“ verneint. Ich
werde es nie erfahren, es gibt keine Eheurkunde, ich habe
sämtliche Archive durchforstet. Selbstverständlich kann
sie einfach verloren gegangen sein. Ich war der Meinung,
dass es sich bei dieser Frau um Halina Weinstein, deren
Bruder oder Onkel im Polnischen Außenministerium, wo
auch Stefan angestellt war, arbeitete, handelt. Halina und
Stefan haben gemeinsam ein Esperanto-Kongress in Polen
organisiert.
Joanna Trümner: Es hätte einen großen Skandal
in Warschau auslösen können, sie hätte zum Beispiel
einen alten Ehemann sitzen gelassen haben
Ewa Maria Slaska: Niemand wollte etwas dazu sagen.
Es fällt mir schwer zu glauben, dass sie eine einfache
Frau war, da Stefan richtig gut aussah. Ich hätte mir gewünscht,
dass es Halina war. Leider gibt es keine Bestätigung,
so bleibt sie eine Frau X.
Joanna Trümner: Wie sehen deine weiteren Pläne
nach dieser schweren Arbeit aus?
Ewa Maria Slaska: Beim Schreiben des Buches
träumte ich einige Jahre lang von Stefan, Urgroßmutter,
Feliks (Dzierżyński), einem ganz üblen Kerl, Kommissar
während des polnisch-sowjetischen Krieges. Ich habe
nichts zu seiner Verteidigung, auch wenn er in vielerlei
Hinsicht edel war. Ich träumte von ihnen allen, ihren Kindern
und den damaligen Kleidern. Ich träumte vom brennenden
Warschau im zweiten Weltkrieg. Nachdem das
Buch fertig war, erschienen in meinen Träumen Tataren,
da mein Vater tatarischer Herkunft ist. Dschingis Khan.
Die echten Tataren waren türkischer, nicht mongolischer
Herkunft. Also ging ich durch Berlin, schaute mir die türkischen
Gesichter an und fragte mich „vielleicht ist es
meine Familie?”.
Joanna Trümner
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MAGAZYN POLONIA 2019 15/16